Nach dem 11. September 2001 wurde in Berlin das Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ) geschaffen. Die Sicherheitsbehörden aus Bund und Länder tauschen sich hier im Anti-Terror-Kampf aus. Wie effektiv ist diese Plattform – und wie hat sie sich seit der Gründung verändert?
Von Florian Flade

Es ist Freitag, der 19. Februar 2016, 09 Uhr, als in einem Klinkerbau des Bundeskriminalamtes (BKA) in Berlin-Treptow, im Raum A242, sechzehn Männer und Frauen an zwei langen Tischen zusammen kommen. Sie arbeiten im BKA, im Bundesamt für Verfassungsschutz, dem BND, der Bundespolizei, dem Berliner Landeskriminalamt und dem Berliner Verfassungsschutz. Auch ein Vertreter des Generalbundesanwalts ist dabei. Drei weitere LKA-Beamte und ein Verfassungsschützer aus Nordrhein-Westfalen werden über verschlüsselte Videoleitung dazu geschaltet.
Es ist die 1282. Sitzung im Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ), die Arbeitsgruppe (AG) „Operativer Informationsaustausch“ tagt. Und es geht um einen tunesischen Islamisten namens Anis Amri.
Einige Wochen zuvor hatte das nordrhein-westfälische LKA über einen V-Mann in der islamistischen Szene erstmals von einem „Anis“ gehört, einem Extremisten, der offenbar bereit ist, Anschläge in Deutschland zu begehen. Mittlerweile wissen die Ermittler über den Mann einiges mehr. Sie kennen seine zahlreichen Kontakte zu anderen Islamisten bundesweit, sie wissen, dass er mehrere Alias-Personalien verwendet und mittlerweile seinen Lebensmittelpunkt von Nordrhein-Westfalen nach Berlin verlagert hat.
Durch ihren Informanten in der Szene haben sie zudem erfahren, dass Amri damit prahlt, sich Sturmgewehre in Frankreich besorgen zu wollen. Und die Ermittler haben es geschafft mit einem technischen Trick seine Telegram-Chats mitzulesen. Daher wissen sie, dass Anis Amri offenbar mit IS-Terroristen in Libyen in Kontakt steht, dass er in den Dschihad ziehen will, dass sie ihm geraten haben, in Deutschland zuzuschlagen. Die Staatsschützer haben auch mitbekommen, wie Amri im Internet nach Bombenbauanleitungen sucht.
„Die Teilnehmer halten an der bisherigen Bewertung des Sachverhaltes fest“, heißt es später in dem Protokoll der GTAZ-Sitzung. Die bisherige Bewertung lautete: „Der Sachverhalt ist ernst zu nehmen“. Die Zuständigkeit zur Gefahrenabwehr, darauf soll sich die Runde geeinigt haben, liege fortan beim LKA Berlin. In „bilateraler Rücksprache“ sollen die Berliner mit dem LKA NRW zudem „die weitere Vorgehensweise und die angesprochenen Maßnahmen“, koordinieren. Der BND solle nachschauen, ob zu den beiden libyschen Rufnummern, mit denen Amri gechattet hat, „Erkenntnisse vorliegen“ und weitere Maßnahmen prüfen.
Um 10:02 Uhr ist die Sitzung an jenem Tag beendet. Es werden noch weitere folgen. Insgesamt 13 Mal wurde über Anis Amri, den späteren Attentäter vom Berliner Breitscheidplatz, in unterschiedlichen Formaten im GTAZ gesprochen. Die Protokolle der Sitzungen sind sehr knapp gehalten, nur stichwortartig wird zusammengefasst, was die Behördenvertreter wohl vereinbart haben. Vieles davon liest sich durchaus strukturiert und routiniert. Erkenntnisse werden zusammengetragen, Aufgaben werden verteilt, weitere Sitzungen vereinbar – die deutsche Terrorabwehr erscheint damals, zumindest auf dem Papier, wie eine gut geölte Maschine.
Die Realität aber sah stellenweise dann doch anders aus. Ganz so gut durchgetaktet war die Bearbeitung des Gefährders Anis Amri doch nicht. Die Abstimmung zwischen den einzelnen Behörden und deren Handeln lief keineswegs so reibungslos, wie es die Protokolle aus dem Terrorismusabwehrzentrum vermuten lassen. Und auch bei der Gefährdungseinschätzung des Islamisten gingen die Meinungen auseinander.
„Die deutschen Sicherheitsbehörden und Nachrichtendienste hatten spätestens seit dem 11. September 2001 Zeit sich auf derartige Szenarien im Bereich des islamistischen Terrorismus vorzubereiten. Der Ausschuss hat gezeigt, dass das GTAZ seine gedachte Funktion im Ernstfall nicht erfüllen kann. Die Einrichtung eines Gemeinsamen Terrorabwehrzentrums alleine und das jahrelange Ausruhen auf der bloßen Existenz eines solchen Gremiums, ohne einheitlichen rechtlichen Rahmen, welches mit Stichwortprotokollen agierte und Aufgaben ohne ein entsprechend festgehaltenes Verfahren verteilen wollte, war absolut unzureichend. Es wird festgestellt, dass das GTAZ in seiner damaligen Form und Ausgestaltung im Vorfeld des Anschlags eine Verhinderung desselben möglicherweise sogar noch erschwerte, anstatt zu verhindern.“
– Sondervotum der Oppositionsparteien Grüne, Linke und FDP des Bundestags-Untersuchungsausschusses zum Terroranschlag auf dem Breitscheidplatz.
Eine Idee nach dem 11. September
Das Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ) ist nach den 9/11-Attentaten geschaffen worden. Als eine Plattform der deutschen Sicherheitsbehörden, mit der der Kampf gegen den islamistischen Terrorismus effektiver ausgestaltet werden sollte. Was hat sich seitdem getan? Welches Fazit lässt sich mittlerweile über das GTAZ ziehen? Wo liegen Stärken und wo liegen Schwächen? Und welchen Zweck erfüllt das GTAZ eigentlich?
Anfang April 2017, nur wenige Monate nach dem Terroranschlag von Anis Amri, trat der damalige nordrhein-westfälische Innenminister Ralf Jäger im Bundestag in Berlin vor die Abgeordneten. Er wurde zur Rolle seiner Landessicherheitsbehörden befragt, und dazu, ob ihm und seinen Mitarbeitern möglicherweise Fehler in diesem Fall unterlaufen sind.
Jäger trat anschließend vor Presse und erklärte, die Behörden im Terrorismusabwehrzentrum hätten sich bei Amri schlichtweg geirrt. „Heute wissen wir, dass diese 40 Behörden eine Fehleinschätzung begangen haben“, so der SPD-Politiker. In vielen Ecken des Landes war man damals über die Aussage mehr als überrascht. 40 Behörden hatten Amri falsch eingeschätzt? Viele Sicherheitsbehörden der Bundesrepublik – beispielsweise der Verfassungsschutz in Bremen, das Landeskriminalamt im Saarland oder der Militärische Abschirmdienst (MAD) – hatten mit dem Islamisten nie etwas zu tun gehabt. Mit seiner Aussage offenbarte Jäger vielmehr eine erschreckende Ahnungslosigkeit über die Sicherheitsarchitektur beim Anti-Terror-Kampf – und die Funktionsweise des GTAZ.
Das GTAZ ist keine eigenständige Behörde, keine feste Einheit, mit eigenen Mitarbeitern, sondern eine Austauschplattform für den Bereich des islamistischen Terrorismus. Offiziell sind dort tatsächlich 40 Behörden aus Bund und Ländern vertreten: Das BKA, der BND, das BfV, der MAD, die Bundespolizei, das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), das Zollkriminalamt, sechzehn Landeskriminalämter, sechszehn Verfassungsschutzbehörden und der Generalbundesanwalt. Nur gibt es kaum Sitzungen an der alle Behörden teilnehmen. Vielmehr kommen die Vertreter der Behörden in jeweils unterschiedlichen Konstellationen zusammen, je nach Sachverhalt und Thematik.
Die Idee für das GTAZ entstand im Sommer 2004. Der damalige Bundesinnenminister Otto Schily wies den damaligen Referatsleiter und heutigen Staatssekretär Hans-Georg Engelke an, die Sicherheitsbehörden für die Bedrohung durch den islamistischen Terrorismus besser aufzustellen. Die ersten Vorschläge dazu waren die Einrichtung zweier Informations- und Analysezentren für diesen Phänomenbereich – eines für die Polizei (P-IAS) und eines für die Nachrichtendienste (N-IAS).
„Wie bereits mündlich mitgeteilt, hat Herr Minister entschieden, dass BKA und BfV zur weiteren Verbesserung ihrer Zusammenarbeit im Bereich des islamistischen Terrorismus je ein polizeiliches und ein nachrichtendienstliches Analysezentrum aufbauen sollen, die in größtmöglicher räumlicher Nähe zueinander , möglichst in Berlin-Treptow, angesiedelt werden sollten“
– Schreiben von Hans-Georg Engelke vom 26. Juli 2004
Die Planungen sahen vor, zwei Zentren einzurichten, deren Mitarbeiter sich in gemeinsamen Boards oder Arbeitsgruppen austauschen sollten. Vorgesehen waren dafür rund 100 Mitarbeiter des BKA sowie zunächst 10 Mitarbeiter des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Der BND wiederum sollte beiden Zentren zuarbeiten, außerdem wurde bereits perspektivisch die Einbindung von weiteren Behörden, wie etwa Zollkriminalamt oder Bundespolizei (damals noch Bundesgrenzschutz), angestrebt.


Während die Einrichtung der beiden Anti-Terror-Einheiten von BKA und BfV im Spätsommer voranging, drängten auch Abgeordnete des Bundestages auf eine neue Struktur bei der Terrorismusabwehr. Die Fraktion aus CDU/CSU brachte im September 2004 einen Antrag mit dem Titel „Gemeinsames Zentrum zur Terrorismusbekämpfung schaffen“ ein. Darin gefordert wurde ein besserer und schnellerer Infomationsaustausch zwischen den Behörden gefordert, allerdings „ohne die föderale Grundstruktur zu beseitigen“.
Die Oppositionspolitiker der Union forderten damals von der SPD-geführten Bundesregierung die Schaffung eines „Gemeinsamen Zentrums Terrorismusbekämpfung (GZT). Als Vorbild wurde das „Gemeinsamen Zentrums der deutsch-französischen Polizei- und Zollzusammenarbeit“ in Kehl genannt, in dem seit 1999 deutsche und französische Behörden, darunter der Bundesgrenzschutz, der Zoll, die Landespolizeien von Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz, zusammenarbeiten.
Im Bundesinnenministerium war man vom Antrag der Union nicht wirklich überrascht, immerhin wurde sehr ähnlich das gefordert, was bereits in der Mache war. In einer Sachdarstellung für den Minister hieß es allerdings, der Vorschlag lasse „bei wichtigen Punkten an der notwendigen Tiefe fehlen“.
So werfe die Forderung nach einem gemeinsamen Zentrum von Polizei und Nachrichtendienstes „eine Reihe von verfassungsrechtlichen Fragen“ auf. Eine „Berücksichtigung des Trennungsgebotes“ finde sich aber im Antrag nicht. In den Konzepten des Innenministeriums war man strikt darauf bedacht das Trennungsgebot einzuhalten, auf eine „gemeinsame Organisation und die Vermischung von Befugnissen“ werde bewusst verzichtet.
Am 28. Oktober 2004 kam es schließlich in Berlin zu einer Behördentagung. Daran nahmen Regierungsdirektor Cimander aus dem Bundeskanzleramt, BMI-Referatsleiter Engelke und Vertreter von BKA, BfV und BND teil. Es wurde die zukünftige Zusammenarbeit zwischen dem polizeilichen und dem nachrichtendienstlichen Informations- und Analysezentrum in Berlin abgestimmt. Nachfolgend das Protokoll der Besprechung:



Festgelegt wurde die Zusammenarbeit zwischen Polizei und Geheimdiensten in zunächst sieben Kooperationsforen: Lagebesprechungen, Abgestimmte Gefährdungsbewertungen, Informationsboard, Assessement Board, Arbeitsgruppe „Islamistisch-terroristisches Personenpotential“, Analyseboard, Arbeitsgruppe Ressourcenbündelung. Die Landespolizeien und Landesverfassungsschutzbehörden sollten, so hieß es in den Planungspapieren, jeweils mit Verbindungsbeamten in den beiden Zentren in Berlin vertreten sein.
Den „etwaigen Bedenken („Trennungsgebot“)“ werde dadurch Rechnung getragen, „dass keine Zusammenlegung von Behörden oder Befugnissen erfolgt“, heißt es in einer Vorlage von Engelke an den damaligen Bundesinnenminister Schily vom 04. November 2004. „Bemerkenswert ist das außergewöhnlich hohe Maß an Konsens zwischen den Beteiligten. Alle beteiligten Behörden erwarten durch die Einrichtung der beiden Informations- und Analysezentren erhebliche Verbesserungen bei der Zusammenarbeit.“
Der heutige Staatssekretär Engelke hatte ein erstaunliches Kunststück vollbracht: Die Sicherheitsbehörden aus Bund und Ländern an einen Tisch zu bringen, Informationsfluss zu ermöglichen, ohne dass dafür Gesetze geändert oder eine eigene Gesetzesgrundlage geschaffen wurden. Das Trennungsgebot wurde aus Sicht des Bundesinnenministeriums eingehalten, die Polizei macht weiter Polizeiarbeit, die Geheimdienste gehen ihrer Tätigkeit nach. Und trotzdem sollen sich alle austauschen können.
Bei einem Kamingespräch anlässlich der Innenministerkonferenz Mitte November 2004 erläuterte Otto Schily seinen Landeskollegen, wie die Beteiligung der Bundesländer an der neuen Anti-Terror-Plattform in Berlin aussehen könnte. Das BKA, dessen Referat Staatsschutz (ST) 32 nun mit der neuen Struktur beauftragt wurde, machte im Vorfeld konkrete Vorschläge: Pro Land sollte ein Verbindungsbeamter zum BKA entsandt werden, diese Person sollte „im Bereich des islamistischen Terrorismus (einschl. Gefährderlage) geschult sein und Erfahrung im polizeilichen Nachrichtenaustausch haben“, zudem sollte der Zugriff auf die polizeilichen Informationssysteme des jeweiligen Landes möglich sein.



Am 14. Dezember 2004 war es dann schließlich soweit. Bundesinnenminister Otto Schily verkündete, dass „in dieser Woche“ in Berlin das „neue Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum“ seine Arbeit aufnehme, für eine „noch schlagkräftigere Bekämpfung des internationalen Terrorismus“. Es war der Beginn des Regelbetriebs der neuen Plattform. Als erste Ländern entsandten Hessen und Hamburg Verbindungsbeamte nach Berlin, es folgten Baden-Württemberg und Sachsen.
Im Januar 2005 war dann auch eine lange Diskussion um eine Namensgebung geklärt: Obwohl es sich um zwei Informations- und Analysezentren handelte, sollte fortan die Bezeichnung „Gemeinsames Terrorismusabwehrzentrum“, kurz GTAZ verwendet werden.
Raum A242
Die Einrichtung des GTAZ ging einher mit der Verlegung der für den Islamismus zuständigen Einheiten des BKA und des BfV von Meckenheim bzw. Köln nach Berlin. Neuer Standort wurde die Liegenschaft „Am Treptower Park“, ein ehemaliges Kasernengelände aus der Kaiserzeit, das seit Ende der 1990er vom BKA genutzt wird.
Das GTAZ als gemeinsamer „runder Tisch“ wurde in einem unscheinbaren Klinkerbau auf dem Gelände angesiedelt und befindet sich noch heute dort. In dem Raum befinden sich Tisch in zwei Reihen gegenüber, ausgestattet mit Mikrophonen. Über zwei Beamer können Leinwände bespielt werden. Im Raum hängen Landkarten von Nordafrika, dem Nahen Osten und Südasien, daneben stehen Aktenschränke, die Uhren an den Wänden zeigen die aktuellen Zeiten in Washington, Berlin, Riad und Kabul.
Im Laufe der Jahre hat sich die Austauschplattform in einigen Punkten verändert. Mittlerweile gibt es neue Arbeitsgruppen, in denen sich die Behördenvertreter mit unterschiedlichen Aspekten befassen:
„Tägliche Lagebesprechung“ – Was gibt es neues?
„Risikomanagement“ (RIMA) – Umgang mit Gefährdern, Risikoanalyse von Einzelpersonen
„Operativer Informationsaustausch“ – Besprechung von Hinweisen zu möglichen Terroranschlägen, Absprachen bei Ermittlungen und Maßnahmen
„Fälle/Analysen zum islamistischen Terrorismus“ – Welche Trends und Entwicklungen gibt es? Welche neuen Gruppierungen und Akteure?
„Transnationale Aspekte“ – Welche Auswirkungen haben Ereignisse in Krisen- und Konfliktgebieten auf die islamistische Szene? Welche Reisebewegungen von Dschihadisten gibt es?
„Islamistisch-terroristisches Personenpotenzial“ – Ein- und Ausstufung von Gefährdern
„Statusrechtliche Begleitmaßnahmen“ („Status“) – Wie kann ein gefährlicher Islamist abgeschoben oder zur freiwilligen Ausreise motiviert werden?
„Deradikalisierung“ – Welche Maßnahmen zu möglichen Deradikalisierung können ergriffen und vorbereitet werden, etwa bei Syrien-Rückkehrern oder demnächst entlassenen Straftätern?
„Intelligence Board“ – Forum für die nachrichtendienstlichen Teilnehmer des GTAZ
Diese neuen Foren sind vor allem den Entwicklungen geschuldet, die es im islamistischen Terrorismus in den vergangenen siebzehn Jahren seit Bestehen des GTAZ gab. Kurz nach dem 11. September 2001 war die Gefahr noch eine andere: Die Behörden waren damals in erster Linie noch auf der Suche nach terroristischen „Schläfern“, die Al-Qaida ausgebildet und losgeschickt hatte und versuchten das dschihadistische Potential zu erfassen, dass es hierzulande gibt.
Suche nach Schläferzellen
In der Frühphase des GTAZ war man daher vor allem mit solchen Fragen beschäftigt: Wer ist ein Anhänger Osama Bin Ladens? Wer war in die Terrorcamps nach Afghanistan gereist? Wer hat vielleicht in den 1980er Jahren in Afghanistan, später in Bosnien oder dem Kaukasus gekämpft? Welche Islamisten versuchen nun den 9/11-Attentätern nachzueifern? Oftmals war damals noch die Rede von „arabischen Mudschahedin-Netzwerken“.
Die Terrorgefahr galt in den Jahren nach den Anschlägen in den USA immer noch als hoch. Und Europa, so die Überzeugung der Sicherheitsbehörden, stand genauso im Fadenkreuz der Dschihadisten. Im März 2004 gab es Bombenanschläge auf die Züge in Madrid mit rund 190 Toten. Im Juli 2005 dann sprengten sich Selbstmordattentäter in London in die Luft und rissen mehr als 50 Menschen mit in den Tod. Der Einmarsch der USA im Irak, die Bilder aus Abu Ghraib und Guantánamo sorgte für eine zusätzliche Radikalisierung der islamistischen Szene. Hinzu kamen die dänischen Mohammed-Karikaturen, die für gewaltsame Ausschreitungen sorgten. Und schließlich auch der islamistische Mord am niederländischen Filmemacher Theo van Gogh auf offener Straße in Amsterdam.
Über zu wenig Arbeit konnten sich die Terrorermittler im GTAZ nicht beklagen. Immerhin gab es auch bald die ersten Ausreisewellen von Dschihadisten aus Deutschland in terroristische Ausbildungslager im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet. Und es folgten die ersten Anschlagsdrohungen von deutschen Al-Qaida-Kadern gegen die Bundesrepublik – und auch Anschlagsplanungen, wie jene der sogenannten „Sauerland-Gruppe“, deren Mitglieder im September 2007 festgenommen wurden oder die der sogenannten „Düsseldorfer Zelle“, die 2011 aufflog.
Ab 2013 dann beschäftigte insbesondere die Lage in Syrien und Irak die deutschen Sicherheitsbehörden. Mehr als 1000 Islamisten aus der Bundesrepublik reisten in die Region und schlossen sich den unterschiedlichen Terrorgruppen an. Vor allem der sogenannte Islamische Staat (IS) und sein Terrorkalifat lockten zahlreiche Extremisten aus aller Welt an. Die „Reisefälle“ waren in dieser Zeit nahezu täglichen Thema in den GTAZ-Besprechungen. Wer war ausgereist? Wie lässt sich eine geplante Ausreise möglicherweise noch verhindern? Wer war vor Ort ums Leben gekommen? Welche Rolle spielte die Person nun beim IS? Wer versucht noch in Deutschland lebende Islamisten zu rekrutieren, oder gar für Anschläge zu motivieren? Wer war vielleicht klammheimlich wieder zurückgekehrt?
In vielen dieser Fälle habe das GTAZ eine wichtige Rolle gespielt und für einen zügigen Informationsaustausch gesorgt, sagen Beteiligte. Bis heute sei die Plattform eine sinnvolle und effektive Einrichtung – die jedoch auch Defizite aufweise und immer wieder nachjustiert werden müsse.
Der Terror und das Wochenende
Da war zum Beispiel der Terroralarm von Bremen. Am 28. Februar 2015 herrschte plötzlich helle Aufregung bei den Behörden der Hansestadt. Schwerbewaffnete Polizisten patrouillierten durch die Innenstadt und am Bahnhof, Autos wurden gestoppt und durchsucht, Personen auf der Straße kontrolliert. Es sei möglicherweise ein Terrorkommando in der Stadt unterwegs, hieß es intern bei der Polizei. Mehrere Islamisten mit Maschinenpistolen wollten angeblich zuschlagen. Es gebe eine Verbindung zum Islamsichen Kulturzentrum (IKZ) Bremen, das nun durchsucht wurde – was später vom Landgericht für unrechtmäßig befunden wurde. Zwei Personen wurden vorläufig festgenommen.
Was war da los in Bremen? Die Sicherheitsbehörden im Rest des Landes fragten sich das ebenfalls. Nur gab es darauf keine schnelle Antwort. Denn es war Samstag. Und die Plattform, auf der Polizei und Geheimdienste solche Terrorlagen normalerweise besprechen, das GTAZ in Berlin, war am Wochenende nicht besetzt.
Noch im Dezember 2004 hatte das Bundesinnenministerium nach einer Gesprächsrunde zum GTAZ-Einrichtung vermerkt: „Der „Regelbetrieb“ des Zentrums wird in der Zeit von Montag bis Freitag erfolgen, an Wochenenden wird die Erreichbarkeit über die Rufbereitschaft und die Dauerdienste von BKA und BfV sichergestellt.“
Der Terroralarm von Bremen im Februar 2015 jedenfalls sorgte für erhebliche Verwirrung – und das nicht besetzt GTAZ brachte keine Abhilfe. Es gebe einen Hinweis einer „Bundesbehörde“ auf einen möglichen Anschlag durch Islamisten aus Frankreich auf eine Synagoge, so die knappe Mitteilung der Bremer an die anderen Behörden. Rückfragen seien nicht möglich, viel mehr wisse man auch nicht. In Bremen aber war man swieso in erhöhter Alarmbereitschaft, man wusste von Dschihadisten, die aus der Stadt nach Syrien gereist waren, und immerhin hatte gerade erst das blutige Attentat auf die Redaktion von Charlie Hebdo stattgefunden. Das genannte Szenario galt also durchaus als realistisch.
Die Bundessicherheitsbehörden aber rätselten nun: Was war da los in Bremen? Wer hatte diesen Alarm ausgelöst? Am Ende griffen die Chefs von BKA, BfV und BND zum Telefon und riefen sich gegenseitig an: Kommt die Warnung von euch? Kopfschütteln. Tatsächlich ging es um eine Bundesbehörde, die niemand so wirklich auf dem Schirm hatte. Das Zollkriminalamt. Eine Hinweisgeberin hatte sich dort gemeldet und behauptet, sie habe gehört, dass einige bekannte Größen aus dem kriminellen Milieu von Bremen Waffen für Islamisten aus Frankreich zur Begehung von Anschläge beschafft hätten.
Der Wochenend-Dauerdienst im GTAZ konnte damals nicht für Klarheit sorgen. Die Verwirrung war groß.
Informationen fließen – oder auch nicht
Auch nach dem Anschlag auf dem Berliner Breitscheidplatz waren so manche Landesbehörden erstaunt darüber, wie wenig Informationen zunächst vom BKA und der Berliner Polizei über das GTAZ geteilt wurden. Die Landeskriminalämter seien mitunter besser und umfassender informiert gewesen als die nach Berlin abgeordneten Verbindungsbeamten, heißt es. Stellenweise habe es sogar gewirkt als sei der Informationsfluss bewusst gering gehalten worden.
Ebenso habe das BKA auch erstaunlich spät eine bundesweite und schließlich europaweite offene Fahndung nach dem Attentäter ausgelöst – obwohl man es mit einem bewaffneten, gefährlichen Terroristen auf der Flucht zutun hatte. Es sei offenbar darauf gesetzt werden, Amri durch eine verdeckte Fahndung habhaft zu werden.
Der Fall Anis Amri und die Aufarbeitung durch die Untersuchungsausschüsse auf Landesebene in Berlin und Nordrhein-Westfalen sowie im Bundestag förderte zu Tage, dass die Protokolle der GTAZ-Sitzungen sehr knapp gehalten waren und sich daran kaum nachvollziehen ließ, wie die Besprechungen tatsächlich abliefen und wie die konkrete Haltung der beteiligten Behördenvertreter zu den jeweiligen Sachverhalten war.
„Die Abstimmungen im GTAZ sind ja seinerzeit folgendermaßen abgelaufen: Jeder hat sein Votum gegeben, und dann wurde im Anschluss daran von Einvernehmlichkeit gesprochen. Kritische Stimmen sind aber in diese GTAZ-Protokolle nie mit aufgenommen worden, zu dem Zeitpunkt nicht mit aufgenommen worden. Und wir haben als LKA Nordrhein-Westfalen immer dafür votiert, dass er höher eingestuft wird, was auch später angepasst worden ist“
– Zeuge M. (LKA NRW) im Bundestags-Untersuchungsausschuss zum Terroranschlag am Breitscheidplatz, 14. November 2019
Der BKA-Abteilungsleiter Sven Kurenbach erklärte hingegen im U-Ausschuss, es seien jederzeit Änderung im GTAZ-Protokoll möglich gewesen, diese hätte das LKA NRW aber damals nicht gefordert.
Auch der Sonderermittler, der ehemalige Bundesanwalt Bruno Jost, der den Bundestagsabgeordneten über seine Untersuchungen im Nachgang zu Amris Fall berichtete, sah Defizite bei der Behördenzusammenhang im GTAZ-Rahmen. Vielfach seien Arbeitsaufträge in den Sitzungen vergeben worden, aber dann habe niemand mehr gefragt, was daraus eigentlich geworden sei. Den Protokollen jedenfalls sei kaum zu entnehmen, ob denn wirklich auch das gemacht wurde, was man angeregt hatte. Andererseits seien auch Maßnahmen, zum Beispiel Telefonüberwachungen oder Observationen, durch eine Landespolizei beendet worden, ohne dass dies im GTAZ ausdrücklich zur Sprache kam.
Die Protokolle der GTAZ-Sitzungen sehen mittlerweile anders aus und sind detaillierter gehalten. Bemängelt wird jedoch bis heute von Beteiligten, dass insbesondere bei den Nachrichtendiensten weiterhin ein sehr eingeschränktes Mitteilungsbedürfnis besteht. Oft verlaufe der Informationsfluss da „nur in eine Richtung“, die Vertreter von Verfassungsschutz und BND würden zwar immer wieder erklärten „Das nehme ich mal mit…“ oder „Da werde ich mal bei uns im Haus nachfragen…“, dann aber komme meist nur sehr wenig zurück.
Auch im Fall Amri war wohl öfter nicht ganz klar, ob der Verfassungsschutz denn tatsächlich das gemacht hat, was er angekündigt hatte zu tun. Oder was das Ergebnis von BND-Recherchen war. Auch dass das Bundesamt für Verfassungsschutz eine Quelle in der islamistischen Szene in Berlin führt, die öfter in der einschlägigen Fussilet-Moschee verkehrte, die auch Anis Amri regelmäßig besuchte, war im GTAZ nie zur Sprache gekommen. Dabei hatte der Verfassungsschutz damit zumindest potentiell einen Zugang in das Umfeld des späteren Attentäters.
Ein LKA-Staatsschützer aus Berlin hatte im Untersuchungsausschuss im Bundestag dazu erklärt, er hätte es als „unprofessionell“ erachtet, den Verfassungsschutz in den GTAZ-Runden nach seiner Quellenlage zu fragen. Vor dem Anschlag habe er keinen Grund zu der Annahme gehabt, dass ihm im GTAZ etwas bewusst vorenthalten worden sei. Hinterher, so der LKA-Beamte, sei er „gelinde gesagt“ erstaunt darüber gewesen „warum diese Information bei mir nicht angekommen ist“.
Noch vor einigen Jahren, berichten Beteiligte der GTAZ-Runden, habe bei vielen offenbar die Haltung geherrscht: Man dürfte bloß nicht mit mehr Arbeit aus diesen Runden kommen als man hineingegangen sei. Auch da habe aber ein Umdenken eingesetzt. Bei aller Kritik am GTAZ, so gibt es auch viele sehr erfahrene Stimmen aus der Terrorismusbekämpfung, die die Plattform als große Bereicherung empfinden. Allen voran – wenig überraschend – auch einer der Schöpfer des GTAZ.
„Also, das GTAZ ist die Ermöglichung oder der Versuch, so gut wie möglich Kooperationen und Informationsmanagement zu ermöglichen anhand des bestehenden Systems, das wir haben: Föderalismus, Sicherheitsbehörden etc. Und das ist immer so gut wie die Leute an dem konkreten Sachverhalt oder an den Personen, die da gerade dran arbeiten. Ich glaube nicht, dass wir strukturell jetzt irgendwo etwas hätten: Wenn wir das jetzt noch machen würden, würde man ja in eine neue Dimension der Zusammenarbeit schießen. Ich glaube, es ist eigentlich alles da; es muss nur eben immer auch genutzt werden am konkreten Sachverhalt, Gefährdungssachverhalt, und an den konkreten Personen. Ob man, wenn man die Sicherheitsarchitektur in Deutschland auf einem Reißbrett bilden könnte, jetzt genau wieder diese Zusammenarbeit und diese Vielfalt an Behörden mit den und den Aufgabenfeldern bauen würde, da – also, ich nicht, ich nicht. Aber es ist ja auch immer ein Umgehen mit den Gegebenheiten. Und es ist auch gar keine Kritik. Es funktioniert. Alles andere hat auch seine Schwierigkeiten; alles unbenommen. Also, wenn Sie mich fragen: ‚Ist das GTAZ jetzt die perfekte Form, darauf zu antworten, auf die Bedrohung zu antworten?‘, würde ich immer sagen: ,Nee, weil wir eben auf die Struktur der Behörden Rücksicht nehmen müssen, die nun mal da sind und die ich so nicht abschaffen kann oder zusammenlegen kann oder anders organisieren kann.‘ Aber wenn man sagt: ‚So ist es jetzt. Ist das eine adäquate Form der Organisation?‘, dann glaube ich, im Grunde, ja.“
– Staatssekretär Hans-Georg Engelke im Bundestags-Untersuchungsausschuss zum Terroranschlag am Breitscheidplatz, 17. Dezember 2020
Föderalismus und Flickenteppiche
Auch Thomas Beck, Bundesanwalt beim Generalbundesanwalt und Leiter der dortigen Abteilung Terrorismus, sieht im GTAZ eine positive Einrichtung – bei der eine Zusammenarbeit der Behörden aber auch naturgemäß Grenzen habe.
„Ich bin Bundesbeamter. Trotzdem bin ich ein überzeugter Föderalist, weil ich die vielen Vorteile des Föderalismus, also die Sachnähe, die ein Bund nie leisten kann, natürlich merke in meiner Arbeit, weil ich – um Ihnen ein Beispiel zu sagen – das Staunen der Franzosen kenne – der zentralistischste Staat, den wir in der Nachbarschaft haben -, die uns oftmals voller Bewunderung sagen: Wieso fliegt eure Hummel GTAZ? Die kann nicht fliegen. Und es funktioniert. Die beneiden uns darum: So was hätten wir auch gerne“
– Bundesanwalt Thomas Beck, im Bundestags-Untersuchungsausschuss zum Terroranschlag am Breitscheidplatz, 17. September 2020
Allerdings müsse man sich bewusst sein, so merkte Beck an, dass beispielsweise Weisungsbefugnisse im GTAZ angesichts der Zuständigkeiten von Bund und Ländern verfassungsrechtlich nicht umzusetzen seien. Der jeweilige Leiter des GTAZ, ein BKA-Beamter etwa, könne nicht einfach einem LKA oder LfV vorschreiben, welche Maßnahmen es nun ergreifen müsse. „Das halte ich für verfassungsrechtlich und auch für faktisch nicht durchsetzbar“, sagte Beck. „Den Innenminister möchte ich sehen, der da zustimmt.“
Es seien darüber hinaus ja auch „immer die Justizbehörden im Spiel“, gab der Bundesanwalt zu bedenken. Ein GTAZ-Leiter könne nicht einfach einer Staatsanwaltschaft vorschreiben, ein Ermittlungsverfahren einzuleiten, „(…) geschweige denn einem Gericht vorschreiben: Macht dieses oder macht jenes, erlasst diesen oder jenen Beschluss, weil wir das für tunlich halten.“
Durch den engen Austausch der Sicherheitsbehörden wird außerdem deutlich, dass ein bundesweiter Flickenteppich an polizeilichen oder nachrichtendienstlichen Befugnissen eine Herausforderung – und vielleicht sogar ein Risiko darstellt. Was der Polizei in einem Bundesland erlaubt ist, ist der Polizei in einem anderen Landesteil möglicherweise nicht gestattet. Wie aber sollen islamistische Gefährder – insbesondere Personen, die viel umher reisen – einheitlich bearbeitet, also beispielsweise überwacht werden, wenn dies nicht überall auf die gleiche Weise geschehen kann?
Im GTAZ haben sehr lange Terrorfahnder miteinander gesprochen, die nicht alle den gleichen Werkzeugkasten hatten. Mittlerweile wurden einige Landespolizeigesetze geändert, so dass zumindest bei der Gefahrenabwehr umfangreich, bundesweit einheitlich Maßnahmen durchgeführt werden können.
Gefährder managen oder abschieben
Ein anderer Bereich in dem nachgebessert wurde, ist das sogenannte Risikomanagement. Damit gemeint ist zunächst eine einheitliche, standardisierte Bewertung von gefährlichen Islamisten mit einem Risikobewertungssystem RADAR-iTE, das kurz nach dem Anschlag auf dem Breitscheidplatz eingeführt wurde. Es wird in den Bundesländern angewandt, um die Gefährlichkeit von Gefährder anhand eines umfangreichen Fragebogens präziser einschätzen zu können. Die Ergebnisse der RADAR-iTE-Bewertung werden beim BKA in Berlin hinterlegt, die einzelnen Fälle nochmal analysiert und im Rahmen der AG „Risikomanagement (RIMA)“ besprochen. Die Gefährder und deren Bearbeitung verbleiben jedoch bei den Landespolizeibehörden.
Früher ging es im GTAZ vor allem um Gefährdungssachverhalte, um Hinweise zu geplanten Anschlägen etwa oder Informationen über heimlich eingereiste Islamisten. Über die Einzelperson und die Gefahr, die von ihr ausgeht, und wie man damit umgehen sollte, wurde kaum explizit gesprochen. Das hat sich inzwischen geändert, der „personenbezogene Ansatz“ ist Routine.
Lesen Sie hier, was sich nach dem Terroranschlag auf dem Breitscheidplatz in den Sicherheitsbehörden verändert hat.
Dies bedeutet auch, dass in den Bundesländern neue Strukturen und Systeme etabliert werden mussten – was auch von vielen Insidern als positiv erachtet wird. Nicht nur bei der Risikobewertung ist das der Fall, sondern vor allem auch bei der AG „Status“, deren Aufgabe es ist, gefährliche Islamisten ohne deutsche Staatsangehörigkeit außer Landes zu bringen.
Jahrelang war da „wenig Zug drin“, wie es eine beteiligte Person beschreibt. Die einzelnen Fälle wurden nicht mit dem notwendigen Nachdruck verfolgt, das Ausländerrecht und die Rückführungen wurden augenscheinlich von vielen nicht wirklich als effektives Werkzeug der Terrorismusbekämpfung erachtet. Auch in diesem Bereich hat sich nach dem Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt viel getan.
Mehrere hundert gefährliche Islamisten konnten seit Amris Attentat im Dezember 2016 aus Deutschland in Heimatländer abgeschoben oder in Drittstaaten überstellt werden. Oft direkt nach Verbüßung einer Haftstrafe. Einige wurden auch davon überzeugt, freiwillig das Land zu verlassen. In manchen Bundesländern wurden die dafür notwendigen Strukturen neu aufgestellt, dort werden nun schneller die Informationen zusammengetragen, die gebraucht werden, um eine Abschiebung zu veranlassen.
Und die Bundesbehörden, wie das BKA, leisten dabei falls gewünscht Unterstützungsleistung. So etwa im vergangenen Jahr als ein erfahrener Behördenvertreter, der als Verbindungsbeamter in Russland tätig war, seine Kontakte nutzte und russische Behörden schließlich die Identität eines tschetschenischen Islamisten aus Nordrhein-Westfalen bestätigten und der Extremist abgeschoben werden konnte.
Rechtsgrundlage?
Was es bis heute nicht gibt, ist eine eigene Gesetzesgrundlage für das GTAZ. Im Bundesinnenministerium ist man nach wie vor überzeugt, dass es die für die aktuelle Form des Informationsaustausches auch gar nicht brauche. Der Bundesdatenschutzbeauftragte hingegen übte bereits früh Kritik an der mangelnden Transparenz, wie mit Informationen im GTAZ umgegangen werde.
„Eine derartige Zusammenarbeit erzeugt aus den bei den verschiedenen Behörden vorhandenen Datenbanken neue Daten. Der Informationsaustausch des GTAZ wird in der Regel nicht durchgehend protokolliert, vielmehr erfolgt ein mündlicher Austausch zwischen den teilnehmenden Behörden. Diese Tatsache erschwert einerseits behördenübergreifende Kontrollen des GTAZ und erhöht andererseits die Gefahr der Verletzung von Datenschutzschutzvorschriften, weil die Informationsweitergabe durch die informelle Kommunikation für Kontrollorgane intransparent erfolgt (…) Der BfDI hat bereits in seinem 20. Tätigkeitsbericht im Jahr 2003/2004 darauf hingewiesen, dass derartige Kooperationen von Sicherheitsbehörden datenschutzrechtlich nur dann vertretbar sind, wenn zusätzliche Vorkehrungen getroffen werden, die einen Missbrauch der Daten ausschließen. Hierzu zählt die unbedingte Einhaltung des Prinzips der informationellen Gewaltenteilung und die strikte Zweckbindung der Daten, so dass die Herkunft der Daten im gesamten Verarbeitungsprozess durch eine Kennzeichnung ersichtlich ist. Zudem muss erkennbar sein, welche Behörde die Daten weitergegeben hat. Zum Zweck einer effektiven datenschutzrechtlichen Kontrolle muss eine umfassende Vollprotokollierung aller Zugriffe erfolgen. Die Einführung einer gesetzlichen Grundlage für die Zusammenarbeit von Sicherheitsbehörden würde nicht nur für mehr Transparenz führen, sondern auch für mehr Rechtssicherheit sorgen.“
– Bundesdatenschutzbeauftragte (BfDI), Datenübermittlung und Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden
Einige juristische Sachverständige, die in den Untersuchungsausschusses zum Breitscheidplatz-Anschlag gehört wurden, befürworten eine Rechtsgrundlage für das GTAZ, darunter Strafrechtler Dr. Nikolaos Gazeas und Dr. Benjamin Rusteberg von der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Sie bemängeln unter anderem die Nachvollziehbarkeit darüber, welche Informationen zu welchem Zweck wohin fließen. Vor allem von der Polizei zum Geheimdienst.
Beim GTAZ handele es sich, so Gazeas, auch nicht nur um eine reine Informationsweitergabe, sondern um eine gemeinsame Verarbeitung, Analyse und Bewertung von Informationen durch mehrere Behörden aus dem polizeilichen und dem nachrichtendienstlichen Bereich. Gleichzeitig erlaube es die Gesetzeslage dem Verfassungsschutz seine Informationen zurückzuhalten.
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