Bei der Vorbereitung der IS-Anschläge von Paris sollen zwei Islamisten aus Deutschland eine Rolle gespielt haben. Französische Ermittler glauben, dass die Männer das spätere Terrorkommando ausgebildet haben.
Von Florian Flade

Salah Abdeslam durfte sich in der vergangenen Woche vor Gericht in einem ersten längeren Statement äußern. Zu den Terroranschlägen in Paris vom 13. November 2015 mit 130 Toten, an denen er beteiligt war – und deren einziger überlebender Attentäter der Franzose sein soll.
„Wir haben gegen Frankreich gekämpft, wir haben Frankreich angegriffen, wir haben Zivilisten angegriffen. Aber es war nichts persönliches gegen sie“, sagte Abdeslam am 15. September, seinem 32. Geburtstag, offensichtlich ohne Reue und Mitgefühl für die Hinterbliebenen und Überlebenden der Terrornacht. Die Anschläge in Paris seien vielmehr gerechtfertigte Vergeltung gewesen, wegen Frankreichs Luftangriffen gegen die Terrormiliz IS in Syrien, behauptete der Extremist.
In einem historischen Mammut-Prozess, der noch Monate dauern wird, sind insgesamt zwanzig Personen wegen der Paris-Anschläge angeklagt worden. Neben Abdeslam stehen noch dreizehn weitere mutmaßliche Unterstützer und Helfer der Terrorzelle vor Gericht. Die anderen Dschihadisten wurden in Abwesenheit angeklagt, sie gelten als tot oder sind verschwunden. Einer befindet sich in der Türkei im Gefängnis.
Zu der IS-Terrorzelle, die am Abend des 13. November 2015 in Paris, und dann am März 2016 in Brüssel zuschlug, gehörten fast ausschließlich Islamisten die in Belgien und Frankreich aufgewachsen waren. Sie waren in Syrien für ihre tödliche Mission ausgewählt und vorbereitet worden. Dann wurden sie als Flüchtlinge getarnt nach Europa geschickt.
Über die mutmaßlichen Hintermänner der Anschläge, die Terrorstrategen und Planer beim IS, gibt es inzwischen mehr Informationen. Die französischen Ermittler sind überzeugt, dass etwa die Brüder Fabien und Jean-Michael Clain aus Toulouse eine wichtige Rolle bei den Vorbereitungen der Attentaten gespielt haben. Ein entscheidender Drahtzieher soll angeblich Oussama Atar gewesen sein, ein aus Brüssel stammender Islamist, der sich angeblich hinter der mysteriösen Figur „Abu Ahmad“ verbergen soll, die das Terrorkommando aus Syrien heraus angeleitet hat – woran es allerdings berichtigte Zweifel gibt.
Auch zwei Dschihadisten aus Deutschland sollen an den Anschlagsvorbereitungen in Syrien beteiligt gewesen sein: Thomas-Marcel C. und Ahmad Abu G.. Sie gehören zwar nicht zu den Angeklagten im Pariser Terrorprozess, die französische Ermittler gehen allerdings davon aus, dass die beiden Männer die Attentäter ausgebildet haben.
Thomas-Marcel C. ist Schweizer Staatsbürger, geboren 1987 in Zürich, aufgewachsen in Obersiggenthal, einer Kleinstadt im Kanton Aargau. Die Eltern trennten sich früh, der Vater zog nach Südfrankreich, Thomas-Marcel lebte rund zwei Jahre bei ihm, dann ging er wieder zur Mutter in die Schweiz und zog später mit ihr nach Frankfurt am Main, wo er als Jugendlicher lebte und zum Islam konvertierte. Dann zog C. nach Nordrhein-Westfalen und verkehrte dort in der salafistischen Szene, heiratete und wurde Vater.
Im Frühjahr 2013 soll der Islamist über die Türkei nach Syrien gereist sein und sich der Terrormiliz IS angeschlossen haben. Schnell soll C. wichtige Funktionen innerhalb der Organisation übernommen haben, insbesondere im IS-Geheimdienst, der Amniyat.
Seine Verbindungen reichten offenbar bis zu Taha Sobhi Falaha alias „Abu Mohammed al-Adnani“, dem inzwischen getöteten Propaganda- und Sicherheitschef des IS sowie Chefplaner für Anschläge im Ausland. Zwischen ihm und dem Schweizer herrschte augenscheinlich ein besonders Vertrauensverhältnis, Thomas-Marcel C. soll sogar eine Verwandte von Falaha geheiratet haben.
Nach Erkenntnissen deutscher Sicherheitsbehörden war Thomas-Marcel C. der wohl ranghöchste IS-Dschihadist aus dem deutschsprachigen Bereich. Seine Identität blieb lange unklar, in Syrien verkehrte er unter dem Namen „Abu Mussab al-Almani“ und war für seine besonderen Sicherheitsvorkehrungen und als Sprachtalent bekannt – neben Deutsch, Französisch und Englisch soll er auch fließend Arabisch gesprochen haben. Handys oder soziale Medien soll er kaum genutzt haben, auch Fotos sind von ihm nahezu keine bekannt. C. war wie ein Geist – der allerdings als ein führender Kader der IS-Abteilung für Externe Operationen an mörderischen Anschlagsplanungen beteiligt gewesen sein soll.
Thomas-Marcel C., der schon als Jugendlicher von militärischen Spezialeinheiten fasziniert gewesen sein soll, führte beim IS wohl eine eigene Einheit an, die „Katiba Furqan“, in der zwischenzeitlich mehr als einhundert Dschihadisten aktiv waren. Diese Islamisten sollen ausgewählt worden sein, um spezielle Operationen durchzuführen.
Auch die Attentäter von Paris wurden offenbar von dem Islam-Konvertiten, der zuletzt in Deutschland gelebt hatte, paramilitärisch ausgebildet und auf ihren Einsatz vorbereitet. Als Beleg dafür gilt ein IS-Propagandavideo, das kurz nach den Anschlägen als Bekennervideo im Internet veröffentlicht wurde. Darin zu sehen sind die späteren Attentäter bei ihrer Ausbildung und bei der Ermordung von Gefangenen in Syrien. In seiner Szene ist Brahim Abdeslam beim Schießtraining zu sehen, ein Bruder des nun in Paris angeklagten Salah Abdeslam.
Der Videoausschnitt zeigt den Islamisten, der sich in Paris in einem Café in die Luft gesprengt hat, wie er mit einer Pistole auf mehrere Zielscheiben an einer Hauswand schießt. Eine Person, die augenscheinlich als Ausbilder agiert, taucht in der kurzen Videosequenz auf, allerdings ist sie verpixelt. Der Ausbilder schubst Brahim Abdeslam, so dass dieser immer wieder aus einer anderen Position neu zielen und feuern muss. Bei der verpixelten Gestalt soll es sich um Thomas-Marcel C. alias „Abu Mussab al-Almani“ handeln.
Frankreichs Auslandsnachrichtendienst DGSE verfügt offenbar über weitere Informationen zu der Ausbildung des Pariser Terrorkommandos. In Unterlagen zu den Ermittlungen heißt es, dass jenes Training, das in dem IS-Propagandafilm gezeigt wird, neben Thomas-Marcel C. auch von Ahmad Abu G. „betreut“ worden sein soll.
Bei Ahmad Abu G. handelt es sich um einen Islamisten mit deutscher und polnische Staatsangehörigkeit, der zuletzt in Solingen gelebt hat. Er stammt aus einer radikalislamischen Familie, die schon früh im Blick der Sicherheitsbehörden stand. Sein Vater Youssef Abu G., ein gebürtiger Palästinenser, hatte einen Im- und Exporthandel und war einer der Vorsitzenden der einschlägig bekannten Solinger Moschee-Gemeine „Millatu Ibrahim“. Außerdem soll er zeitweise als Quelle für den nordrhein-westfälischen Verfassungsschutz gearbeitet haben.
Kurz bevor die Terroristen IS ihr „Kalifat“ ausriefen, zog es auch die Familie Abu G. nach Syrien. Großvater Youssef, Sohn Ahmad und dessen Ehefrau und Kind wanderten aus, und tauchten schließlich im September 2015 in einem bizarren IS-Propagandavideo auf. Die Botschaft: Der IS zieht gleich mehrere Generation an und bietet Familienleben in einem dschihadistischen Utopia.
Die Familie Abu G. soll in der syrischen Stadt Manbij gelebt haben, wo der Großvater Youssef zunächst in der IS-Verwaltung gearbeitet und schließlich 2016 ein Selbstmordattentate gegen Anti-IS-Kämpfer der Syrian Democratic Forces (SDF) verübt haben soll.
Sein Sohn Ahmad Abu G. soll, so zumindest die Erkenntnis des französischen Geheimdienstes, nicht nur in die Propagandaarbeit des IS, sondern auch in Anschlagsplanungen und Vorbereitungen eingebunden gewesen sein. In deutschen Sicherheitskreisen ist man, was die Rolle von Abu G. angeht, dagegen eher skeptisch. Wenig Zweifel aber herrscht darüber, dass Thomas-Marcel C. noch weitere spektakuläre Anschläge im Sinn hatte.
Nachdem die IS-Terroristen in Frankreich und Belgien zugeschlagen hatten, sollten wohl 2016 auch Attentate in Deutschland folgen. Und auch dafür soll Thomas-Marcel C. die angehenden Attentäter trainiert und sich einen ähnlichen Anschlagsplan ausgedacht haben – allerdings kam es soweit nicht, da die beteiligten Personen zuvor festgenommen oder getötet wurden.
Mehrere ausgewählte Islamisten sollten als Flüchtlinge getarnt heimlich nach Deutschland zurückkehren. Von mindestens drei Terrorzellen soll die Rede gewesen sein. Sie sollten offenbar bei angeworbenen Frauen aus der islamistische Szene in Norddeutschland unterkommen und auf Instruktionen warten. Ein mögliches Szenario soll – ähnlich wie die Geiselnahme im Bataclan – ein Anschlag auf ein Musikfestival bei Hildesheim gewesen sein.
Die Sicherheitsbehörden erfuhren im Herbst 2016 von den Rückreiseplänen der Kämpfer aus Syrien, da eine der kontaktierten Frauen vom Bundesamt für Verfassungsschutz als Informantin angeworben worden war und den Verfassungsschützern Zugang zu den entsprechenden Chatnachrichten gewährte.
Ein islamistischen Paar, das in diesen Terrorplan wohl eingebunden war, sollen Oğuz G. und Marcia M. aus Hildesheim gewesen sein, die sich beide derzeit in kurdischer Gefangenschaft in Nord-Syrien befinden. In mehreren Befragungen durch US-amerikanische und deutsche Geheimdienstler hatten die beiden von den Anschlagsplänen für Deutschland berichtet – und benannten Thomas-Marcel C. alias „Abu Mussab al-Almani“ als den Drahtzieher.
Der Schweizer Terrorausbilder soll mittlerweile nicht mehr leben. Bei gleich mehreren Luftangriffen soll C. schwer verletzt worden und schließlich verstorben sein, so die Erkenntnis europäischer Dienste. Einen Beleg für seinen Tod aber gibt es bis heute nicht. Ebenso wenig ist gesichert, dass der Solinger Ahmad Abu G. tot ist, wie die Ermittler vermuten. In beiden Fällen ermittelt weiterhin der Generalbundesanwalt in Karlsruhe.
Du muss angemeldet sein, um einen Kommentar zu veröffentlichen.