von Florian Flade
Vor knapp drei Monaten wurde das islamistische Netzwerk „Millatu Ibrahim“ verboten. Aus Sicht der Sicherheitsbehörden ein Erfolg im Kampf gegen die Radikalen. Doch nun formieren sich deutsche Salafisten in Ägypten neu – und rufen zur Rache an der Bundesrepublik auf.
Mohammed M. alias „Abu Usama al-Gharib“ in Ägypten
Sie kamen im Morgengrauen. Hunderte Polizeibeamte durchsuchten am 14. Juni zahlreiche Vereinsräume und Privatwohnungen in sieben Bundesländern. Ziel der bundesweiten Aktion war die Zerschlagung des islamistischen Netzwerkes „Millatu Ibrahim“.
Ein halbes Jahr trieb die Gruppierung zwischen Berlin, Solingen, Bonn und dem hessischen Erbach ihr Unwesen. Ihre Anhänger attackierten Polizisten bei Demonstrationen in Bonn, hetzten gegen Andersgläubige und riefen unverhohlen zum „Heiligen Krieg“ in und gegen Deutschland auf.
Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) ließ ein Verbotsverfahren gegen „Millatu Ibrahim“ einleiten. Seit dem Verbot des sogenannten „Kalifatstaates“ im Dezember 2001 hatte es keine großangelegte Aktion gegen organisierte Vertreter des islamischen Extremismus in der Bundesrepublik mehr gegeben.
Die Schließung der Solinger „Millatu Ibrahim“-Moschee habe mehr Symbolcharakter als tatsächlichen Nutzen, betonten Kritiker der Aktion. Mit dem Verbot eines Vereins verschwänden weder dessen Anhänger noch deren Ideologie.
Innenminister Friedrich verteidigte jedoch die Maßnahme als notwendig und richtig. Die Ideologie von „Millatu Ibrahim“ richte sich „gegen den Gedanken der verfassungsrechtlichen Ordnung und der Völkerverständigung“, so der Minister. Laut dem Innenministerium rief „Millatu Ibrahim“ zum Kampf gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung auf.
Wer sich in Sicherheitskreisen umhört, stellt fest: Verfassungsschutz und Polizei werten die Verbotsaktion im Fazit mehrheitlich als Erfolg. Allein die beschlagnahmten Computer und Festplatten seien von nicht zu unterschätzendem Wert, heißt es.
Zudem sei bei den Durchsuchungen Material konfisziert worden, das darauf schließen lasse, dass die salafistische Szene offenbar weiter eine Eskalation der Straßengewalt bei Demonstrationen anstrebe. So seien beispielsweise Knieschoner, Schlagstöcke und andere Ausrüstungsgegenstände gefunden worden. „Kampfmonturen für Straßenkämpfe“, wie ein Staatsschützer sagt.
Verschwunden aber ist „Millatu Ibrahim“ keineswegs. Die Bewegung lebt fort. Und zwar genau wie vor dem Verbot vor allem im Internet. Diverse salafistische Internetauftritte wie salafimedia.de und millatu-ibrahim.com gingen zwar offline, doch die „Millatu Ibrahim“-Anhänger sind weiterhin online vernetzt. In Sicherheitskreisen weiß man um die Kommunikation untereinander.
Der Emir von „Millatu Ibrahim“, der Österreicher Mohammed M., war im Mai einer Abschiebung zuvorgekommen und hatte Deutschland verlassen. Er lebt heute in Ägypten, hält aber über das Internet weiter Kontakt zu seinen Getreuen in Deutschland. M. alias „Abu Usama al-Gharib“, so das Fazit der Behörden, versucht aus dem ägyptischen Exil heraus, „Millatu Ibrahim“ am Leben zu halten.
Videoauftritte des Österreichers sind seltener geworden. Die Propagandafront ruht allerdings nicht. Ein Beweis für die anhaltenden Bestrebungen des Exil-Salafisten ist ein PDF-Dokument, das erstmals vor zwei Wochen in arabischsprachigen Internetforen auftauchte.
Das deutschsprachige Schreiben mit dem Titel „Abrechnung mit Deutschland“ thematisiert die Mohammed-Verunglimpfungen durch ein YouTube-Video aus den USA und stachelt gläubige Muslime in Deutschland an, blutige Rache an all jenen zu üben, die den Propheten beleidigen oder Beleidigungen gutheißen.
Sicherheitsbehörden werten das Schreiben als direkten Mordaufruf. Und sie glauben, den Verfasser identifiziert zu haben: Mohammed M.. Man geht davon aus, dass die Hassbotschaft, die von einem „Abu Assad al-Almani“ unterzeichnet ist, entweder im Auftrag M.s entstanden oder vom Österreicher selbst verfasst wurde.
Die Absicht der achtseitigen Schrift scheint eindeutig: islamistische Attentäter in Deutschland aktivieren. Seien es radikale Islamisten, die bereits seit Längerem Anhänger von „Millatu Ibrahim“ und dem militanten Salafismus sind – oder emotionalisierte Einzeltäter nach dem Vorbild von Arid U., dem Attentäter vom Frankfurter Flughafen.
„Abrechnung mit Deutschland“ fällt derzeit nicht auf fruchtbaren Boden, analysieren die Nachrichtendienste. Nach wie vor gebe es zwar gewaltbereite Islamisten in einer nicht unerheblichen Zahl. Die salafistische Szene zeige jedoch aktuell keine terroristischen Bestrebungen. Die Gefahr von Anschlägen, so heißt es von Seiten des Bundeskriminalamts, sei zwar „konstant hoch“, aber „abstrakt“.
Ein Grund dafür, weshalb keine Gewalttaten von Seiten der Salafisten in den vergangenen Wochen zu verzeichnen waren, liegt auch im scheinbaren Erfolg der Razzia in Solingen. Statt aus Deutschland heraus zu agieren, sammeln sich deutsche Salafisten nun in Ägypten. Etwa 20 Personen aus der radikalislamischen Szene sollen inzwischen an den Nil ausgewandert sein.
Weitere 30 Salafisten, darunter ganze Familien, säßen „auf gepackten Koffern“, bestätigte Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen. „Millatu Ibrahim“ habe in Ägypten einen „Brückenkopf“ errichten können, sagte Maaßen der „Rheinischen Post“.
Unter den Auswanderern finden sich einige der bekanntesten Vertreter des radikalen Islams in Deutschland. Allen voran Denis Cuspert.
Der Berliner Ex-Rapper (Künstlername „Deso Dogg“) verschwand im Juni klammheimlich in den Untergrund. Trotz Überwachung durch die Sicherheitsbehörden und der Tatsache, dass Cuspert schon vor längerer Zeit der Reisepass entzogen wurde, gelang es dem Islamisten, sich zunächst nach Südeuropa und anschließend nach Ägypten abzusetzen.
„Wir wissen nicht, wo sich Herr Cuspert aufhält“, hieß es noch im Juli offiziell in Sicherheitskreisen. Tatsächlich aber lokalisierte man den Ex-Rapper zu diesem Zeitpunkt schon in Ägypten. Cuspert zog es – trotz Ehefrau und Kindern in Deutschland – zu seinem Glaubensbruder Mohammed M.. Im Land der Pharaonen kam es zur Wiedervereinigung der „Millatu Ibrahim“-Gründungsfiguren.
Bevor er sich ins Ausland absetzte, hinterließ Cuspert noch eine Abschiedsbotschaft in Videoform. Darin droht der Ex-Rapper mit Terroranschlägen in Deutschland. „Ihr werdet nicht mehr in Sicherheit leben. Ihr setzt Millionen und Milliarden ein für den Krieg gegen den Islam“, so Cuspert. Aufgenommen wurde das Video, das knapp eine Stunde lang ist, in Köln im Mai.
Inzwischen folgten Cuspert eine Reihe von Gesinnungsgenossen, die sich durch das „Millatu Ibrahim“-Verbot unter verstärktem Druck von Seiten des Staates sehen. Insbesondere aus der Solinger Szene wanderten mehrere Salafisten kurz nach der Umsetzung des Vereinsverbotes und der Schließung der „Millatu Ibrahim“-Moschee aus.
Einer der Auswanderer ist Hasan K. alias „Abu Ibrahim“. K. galt als Führungsfigur der Solinger Szene, und seit dem Wegzug von Mohammed M. ins hessische Erbach als dessen Stellvertreter.
Der Deutsch-Türke stammt aus dem salafistischen Milieu im Rheinland. Früher soll Hasan K. im Umfeld des sogenannten „Kalifatstaates“ aktiv gewesen sein. Dann entwickelte er sich zum salafistischen Hardliner.
In den Monaten vor dem Verbot von „Millatu Ibrahim“ verging kaum eine Woche, in der keine neue Videopredigt von Hassan K. im Internet auftauchte. Mal in den Solinger Moscheeräumen, mal vor plätschernden Bächen in einem Waldstück oder Park, meist aber vor der schwarzen Flagge mit dem Siegel des Propheten, hetzte K. gegen den deutschen Staat, Demokratie, Integration und Andersgläubige.
Neben Hasan K. hat noch eine Person aus der salafistischen Prominenz in Ägypten ihre Zelte aufgeschlagen – Reda S. Der passionierte Kameramann galt als Schlüsselfigur der salafistischen Szene in Berlin. Laut Verfassungsschutz ist er einer der Veteranen des radikalen Islam in Deutschland. „Er hat eine gewisse Märtyrer-Rolle“, sagt eine Sprecherin des Berliner Verfassungsschutzes.
Was der in Berlin-Charlottenburg wohnhafte Salafist in Ägypten treibt, ist nicht bekannt. „Wir denken nicht, dass Herr S. zum Urlaub machen in Ägypten ist“, heißt es aus Sicherheitskreisen.
Bislang ist allgemein unklar, wie eng die deutsche Exil-Salafisten am Nil tatsächlich vernetzt sind. Differenzen, die innerhalb der Szene in Deutschland existieren, sind wohl in Ägypten nicht schlagartig überwunden. Einige Personen seien gezielt dem ausgewanderten Führungsköpfen der Szene, sprich M., gefolgt. Andere hingegen hätten völlig unabhängig davon und aus anderen Beweggründen ihren Lebensmittel in das arabische Land verlagert.
Von den Reisebewegungen der Radikalen erfahren die Dienste meist nur zeitverzögert. In vielen Fällen sind deutsche Sicherheitsbehörden auf die Hilfe der Geheimdienste am Ort angewiesen. Das größte Problem ist, die Absicht der ausgereisten oder ausreisenden Islamisten zu erkennen. Wer will langfristig in Ägypten bleiben? Wer wird zurückkehren? Wer radikalisiert sich im Exil? Wer sehnt sich nach Dschihad und Märtyrertod?
Die überwiegende Mehrheit der Extremisten hofft wohl schlichtweg auf ein besseres, sprich islamischeres Leben in Ägypten oder besucht eine Sprachschule oder islamische Universität. Sie fühlen sich beflügelt vom politischen Klima Ägyptens, das derzeit gemeinhin als pro-salafistisch betrachtet wird.
In einem arabischen Land, in dem jüngst salafistische Parteien gestärkt aus Wahlen hervorgingen und schrittweise schariagerechte Rechtsprechung durchsetzen, fühlen sich auch die Korangläubigen aus Deutschland augenscheinlich wohler als unter der Beobachtung und Repression der Dienste und Behörden hierzulande.
Für gewisse Einzelpersonen aus dem „Millatu Ibrahim“-Umfeld besteht jedoch die Gefahr, dass sie Ägypten nur als Zwischenstation sehen. „Wir können nur sehr vage einschätzen, wer in Ägypten bleiben wird und wer vermutlich weiterreisen wird“, sagte ein Vertreter der Sicherheitsbehörden der „Welt“. „Die Reise ist für einige in Ägypten womöglich nicht zu Ende.“
Für den harten Kern der Szene gebe es noch wesentlich attraktivere Reiseziele, zum Beispiel Syrien, Somalia oder Mali. Für einige sei der Dschihad die einzig akzeptable Endstation der sogenannten „hijrah“ (Auswanderung).
Trotz der Befürchtungen, deutsche Islamisten könnten womöglich bald schon auf den Schlachtfeldern in Nord-Syrien, im Süden Somalias oder in Westafrika auftauchen, zeichnet sich bereits auch eine rückläufige Entwicklung ab. „Es gibt erste Rückkehrer aus Ägypten“, heißt es in Sicherheitskreisen. So mancher Fundamentalist sei offenbar enttäuscht vom Lebensstandard in Ägypten. Andere sehnten sich nach ihren Familien, die sie in Deutschland zurückgelassen hatten.
Der Anführer von „Millatu Ibrahim“, Mohammed M., scheint hingegen eine Rückkehr nach Deutschland nicht mehr zu erwägen. „Ich werde Deutschland nur in einem einzigen Fall betreten“, sagte der Islamist in einer Tonbandbotschaft aus Ägypten. „Als Eroberer, um die Scharia in Deutschland einzuführen.“
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