Monatsarchiv: Juni 2013

Großrazzia gegen Millatu-Ibrahim Nachfolger

von Florian Flade

In Hamburg und Schleswig-Holstein gab es Razzien gegen ein Netzwerk radikaler Islamisten. Sie sollen die verbotene Salafisten-Organisation „Millatu Ibrahim“ fortgeführt und Anschläge geplant haben.

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Quelle: Youtube

Vor einem Jahr ging der Staat mit bislang beispielloser Härte gegen radikale Salafisten vor. In mehreren Bundesländern durchsuchten im Juni 2012 hunderte Polizeibeamte Privatwohnungen und Vereinsräume von islamischen Extremisten. Im Fokus der Razzien stand die militante Organisation Millatu Ibrahim.

Das Bundesinnenministerium erließ ein Vereinsverbot gegen die Gruppe. In kämpferisch-aggressiver Weise richte sich Millatu Ibrahim gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung und den Gedanken der Völkerverständigung. Computer, Festplatten, Dokumente, Bargeld, Propagandamaterialien wurden beschlagnahmt.

Monatelang hatten die radikalen Salafisten der Millatu Ibrahim gegen Ungläubige gehetzt, beteiligten sich an Straßenschlachten mit der Polizei in Solingen und Bonn. Von einer „islamistischen Kameradschaft“ sprach man in Sicherheitskreisen über Millatu Ibrahim. Die führenden Köpfe der Organisation, allen voran der Österreicher Mohamed M., ließen nie Zweifel daran, was sie anstrebten: die Einführung der Scharia. „Bis der Kopf fliegt“, betonte Mohamed M. alias „Abu Usama al-Gharib“ stets.

Mohamed M. hat Deutschland mittlerweile verlassen. Er wanderte zunächst nach Ägypten aus. Reiste dann über Libyen in die Türkei, wollte wohl weiter nach Syrien. Im türkisch-syrischen Grenzgebiet schlugen die türkischen Sicherheitskräfte zu. Der gebürtige Österreicher wartet seitdem auf seine Auslieferung.

Der Verfassungsschutz hat beobachtet, dass sich Dutzende Mitglieder und Sympathisanten von Millatu Ibrahim nach dem Vereinsverbot ins Ausland abgesetzt haben. Ein großer Teil folgte Mohamed M. nach Ägypten. Andere reisten nach Libyen oder Syrien.

Diejenigen Anhänger von Millatu Ibrahim, die noch in Deutschland leben, sind jedoch weiter aktiv. So sehr, dass Behörden eine Neu-Vernetzung der Radikal-Salafisten befürchten. Es gäbe Erkenntnisse, sagte mir ein Verfassungsschützer, dass sich die Szene in Norddeutschland neu organisiere. Möglicherweise habe man es mit einer Nachfolge-Organisation von Millatu Ibrahim zu tun.

Um dies zu verhindern, schritten die Behörden in der vergangenen Woche ein. Wie die Hamburger Polizei auf Nachfrage bestätigte, durchsuchten rund 80 Polizeibeamte am vergangenen Donnerstag insgesamt 15 Wohnungen mutmaßlicher Islamisten in Hamburg, Pinneberg, Elmshorn und Lübeck und eine Moschee im Hamburger Stadtteil Harburg.

„Es wurde umfangreiches Beweismaterial beschlagnahmt, das derzeit ausgewertet wird“, sagte mir eine Sprecherin der Hamburger Polizei. Festnahmen habe es keine gegeben.

Die Staatsanwaltschaft Hamburg ermittelt nach meinen Informationen gegen insgesamt 15 mutmaßliche Islamisten wegen „Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat“ und „Verstoß gegen ein Vereinigungsverbot“.

„Bellende Hunde“

von Florian Flade

Am Morgen zogen Polizeibeamte in Baden-Württemberg, Bayern, Sachsen und Belgien gegen mutmaßliche Islamisten zu Felde. Zwei tunesische Studenten spielten wohl mit dem Gedanken, ferngesteuerte Modellflugzeuge als Waffen für Terroranschläge zu nutzen. Planten sie den Dschihad mit Drohnen?

pic_7509Ein Modellflugzeug mit dem ein Islamist in den USA plante Anschläge zu begehen

Es waren einmal zwei Tunesier. Sie studierten „Luft- und Raumfahrttechnik“ an der Universität Stuttgart. Galten als fleißige, ambitionierte Studenten. Dann interessierte sich der baden-württembergische Verfassungsschutz plötzlich für sie. Dem Nachrichtendienst fiel die Kommunikation der beiden Männer im Internet auf. Über das arabischsprachige Internetforum „Al-Jahad“ ließen sich die mutmaßlichen Islamisten „inspirieren“, heißt es aus Ermittlerkreisen. Dort sahen sie sich wohl dschihadistische Propaganda-Schriften an und veröffentlichten selbst Beiträge.

Als radikale Islamisten waren die Tunesier bislang nicht in Erscheinung getreten. Ob sie überzeugte Salafisten waren, ist bis heute nicht ganz klar. „Ansalafisiert“ seien sie wohl gewesen. Verkehrten allerdings nicht in den einschlägigen Moschee-Gemeinden.

Waren die Verfassungsschützer aber vielleicht doch auf eine Terrorzelle gestoßen?

Das tunesische Duo Mohammed H. und Zeid B. stand seit dem Frühjahr 2012 unter Beobachtung der Sicherheitsbehörden. Anfangs waren der baden-württembergische Verfassungsschutz, das Landeskriminalamt unter Federführung der Staatsanwaltschaft Stuttgart und des Generalbundesanwalts zuständig. „Wir wollten wissen ob das nur Fantasien waren, oder ob konkret eine Gefahr bestand“, so ein beteiligter Ermittler.

Die Beobachtung der Studenten förderte jedoch widersprüchliche Informationen zu Tage. Sie erschienen zunächst als mögliche islamistische Terrorplaner, spielten offenbar mit dem Gedanken in den Dschihad nach Syrien zu ziehen. Dann aber verhielten sie sich wieder ruhiger. Von Seiten der Justiz sah man zunächst keine konkrete Gefährdung mehr. Der Fall wurde abgegeben an das Bundesamt für Verfassungsschutz, das die Stuttgarter Studenten weiter im Blick behielt.

Monat um Monat verging. „Mal ging es hoch, mal runter“, heißt es aus Ermittlerkreisen. Hoch ging es im Herbst 2012. Da informierte sich die „Zielpersonen“ im Netz über ferngesteuerte Modellflugzeuge und Drohnen. Offenbar dachten die beiden mutmaßlichen Extremisten darüber nach, diese mit Sprengstoff bestücken und als Waffe einsetzen. Fliegende, ferngesteuerte Bomben? Dschihad mit Drohnen? In Ermittlerkreisen war lange nicht klar, was man von den Phantasien der beiden Studenten halten sollte.

In den USA war im September 2011 der Physikstudent Rezwan Firdaws aus Massachusetts festgenommen worden. Er hatte ebenfalls den Plan, Modellflugzeuge zu Bomben umzubauen und damit Ziele in Washington D.C. anzugreifen. Und auch eine tschetschenische Terrorzelle in Spanien soll im vergangenen Jahr ähnliches geplant haben.

Wollten nun zwei Studenten der Luftfahrttechnik in Stuttgart ebenfalls ihr Glück als dschihadistische Drohnenpiloten versuchen? Viel trauten die LKA-Ermittler den beiden Verdächtigen offenbar nicht zu. „Quax“ nannten sie den Fall, nach dem Bruchpiloten aus dem Film mit Heinz Rühmann.

Beim Bundeskriminalamt (BKA) hingegen nahm man die Stuttgarter Terrorverdächtigen wohl ernster. In einer internen Sicherheitsanalyse warnte die Behörde im vergangenen Jahr vor der Nutzung von Drohnen durch Terroristen. Denkbar wären, so das BKA, Anschläge mit derartigen Modellflugzeugen „ein Verkehrsflugzeug oder einen Flughafen“ sowie „auf Ziele in bewohnten Gebieten, auf Menschenansammlungen und Gebäuden.“

Pläne dieser Art würden „im islamistischen Spektrum bereits thematisiert“. Gemeint war der Fall „Quax“. Über den informierte das LKA Baden-Württemberg Ende 2012 schließlich die Bundesanwaltschaft. In Karlsruhe übernahm man schließlich die Ermittlungen zu den tunesischen Studenten und deren Terror-Phantasien.

Wirklich konkret seien die Pläne der Männer nie geworden, ist aus Ermittlerkreisen zu hören. Deshalb gäbe es auch nur einen Anfangsverdacht. Dennoch entschieden sich Staatsanwaltschaft und Polizei zuzuschlagen.

Rund 90 Beamte durchsuchten gegen 4 Uhr heute Morgen insgesamt neun Objekte in Baden-Württemberg, Bayern, Sachsen und Belgien. Sie beschlagnahmten Computer, Festplatten und Dokumente. Im Fokus der Razzien standen die beiden Tunesier und insgesamt vier mutmaßliche Kontaktpersonen. Festgenommen wurde allerdings niemand.

Man habe gehandelt um zu verhindern, dass die Verdächtigen die notwendigen Materialien für Terroranschläge beschaffen, heißt es aus Sicherheitskreisen. „Wir werten jetzt aus, um zu sehen, was die beiden vor hatten“, sagt ein Ermittler. „Ob sie ernsthaft Anschläge planten oder ob das alles nur Gerede war. Bellende Hunde beißen bekanntlich nicht.“

Bei der Aktion handele es sich um zwei getrennte Verfahren, betonten Ermittler heute im Gespräch. Zum einen ermittelt die Bundesanwaltschaft in Sachen Terrorverdacht. Zum anderen geht es um ein Verfahren gegen des Verdachts der Terrorfinanzierung und Geldwäsche der Stuttgarter Staatsanwaltschaft. Es gäbe vermutlich Schnittmengen bei den Personen, heißt es aus Sicherheitskreisen. In Belgien soll beispielsweise ein Bekannter der beiden Tunesier leben, der möglicherweise in Terrorfinanzierung verstrickt ist.

„Der Funke springt nicht über“

von Florian Flade

Palenda

Berlin ist eine Stadt der Extreme. Und der Extremisten. An der Spree tummeln sich Neonazis, militante Linke, radikale Islamisten. Der Mann, der sie im Blick haben soll, heißt Bernd Palenda. Der Jurist ist seit November 2012 kommissarischer Präsident des Berliner Verfassungsschutzes. Ein Gespräch über ausländische Spione, eine schwächelnde NPD, über kampfesmüde Linksextremisten und Berliner Islamisten im syrischen Dschihad.

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Herr Palenda, es heißt Berlin sei die Hauptstadt der Spione. In keiner anderen Stadt Europas gebe es so viele ausländische Agenten. Stimmt das?

Hauptstadt der Spione ist etwas zu weit gegriffen. Berlin ist wie jede Hauptstadt attraktiv für ausländische Nachrichtendienste. Hier gab es schon immer viel Spionage, vor, während und nach dem Kalten Krieg. Wir haben auch heute viele Agenten, die hier Informationen für ihre Heimatländer sammeln.

Das klingt politisch korrekt. Wie viele Agenten tummeln sich hier?

Die Zahl schwankt, es hängt von den unterschiedlichen Interessen der Staaten ab. Mal sind sie politischer Natur, mal wirtschaftlicher. Es wäre für unsere Arbeit sehr unklug, die Zahl der Agenten zu nennen.

Können Sie denn sagen, wer in Berlin spioniert?

Es gibt Spionage von staatlichen Stellen, die dazu dient, politische Informationen zu gewinnen. Es geht um Regierungsgeheimnisse, oft um interne Dokumente. Dann gibt es Spione, die von ihren Regierungen auf Exil-Oppositionsgruppen angesetzt werden, die in Berlin aktiv sind. Und es gibt die Wirtschaftsspionage. Letztere richtet vermutlich den größten Schaden an.

Die Bombenanschläge in Boston, die Messerattacken in London und Paris, jüngst eine Terrorwarnung aus Russland vor dem Champions-League-Finale. Wie hoch ist die Terrorgefahr in Berlin?

Deutschland, und damit auch Berlin, ist nach wie vor im Fokus des islamistischen Terrorismus. Die abstrakte Gefahr eines Anschlags von radikalisierten Einzeltätern oder Al-Qaida-Terroristen ist weiterhin hoch. Derzeit gibt es aber keine konkreten Hinweise darauf, dass ein Attentat geplant wäre. Wir sind dennoch auf der Hut.

Berlin ist ein attraktives Ziel für islamistische Terroristen. In den vergangenen Jahren gab es aber keinen einzigen erfolgreichen Anschlag. Ist die Terrorangst nicht übertrieben?

Völlig verschont geblieben ist Berlin nicht wirklich. Es wurden beispielsweise im Mai 2011 Al-Qaida-Terroristen festgenommen, die Anschläge geplant haben. Die Wachsamkeit der Sicherheitsbehörden hat sich in diesen Fällen ausgezahlt. Es gab zum Glück keine erfolgreichen Anschläge. Vor emotionalisierten Einzeltätern sind wir jedoch nie sicher. Wahr ist aber auch: Berlin war in der Vergangenheit eher ein Rückzugsort und Ruheraum für Islamisten, weniger ein Ziel.

Viele Islamisten sind Anhänger des sogenannten Salafismus. Wie viele Salafisten gibt es aktuell in Berlin?

Nach unseren Erkenntnissen leben in Berlin derzeit rund 400 Salafisten, darunter sind etwa 200 gewaltorientierte Personen. Was die Gewaltbereitschaft angeht, verzeichnen wir bei den Salafisten eine Zunahme.

Auch wenn es keine Terroranschläge gab. Der Salafismus ist mittlerweile eine Jugend-Subkultur. Wie konnte es so weit kommen?

Diese Entwicklung bereitet in der Tat große Sorge. Es beunruhigt mich, dass sich junge Menschen offenbar leicht für den Salafismus gewinnen lassen. Darüber muss diskutiert werden. Mit dem Thema müssen auch muslimische Gemeinden offen umgehen. Gleichzeitig müssen wir weiter vor den Risiken des Salafismus warnen.

Der anhaltende Bürgerkrieg in Syrien zieht viele Islamisten aus Deutschland an. Kämpfen auch Berliner Islamisten gegen Assad?

Syrien ist aktuell der interessanteste Ort für Dschihad-Reisende. Wir gehen davon aus, dass rund ein Dutzend Islamisten aus Berlin in Syrien gekämpft haben oder noch kämpfen.

Im Mai 2012 gab es in der alten Hauptstadt Bonn gewaltsame Proteste zwischen radikalen Salafisten und rechtspopulistischen Islamhassern. Auslöser war das Zeigen von Mohammed-Karikaturen. Halten Sie solche Szenen auch in Berlin für möglich?

Solche Provokationen wird es weiterhin geben. Wir werden jedoch dafür sorgen, dass die notwendigen Informationen im Vorfeld vorhanden sind, so dass die Polizei Schlimmeres verhindern kann. Als demokratischer Staat müssen wir manche Formen der Meinungsäußerung tolerieren. Wir werden nicht verhindern können, dass bestimmte Mohammed-Karikaturen gezeigt werden

Radikale Islamhasser haben sich als neue Szene innerhalb des Rechtsextremismus entwickelt. Wie ernst muss man diese „Islamophoben“ nehmen?

Jede Form der Radikalisierung muss man ernst nehmen. Auf Gewalt folgt schnell Gegengewalt. Das kann sich zu einer Spirale entwickeln, deren Dynamik brandgefährlich ist.

Dem „alten“ Rechtsextremismus scheint es nicht besonders gut zu gehen. Im April hat Berliner NPD wohl aus Geldnöten ihre Mitarbeiter entlassen. Wie geht es der Partei in der Hauptstadt?

Die NPD hat in Berlin noch 250 Mitglieder, darunter 50 Mitglieder der „Jungen Nationaldemokraten“. Durch die Zusammenarbeit mit den so genannten „freien Kräften“ bleibt die Partei weiterhin aktiv und vital. Geld hat die NPD aber nicht wirklich.

Die NPD-Verbotsdebatte ist noch nicht vorbei. Halten Sie ein Parteiverbot für sinnvoll?

Ich halte den Verbotsantrag als Zeichen für eine gute und wichtige Sache, um deutlich zu machen, dass die Demokratie nicht alles hinnehmen wird.

Wie viele Rechtsextremisten gibt es in Berlin?

Im Jahr 2011 hatten wir 1330 Personen zum rechtsextremen Spektrum gezählt. Im vergangenen Jahr waren es etwas weniger.

Die NPD wächst nicht. Wie sieht es bei den „Autonomen Nationalisten“ aus?

Diese Szene wird auch nicht signifikant größer. Aber wir haben es mit einer sehr dynamischen Jugendszene zu tun. Dieser Rechtsextremismus ist sehr jugendaffin und transportiert altes Gedankengut in neuer Form.

Berlin gilt als Hochburg der Rockerkriminalität. Gibt es eine Zusammenarbeit zwischen den Motorradgangs und Neonazis?

Natürlich gibt es Verknüpfungen und Kontakte. Es gibt Rocker, die eine rechte Vergangenheit haben und es gibt Rechte, die eine Affinität zum Rockermilieu haben. Sie machen aber nicht systematisch gemeinsame Sache. Die Rechten würden das allerdings gerne.

Kommen wir zum Linksextremismus. Der 1. Mai ist traditionell das Highlight für die autonomen Krawallmacher. Wie verlief er dieses Jahr aus Sicht des Verfassungsschutzes?

Der 1. Mai verlief wie schon im Vorjahr verhältnismäßig friedlich. Was mit unserer Arbeit im Vorfeld und der konkreten Arbeit der Polizei an jenem Tag zu tun hat. Die Autonomen können zwar weiterhin große Menschenmengen mobilisieren, aber die Bereitschaft zur Gewalt hat in der Szene deutlich nachgelassen. Der Funke springt nicht über. Das beobachten wir schon seit längerem.

Kurz nach dem 1. Mai gab es erneut einen Anschlag auf eine S-Bahn-Linie, dann brannte im Stadtteil Friedrichshain ein neugebautes Wohnhaus nieder. Die militanten Linken mögen frustriert sein, aber ruhig sind sie doch nicht.

Einzelne Gewalttaten wird es immer geben. Wichtiger ist der allgemeine Trend. Und der zeigt nun mal: Die Szene kann die Anhänger nicht zu neuer Gewalt motivieren. Im vergangenen Jahr ist die Zahl der linksmotivierten Straftaten deutlich zurückgegangen, bei den Gewalttaten sogar um fast fünfzig Prozent. Das heißt jedoch nicht, dass wir die Hände in den Schoß legen. Diese Entwicklung kann sich auch wieder ändern.

Die Euro-Krise, rasant steigende Mieten, Zwangsräumungen – kann die linksextremistische Szene von diesen Themen profitieren?

Sie werden zumindest von den Linksextremisten aufgegriffen, um die Bürger zum Protest und zum Kampf gegen das System zu mobilisieren. Das ist die Hoffnung. In der Realität aber sind die meisten Menschen bereit zu protestieren, aber nicht mehr gewaltsam.

Wie groß ist die Szene der linken Gewalttäter in Berlin?

Wir gehen von rund 1000 gewaltbereiten Linksextremisten aus. Nicht alle sind gewaltsam, aber viele befürworten und unterstützen Gewalttaten.

Auch wenn die linke Gewalt abnimmt. Beim Aufeinandertreffen zwischen linker und rechter Szene kommt es dennoch immer wieder zu Ausschreitungen. Macht Ihnen diese Wechselwirkung zwischen den Extremisten Sorge?

Ja. Wenn Extremisten aufeinandertreffen, dann steigt auch das Risiko von Gewalt.

Ist Scientology in Berlin noch ein Thema?

Die Mitgliederzahlen gehen stetig zurück. Es scheint, als ginge es der Organisation nicht besonders gut – auch finanziell. Dennoch ist es wichtig, weiter über Scientology aufzuklären.

Sie kennen den Verfassungsschutz seit über 20 Jahren. Ist die Behörde heute besser oder schlechter als damals?

Sie ist eine andere. Der Verfassungsschutz stellt sich den jeweiligen Herausforderungen. Die Struktur aus dem Kalten Krieg gibt es so nicht mehr. Wir sind mehr Berater für Politik und Öffentlichkeit und keine Kalten Krieger mehr.

Dennoch läuft offenbar vieles schief, wie NSU gezeigt hat. Läuft eigentlich irgendetwas besser als früher?

Im Zusammenhang mit der Terrorserie des NSU ist viel Vertrauen in den Verfassungsschutz verloren gegangen. Aber man darf die Institution nicht grundsätzlich in Frage stellen. So ist die wissenschaftliche Analyse bei unserer Arbeit wesentlich besser geworden. Wir filtern heute besser als früher. Das System „Wir wollen alles wissen“ ist überholt. Wir fragen uns heute öfter: Welche Relevanz hat diese oder jene Information für den Rechtsstaat? Was wollen wir mit diesen Informationen erreichen? Wollen wir Straftaten verhindern oder Vereinsverbote anstreben?

Das V-Mann-Wesen steht seit Monaten in der Kritik. Kann ein Nachrichtendienst auf menschliche Quellen verzichten?

Nein. Wir können nicht auf V-Leute verzichten. Als Informationszugänge sind menschliche Quellen im Allgemeinen sehr wertvoll. Die Diskussion darüber ist für unsere Arbeit schädlich. Es darf nicht dazu kommen, dass Quellen enttarnt werden. Wir müssen – bei aller Transparenz – unsere Quellen schützen.

Seit dem Auffliegen des NSU ist das Image des Verfassungsschutzes katastrophal. Was kann dagegen getan werden?

Wir müssen vor allem unseren Job gut machen. Außerdem würde ich mich freuen, wenn der Bürger ein Gefühl der Sicherheit empfindet, wenn er an den Verfassungsschutz denkt. Man sollte uns als einen vertrauensvollen Partner ansehen. Wir arbeiten für die demokratische Gesellschaft gegen Extremismus und Terrorismus. Das ist eine sehr ehrenvolle und wichtige Aufgabe.

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Das Interview erschien am 05.Juni 2013 bei „WELT Online“

http://www.welt.de/politik/deutschland/article116847177/Die-Salafisten-werden-gewaltbereiter.html