Sie wurde als wichtiges Instrument der Terrorismusbekämpfung bezeichnet. Doch seit Jahren spielt die Anti-Terror-Datei (ATD) in der alltäglichen Arbeit von Polizei und Nachrichtendiensten kaum eine Rolle. Kann die Datenbank also gelöscht werden?
Von Florian Flade

Neue Schlösser mussten her, Anfang 2007, als die Anti-Terror-Datei (ATD) in Betrieb genommen wurde. Beim Bundeskriminalamt (BKA) in Berlin und in Meckenheim wurden neue Sicherheitsschlösser an den Türen jener Räume angebracht, in denen fortan die Computer standen, mit denen die Ermittler auf die neue Datei zugreifen sollten. Nur über geschützte Rechner darf die Datenbank in einem verschlüsselten Netzwerk abgefragt werden. Bis heute gibt es dafür auch bei den Landeskriminalämtern eigene Diensträume und besonders gesicherte Computer.
Die Anti-Terror-Datei ist eine Erfindung der deutschen Terrorismusbekämpfung nach den Anschlägen vom 11. September 2001. Zahlreiche neue Gesetze und Befugnisse für die Sicherheitsbehörden wurden damals auf den Weg gebracht. Außerdem wurden neue Institutionen und Austauschplattformen geschaffen, wie etwa das Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ) in Berlin.
Bei der 181. Innenministerkonferenz im September 2006 wurde beschlossen, eine gemeinsame Datei der Sicherheitsbehörden zu terrorverdächtigen Personen aus dem Bereich des internationalen Terrorismus anzulegen, die einen schnelleren und effektiveren Austausch von Informationen zwischen dem Bund und den Ländern sowie zwischen der Polizei und den Nachrichtendiensten ermöglichen sollte. Die Datenbank wurde damals als ein wichtiges Werkzeug im Kampf gegen den islamistischen Terrorismus bezeichnet.
Rund sechzehn Jahre später nun ist die Anti-Terror-Datei kaum noch von öffentlichem Interesse. Und tatsächlich spielt sie bei der Terrorismusbekämpfung nahezu keine Rolle, denn sie gilt als wenig brauchbar und nicht wirklich praktikabel. Wer sich heute mit Ermittlern und Nachrichtendienstlern über die Datenbank unterhält, stellt fest, dass man die ATD in der alltäglichen Arbeit für einigermaßen sinnlos hält.
Wie kam es dazu? Und warum ist die deutsche Anti-Terror-Datei kein effektives Instrument bei der Terrorismus-Abwehr?
Gut gemeint, aber schlecht gemacht – so lautet die Bestandsaufnahme eines erfahrenen Sicherheitsbeamten zur ATD. Der ursprüngliche Gedanke hinter der Datenbank sei durchaus sinnvoll gewesen: Alle relevanten Informationen zu terrorverdächtigen Personen sollten in einer Datei zusammenfließen. Damit sollte neben dem polizeilichen Informationssystem (INPOL) und dem nachrichtendienstlichen Informationssystem (NADIS), in das Verfassungsschutz, Bundesnachrichtendienst (BND) und (neuerdings) Militärischer Abschirmdienst (MAD) ihre personenbezogenen Erkenntnisse einspeichern, ein Verzeichnis entstehen, mit denen besonders gefährliche Islamisten erfasst werden. Und zwar bekannte Mitglieder terroristischer Organisationen und Bewegungen sowie deren Unterstützer und Helfer.
Neben Namen, Geburtsdaten, Staatsangehörigkeit und Meldedaten finden sich in der ATD auch Fotos der Person, Angaben zu dessen Sprache, Dialekte, Religionszugehörigkeit, auch Telefonnummern, E-Mail-Adressen, zugelassene Fahrzeuge, bekannte Aufenthaltsorte und Kontaktpersonen sowie Bemerkungen über die Person, wie beispielsweise Ausreiseversuche in Kriegsgebiete, Umgang mit Waffen oder Sprengstoffen.
Auf die ATD zugreifen können zugriffsberechtigte Polizisten und Nachrichtendienstler aus Bund und Ländern. Sie können zum Beispiel einen Namen einer Person abfragen und sehen dann, ob sie in der Datei gespeichert ist, und von welcher Behörde sie eingetragen wurde. Der damalige Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble erläuterte im September 2006 in einem Interview mit dem Deutschlandfunk dieses Abfrage-Verfahren bei der damals neu geschaffenen ATD.
„Wenn jemand von den Zugriffsberechtigten Anfragen zu einer Person macht, erhält er in der Datei den Hinweis, welche Stelle dazu Informationen hat. Dann ruft er dort an, setzt sich mit der in Verbindung oder schreibt eine E-Mail oder eine SMS, und dann wird diese Stelle prüfen, ob die rechtlichen Voraussetzungen für die Informationsübermittlung gewährleistet sind. Wenn die gegeben sind, wird die Information unmittelbar übermittelt.“
– Interview mit Wolfgang Schäuble, DLF, September 2006
Was sinnvoll und praktikabel klingt, hat sich allerdings im Laufe der Jahre als sehr umständlich erwiesen. Denn in der Erklärung wird schon deutlich, wo das Problem liegt: Ein Polizist aus Nordrhein-Westfalen fragt beispielsweise einen Islamisten in der ATD ab, der im Zuge eines Ermittlungsverfahrens bei ihm aufgetaucht ist. Dann sieht der Beamte in der ATD, dass zu der Person beim Verfassungsschutz in Hessen wohl weitere Informationen vorliegen. Nun schreibt der Polizist das hessische Landesamt für Verfassungsschutz per E-Mail an oder greift zum Telefon und ruft an. Erst dann erhält der Beamte weitere Informationen.
Warum sieht der abfragende Polizist nicht sofort alle hinterlegten Informationen zu dem Terrorverdächtigen? In Deutschland gibt es das Trennungsgebot, das vorsieht, dass Polizeien und Nachrichtendienste getrennt arbeiten und auch getrennt Informationen verarbeiten. Mit der ATD wurde versucht diese Trennung zumindest so aufzuweichen, dass relevante Informationen fließen können.
Da in die ATD allerdings Hinweise von Verfassungsschutzbehörden, dem BND und dem MAD einfließen, gilt weiterhin die Geheimhaltungsstufe. Die Datenbank ist also eine geheime Datei, an deren Verschlusssachen-Einstufung sich auch Polizeibehörden halten müssen.
Damit wird die Abfrage zumindest von polizeilicher Seite einigermaßen umständlich. Und für die alltägliche Ermittlungsarbeit erweist sich die ATD zudem als wenig hilfreich, denn die Informationen dürfen nicht für die Strafverfolgung genutzt und in Ermittlungsakten übernommen werden.
„Durch die GEHEIM-Einstufung der ATD ist es bei den Anwendern aus dem polizeilichen Bereich erforderlich, dass die ATD-Terminals räumlich getrennt von den üblichen Büroräumen untergebracht sind. Dadurch besteht eine räumliche Hürde bei der Integration der ATD in den „Ermittlungsalltag““, heißt es dazu im ersten Evaluationsbericht zur Anti-Terror-Datei aus dem März 2013.
Die Nachrichtendienste hingegen können die ATD sogar angepasst nutzen: Verfassungsschutz und BND können sogenannte verdeckte Speicherungen anlegen. Sie sehen dann, wenn ein Polizist eine Person abfragt, wissen dann also, dass sich jemand für diesen Islamisten interessiert. Der abfragende Polizist aber bekommt keinen Treffer, selbst wenn bei den Nachrichtendiensten zu der Person durchaus etwas vorliegt.
Zeitweise waren rund 13 Prozent aller Speicherungen in der ATD solche verdeckte Speicherungen, davon mehrheitlich erstellt durch das Bundesamt für Verfassungsschutz und den BND. Eine der Personen, die verdeckt gespeichert waren, war der Attentäter vom Berliner Breitscheidplatz, Anis Amri. Das BfV hatten Islamisten am 07. September 2016, wenige Monate vor seinem Anschlag, in die ATD eingetragen. Eine Abfrage durch den BND nach dem Attentat hatte dann ergeben, dass Amri „im offenen Bestand der ATD nicht gespeichert ist“.
Als Folge dieser Gestaltung der ATD wird von polizeilichen Ermittlern und auch von Nachrichtendienstlern schon seit einigen Jahren nur noch wenig Gebrauch von der ATD gemacht. Inzwischen haben sich andere Austauschformate, wie etwa das GTAZ, als wesentlich praktikabler erwiesen.
Wenn ein Staatsschützer aus einem LKA eine Information zu einem Islamisten aus einem anderen Bundesland benötigt, dann wird inzwischen meist über den jeweiligen Verbindungsbeamten im GTAZ in Berlin eine solche Anfrage gestellt, oder durch einen direkten Kontakt zwischen den Behörden und die Informationen fließen wesentlich schneller als über eine ATD-Anfrage.
„In der täglichen Arbeit spielt die Anti-Terror-Datei eine untergeordnete Rolle“, sagte ein Sachgebietsleiter des BND im Bundestags-Untersuchungsausschuss zum Terroranschlag auf dem Berliner Breitscheidplatz auf eine Frage zur Nutzung der ATD. Ein Vertreter der Bundespolizei erklärte den Abgeordneten außerdem, dass nur im Bundespolizeipräsidium selbst ein Zugang zur ATD vorhanden sei, nicht aber bei den Beamtinnen und Beamten in den einzelnen Direktionen. „Demnach ist eine effektive Nutzung der Bundespolizei ausgeschlossen“, heißt es im Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses.
Aus den Landeskriminalämtern berichten zudem Staatsschützer sie seien seit Jahren immer wieder darum gebeten worden, die ATD „mehr zu pflegen“, und Speicherungen vorzunehmen. Auch dies kann als Indiz dafür gewertet werden, dass die Datenbank nicht unbedingt konsistent genutzt wurde.
Darauf deutet auch die Anzahl der Datensätze hin, die in der ATD gespeichert sind. Im Jahr 2013 waren noch rund 17.000 Personendatensätze in der Datei erfasst, derzeit (Stand 03. Mai 2022) sind es noch 8.519 Personendatensätze.
Die Bundesregierung gab auf eine Kleine Anfrage der Linke-Bundestagsfraktion zu, dass die ATD zwar teilweise schon für Suchanfragen, aber kaum für Erkenntnisanfragen durch die Sicherheitsbehörden genutzt wird. „Aufgrund der funktionalen Beschränkung der ATD als Instrument zum Fundstellennachweis erfolgt der weitergehende Informationsaustausch außerhalb der ATD“, heißt es in der Beantwortung der parlamentarischen Anfrage.
Der Blick auf die Statistik verdeutlicht, wie grotesk groß das Missverhältnis zwischen Such- und Erkenntnisabfragen ist.

Auch verfassungsrechtlich geriet die ATD immer wieder in die Kritik. So entschied das Bundesverfassungsgericht im April 2013, dass die ATD zwar in den Grundstrukturen mit dem Grundgesetz vereinbar ist, jedoch einzelne Aspekte, wie Speicherkriterien oder auch Rechercheformen nicht den verfassungsrechtlichen Maßstäben genügen.
Im Dezember 2020 dann urteilte das Bundesverfassungsgericht erneut über die ATD – diesmal ging es um die Möglichkeit des Datamining, eine erweitere Datennutzung, die von der Bundesregierung neu geschaffen worden war. Beim Datamining geht es um die Verarbeitung und Verknüpfung von Daten, um beispielsweise Muster zu erkennen oder Prognosen zu erstellen. Die Richter in Karlsruhe bewerteten eine solche Verwendung der gespeicherten Personendatensätze als teilweise verfassungswidrig.
Was also ist die Zukunft der Anti-Terror-Datei? Und gibt es sie überhaupt?
Der Untersuchungsausschuss des Bundestages zum Breitscheidplatz-Attentat jedenfalls, der immerhin das Behördenhandeln rund um den schwersten islamistischen Terroranschlag in Deutschland untersucht hat, kam in seinem Abschlussbericht zu einem eindeutigen Fazit:
„Es kann also geschlussfolgert werden, dass die Anti-Terror-Datei von den deutschen Behörden nur wenig genutzt wird und als Instrument der Terrorismusbekämpfung ungeeignet ist. Aus diesem Grund sprechen sich die hier votierenden Fraktionen für eine Abschaffung der Anti-Terror-Datei aus.“
Es liegt nun an der neuen Bundesregierung der Ampel-Koalition zu entscheiden, wie es mit der ATD weitergehen soll. Gute Argumente für einen Fortbestand lassen sich wohl kaum finden.
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