Tod in Lamitan: Deutscher Selbstmordattentäter in den Philippinen

Ein Islamist aus Deutschland soll einen Selbstmordanschlag in den Philippinen verübt und zehn Menschen getötet haben. Zuvor verfasste er ein außergewöhnliches Dokument und versuchte offenbar weitere Dschihadisten in das südostasiatische Land zu locken. Eine Spurensuche.

Von Florian Flade

Kennen Sie den Film „The Beach“? Leonardo DiCaprio spielt darin den jungen Rucksacktouristen „Richard“, der auf eine mysteriöse Insel in Thailand reist. An einen geheimen, paradiesischen Ort, an dem Aussteiger aus der ganzen Welt eine vermeintlich perfekte Kommune errichtet haben. Von der Insel hört „Richard“ das erste Mal in einem heruntergekommenen Hostel in Bangkok. Ein von Drogen gezeichneter Zimmernachbar erzählt ihm davon bevor er Selbstmord besteht. Er hinterlässt eine selbstgemalte Karte mit einer Wegbeschreibung zu der sagenumwobenen Insel.

Der nachfolgende Fall erinnert stellenweise an „The Beach“. Es geht auch um einen geheimnisvollen Ort auf einer Insel in Südostasien. Ein junger Mann aus Deutschland hat eine Reiseanleitung verfasst, wie man dorthin gelangt. Und so machen sich weitere Personen auf den Weg. Allerdings geht es dabei nicht um eine Hippie-Community, sondern um einen Krieg. Um den bewaffneten Kampf radikalislamischer Terroristen im südostasiatischen Dschungel. Und es ist auch kein Hollywood-Film, sondern blutige Realität.

Die Geschichte beginnt am späten Abend des 23. April 2018. Die zwei jungen Männer, die den Terminal 1 des Kölner Flughafens betreten, sehen aus wie Backpacker. Jeder trägt einen Rucksack und eine schwarze Reisetasche. Sie sind mit dem Zug aus Hessen gekommen. Am Morgen erst haben sie ihre Flüge gebucht, von Köln soll es nach Bangkok in Thailand gehen, und dann weiter nach Manila, in die Philippinen. Pro Ticket zahlen sie 533 Euro.

Bevor es an den Flughafen geht, buchen die beiden Männer in einem Kölner Reisebüro noch Rückflugtickets. Sie zahlen in bar. Da sie für die Philippinen kein Visum besitzen, wollen sie eine geplante Ausreise vortäuschen. Aber eigentlich wollen sie gar nicht mehr zurückkommen. Das Duo will keinen Urlaub in Südostasien machen, keine Partys an thailändischen Stränden, kein Schnorcheln am Korallenriff. 

Die beiden Reisenden sind Islamisten. Sie kennen sich aus der Moschee und vom Fußball. In den vergangenen Jahren haben sie sich zunehmend radikalisiert. Einer hat an der salafistischen Koran-Verteilakion „Lies!“ teilgenommen, die Behörden kennen ihn, zwei Mal wurde seine Wohnung schon durchsucht. Jetzt will er sich mit seinem Freund der Terrorgruppe Islamischer Staat (IS) anschließen – und zwar nicht in Syrien oder dem Irak, sondern in den Philippinen.

Die Männer wollen in Südostasien ein paramilitärisches Ausbildungslager besuchen, vielleicht sogar kämpfen. Dazu aber kommt es nicht. Noch am Kölner Flughafen wird einer der beiden Islamisten gestoppt. Ein Bundespolizist scannt bei der Sicherheitskontrolle seinen Pass, auf dem Bildschirm erscheinen gleich drei Einträge im grenzpolizeilichen Fahndungssystem. „Bei Antreffen sofort Nachricht“, ist da zu lesen, „Verdacht des islamistischen Extremismus“

Der Islamist wird daraufhin in einen Raum geführt und von Bundespolizisten befragt. Was er denn so vor habe, wollen die Beamten wissen. Als Backpacker durch Thailand reisen, erklärt der junge Mann. Ein paar Wochen, und dann vielleicht weiter in die Philippinen. Die Bundespolizisten werden misstrauisch und verweigern ihm schließlich die Ausreise. Die hessische Polizei, die für die Fahndungsausschreibung verantwortlich ist, wird verständigt und ordnet die Festnahme an.

Sein Freund darf die geplante Reise antreten. Er fliegt mit Verspätung um 04.56 Uhr von Köln nach Bangkok. Das Bundeskriminalamt (BKA) ist mittlerweile informiert, ein Verbindungsbeamter in Thailand bitte die örtlichen Behörden dem Mann die Einreise zu verwehren. Der angebliche Backpacker sei „dringend verdächtig, sich der Terrorgruppe des Islamischen Staates auf den Philippinen anschließen zu wollen“.

Daraufhin stoppt die thailändischen Grenzpolizei den zweiten Terrorverdächtigen aus Deutschland und schickt ihn gleich wieder zurück. Auch er wird festgenommen. Die gescheiterten Dschihadisten werden wegen des Ausreiseversuchs angeklagt und im November 2019 zu Freiheitsstrafen bzw. zu Jugendstrafe zur Bewährung verurteilt. Sie sind geständig, geben zu, dass sie sich der Terrorgruppe IS anschließen wollten. Einer der Angeklagten gibt zu:

„So nahm ich Kontakt auf zu jemandem, der beim IS war, doch die Möglichkeit nach Syrien zu gehen war schlecht, weil der IS zu dieser Zeit schon weite Teile seines Gebietes verloren hatte. Die Person schlug andere Regionen vor, wo man ausgebildet werden kann und später könne ich nach Syrien wechseln, wenn die Situation sich bessern würde. So entschied ich mich für die Philippinen, da sie am einfachsten zu erreichen waren.“

Rund 900 Islamisten aus Deutschland sind seit 2013 nach Syrien und in den Irak gereist, und haben sich dort Terrorgruppen wie dem IS angeschlossen. Zuvor war das afghanisch-pakistanische Grenzgebiet, die Region Waziristan, ein beliebtes Ziel für die deutsche Dschihadisten. Auch nach Somalia zur Terrororganisation Al-Shabaab zog es einige Extremisten aus der Bundesrepublik. 

Die Philippinen aber gelten als eher ungewöhnlicher Dschihad-Aufplatz für „foreign terrorist fighters“ aus Europa. Nachdem im Jahr 2014 in Syrien und dem Irak das sogenannte „Kalifat“ durch die IS-Terroristen ausgerufen worden war, schlossen sich mehrere philippinische Islamisten-Gruppe dem IS an, und schworen dem damaligen selbsternannten Kalifen „Abu Bakr al-Baghdadi“ den Treueeid. Zu diesen Gruppen zählen die Bangsamoro Islamic Freedom Fighters (BIFF), die Abu Sayyaf, Ansar al-Khilafah und die sogenannte „Maute-Gruppe“, benannt nach den Brüdern Abdullah und Omar Maute. So entstand in den Philippinen ein IS-Ableger, in der Propaganda der Dschihadisten war nun die Rede von der Provinz (Wilayah) „Ostasien“.

Die meisten der in den Philippinen bekannt gewordenen ausländischen Kämpfer stammen aus umliegenden südostasiatischen Ländern wie Indonesien, Malaysia oder Thailand. Nur vereinzelt sind auch Islamisten aus arabischen Staaten, aus Pakistan, Bangladesch, Nordafrika oder auch Europa aufgetaucht. So wurde im Januar 2018 beispielsweise ein Spanier im Süden der Philippinen festgenommen, der Sprengstoff bei sich geführt haben soll.

Eine der wichtigsten Anwerberinnen für den philippinischen IS-Ableger soll Karen Aizha Hamidon gewesen sein, die im Oktober 2017 in Taguig City, südlich von Manila, festgenommen wurde. Sie soll mit Islamisten auf der ganzen Welt, unter anderem in Australien, aber auch in Europa in Kontakt gestanden haben. Es gibt zudem Hinweise darauf, dass Terroristen in den Philippinen auch zu Anschlägen im Ausland aufgerufen und möglicherweise sogar angeleitet haben. Im März 2019 wurde in Großbritannien der Islamist Lewis Ludlow verurteilt. Der Konvertit soll mit einem IS-Kämpfer in den Philippinen in Kontakt gestanden und Terroranschläge geplant haben soll.

In Deutschland ermittelte das Landeskriminalamt (LKA) in Hessen nun gegen die beiden Islamisten, die auf dem Weg in die Philippinen stoppt worden waren. Es kam zu Durchsuchungen in einer Wohnung und in einem Reihenhaus, die beiden lebten noch bei ihren Eltern. Bei einem der beiden Terrorverdächtigen fanden die Ermittler in einer blauen Box im Kleiderschrank im Schlafzimmer ein Smartphone. Darin steckte eine Micro SD-Karte.

Auf der Speicherkarte sollte eigentlich nichts mehr zu finden sein, der Islamist hatte die Daten unwiderruflich gelöscht – so glaubte er zumindest. Tatsächlich aber gelang es der Polizei mithilfe eines IT-Experten die Dateien zu rekonstruieren und zu extrahieren. Die Ermittler entdeckten auf der SD-Karte eine gelöschte PDF-Datei. Es ist eine Anleitung für Dschihadisten zur Ausreise in die Philippinen, mit der Überschrift „Vorbereitungen für den Urlaub anhand eines Beispiels: Inseln“

Das ungewöhnliche Dokument hat ein Islamist aus Deutschland verfasst, der es offensichtlich in die Philippinen geschafft hat. Er war es wohl auch, der mit den beiden Männer aus Hessen in Kontakt stand und ihnen geraten hat, nach Südostasien zu reisen. Im Gerichtsprozess wurde der Verfasser der Reiseanleitung noch als „nicht näher identifizierbare Kontaktperson“ bezeichnet. 

In den Sicherheitsbehörden geht man inzwischen jedoch davon aus, das der Verfasser der PDF-Datei ein weiterer hessischer Islamist war: Khaled el-K., geboren 1991 in Langen im Landkreis Offenbach. Ein junger Mann mit marokkanischer und deutscher Staatsbürgerschaft, der augenscheinlich wenig Interesse daran hatte, dass mehr über ihn bekannt wird. Darauf zumindest lässt folgende Passage aus einer Reiseanleitung schließen.

„Vermeide bitte folgendes:

  • Das Reden oder schreiben über meine Person, sowohl namentlich als auch darauf hinweisend
  • Das Teilen dieser PDF an irgendjemanden anderen, außer denjenigen, der die feste Absicht gefasst hast, loszuziehen
  • Das unnötig lange Aufbewahren dieser PDF auf deinem Handy etc. sodass jeder Taghut-Hund, der dein Handy einkassiert, über diese Tipps Bescheid weiß
  • Das unvorsichtige Teilen dieser PDF. Versuche z.B. nur über Geheimchat diese PDF zu teilen. Den Selbstzerstörungstimer kannst du für diese PDF z.B. auf 1 Woche stellen. Genug Zeit zum Notieren und Umsetzen.“

Wer dieser Bitte absichtlich nicht nachgeht und mich oder andere durch seine Fahrlässigkeit gefährdet, dem werde ich sicherlich niemals vergeben.“

Das Dokument sollte also nicht in die Hände der Ermittler fallen. Tatsächlich enthält es wenig wirklich brisante Informationen, keine Namen oder Kontaktdaten von Terroristen in den Philippinen. Es ist vielmehr ein Reisetagebuch, ein Erfahrungsbericht eines deutschen Islamisten, der an einen eher ungewöhnlichen Dschihad-Schauplatz gereist ist – und dadurch seltene Einblicke gewährt. Nachfolgende Zitate aus dem Papier sind mit Fehler aus dem Original übernommen.

Zunächst gibt der Verfasser den Ausreisewilligen Tipps, wie ein solcher Trip in die Philippinen finanziert werden kann. Durch Betrügereien im Internet etwa. Auf Verkaufsplattformen wie eBay Kleinzeigen solle man vergeben Waren zu verkaufen, allerdings nur gegen Vorkasse. Zum Beispiel Elektrogeräte, bei denen die Nachfrage groß ist.

„Du kannst eine nicht zu lange Zeit vor dem Abflug mit online-Gaunereien Geld verdienen. Beachte: Du verdienst Dir das Geld per Überweisung im Voraus, ohne die beworbene Ware zu verschicken. Der Mushrik wird Dich anzeigen, doch ziehen sich solche Fälle stark in die Länge. „Selbst Schuld“, so denkt auch die Polizei. Allerdings wird die Polizei nach ein paar Wochen Deine Daten raus haben (…) Versuche Handys erst gar nicht. Das ist Betrugsware Nr. 1. Was hat viel wert, wird bestimmt oft online gesucht, ist per Post verschicken war und schreibt nicht nach Betrug? Überleg! Gamer PC? Kamera? Neueste Konsole?“

Tatsächlich hielten sich die beiden hessischen Islamisten, die dem Verfasser nach Südostasien nachfolgen wollten, an diese Ratschläge. Auch sie begingen Internetbetrügereien, allerdings auch mit Smartphones, für die sie Verträge abschlossen, allerdings nicht zahlten und die Geräte schließlich weiterverkauften.

Der Verfasser der Reiseanleitung beschreibt, wie er in die Philippinen gelangten – offenbar reiste er zunächst nach Thailand. Nach Erkenntnissen deutscher Sicherheitsbehörden erfolgte die Ausreise von Khaled el-K. am 07. Oktober 2017, zunächst nach Kiev (Ukraine), dann nach Bangkok (Thailand). 

„Ich entschied mich erst mal nach Bangkok zu reisen. Und nach einer Woche weiter zu fliegen. So als wäre ich ein Tourist. Du kannst aber auch andere umliegende Länder wählen. Ganz nach Deinem Belieben (…)  Ich brauchte in Thailand sehr wenig zum Leben. Eine Woche geht locker unter 50 Euro wenn du weißt wie. In Thailand herrschte eine drückende Hitze und die Luft neben den Straßen ist verpestet von Abgasen (…) Es schadet nicht sich etwas bezüglich lokaler Sehenswürdigkeiten zu informieren falls jemand fragst, was du so in Bangkok (etc.) machst. Ganz locker, abenteuerlustig und freundlich erzählst du ihm dann irgendwas. Den ganzen Tag im Hostel rumzuliegen könnte bei den Mitarbeitern zu solchen Fragen führen. Geh also raus (…)“

Von Bangkok reiste der Islamist dann vermutlich nach Cebu City, die genaue Stadt wird in dem Dokument nicht namentlich erwähnt. Er schreibt nur von einem „Insel-Flughafen“, erwähnt dann aber, dass man das Taxi in „Peso“ bezahle. Drei Nächte in einem Hotel habe er für umgerechnet 16 Euro gebucht, heißt es dann weiter. Außerdem ist die Rede von einer nahegelegenen Moschee, dem „Cebu Islamic Center“, die sich offenbar in Manila befindet und die der deutsche Islamist folgendermaßen beschreibt: „Sufis, Jihad ablehnend, Da3wah mit Kuffar ablehnend, Mujahidin tadelnd…“

Weiter beschreibt der deutsche Dschihadist ausführlich, welches Essen es vor Ort gibt – und welchen Leuten er begegnet ist. 

„Bei den Straßenverkäufern zahlte ich für gegrillten Fisch 25-60 Peso. Ein gekochtes Ei 10 Peso. Kleine aber gute Portion Reis 10 Peso. Ein Apfel 10 Peso. Bananen sind günstig. Kommt aufs Gewicht an. Junge Kokosnüsse (grüne Schale), die viel besser sind als die, dich ich in Thailand trank/aß: 25 Peso. Nach dem Trinken gibst du dem Verkäufer die Kokosnuss. Er knackt sie auf und schabt dir das Kokosfleisch zurecht ums zu essen. Auf den Philippinen betteln Kinder oft sehr hartnäckig. Alle Arten von Zigeunern sind dagegen absolut nichts. Sogar die fortgeschrittenen kopftuchtragenden Hexen, die irgendwelche Töne (Zaubersprüche?) am jammern sind. Diese Kinder rennen dir ein, zwei Straßen lang hinterher. Einer lief mir sehr lange „vor“, so nah, dass ich ihn ungewollt weggetreten hätte, hätte ich nicht gebremst. Wenn aber ein pikfein angezogener Einheimischer vorbeiläuft interessiert sie das nicht. Weißer = Geldquelle. Finito. Sag einfach „no“ und lauf weiter. Du änderst ihre Situation nicht und viele von denen gehen mit dem Geld in Internetcafe-Hütten Counter Strike zocken oder kaufen haram Fleisch. Wenn überhaupt gib ihnen Äpfel, Bananen oder günstiges Gebäck.“

Von Cebu City aus nahm der Islamist dann eine Fähre offenbar nach Iligan City, eine Küstenstadt in der Provinz Lanao del Norte auf der philippinischen Insel Mindanao. Die Gegend dort ist für ihre Wasserfälle berühmt, für die sich der Deutsch-Marokkaner aber wohl eher nicht interessiert. Sein eigentlich Ziel war offenkundig das südlich gelegene Marawi, das im Frühjahr 2017 von Dschihadisten überfallen und eingenommen worden war, die ein Kalifat ausgerufen hatten – und sich fortan als sogenannte Provinz des Terrorstaates IS sahen, als „Wilayah Ostasien“.

„Eine gute Zeit vor Abfahrt der Fähre kamen dann zwei Hafenarbeiter und fragten nach den Tickets und ließen uns dann durch das Gate raus in den Bus der uns von da zum Schiff fährt. Ich, letzter an der Reihe, zeigte einem freundlichen Arbeiter am Gate mein ticket und er sagte lächelnd: „Iligan City Want to see waterfall7“ Ich bejahte sympathisch lächelnd. „Yes I wanna see the waterfalls“. Er sagte lächelnd: „Many many waterfalls there.“ Als ich dann durchging und kurz vorm Einsteigen in den Bus war, drehte er sich kurz zu mir mit seinem halben Körper aus dem Gate guckend und fragte lachend und scherzend: „Wanna go to Marawi?!“ und ich lachte mit und stieg dann ein. Dieser Scherzkeks. Wie kommt er auf sowas?“

Viele Ausländer waren wohl zu dieser Zeit nicht nach Marawi unterwegs. Er sei „wahrscheinlich der einzige Nichtasiate an diesem Hafen und auf dem Schiff“ gewesen, schreibt der Islamist. Die Überfahrt nach Iligan City war wohl recht beschwerlich aufgrund hoher Wellen und starkem Seegang. „Nach und nach höre ich auch weiter entfernt das Kotzen. Schadenfreude bringt mich, alleine liegend, in der Kabine zum Lachen: Was habe ich nur für einen Charakter?“ 

Man komme nicht „drum herum mit Einheimischen zu reden“, heißt es weiter. Die Leute seien schließlich freundlich und sehr neugierig. „Du als Nichtasiate in einem Schiff nach Iligan City? Zu dieser Zeit?“, wenn man da „nicht locker aus dem Ärmel heraus lügen“ könne, über die Stadt beispielsweise, dann solle man eine andere Route wählen „z.B. Cagayan de Qro Wobei du auch da lügen können musst.“ 

In Iligan City angekommen habe er bewaffnete Männer direkt am Hafen gesehen, „einen sogar mit einer Schrotflinte“. Die Blicke der Soldaten seien „stark und emotionslos“ gewesen. „Die Sicherheitsvorkehrungen sind in Iligan City zurzeit sehr hoch. Es gibt öfter Kontrollen auf den Straßen. Auf den Hauptstraßen stehen in unregelmäßigen Abständen Militärtransporter mit Soldaten bereit.“

Über sich selbst schreibt der Islamist, er sei „im Ami-Stil“ unterwegs gewesen, „mit einer Kette, Swag-Shirt, frischem Nifaq-Cut und kurzem Bart mit Schnurrbi und wurde kein einziges Mal in Iligan City kontrolliert außer wie jeder andere an einem Eingang ins Shopping Center.“

Viele Muslime in der Region würden bei „Kentucky Fried Chicken“ essen gehen. Er selbst sei zu einem „Halal Eatery“ gegangen, bei dem ihm aber auch einiges negativ auffiel: „Der Vater rauchte. An der Wand hingen Bibelverse. Nur zwei von mehreren Frauen, der Inhaberfamilie waren bedeckt. Traurig und leider ebenfalls Standard.“

Mit den lokalen Gegebenheiten kam der Dschihadist aus Deutschland wohl auch nicht besonders gut klar, wie folgende Passage seines Reisetagebuches vermuten lässt.

„Heute Morgen musste ich leicht brechen und hatte weichen Stuhlgang. In der Kloschlüssel war teilweise purer schwarzer Stuhlgang (…) Gestern bei diesem schmierigen Inn welches mir den doppelten Preis andrehen wollte, sah ich eine fette ausgewachsene Kakerlake unweit von mir rumkrabbeln. Ihre Länge (ohne Fühler) betrug etwas zwischen Daumen und Zeigefinger. Und eben grad erschreckte mich eine kleine schwarze Echse heftig in meinem kleinen Badezimmer (…)“

Auch von den Menschen vor Ort war der Extremist wohl ziemlich enttäuscht. Sie waren ihm scheinbar nicht religiös genug. 

„Viele Menschen hier, die sich dem Islam zuschreiben sind so schwach. Diese Religion ist nur eine Kultur für sie. In Scharen kommen Schwestern aus McDonalds raus. Beim anderen Halal Laden den ich probierte lässt die Frau, dann als mehrere Männer bestellen, ihr Kopftuch runter. Und andere auf der Straße „binden ihr Kopftuch neu“ und zeigen was darunter ist während Männer in der Nähe sind. Die Leggings-Chayas in Deutschland die sich Jungs bereitstellen wirken gottesfürchtiger (…)“

Seinen eigentlich Wunsch konnte sich Khaled el-K. auf Mindanao nicht erfüllen. Ende Oktober 2017, als er ankam, waren die Kämpfe um die Islamisten-Hochburg Marawi beendet. Fünf Monate lang hatten sich das philippinische Militär und die Dschihadisten, die ihre Loyalität gegenüber der Terrormiliz IS bekundet hatten, erbitterte Gefechte geliefert. Die Anti-Terror-Offensive war durch Informationen US-amerikanischer und australischer Geheimdienste unterstützt worden, die ein Terrorkalifat in Südostasien verhindert wollten. 

Es sollen die schwersten Kämpfe in den Philippinen seit Ende des Zweites Weltkrieges gewesen sein. Große Teile der Stadt wurden zerstört. Wie viele Menschen bei der Schlacht um Marawi getötet wurden, ist nicht zweifelsfrei geklärt. Nach offiziellen Angaben sollen bis zu 900 islamistische Kämpfer, rund 100 Zivilisten und 168 Soldaten ums Leben gekommen sein. Darunter auch Isnilon Hapilon, Anführer des IS-Ablegers in den Philippinen und Omar Maute. Mehr als 360.000 Menschen flohen zudem vor den Kämpfen aus Marawi.

Khaled el-K. wurde vom Terrorkalifat in Marawi, das in Propagandavideos der Terrorgruppe IS verherrlicht worden war, angezogen. Vielleicht wollte er sogar gegen das philippinische Militär kämpfen – dazu aber kam es dann vorerst nicht. 

„Marawi ist inzwischen gefallen. Es ist vorbei, dachte ich. Das, weswegen ich her kam ist komplett vor meinen Füßen verschwunden, dachte ich. Die Kontaktperson von dort ist gestorben. Mein Kontakt schrieb mir, dass es noch woanders bros gibt, doch (noch) ohne tamkin. Wenn ich warten kann, kann ich dahin meint er. Und siehe da: Der Kontakt hat nach etwas warten überraschenderweise plötzlich einige bros auftreiben können und mich weitergeleitet. Es wurde geschrieben und geplant (…) Am Ankunftsort holte man mich ab, bereitete man mich etwas vor (…)“

Nach Marawi kam Khaled el-K. also nicht mehr. Stattdessen soll er nach Erkenntnissen deutscher Sicherheitsbehörden weiter auf die Südspitze von Mindanao gereist sein, in eine von islamistischen Kämpfern kontrollierte Gegend im Dschungel nahe Zamboanga City. Er soll an Waffen ausgebildet worden sein und nahm möglicherweise auch an Kampfhandlungen gegen philippinische Truppen teil. Ein Video soll ihn in einem der Camps der Dschihadisten zeigen. 

Am frühen Morgen des 31. Juli 2018 fuhr ein Minivan auf einen militärischen Checkpoint nahe der Stadt Lamitan auf der südphilippinischen Insel Basilan zu. Soldaten wollten das Fahrzeug kontrollieren und stoppten es. Der Fahrer, so wurde berichtet, habe nur sehr wenige Worte gesprochen und eindeutig einen ausländischen Dialekt gehabt. Als die Soldaten den Van kontrollierten, explodierte der Wagen

Der Fahrer war ein Selbstmordattentäter und hatte sich in die Luft gesprengt. Zehn Menschen soll er mit in den Tod gerissen haben, darunter einen Soldaten, fünf Milizionäre und vier Zivilisten, unter ihnen eine Mutter ihr Kind. Acht weitere Menschen wurden verletzt, einige schwer. Der philippinische Präsident Rodrigo Roa Duterte besuchte die Opfer später im Krankenhaus von Zamboanga City. 

Das Attentat war der erste Selbstmordanschlag in den Philippinen mit einer Autobombe – und der Attentäter kam aus Deutschland. Es soll Khaled el-K. gewesen sein. Davon zumindest gehen deutsche Sicherheitsbehörden aus. In den Philippinen war bereits kurz nach dem Anschlag berichtet worden, dass der Täter ein Marokkaner sei.

Die Propagandaabteilung „Amaq Agency“ des Terrornetzwerkes IS veröffentlichte schließlich über Social-Media-Kanäle ein Bekennerschreiben zum Autobombenanschlag auf den Militärcheckpoint in Lamitan und präsentierte auch ein Foto eines Selbstmordattentäters mit dem Kampfnamen „Abu Kathir al-Maghribi“ (أبو كثير المغربي). Es handelt sich dabei nach Erkenntnissen deutscher Sicherheitsbehörden mit hoher Wahrscheinlichkeit um den Deutsch-Marokkaner Khaled el-K. aus Hessen. Das BKA teilt auf Anfrage zum Anschlag in Lamitan mit: „Als Attentäter konnte ein ausgereister deutscher Staatsangehöriger identifiziert werden.“ 

Warum die IS-Propagandisten den Attentäter nicht als Kämpfer aus Deutschland bezeichneten, ist unklar. Denkbar wäre, dass Khaled el-K. darum bat, nach seinem Tod nicht zu erwähnen, dass er aus der Bundesrepublik stammt. Vielleicht wussten die Dschihadisten, denen er sich angeschlossen hatte, auch nicht genau woher er kam. Es ist jedenfalls auffällig, dass der Selbstmordanschlag eines europäischen Islamisten nicht weiter propagandistisch ausgeschlachtet wurde.

In Deutschland wussten die Behörden lange Zeit nicht, dass sich Khaled el-K. in den Philippinen aufhielt und dort sogar einen Anschlag begangen hatte. Erst am 25. September 2018 leitete die Staatsanwaltschaft in Frankfurt ein Ermittlungsverfahren gegen ihn ein. Und zwar wegen des Verdachts der Terrorismusfinanzierung. El-K. soll sich im Sommer und Herbst 2017 auf betrügerische Weise im Internet Kleidung und Outdoor-Ausrüstungsgegenstände beschafft haben, um diese mit in einer Terrorcamp in den Philippinen zu nehmen. Am 09. Januar 2019 wurde der Verfahren schließlich eingestellt. Khaled el-K. gilt als tot. 

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