von Florian Flade
Zünder oder kein Zünder? Die Ermittler in Bonn waren unsicher. Nach dem Fund einer Bombe in einer Reisetasche am Bonner Hauptbahnhof am Montag war lange nicht klar, ob der Sprengsatz auch einen funktionsfähigen Zünder enthielt. Fest stand lediglich, dass die Bombe aus höchst gefährlichen Komponenten bestand: ein 40cm langes Alurohr, daran gebunden vier Kartuschen gefüllt mit Butangas, Nägel, ein Kunststoff-Wecker, zwei unterschiedliche Batterien und mehrere Kabel. Wo aber war der Zünder?
Noch am Dienstag hieß es aus Ermittlerkreisen, es stehe nicht eindeutig fest ob die Bombe lediglich eine Attrape war oder einen Zünder enthielt. Die Vermutung wurde laut, ein Zünder könnte durch den Beschuss der Tasche mit einem Wasserstrahl durch die Bundespolizei zerstört worden sein. Und tatsächlich. Bei näherer Untersuchung des Gleisbetts fanden die Ermittler eine winzige Glühbirne. Mit ihr sollte die Bombe wohl gezündet werden.
Sie wurde auch gezündet. Nach aktuellen Stand der Ermittlungen waren die Batterien aber offenbar zu schwach, der Strom der bei der Zündung durch die Weckeruhr floss, war nicht stark genug, um das Nitrat zur Explosion zu bringen. Hätte die Zündung funktioniert, wäre es wohl zu einer Katastrophe am Bonner Hauptbahnhof gekommen. Die Sprengkraft der Bombe wäre wohl ausreichend gewesen um an jenem Gleis zahlreiche Menschen zu töten oder schwer zu verletzen.
Die Bombe, so die Hoffnung der LKA-Ermittler der „BAO Anschlag“, könnte nun Hinweise auf die Täterschaft liefern. Bislang hieß es, es werde in alle Richtungen ermittelt. Nordrhein-Westfalens Innenminister Ralf Jäger sagte am Donnerstag, der oder die Bombenleger könnten aus allen Extremismus-Formen stammen. Jetzt, wo klar ist wie die Bombe aufgebaut war, hat sich jedoch der Verdacht erhärtet, dass die Attentäter aus dem islamistischen Spektrum stammen.
Denn die Bonner Bombe ähnelt auf schreckliche Weise einem Sprengsatz, wie ihn das Terrornetzwerk Al-Qaida seinen Anhängern empfiehlt. Es ist die Bombe aus „Inspire“, einem Online-Magazin der jemenitischen Al-Qaida. Unter der Überschrift „Make A Bomb In The Kitchen Of Your Mom“ veröffentlichte Al-Qaida im Jahr 2010 einen Artikel in der ersten Ausgabe des englischsprachigen „Inspire-Magazin“. Darin wird schrittweise der Bau eines Sprengsatzes erläutert, wie er nun in Bonn zum Einsatz kam.
Nitrat, Alurohr, Wecker, Batterien, Glühbirne als Zünder – alles so wie in der Al-Qaida -Anleitung. Die Bombenleger von Bonn hatten sich offenbar an „Inspire“ orientiert. Damit wird erneut deutlich, was in Sicherheitskreisen seit Jahren mit Sorge geäußerst wird: „Inspire“ ist weit mehr als nur Propaganda, es ist ein gefährliches Werkzeug der Dschihadisten. „Gift in PDF-Form“, nannte es ein Ermittler.
Die Haupt-Autoren des Dschihad-Magazins, der US-jemenitische Prediger Anwar al-Awlaki und der US-Amerikaner Samir Khan, sind mittlerweile Tod. „Inspire“ aber ist weiterhin im Netz. Inzwischen gibt es neun Ausgaben. Jeweils im Abstand von mehreren Monaten in islamistischen Internetforen veröffentlicht, zuletzt im Mai. Und es wird nicht nur gelesen. Die Anweisungen, insbesondere die Bauanleitungen für Bomben, treffen auf eine interessierte, gewaltbereite Leserschaft. Auch in Deutschland.
So etwa im Februar 2011. Da entschied der Deutsch-Afghane Keramat G. aus Frankfurt am Main die Al-Qaida Anweisung aus „Inspire“ auszuprobieren. G. beschaffte sich Chemikalien und mischte diese in der Wohnung eines Freundes in Frankfurt-Höchst so wie es in Al-Qaida-Magazin beschrieben war. Etwas aber ging schief. Die Mischung explodierte in der Küche. Keramat G. erlitt schwere Verbrennungen.
Zeitgleich stieß ein Passant in der Frankfurter Innenstadt auf einen USB-Stick. Die Polizei fand darauf islamistisches Propagandamaterial, darunter auch die Bombenbauanleitung aus „Inspire“. Den Datenträger hatte Keramat G. verloren. Als die Polizei den Studenten befragen wollte, stießen die Beamten in der Wohnung des Freundes auf die zerstörte Küche. Keramat G. wurde zu dieser Zeit bereits aufgrund seiner Verletzungen in der Brandklinik in Offenbach behandelt.
Eine Befragung des Islamisten ergab, dass G. wohl vor hatte, einen Anschlag in der Frankfurter Innenstadt zu verüben. „Inspire“ hatte ihm geliefert was ihm dazu gefehlt hatte. Das nötige Know-How in Sachen Bombenbau.
Der Fall zeigt, dass sich das Magazin der jemenitischen Al-Qaida zu einem verhängnisvollen Terrormotivator entwickelt hat. Immer wieder stoßen Sicherheitsbehörden bei Razzien und Festnahmen auf das PDF-Dokument. Zum Beispiel als die deutschen Konvertiten Robert B. und Christian E. im Sommer 2011 nach England einreisen wollten. Die beiden Islamisten aus Solingen hatten auf ihren Laptops neben islamistischen Propagandatexten auch die „Inspire“-Ausgabe mit der Bombenbauanleitung. Was Robert B. und Christian E. in England vor hatten, ist bis heute unklar. Inzwischen sind sie wieder in Deutschland und auf freiem Fuß.
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