Eine Bombe für Hamburg?

In Hamburg steht ab Donnerstag ein junger Mann vor Gericht. Die Sicherheitsbehörden halten ihn für einen gefährlichen Islamisten. Er soll einen Terroranschlag zum 20. Jahrestag des 11. September 2001 geplant haben. Ein Hinweis von US-Behörden brachte die Ermittler auf die Spur.

Von Florian Flade

Ein Teil einer Bombe, die beim Anschlag auf den Boston Marathon verwendet wurde (FBI)

Hamburgs Innensenator Andy Grote sprach von einem „sehr, sehr ernsten Vorgang, den wir bisher möglicherweise in Hamburg so noch nicht hatten“, als er im Dezember vergangenen Jahres vor die Presse trat. Den Sicherheitsbehörden sei es gelungen, einen islamistischen Terroranschlag in der Stadt zu verhindern. Ein damals 20 Jahre alter Deutsch-Marokkaner sei festgenommen worden, er habe zuvor versucht über das Internet an Waffen zu gelangen, die Ermittler hätten zudem Chemikalien entdeckt, die zum Bombenbau geeignet gewesen seien.

Am Donnerstag nun beginnt vor dem Hanseatischen Oberlandesgericht Hamburg der Prozess gegen den jungen Mann, der beschuldigt wird, einen Sprengstoffanschlag vorbereitet zu haben. Der inzwischen 21-jährige Hamburger, der die deutsche und die marokkanische Staatsbürgerschaft besitzt, soll laut Anklage des Generalbundesanwalts eine „schwere staatsgefährdende Gewalttat“ geplant haben. Und zwar „im Umfeld des 20. Jahrestages der Terroranschläge vom 11. September 2001“.

Als Vorbild, so die Ankläger, hätte dem Islamisten das Vorgehen der Attentäter vom Boston-Marathon im April 2013 gedient. Damals hatten zwei Brüder einen Bombenanschlag mit in Rucksäcken versteckten Sprengstoff gefüllten Schnellkochtöpfen an der Laufstrecke verübt. Drei Menschen wurden getötet, mehr als 250 weitere verletzt.

Der junge Mann, der sich nun in Hamburg vor Gericht verantworten muss, war für die Sicherheitsbehörden kein Unbekannter. Insbesondere durch seine familiären und zahlreichen anderen persönlichen Verbindungen in die radikalislamische Szene. Der marokkanische Vater etwa gilt als prominente Figur im dschihadistischen Milieu, er soll in unter anderem mit Personen aus dem Umfeld der Attentäter vom 11. September 2001 bekannt sein und verkehrte in den 2000er Jahren in einschlägig bekannten Moscheen der Hansestadt, wie etwa der inzwischen geschlossenen Al-Quds-Moschee.

Der nun wegen des mutmaßlich geplanten Terroranschlags angeklagte Sohn wiederum lebte von 2016 bis 2020 in Marokko, kehrte dann erst nach Deutschland zurück und war zuletzt in Wismar wohnhaft gemeldet. Nach Erkenntnissen der Ermittler hielt er sich jedoch überwiegend bei seinen Eltern und weiteren Familienangehörigen in Hamburg auf.

Den ersten Hinweis auf eine mögliche Anschlagsplanung erhielten deutsche Behörden Ende Juni vergangenen Jahres. Und zwar von US-Behörden. Er suche nach Handgranaten und nach Sprengstoff, soll der junge Hamburger in einer Nachricht geschrieben haben, die er über das sogenannte „Darknet“, einen Teil des Internets, der nur über einen spezielles Verschlüsselungsprogramm zu erreichen ist, verschickt hatte. Den Empfänger hielt er für einen Waffenhändler. Tatsächlich aber war es ein verdeckter Ermittler aus den USA.

Der amerikanische Beamte ging damals zum Schein auf das Verkaufsgespräch ein. Und als klar war, dass die anfragende Person offenbar aus Deutschland stammt, da verwies der Amerikaner ihn zum Schein an einen Kontaktmann, bei dem es sich wiederum um einen verdeckten Ermittler des Bundeskriminalamtes (BKA) handelte.

Im Glauben, nun einen passenden Waffenhändler gefunden zu haben, vereinbarte der Hamburger schließlich den Kauf einer Pistole, Typ Makarov, samt 50 Schuss Munition, für 900 Euro. Außerdem wollte er noch für 110 Euro eine jugoslawische Handgranate M75 erwerben. Mitte Juli 2021 leistete der Kaufwillige eine Anzahlung, 0,00302 Bitcoin, die damals rund 85 Euro wert waren.

Der Kauf sollte auf einem Parkplatz eines Fast-Food-Restaurants an der Kieler Straße in Hamburg stattfinden. Am 26. August 2021 traf sich der Hamburger dort mit dem vermeintlichen Waffenhändler, dem verdeckten BKA-Ermittler. Der Beamte zeigte dem jungen Mann die Pistole und die Handgranate, die zuvor funktionsunfähig gemacht worden waren. Wie besprochen übergab der Käufer den restlichen Kaufpreis für die Waffen in bar. Kurz darauf griffen Spezialkräfte der Hamburger Polizei, die das Treffen überwacht hatte, zu und nahmen den Mann fest.

Tags darauf erging ein Haftbefehl gegen den Islamisten. Es dauerte jedoch mehrere Wochen bis die Ermittler durch einen Hinweis eines Zeugen auf eine Wohnung in Hamburg-Jenfeld aufmerksam gemacht wurden, die von dem mutmaßlichen Dschihadisten genutzt worden sein soll. Es handelt sich um die Wohnung des Cousins. 

Am 19. November 2021 rückten Beamte zur Durchsuchung an und fanden schließlich neben dschihadistischen Schriften in einem Schrank im Wohnzimmer auch eine nicht unerhebliche Menge Chemikalien: Rund ein Kilogramm Kaliumnitrat, ein Kilogramm Schwefel, ein halbes Kilogramm Kohlepulver sowie Hunderte Schrauben, Muttern und Elektrodrähte. Die Utensilien sind nach Überzeugung der Ermittler geeignet, um damit Sprengmittel wie etwa Schwarzpulver herzustellen.

Teilweise befand sich das Material noch in den Paketen, die der angeklagte Islamist offenbar über das Internet bestellt hatte. Wie die Polizei herausfand, fanden die Bestellungen wohl schon ab Januar 2021 statt.

In der Küche der besagten Wohnung wurde zudem ein Reiskocher sichergestellt, die Ermittler gingen anfänglich davon aus, dass damit möglicherweise eine Bombe gebaut werden sollte – ob ein solches Behältnis wirklich dafür geeignet ist, ist allerdings strittig.

Wie die Funke-Mediengruppe jüngst berichtet hat, sollen im Zuge der Ermittlungen auf sichergestellten Datenträgern auch Hinweise entdeckt worden sein, dass sich der nun Angeklagte auch mit der Waffenherstellung per 3D-Drucker befasst haben soll. Ebenso soll er zum geplanten Rizin-Anschlag in Köln im Jahr 2018 recherchiert haben.

Unklar scheint indes, wo genau der mutmaßlich geplante Terroranschlag hätte stattfinden sollen. Genaue Details zu einem konkreten Anschlagsort konnten die Ermittler auch nach der Befragung von mehr als 50 Zeugen, 16 Durchsuchungen in mehreren Bundesländern und der Auswertung von Dutzenden Datentägern – nicht feststellen.

Für den Prozess gegen den Islamisten sind zunächst 20 Verhandlungstage angesetzt. 

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