von Florian Flade
Moderner, größer, nah an der Politik: Der Bundesnachrichtendienst (BND) zieht Ende März mit den ersten Mitarbeitern von Pullach nach Berlin. Ein Risiko?
Quelle: Google Maps
Die schwedische Touristengruppe trottet durch die Märzsonne in der Chausseestraße in Berlin-Mitte. Eine junge Frau bleibt stehen und deutet auf einen gigantischen, hellgrauen Betonklotz, der sich hinter einem abgedunkelten Bauzaun erhebt. „Ist das das neue Parlament?“, fragt die Schwedin. Nein, hier entsteht kein Parlament, sondern das neue Hauptquartier des Bundesnachrichtendienstes (BND). Mitten in Berlin, groß und mächtig, ragt die Geheimdienstzentrale in den Himmel. Seit Mai 2008 wird an der Chausseestraße gemauert, gehämmert, gesägt und geschraubt.
Nicht ohne Pannen: Geheime Baupläne verschwanden spurlos, Klimaanlagen mussten ausgebaut werden, es gab Probleme mit den Fluchtwegen und Feuerwehrzugängen, ständig verzögerte sich die Fertigstellung.
Jetzt aber ist es so weit. Die BND-Zentrale, der größte Bau seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges, ist so gut wie fertig. Überraschend angesichts anderer skandalträchtiger Großprojekte wie des Berliner Flughafens BER oder der Hamburger Elbphilharmonie.
Ende März werden die ersten Agenten den BND-Neubau beziehen und das kolossale Gebäude mit Leben füllen. Rund 170 140 Männer und Frauen werden es sein. Weitere 4000 BND-Mitarbeiter sollen schrittweise in den kommenden Jahren folgen. Das ist ein historischer Schritt für den Geheimdienst, der seit seiner Gründung 1956 in einem Waldstück bei Pullach, einem beschaulichen Örtchen rund zwölf Kilometer südlich von München, residierte – weit weg von Politik und Hauptstadttrubel.
Nun aber wird der BND die alte Nazi-Siedlung in Pullach verlassen. Raus aus dem fernen Wäldchen, hinein in den Großstadtdschungel. „Der BND gehört als Dienstleister für die politischen Entscheidungsträger in deren unmittelbare Nähe“, sagte BND-Präsident Gerhard Schindler. Er hoffe, dass die Arbeitsabläufe und Leistungsfähigkeit verbessert werden könnten.
Schon seit Jahren verfügt der Geheimdienst über eine Berliner Außenstelle in Lichterfelde-West, unweit des Botanischen Gartens. Hier sind unter anderem die Abteilungen „Auswertung“ und „Internationaler Terrorismus und Organisierte Kriminalität“ stationiert. Doch dies reiche nicht, fand man beim BND. Eine neue Zentrale musste her. Moderner, größer, nah an der Politik.
„Wir müssen täglich die Bundesregierung und Ministerien über Krisengebiete, Entführungsfälle und Bedrohungen informieren“, sagte BND-Pressesprecher Martin Heinemann. „Es ist daher ein enormer Vorteil, wenn wir das zukünftig jederzeit kurzfristig innerhalb Berlins tun können.“
Sechs Jahre hat der Bau der neuen BND-Zentrale in Berlin-Mitte gedauert und bislang 792 Millionen Euro gekostet. Die Baustelle hat eine Grundfläche von 250.000 Quadratmetern, was der Größe von 35 Fußballfeldern entspricht. Wo sich einst das „Stadion der Weltjugend“ befand, ist ein Behördenkomplex mit 3300 Büros für die deutschen Spione entstanden.
Sie werden im Hauptgebäude arbeiten. In der sogenannten Nordbebauung befinden sich das Logistikzentrum und ein Parkhaus mit 600 Parkplätzen. In der Südbebauung ist die Geheimdienstschule mit Fachbibliothek, Labors und Unterrichtsräumen untergebracht. In diesem Internat werden schon bald die Agenten von BND und Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) gemeinsam ausgebildet.
Und noch etwas befindet sich in diesem Teil der BND-Zentrale: ein Besucherzentrum. Touristen und geladenen Gästen soll ein Einblick in die Geschichte und Arbeit des Dienstes gewährt werden. Bislang gaben sich die deutschen Geheimdienste nach außen verschlossen. Man arbeite nun mal geheim, so die Devise. Ein Besucherzentrum für die Öffentlichkeit ist daher ein Novum.
Der Umzug von Pullach nach Berlin ist nicht nur logistisch eine Mammutaufgabe. Tausende Agentinnen und Agenten werden versetzt. Und längst nicht alle freuen sich auf ein neues Leben. Viele BND-Mitarbeiter haben Sicherheitsbedenken in der Großstadt und sehen sich mit ganz alltäglichen Problemen konfrontiert. Auf welche Schule soll mein Kind gehen? Zieht der Lebenspartner nach, oder droht eine Fernehe? Was geschieht mit Wohnung oder Haus in München und Umland?
„Berlin, das klingt für viele nach maroden Schulen und viel Kriminalität“, sagte eine BND-Mitarbeiterin. Um den Umzug dennoch möglichst unproblematisch zu gestalten, hat der BND ein umfassendes Beratungsprogramm für die Mitarbeiter gestartet. Dazu gehören Broschüren, die über das Leben in Berlin informieren, der Dienst hilft außerdem bei der Wahl von Kitas und Schulen, verteilt Ratgeber für die Wohnungssuche. Seit Monaten liegen in Pullach Berliner Tageszeitungen aus, um auf das Hauptstadtleben einzustimmen. Es gibt virtuelle Rundgänge in den neuen Räumlichkeiten. Sogar ein Musterbüro aus der neuen Zentrale wurde aufgebaut.
Dennoch regt sich bei einigen Schlapphüten heftiger Widerstand gegen eine Versetzung nach Berlin. „Es gibt Härtefälle, die nicht aus Pullach wegwollen“, berichtete ein langjähriger BND-Mitarbeiter. „Bei einigen ist die Ehefrau vielleicht Lehrerin in München, man hat seit Jahren einen festen Freundeskreis oder besitzt wertvolle Immobilien. All das sind gute Gründe, in Pullach bleiben zu wollen.“
Einige dürfen tatsächlich bleiben. Insgesamt 1020 Dienststellen wird der BND in Pullach halten, hauptsächlich in der Abteilung „Technische Aufklärung“ (TA), die den weltweiten Datenverkehr filtert, Telefonate abhört und E-Mails mitliest. Dass die Ausspäher nicht nach Berlin ziehen, hat vor allem politische Gründe. Die CSU, so heißt es, wolle den Standort Pullach aus wirtschaftlichen Aspekten nicht gänzlich aufgeben.
„Der BND hätte schon damals nach Bonn gemusst“, sagte der ehemalige BND-Präsident Hans-Georg Wieck. Und kritisierte gleichzeitig die Lage des neuen Hauptquartiers. „Für Außenstehende sieht die neue BND-Zentrale aufgrund ihrer Dimensionen nach Überwachungsstaat aus. Es ist fraglich, ob man sie direkt nach Berlin-Mitte hätte setzen müssen. Auch aus Sicherheitsgründen.“
Tatsächlich ist der Neubau von außen gut einsehbar. Ringsherum befinden sich Wohnungen, Büro- und Geschäftsräume. Ein- und Ausgänge, Zufahrten zur Garage – alles könnte von feindlichen Geheimdiensten aus China oder Russland ausgespäht werden. „Das ist ein Risiko, mit dem wir leben müssen und auch können“, sagte ein BND-Mann. Auch, weil der Dienst bundesweit über eine Vielzahl von geheimen Außenstellen verfügt. „Wenn wir getarnt arbeiten müssen, können wir das weiterhin tun.“
Vielleicht bietet die Arbeit in den Außenstellen sogar einen ungeahnten Vorteil – besonders im heißen Berliner Sommer. Denn nach Informationen der „Welt“ verfügt die BND-Zentrale über keine Klimaanlage. Nachdem das Belüftungssystem wegen Hygienemängeln 2011 ausgebaut werden musste, wurde es nicht ersetzt. Das Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung als Bauherr des BND-Neubaus teilte auf Nachfrage mit, die Be- und Entlüftung der Büroräume sei selbstverständlich möglich: „Durch das Öffnen der Fenster.“
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Der Artikel erschien in DIE WELT am 24.03.2014
http://www.welt.de/print/die_welt/politik/article126110206/Die-Agenten-muessen-schwitzen.html
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