Die Enttarnung des „Bundesservice Telekommunikation“

Eine bislang unbekannte Außenstelle des Verfassungsschutzes in Berlin wurde durch Internetrecherchen enttarnt. Was hat es mit den abgetarnten Liegenschaften auf sich, wozu brauchen die Dienste solche Einrichtungen?

Von Florian Flade

Zufällig verirrt man sich wohl kaum in die Heidelberger Straße Nr. 63-64 in Berlin-Treptow – oder vielleicht doch? Ziemlich abgelegen liegt die Straße im zentralen Südosten der Hauptstadt. Nicht weit entfernt verlaufen die S-Bahn-Gleise des Berliner Rings, dahinter liegt der Treptower Park. Das mehrstöckige Bürogebäude könnte unauffälliger kaum sein. Rundherum gibt es KfZ-Werkstätten, Supermärkte, eine Brauerei ist nicht weit, ebenso eine Kleingarten-Siedlung.

In dem besagten Gebäude residieren mehrere Firmen und Organisationen – und eine Behörde, die wohl gar keine ist. Und deshalb die Bundesregierung jüngst in einige Erklärungsnot gebracht hat. Das wiederum hat mit Lilith Wittmann zu tun, einer 26-jährigen Informatikerin, IT-Sicherheitsexpertin und selbsternannten „Krawall-Influencerin“. Bekannt wurde sie durch die Entdeckung von Sicherheitslücken in der Wahlkampf-App der CDU und der Corona-App Luca.

Mitte Januar veröffentliche Wittmann auf ihrer Webseite einen ersten Beitrag, in dem sie beschrieb, wie sie sich auf die Spur einer mysteriösen Behörde gemacht hat. Sie habe sich eine Liste aller Bundesbehörden angesehen und sei dabei über eine Einrichtung namens „Bundesservice Telekommunikation“ gestolpert, von der sie noch nie zuvor gehört habe. Überhaupt ergaben Internetrecherchen keine wirklichen Anhaltspunkte dafür, was es mit dieser Einrichtung auf sich haben könnte.

Wittmann begab sich auf die Suche, nutzte offen verfügbare Informationen, verfolgte E-Mail-Adressen, Telefonnummern und IP-Adressen, tätigte nächtliche Anrufe bei sichtlich verdutzten Personen und verschickte sogar einen AirTag per Post, einen Peilsender von Apple, dessen Weg sie verfolgte. Die Vermutung der IT-Fachfrau war schon früh, dass es sich beim „Bundesservice Telekommunikation“ um eine getarnte Dienststelle eines deutschen Geheimdienstes handeln könnte. Immer mehr Indizien dafür hat sie zusammengetragen und inzwischen in einem zweiten Beitrag veröffentlicht.

Die Bundesregierung wurde in der Bundespressekonferenz ebenfalls zu der ominösen Behörde, die angeblich in dem unscheinbaren Bürokomplex in Berlin-Treptow ansässig ist, befragt. Etwa warum der „Bundesservice für Telekommunikation“ offenbar kein Budget zugeteilt worden ist.

„Im Geschäftsbereich des BMI gibt es keine Behörde mit dem Namen Bundesservice Telekommunikation und deswegen kann ich auch die Frage nach einem Budget oder nach der Leitung nicht beantworten“

– Dr. Marek Wede, Sprecher des Bundesinnenministeriums, am 17. Januar 2022

Die Antwort des Ministeriumssprechers verwundert. Allerdings ist sie offenbar nur auf den ersten Blick falsch. Denn tatsächlich handelt es sich beim „Bundesservice Telekommunikation“ um keine echte Behörde, sondern eben um eine getarnte Aussenstelle eines Geheimdienstes. In diesem Fall des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV), das wiederum dem Bundesinnenministerium nachgeordnet ist.

Vor allem in sozialen Medien wurden die Recherchen von Lilith Wittmann vielfach aufgegriffen und verbreitet. Teilweise hämisch wurde kommentiert, wie erschreckend einfach es sei, eine geheime Einrichtung des Verfassungsschutzes zu enttarnen. Und tatsächlich verwundert es durchaus, dass die „Bundesservice Telekommunikation“ nicht besser abgeschirmt wurde – oder warum die Außenstelle des Verfassungsschutzes überhaupt unter einem solchen Fantasienamen firmiert.

Wirklich überraschend ist es indes nicht, dass ein Nachrichtendienst solche inoffiziellen Liegenschaften unterhält. So ziemlich jeder deutsche Geheimdienst – sowohl die Verfassungsschutzbehörden auf Landesebene, als auch die Bundesbehörden wie das BfV oder der BND – verfügt über derartige Einrichtungen. Sie gehören zum nachrichtendienstlichen Geschäft genauso wie die Deck- oder Arbeitsnamen, unter denen viele der Mitarbeitenden agieren.

Es gibt gute Gründe weshalb Geheimdienste eben nicht nur offizielle Liegenschaften unterhalten, sondern daneben auch abgetarnte Außenstellen, konspirative Wohnungen, Garagen, Büros und sogar Tarnfirmen. Insbesondere beim operativen Geschäft, allen voran bei den heimlichen Überwachungsaktionen, ist es wichtig, dass die Tarnung nicht auffliegt. 

Da ist es von Vorteil, wenn die Observationseinheiten des Verfassungsschutzes nicht aus den offiziellen Liegenschaften heraus starten, sondern über andere Standorte verfügen. Die „Gegenseite“, also Extremisten, Terroristen oder andere Spione, könnte sonst einfach nur die Ein- und Ausfahrten der Liegenschaften in den Blick nehmen, Fahrzeuge und Personen fotografieren und filmen, und würde so Observationen erheblich erschweren oder gar unmöglich machen.

Auch operativ arbeitende Mitarbeiter, die in besonders sensiblen Bereichen tätig sind, wie beispielsweise der Anwerbung und dem Führen von V-Personen, arbeiten mitunter nicht in den offiziellen Einrichtungen der Behörde, sondern mit abgetarnten Büros und eigens angemieteten Wohnungen, in denen vertrauliche Treffen mit den Quellen stattfinden können.

Der Bundesnachrichtendienst (BND) verfügte seit seiner Gründung Mitte der 1950er Jahre über eine Vielzahl von Tarneinrichtungen verteilt über das gesamte Gebiet der Bundesrepublik. Die „Hauptstelle für Befragungswesen“ (HBW) etwa wurden gegründet, um Flüchtlinge aus der DDR oder anderen Regionen der Welt zu befragen, Informationen von ihnen abzuschöpfen und sie als Quellen zu gewinnen. 

Andere Stellen wurden für einzelne Operationen geschaffen, so zum Beispiel das „Internationale Rechtsinstitut – Humanitäre Hilfe“ in München, über das die Lieferung von Hilfsgütern des BND an die afghanischen Mudschaheddin in ihrem Kampf gegen die Sowjetarmee in den 1980er Jahren koordiniert wurde.

Nach dem Ende des Kalten Krieges verfügte der BND weiterhin über eine Reihe von Außenstellen mit teils kuriosen Tarnnamen. Das „Ionosphäreninstitut“ im baden-württembergischen Rheinhausen gehörte dazu, das „Amt für Schadensabwicklung“ in Berlin, die „Bundesstelle für Fernmeldestatistik“ im Landkreis Starnberg oder die „Bundesstelle für Sondervermögen“ in München.

Im Mai 2014 beendete der BND zumindest teilweise die bisherige Geheimniskrämerei. Unter dem damaligen Behördenchef Gerhard Schindler wurden die Tarnbezeichnungen für die Außenstellen abgeschafft und es wurde ganz offiziell der BND vermerkt. Da der Auslandsdienst in Deutschland nicht operativ unterwegs sei, so Schindlers Argumentation, sei es nicht mehr sinnvoll eine solche Tarnung aufrecht zu erhalten. Wo BND drin war, sollte fortan auch BND drauf stehen. Transparenz-Offensive, nannte der Dienst das damals.

Beim Verfassungsschutz gestaltet sich dies anders. Der Inlandsnachrichtendienst ist auf Einrichtungen angewiesen, die nicht öffentlich bekannt sind. Und genau da liegt auch der kleine aber feine Unterschied in der nun erfolgten Enttarnung der BfV-Außenstelle „Bundesservice Telekommunikation“ in Berlin-Treptow: Bei den BND-Phantombehörden war teilweise seit Jahrzehnten hinlänglich bekannt, dass es sich um BND-Liegenschaften handelt.

Der Auslandsgeheimdienst enthüllte demnach im Jahr 2014 kein großes Geheimnis, die Arbeitsfähigkeit und grundsätzliche Sicherheit der Mitarbeitenden wurde dadurch kaum gefährdet. Zumal man sehr darauf bedacht war und weiterhin ist, die operativ tätigen Spione vor der Öffentlichkeit zu schützen. Kein einfaches Unterfangen, insbesondere seitdem der Dienst seinen Hauptsitz von der abgelegenen Waldsiedlung im bayerischen Pullach nach Berlin-Mitte verlegt hat. 

So mancher Mitarbeiter war nicht gerade begeistert vom Umzug in die Hauptstadt, noch dazu in die belebte Gegend rund um die Chausseestraße. BND-Mitarbeiter zu enttarnen sei nun ein Kinderspiel, warnten einige altgediente Spione. Man müsse doch nur U-Bahn fahren und gucken, wer morgens eine chinesische oder russische Zeitung lese und an den Haltestellen Schwarzkopffstraße oder Naturkundemuseum aussteige.

Ganz so einfach aber ist es nicht. Wer in den heiklen und sicherheitsrelevanten Bereichen des BND tätig ist, nutzt selten die offiziellen Ein- und Ausgänge der Behörde. Oder ist gar nicht erst in der Zentrale stationiert. Wirklich wichtig aber wird die Tarnung oft erst bei den Einsätzen im Ausland, wo auch der BND regelmäßig auf konspirative Wohnungen angewiesen ist.

Für den Verfassungsschutz hingegen ist das Bekanntwerden seiner geheimen Örtlichkeiten in Deutschland mehr als misslich und stellt durchaus ein Risiko dar. Die Mitarbeitenden des Inlandsdienstes sind darauf angewiesen, dass sie ihre Arbeit unerkannt und unbemerkt verrichten können. Ob Observationen oder Treffen mit Quellen – all das muss organisiert werden können, ohne dass die Verfassungsschützer dabei auffliegen.

Warum aber war die Stelle „Bundesservice Telekommunikation“ so einfach zu enttarnen? Es sei ein Überbleibsel als früheren Zeiten, so heißt es dazu heute in Sicherheitskreisen. Eigentlich habe man dort längst ausziehen wollen, aber gerade in Berlin seien passende Immobilien nun einmal nicht so einfach zu bekommen, es herrsche Platzmangel. Tatsächlich haben andere Sicherheitsbehörden wie das Bundeskriminalamt in den vergangenen Jahren immer weitere Liegenschaften in Berlin anmieten müssen, um dem Personalaufwuchs gerecht werden zu können.

Man habe die Einrichtung also weiter genutzt, obwohl mit relativ wenig Aufwand festzustellen ist, dass diese Behörde eigentlich gar keine ist. Und dass die Einrichtung dem Bundesministerium des Innern und damit dem Bundesamt für Verfassungsschutz zuzuordnen ist – was wiederum kaum verschleiert wurde. Immerhin hängt in dem Gebäude auch ein Briefkasten mit der Aufschrift „BMI“. Von der Webseite des Bundes ist der „Bundesservice Telekommunikation“ indes mittlerweile verschwunden.

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