Von Florian Flade
Bei der Operation „Gallant Phoenix“ sammeln Militärs, Geheimdienste und Polizeibehörden aus 27 Ländern Informationen über IS-Terroristen. Auch Deutschland ist dabei.
Eine kleine, internationale Gemeinschaft ist hier entstanden. Auf einer Militärbasis nahe der jordanischen Stadt Zarqa, nordöstlich der Hauptstadt Amman. Soldaten, Geheimdienstler und Polizisten aus der ganzen Welt sind hier stationiert, machen gemeinsam Sport, treffen sich zum Grillen. Auch Beamte aus Deutschland sind dabei, vom Bundeskriminalamt (BKA) und vom Bundesnachrichtendienst (BND). Sie sind Teil einer geheimen Militäroperation, die Terroranschläge verhindern und Terroristen ins Gefängnis bringen soll – der Operation „Gallant Phoenix“.
Es ist ein Projekt unter Federführung des US-Militärs, ins Leben gerufen schon im Jahr 2013, um die ausländischen Terrorkämpfer („Foreign Terrorist Fighters“) in den Blick zu nehmen, die nach Syrien und in den Irak zogen. Bereits ein Jahr später waren weitere Nationen an der Operation beteiligt, richtig los ging es jedoch erst im Jahr 2016, nach den verheerenden Terroranschlägen in Paris und Brüssel mit mehr als 130 Toten. Mittlerweile ist „Gallant Phoenix“ zu einer einzigartigen Austauschplattform für Behörden aus rund zwei Dutzend Ländern herangewachsen – und zur größte Datenbank mit Material der Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS).
Mehr als 30.000 ausländische Dschihadisten sollen sich dem IS angeschlossen haben, darunter bis zu 5.000 Extremisten aus Europa und mehr als 900 aus Deutschland. Heute ist das Terrorkalifat des IS weitestgehend zerschlagen. Viele Kämpfer sind tot oder wurden gefangen genommen, und befinden sich in kurdischen Gefangenenlagern in Nordsyrien und in Gefängnissen im Irak. Ein Teil der IS-Anhänger ist die Heimatländer zurückgekehrt, wiederum andere gelten als verschollen.
Bei der Rückeroberung des Herrschaftsgebiets in Nordsyrien und im Irak, vor allem in den Städten Raqqa, Deir ez-Zour und Mossul, haben die IS-Terroristen zahlreiche elektronische Datenträger zurückgelassen. Computer, Handys, Festplatten und Kameras. Hinzu kommen riesige Mengen an Dokumenten, Fotos, Notizbücher. Eine Fundgrube für den Anti-Terror-Kampf, denn das Material enthält wertvolle Informationen über den IS, seine Anhänger und deren Gräueltaten.
Operation „Gallant Phoenix“ ist eine Plattform, über die Informationen zu Dschihadisten ausgetauscht werden. Das Logo zeigt drei sich überschneidende Kreise, in der Mitte der Flammenvogel Phönix. In erster Linie ist es ein Datenprojekt mit dem systematisch Beweismittel vom Schlachtfeld, sogenannte „battlefield evidence“, erfasst werden soll. Mit dem Ziel, IS-Terroristen weltweit strafrechtlich zu verfolgen – oder bislang unbekannte Dschihadisten zu enttarnen. Das Erbe des Terrorstaates wird durch das US-Militär und seine Verbündeten in Jordanien zusammengetragen, ausgewertet und archiviert.
Solche militärischen Sammelaktionen zu terroristischen Akteuren sind nicht neu. Der US-Militärgeheimdienst DIA verfügt mit dem National Media Exploitation Center (NMEC) über einen Bereich, der ebenfalls mit der Sammlung von Material aus Anti-Terror-Einsätzen betraut ist – etwa mit den Datenträgern und Unterlagen aus dem Versteck von Osama Bin Laden im pakistanischen Abbottabad.
Und auch die internationale Polizeibehörde Interpol initiierte schon vor einigen Jahren Projekte, um Beweismittel gegen Terroristen aus Kriegsschauplätzen schnell an Strafverfolgungsbehörden in rund 60 Ländern übermitteln zu können. Im Jahr 2005 wurde das Projekt „Vennlig“ ins Leben gerufen. Dabei ging es um Informationen zu islamistischen Terrorkämpfern im Irak. Später dann folgte das Projekt „Hamah“ mit Bezug zu Afghanistan. In keinem Fall aber wurden derart systematisch und gezielt Daten in solchem Umfang gesammelt wie bei „Gallant Phoenix“.
Nicht zuletzt der akribischen Bürokratie des IS ist es zu verdanken, dass heute vieles über die Struktur, den Aufbau und die Abläufe im Terrorkalifat bekannt ist. Und auch zur Rolle einzelner IS-Kämpfer. Die Grenzverwaltung des IS erfasste zeitweise nahezu jeden aus dem Ausland eingereisten Dschihadisten, vermerkt wurde das Heimatland, der Kampfname, Alter, Kriegserfahrung, besondere Eigenschaften und auch Kontaktdaten der Eltern oder anderen Angehörigen. Auch wurde eine Art Urlaubsschein ausgestellt, wenn Kämpfer von der Front abgezogen wurden. Es gibt außerdem Dokumente über Zahlungen an Kämpfer, an Witwen von getöteten Dschihadisten, Unterlagen über zugewiesene Wohnungen, zu Urteilen der Scharia-Gerichte und über versklavte, jesidische Frauen und Mädchen.
Hinzu kommen noch weitere Informationen, die im Laufe der Jahre auf dem Schlachtfeld gesammelt wurden und die eher kriminaltechnischer Natur sind: Biometrische Daten, DNA-Proben oder Fingerabdrücke von Waffen. Bei der Operation „Gallant Phoenix“ in Jordanien wird all das zusammengetragen, in lesbare Form gebracht und in Datenbanken übertragen. Die teilnehmenden Nationen können darauf zugreifen und die Informationen beispielsweise dazu verwenden, um IS-Anhänger strafrechtlich zu verfolgen.
Heute sind 27 Länder an „Gallant Phoenix“ beteiligt, darunter auch Deutschland. In Berlin hatte man anfangs gezögert, das Bundeskanzleramt soll zunächst dagegen gewesen sein, den BND mitmachen zu lassen. Zu groß war die Sorge, dass Informationen der deutschen Behörden vom US-Militär genutzt werden könnten, um gezielt Terroristen zu töten – womöglich noch Islamisten mit deutscher Staatsangehörigkeit. Da bereits ein Vertreter von Europol an „Gallant Phoenix“ teilnehme, müsse man keine deutschen Beamten entsenden, so die Argumentation.
Ob die Informationen, die über „Gallant Phoenix“ ausgetauscht werden, tatsächlich vom US-Militär oder anderen Nationen genutzt werden, um gezielte Tötungen durchzuführen, ist bislang unklar. Die gefangenen IS-Anhänger in kurdischen Lager wurden in den vergangenen Jahren umfassend und teilweise mehrfach durch US-Geheimdienstler und FBI-Beamte befragt. Dabei wurden auch immer wieder Fragen zu gesuchten Dschihadisten gestellt. Es wurde gefragt, wo bestimmte Personen wohnen, in welchen Fahrzeugen sie unterwegs sind: Informationen, die auch für gezielte Luftangriffe genutzt werden können.
Der Nutzen durch die Austauschplattform „Gallant Phoenix“ überwog schließlich wohl die deutschen Bedenken. Seit Oktober 2017 ist der BND nun doch Teil der Operation. Die Sorge wichtige Hinweise zu Terrorverdächtigen nicht bekommen, war letztendlich zu groß. Um zu gewährleisten, dass Informationen, die durch „Gallant Phoenix“ erlangt werden, nicht nur bei den Nachrichtendiensten landen, sondern auch möglichst schnell und reibungslos in deutschen Strafverfahren genutzt werden können, entsandte das Bundesinnenministerium im Januar 2020 außerdem zwei Ermittler des BKA nach Jordanien.
Deutschland nimmt also nicht nur von geheimdienstlicher, sondern auch von polizeilicher Seite an „Gallant Phoenix“ teil. Die bisherige Bilanz sei durchaus erfolgreich, heißt es in Sicherheitskreisen. So sollen Informationen aus den Datenbanken der Operation bereits in Verfahren des Generalbundesanwalts gegen Dschihadisten in Deutschland eingeflossen sein. Genauer Angaben darüber wollte die Karlsruher Behörde auf Nachfrage nicht machen.
In Frankreich sind Beweismittel aus „Gallant Phoenix“ bereits in mehreren Terrorprozessen verwendet worden, wie Recherchen der französische Zeitung „Le Monde“ zeigen. Rund 700 Dokumente und andere Daten zu 500 terrorverdächtigen Männern und Frauen soll die französische Justiz durch das Projekt in Jordanien bereits erhalten haben. Wie „Le Monde“ berichte, konnte die Ermittler im vergangenen Jahr bei mehreren Festnahmen in Brest durch die Datenbank von „Gallant Phoenix“ einen der Terrorverdächtigen als ehemaligen Kämpfer des IS identifizieren.
Wie wichtig selbst kleinste Hinweise aus Kriegsgebieten sein können, zeigt ein Fall aus den USA. Die Bundespolizei FBI unterhält seit 2003 eine Datenbank mit Informationen über improvisierte Bomben, das Terrorist Explosive Device Analytical Center (TEDAC). Ursprünglich war die Einrichtung im FBI-Labor in Quantico, Virginia, angesiedelt, mittlerweile befindet sie sich in Huntsville, Alabama.
Mehr als 105.000 Sprengsätze aus rund 50 Ländern hat das FBI im TEDAC analysiert und archiviert. Dazu zählen Bomben, die vom US-Militär in Einsatzgebieten gefunden und entschärft wurden, genauso wie explodierte Sprengfallen, deren Bestandteile genau untersucht wurden. Die entschärften Bomben oder deren Überbleibsel werden in einer riesigen Lagerhalle aufbewahrt. Das TEDAC ist sozusagen die Bomben-Bibliothek der US-Behörden
Im Januar 2011 stießen die FBI-Ermittler in der Datenbank auf zwei Fingerabdrücke eines Mannes, der in Bowling Green, Kentucky, lebte. Der Iraker war bereits ins Visier der Behörden geraten, er hatte sich mit einem Informanten des FBI darüber unterhalten, dass plane Al-Qaida-Terroristen im Irak zu unterstützen. Durch die Bomben-Datenbank TEDAC konnte das FBI belegen, dass der Mann selbst bereits im Irak als Terrorist aktiv gewesen war.
Am 01. September 2005 hatte das US-Militär an einer Straße nahe der irakischen Stadt Baji eine Sprengfalle (IED) entdeckt. Sie bestand aus drei Artillerie-Geschossen und der Ladestation eines schnurlosen Telefons, auf der die Fingerabdrücke des Verdächtigen gefunden wurden. Der Iraker wurde schließlich angeklagt, bekannte sich schuldig und wurde zu einer Gefängnisstrafe von 40 Jahren verurteilt.
Ob „Gallant Phoenix“ in den kommenden Jahren zu ähnlichen Ermittlungserfolgen in Deutschland gegen bislang noch unbekannte, ehemalige IS-Terrorkämpfer führen wird, ist unklar. In Sicherheitskreisen heißt es, die US-geführte Operation beschäftige sich mittlerweile nicht mehr nur mit den Kriegsschauplätzen Irak und Syrien, sondern auch mit den Ablegern des IS-Terrornetzwerkes in Afghanistan, West- und Ostafrika und Südostasien. Auch Informationen aus diesen Regionen sollen in die Datenbanken in Jordanien einfließen.
Zudem ist „Gallant Phoenix“ inzwischen wohl nicht nur ein Datensammel-Projekt, sondern wertet offenbar auch Zugriffe auf dschihadistische Online-Inhalte aus. Darauf zumindest lässt eine Meldung aus Neuseeland schließen, dessen Geheimdienst SIS seit einigen Jahren an der Mission in Jordanien beteiligt ist.
Der neuseeländische Geheimdienst erhielt im Rahmen von „Gallant Phoenix“ am 12. November 2018 eine Information: Jemand in Neuseeland hatte offenbar ein Jahr zuvor – zwischen Ende August 2017 und Anfang September 2017 – über das Internet auf einschlägige Dateien zugegriffen. Und zwar auf Propaganda der Terrororganisation Al-Qaida, das Manifest des norwegischen Attentäters Anders Breivik und auf Anleitungen zum Umgang mit Schusswaffen. Die IP-Adresse führte nach Dunedin, zu einem Hotel. Zu diesem Zeitpunkt hielt sich dort der spätere Christchurch-Attentäter auf.
Durch „Gallant Phoenix“ hatte man bereits früh einen Hinweis auf den Australier, der wenige Monate später, im März 2019, 51 Menschen in mehreren neuseeländischen Moscheen tötete. Neuseelands Geheimdienst hatte damals allerdings erfolglos versucht, den Internetnutzer ausfindig zu machen.
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