Monatsarchiv: Oktober 2012

Das Leben und Sterben des Moez Garsallaoui

von Florian Flade

„Ich habe mein Zuhause verlassen, um in den Dschihad zu ziehen. Das bedeutet: um den Feind zu töten“

– Interview mit Moez Garsallaoui im Sommer 2009

Moezeddine Garsallaoui kam 1998 als Flüchtling aus Tunesien in die Schweiz. Er arbeitete auf Baustellen und als Computerfachmann. Dann lernte er über das Internet eine in Belgien lebende Marokkanerin kennen – Malika El-Aroud. Die vollverschleierte Salafistin ist die Witwe eines Al-Qaida-Selbstmordattentäters. Moezeddine Garsallaoui wurde ihr dritter Ehemann. Sie zog zu ihm in die Schweiz

Vom schweizerischen Düdingen (Kanton Freiburg) aus betrieb das Paar jahrelang zwei islamistische Internetseiten, auf denen es Propagandafilme von Enthauptungen und Bombenanschlägen verbreitete. El-Aroud und ihr Ehemann  etablierten sich als einige der führenden Dschihad-Unterstützer im Internet.

Im Jahr 2005 verhafteten Schweizer Behörden das islamistische Paar wegen Unterstützung terroristischer Organisationen. Garsallaouis Einbürgerungsverfahren wurde gestoppt. Das Schweizer Bundesstrafgericht verurteilte ihn und seine islamisch angetraute Ehefrau stattdessen im Juni 2007. Er erhielt 24 Monaten Haft, muss diese allerdings nicht sofort antreten.

Weil das Paar zunächst auf freiem Fuß blieb, konnten sich Garsallaoui und Malika El-Aroud ins Ausland absetzen. Sie floh nach Belgien, er reiste über die Türkei nach Pakistan.

Doch auch in Belgien ermittelten die Behörden gegen El-Aroud. Die Salafistin soll zu einer Gruppe radikaler Islamisten gehören, die junge Männer für den Dschihad rekrutieren. Im Mai 2010 folgte die nächste Verurteilung. Diesmal in Brüssel. Sowohl die Märtyrer-Witwe Malika El-Aroud als auch ihr im Ausland abgetauchter Ehemann wurden zu acht Jahren Haft wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation verurteilt. Während El-Aroud die Haftstrafe antrat, kämpfte ihr Gatte in Afghanistan gegen NATO-Soldaten.

Im Stammesgebiet Waziristan schloss sich Garsallaoui islamistischen Terrorgruppen an. Nach Erkenntnissen der Geheimdienste verkehrte er zuletzt im engeren Zirkel der Al-Qaida. Garsallaoui soll als Ausbilder in einem terroristischen Trainingslager tätig gewesen sein. Das Spezialgebiet des Tunesiers war angeblich der Bombenbau.

Nach Erkenntnissen von Experten gehörte Garsallaoui vermutlich zur Elite der Al-Qaida-Kommandeure in den pakistanischen Stammesgebieten. Er sprach fließend Französisch, Arabisch, Deutsch, Englisch und Paschtu und war damit prädestiniert um mit internationalen Terrorrekruten zu arbeiten. So soll er beispielsweise auch deutsche Dschihadisten während ihrer Ausbildung in Nord-Waziristan getroffen haben.

Seit seiner Flucht aus Europa gab Garsallaoui in diversen Internetforen regelmäßig Lebenszeichen von sich. Dort nannte er sich „Moez al-Qayrawani“ und veröffentlichte einige lange Traktate u.a. zur politischen Situation in Tunesien nach dem Sturz des Ben-Ali-Regimes. Per E-Mail soll der Dschihadist zudem mit Glaubensbrüdern und Verwandten in Belgien, der Schweiz und Nordafrika kommuniziert haben.

Ein Foto, das Garsallaoui seiner Ehefrau vor Jahren in einer E-Mail geschickt hatte, zeigt ihn mit einer Panzerfaust auf der Schulter irgendwo in den Bergen zwischen Afghanistan und Pakistan.

„Das Töten von amerikanischen Soldaten (…) ist kein moralisches Verbrechen für das wir uns schämen“, schrieb Garsallaoui vor drei Jahren in einer E-Mail an einen niederländischen Journalisten, „Ich habe in der Schweiz gelebt, ich will in dieses Land nicht zurückkehren oder irgendwo sonst nach Europa. Ich hoffe ich werde nie dazu gezwungen sein.“

Jetzt soll Moezeddine Garsallaoui tot sein. Dschihadistische Quellen in Pakistan melden, dass der Al-Qaida-Bombenexperte vor kurzem bei einem Luftangriff nahe der pakistanisch-afghanischen Grenze getötet wurde

Garsallaoui sei zuletzt Anführer einer von kasachischen Islamisten dominierten Gruppierung namens „Jund al-Khilafa“ gewesen, heißt es in arabischen Internetforen. Etliche ausländische Kämpfer habe er ausgebildet. Sein Ziel sei es gewesen, selbst wieder nach Tunesien oder Europa für Dschihad-Aktivitäten zurück zu kehren.

Zuletzt sorgte der Dschihadst aus der Schweiz Herbst 2011 für Schlagzeilen. Damals tauchten mehrere Geiselvideos eines Schweizer Touristen-Paares auf, die im Juli 2011 im Süden Pakistans von Taliban-Kämpfer entführt worden waren. In einem der Videos waren bewaffnete Islamisten zu sehen, die hinter dem am Boden sitzenden Geiseln standen. Einer der Kämpfer stand etwas abseits. Als einzige Person hatte er ein verpixeltes Gesicht.

Da die beiden entführten Touristen aus Bern in dem Video in englischer Sprache sondern in Mundart um ihre Freilassung flehten, spekulierten Medien und Sicherheitsbehörden, der verpixelte Mann könnte womöglich die Funktion eines Dolmetschers haben. Vielleicht sei die Person vor Ort gewesen um den Text der Geiseln zu kontrollieren und für die Taliban zu übersetzen. Folglich müsse es sich um jemanden handeln der Schweizerdeutsch versteht – möglicherweise Moez Garsallaoui.

Die später freigelassenen Schweizer Geiseln klärten in der Vernehmung durch die Behörden schließlich auf, dass die verpixelte Person ihr Aufpasser war und nicht Garsallaoui. Der Islamist selbst dementierte über Internetnachrichten seine Verwicklungen in die Entführung.

Unter dem Schatten der Schwerter

von Florian Flade

Quelle:Youtube

Der islamische Prophet Mohammed soll einmal gefragt worden sein, wo sich das Paradies für den Gläubigen befindet. „Und wisset, dass das Paradies unter den Schatten der Schwerter liegt!“, so die Antwort. Das Schwert von Murat K. war 22 Zentimeter lang. Mehr ein Messer als ein Säbel. Aber mit ähnlicher Wirkung.

Am 5.Mai zog der Deutsch-Türke damit in den Kampf. Zunächst demonstrierte K. nur mit seiner Anwesenheit gegen die Beleidigung seines Propheten. Die rechtspopulistische Partei „Pro NRW“ hatte an jenem Tag in Bonn Bad-Godesberg Station gemacht. Unweit der König Fahd-Akademie, einer konservativ islamischen Lehreinrichtung, protestierten die Islamhasser gegen eine vermeintliche Islamisierung der Bundesrepublik.

Die „Pro NRW“-Aktivisten hielten Mohammed-Karikaturen in die Luft. Wollten provozieren. Auf der Gegenseite protestierten mehrere hundert Muslime, darunter zahlreiche Salafisten die aus der gesamten Republik zusammengekommen waren, um die Ehre des Propheten zu verteidigen. In Sprechchören, mit Megafon und schwarzen Flaggen skandierten sie kämpferische Parolen. Einer von ihnen war Murat K. aus dem hessischen Sontra. Er trug an diesem Tag eine Pluderhose, eine beigefarbene Jacke und eine Gebetsmütze.

Eine Hundertschaft der Polizei sollte die Extremisten-Lager von einander trennen. Dies gelang, solange die salafistische Seite friedlich das Gebet im Nieselregen verrichtete und nur verbal gekämpft wurde. Doch gegen 15:30 Uhr eskalierte die Situation. Wütende Salafisten ließen einen Hagel aus Steinen, Flaschen und Holzlatten auf die Polizisten niederprasseln. Es kam zu Schlägereien, ein Polizeifahrzeug wurde attackiert.

Was dann geschah, hat die angerückte Polizei mit eigenen Kameras dokumentiert. Während seine Glaubensbrüder den Polizeibeamten heftigen Widerstand leisteten, bahnte sich einer der Salafisten in Schlangenlinien seinen Weg durch den Mob – es war Murat K..

Der 35-jährige Polizeibeamte Carsten S. filmte die Gewalteskalation. Ihn nahm Murat K. als ersten ins Visier. Der Salafist zückte ein gezacktes Küchenmesser und attackierte gezielt den linken Oberschenkel des Polizisten. Vier Zentimeter tief rammte der hessische Islamist Carsten S. das Messer ins Fleisch.

Blitzschnell wandte sich Murat K. der Polizistin Teresa M. zu. Die 30-jährige Beamtin versuchte den Angreifer noch mit Pfefferspray abzuwehren. Doch es gelang K. auch ihr mehrere Zentimeter tief in den Oberschenkel zu schneiden. Beide Beamte gingen nach der Attacke zu Boden und verloren große Mengen Blut. Carsten S. ist bis heute durch ein Trauma geschädigt, seine Kollegin allerdings ist wieder im Dienst.

Der Messerstecher Murat K. konnte überwältigt werden. Heute begann vor dem Bonner Landgericht der Prozess gegen ihn. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm gefährlicher Körperverletzung, schweren Landfriedensbruch und Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte vor.

Beim Prozessauftakt trug K. einen schwarzen Turban und einen langen Vollbart. „Das ist das Problem, dass leider der Westen den Islam nicht respektiert“, entgegnete der 26-jährige Angeklagte auf die Anschuldigungen der Staatsanwaltschaft. Islamische Gelehrte hätten entschieden, dass diejenigen, die den Propheten beleidigen, getötet werden dürften, so K.

Die Polizeibeamten hätten die Islamhasser von „Pro NRW“ geschützt, erklärte der Salafist. Und zudem hätten die verletzten Polizisten an jenem Tag nicht unbedingt Dienst schieben müssen. Es sei von ihrer Seite eine freiwillige Entscheidung gewesen. Reue sieht anders aus.

Murat K. ist nur einer von 23 Salafisten die aufgrund der Gewalteskalation bei der Demonstration am 5.Mai in Bonn angeklagt sind. Für die Sicherheitsbehörden war K. kein Unbekannter. Der in Eschwege geborene Islamist gehörte nach Erkenntnissen des Verfassungsschutzes seit einigen Jahren zu den Randfiguren der salafistischen Szene.

K. besuchte zunächst die Gesamt- später die Hauptschule in Sontra, war dann bis zum Jahr 2005 Schüler an der Berufsfachschule in Eschwege. Danach folgten mehrere Jobs als Postsortierer, Verpacker und Mitarbeiter eines Versandhauses. Eine Ausbildung zum Industriemechaniker brach Murat K. nach nur einem Jahr ab, lebte seitdem von Hartz IV. Immer wieder fiel er in den vergangenen Jahren durch Gewalttaten auf. Er lieferte sich Schlägereien vor Diskotheken, war dadurch polizeibekannt und verbüßte 2005 sogar eine Jugendstrafe.

Dann trat offenbar der Wandel im Leben von Murat K. ein. Der Deutsch-Türke entwickelte sich zu einem Anhänger von Pierre Vogel und Vertreter des salafistischen Islams. K. schrieb sich als Online-Student bei der „Islamschule“ des Braunschweiger Predigers Muhamed Ciftci ein. Mehrfach fiel er niedersächsischen Sicherheitsbehörden aufgrund seiner Kontakte in die radikalislamischen Kreise auf. So etwa bei einer Polizeikontrolle in Göttingen.

Durch die typische Kleidung nach Vorbild des Propheten fiel Murat K. in seinem Heimatort Sontra sogar dem Bürgermeister auf. Nachfragen bei Verfassungsschutz und Staatsschutz blieben jedoch unbeantwortet.

In Sontra wohnte Murat K. nur wenige hundert Meter von seinen Eltern entfernt in einer Dachwohnung eines Fachwerkhauses. Zum 30.April, kurz vor dem Straßenkampf in Bonn, hatte K. seine Wohnung gekündigt. Private Habseligkeiten fanden sich im Sperrmüll vor dem Haus.

„Wandert aus, wandert aus…“ – Deutsche Salafisten-Kolonie in Ägypten

von Florian Flade

Vor knapp drei Monaten wurde das islamistische Netzwerk „Millatu Ibrahim“ verboten. Aus Sicht der Sicherheitsbehörden ein Erfolg im Kampf gegen die Radikalen. Doch nun formieren sich deutsche Salafisten in Ägypten neu – und rufen zur Rache an der Bundesrepublik auf.

Mohammed M. alias „Abu Usama al-Gharib“ in Ägypten

Sie kamen im Morgengrauen. Hunderte Polizeibeamte durchsuchten am 14. Juni zahlreiche Vereinsräume und Privatwohnungen in sieben Bundesländern. Ziel der bundesweiten Aktion war die Zerschlagung des islamistischen Netzwerkes „Millatu Ibrahim“.

Ein halbes Jahr trieb die Gruppierung zwischen Berlin, Solingen, Bonn und dem hessischen Erbach ihr Unwesen. Ihre Anhänger attackierten Polizisten bei Demonstrationen in Bonn, hetzten gegen Andersgläubige und riefen unverhohlen zum „Heiligen Krieg“ in und gegen Deutschland auf.

Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) ließ ein Verbotsverfahren gegen „Millatu Ibrahim“ einleiten. Seit dem Verbot des sogenannten „Kalifatstaates“ im Dezember 2001 hatte es keine großangelegte Aktion gegen organisierte Vertreter des islamischen Extremismus in der Bundesrepublik mehr gegeben.

Die Schließung der Solinger „Millatu Ibrahim“-Moschee habe mehr Symbolcharakter als tatsächlichen Nutzen, betonten Kritiker der Aktion. Mit dem Verbot eines Vereins verschwänden weder dessen Anhänger noch deren Ideologie.

Innenminister Friedrich verteidigte jedoch die Maßnahme als notwendig und richtig. Die Ideologie von „Millatu Ibrahim“ richte sich „gegen den Gedanken der verfassungsrechtlichen Ordnung und der Völkerverständigung“, so der Minister. Laut dem Innenministerium rief „Millatu Ibrahim“ zum Kampf gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung auf.

Wer sich in Sicherheitskreisen umhört, stellt fest: Verfassungsschutz und Polizei werten die Verbotsaktion im Fazit mehrheitlich als Erfolg. Allein die beschlagnahmten Computer und Festplatten seien von nicht zu unterschätzendem Wert, heißt es.

Zudem sei bei den Durchsuchungen Material konfisziert worden, das darauf schließen lasse, dass die salafistische Szene offenbar weiter eine Eskalation der Straßengewalt bei Demonstrationen anstrebe. So seien beispielsweise Knieschoner, Schlagstöcke und andere Ausrüstungsgegenstände gefunden worden. „Kampfmonturen für Straßenkämpfe“, wie ein Staatsschützer sagt.

Verschwunden aber ist „Millatu Ibrahim“ keineswegs. Die Bewegung lebt fort. Und zwar genau wie vor dem Verbot vor allem im Internet. Diverse salafistische Internetauftritte wie salafimedia.de und millatu-ibrahim.com gingen zwar offline, doch die „Millatu Ibrahim“-Anhänger sind weiterhin online vernetzt. In Sicherheitskreisen weiß man um die Kommunikation untereinander.

Der Emir von „Millatu Ibrahim“, der Österreicher Mohammed M., war im Mai einer Abschiebung zuvorgekommen und hatte Deutschland verlassen. Er lebt heute in Ägypten, hält aber über das Internet weiter Kontakt zu seinen Getreuen in Deutschland. M. alias „Abu Usama al-Gharib“, so das Fazit der Behörden, versucht aus dem ägyptischen Exil heraus, „Millatu Ibrahim“ am Leben zu halten.

Videoauftritte des Österreichers sind seltener geworden. Die Propagandafront ruht allerdings nicht. Ein Beweis für die anhaltenden Bestrebungen des Exil-Salafisten ist ein PDF-Dokument, das erstmals vor zwei Wochen in arabischsprachigen Internetforen auftauchte.

Das deutschsprachige Schreiben mit dem Titel „Abrechnung mit Deutschland“ thematisiert die Mohammed-Verunglimpfungen durch ein YouTube-Video aus den USA und stachelt gläubige Muslime in Deutschland an, blutige Rache an all jenen zu üben, die den Propheten beleidigen oder Beleidigungen gutheißen.

Sicherheitsbehörden werten das Schreiben als direkten Mordaufruf. Und sie glauben, den Verfasser identifiziert zu haben: Mohammed M.. Man geht davon aus, dass die Hassbotschaft, die von einem „Abu Assad al-Almani“ unterzeichnet ist, entweder im Auftrag M.s entstanden oder vom Österreicher selbst verfasst wurde.

Die Absicht der achtseitigen Schrift scheint eindeutig: islamistische Attentäter in Deutschland aktivieren. Seien es radikale Islamisten, die bereits seit Längerem Anhänger von „Millatu Ibrahim“ und dem militanten Salafismus sind – oder emotionalisierte Einzeltäter nach dem Vorbild von Arid U., dem Attentäter vom Frankfurter Flughafen.

„Abrechnung mit Deutschland“ fällt derzeit nicht auf fruchtbaren Boden, analysieren die Nachrichtendienste. Nach wie vor gebe es zwar gewaltbereite Islamisten in einer nicht unerheblichen Zahl. Die salafistische Szene zeige jedoch aktuell keine terroristischen Bestrebungen. Die Gefahr von Anschlägen, so heißt es von Seiten des Bundeskriminalamts, sei zwar „konstant hoch“, aber „abstrakt“.

Ein Grund dafür, weshalb keine Gewalttaten von Seiten der Salafisten in den vergangenen Wochen zu verzeichnen waren, liegt auch im scheinbaren Erfolg der Razzia in Solingen. Statt aus Deutschland heraus zu agieren, sammeln sich deutsche Salafisten nun in Ägypten. Etwa 20 Personen aus der radikalislamischen Szene sollen inzwischen an den Nil ausgewandert sein.

Weitere 30 Salafisten, darunter ganze Familien, säßen „auf gepackten Koffern“, bestätigte Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen. „Millatu Ibrahim“ habe in Ägypten einen „Brückenkopf“ errichten können, sagte Maaßen der „Rheinischen Post“.

Unter den Auswanderern finden sich einige der bekanntesten Vertreter des radikalen Islams in Deutschland. Allen voran Denis Cuspert.

Der Berliner Ex-Rapper (Künstlername „Deso Dogg“) verschwand im Juni klammheimlich in den Untergrund. Trotz Überwachung durch die Sicherheitsbehörden und der Tatsache, dass Cuspert schon vor längerer Zeit der Reisepass entzogen wurde, gelang es dem Islamisten, sich zunächst nach Südeuropa und anschließend nach Ägypten abzusetzen.

„Wir wissen nicht, wo sich Herr Cuspert aufhält“, hieß es noch im Juli offiziell in Sicherheitskreisen. Tatsächlich aber lokalisierte man den Ex-Rapper zu diesem Zeitpunkt schon in Ägypten. Cuspert zog es – trotz Ehefrau und Kindern in Deutschland – zu seinem Glaubensbruder Mohammed M.. Im Land der Pharaonen kam es zur Wiedervereinigung der „Millatu Ibrahim“-Gründungsfiguren.

Bevor er sich ins Ausland absetzte, hinterließ Cuspert noch eine Abschiedsbotschaft in Videoform. Darin droht der Ex-Rapper mit Terroranschlägen in Deutschland. „Ihr werdet nicht mehr in Sicherheit leben. Ihr setzt Millionen und Milliarden ein für den Krieg gegen den Islam“, so Cuspert. Aufgenommen wurde das Video, das knapp eine Stunde lang ist, in Köln im Mai.

Inzwischen folgten Cuspert eine Reihe von Gesinnungsgenossen, die sich durch das „Millatu Ibrahim“-Verbot unter verstärktem Druck von Seiten des Staates sehen. Insbesondere aus der Solinger Szene wanderten mehrere Salafisten kurz nach der Umsetzung des Vereinsverbotes und der Schließung der „Millatu Ibrahim“-Moschee aus.

Einer der Auswanderer ist Hasan K. alias „Abu Ibrahim“. K. galt als Führungsfigur der Solinger Szene, und seit dem Wegzug von Mohammed M. ins hessische Erbach als dessen Stellvertreter.

Der Deutsch-Türke stammt aus dem salafistischen Milieu im Rheinland. Früher soll Hasan K. im Umfeld des sogenannten „Kalifatstaates“ aktiv gewesen sein. Dann entwickelte er sich zum salafistischen Hardliner.

In den Monaten vor dem Verbot von „Millatu Ibrahim“ verging kaum eine Woche, in der keine neue Videopredigt von Hassan K. im Internet auftauchte. Mal in den Solinger Moscheeräumen, mal vor plätschernden Bächen in einem Waldstück oder Park, meist aber vor der schwarzen Flagge mit dem Siegel des Propheten, hetzte K. gegen den deutschen Staat, Demokratie, Integration und Andersgläubige.

Neben Hasan K. hat noch eine Person aus der salafistischen Prominenz in Ägypten ihre Zelte aufgeschlagen – Reda S. Der passionierte Kameramann galt als Schlüsselfigur der salafistischen Szene in Berlin. Laut Verfassungsschutz ist er einer der Veteranen des radikalen Islam in Deutschland. „Er hat eine gewisse Märtyrer-Rolle“, sagt eine Sprecherin des Berliner Verfassungsschutzes.

Was der in Berlin-Charlottenburg wohnhafte Salafist in Ägypten treibt, ist nicht bekannt. „Wir denken nicht, dass Herr S. zum Urlaub machen in Ägypten ist“, heißt es aus Sicherheitskreisen.

Bislang ist allgemein unklar, wie eng die deutsche Exil-Salafisten am Nil tatsächlich vernetzt sind. Differenzen, die innerhalb der Szene in Deutschland existieren, sind wohl in Ägypten nicht schlagartig überwunden. Einige Personen seien gezielt dem ausgewanderten Führungsköpfen der Szene, sprich M., gefolgt. Andere hingegen hätten völlig unabhängig davon und aus anderen Beweggründen ihren Lebensmittel in das arabische Land verlagert.

Von den Reisebewegungen der Radikalen erfahren die Dienste meist nur zeitverzögert. In vielen Fällen sind deutsche Sicherheitsbehörden auf die Hilfe der Geheimdienste am Ort angewiesen. Das größte Problem ist, die Absicht der ausgereisten oder ausreisenden Islamisten zu erkennen. Wer will langfristig in Ägypten bleiben? Wer wird zurückkehren? Wer radikalisiert sich im Exil? Wer sehnt sich nach Dschihad und Märtyrertod?

Die überwiegende Mehrheit der Extremisten hofft wohl schlichtweg auf ein besseres, sprich islamischeres Leben in Ägypten oder besucht eine Sprachschule oder islamische Universität. Sie fühlen sich beflügelt vom politischen Klima Ägyptens, das derzeit gemeinhin als pro-salafistisch betrachtet wird.

In einem arabischen Land, in dem jüngst salafistische Parteien gestärkt aus Wahlen hervorgingen und schrittweise schariagerechte Rechtsprechung durchsetzen, fühlen sich auch die Korangläubigen aus Deutschland augenscheinlich wohler als unter der Beobachtung und Repression der Dienste und Behörden hierzulande.

Für gewisse Einzelpersonen aus dem „Millatu Ibrahim“-Umfeld besteht jedoch die Gefahr, dass sie Ägypten nur als Zwischenstation sehen. „Wir können nur sehr vage einschätzen, wer in Ägypten bleiben wird und wer vermutlich weiterreisen wird“, sagte ein Vertreter der Sicherheitsbehörden der „Welt“. „Die Reise ist für einige in Ägypten womöglich nicht zu Ende.“

Für den harten Kern der Szene gebe es noch wesentlich attraktivere Reiseziele, zum Beispiel Syrien, Somalia oder Mali. Für einige sei der Dschihad die einzig akzeptable Endstation der sogenannten „hijrah“ (Auswanderung).

Trotz der Befürchtungen, deutsche Islamisten könnten womöglich bald schon auf den Schlachtfeldern in Nord-Syrien, im Süden Somalias oder in Westafrika auftauchen, zeichnet sich bereits auch eine rückläufige Entwicklung ab. „Es gibt erste Rückkehrer aus Ägypten“, heißt es in Sicherheitskreisen. So mancher Fundamentalist sei offenbar enttäuscht vom Lebensstandard in Ägypten. Andere sehnten sich nach ihren Familien, die sie in Deutschland zurückgelassen hatten.

Der Anführer von „Millatu Ibrahim“, Mohammed M., scheint hingegen eine Rückkehr nach Deutschland nicht mehr zu erwägen. „Ich werde Deutschland nur in einem einzigen Fall betreten“, sagte der Islamist in einer Tonbandbotschaft aus Ägypten. „Als Eroberer, um die Scharia in Deutschland einzuführen.“