Monatsarchiv: Oktober 2022

Geheime Patente

Manche Erfindungen können die nationale Sicherheit gefährden, falls sie in die falschen Hände geraten. Solche Entwicklungen werden vom Deutschen Patent- und Markenamt (DPMA) als Geheimpatente eingestuft. Dafür zuständig ist das mysteriöse „Büro 99“.

Von Florian Flade

Was man mit der „Duplex-Antennenanordnung“ genau machen kann, ist für den technischen Laien nicht zu erahnen. Sie diene „zum Senden und Empfangen in unterschiedlichen Frequenzbändern und ist versehen mit zwei Helix-Monopolantennen“, heißt es in der Beschreibung. Irgendetwas aber muss an dieser Antenne neu und erfinderisch gewesen sein, denn es handelt sich um ein Patent. Im Juni 2013 wurde es beim Deutschen Patent- und Markenamt (DPMA) in München unter dem Aktenzeichen 10 2013 211 541.5 angemeldet.

Der Erfinder allerdings wollte nicht in den Unterlagen auftauchen. „Antrag auf Nichtnennung“ ist vermerkt. Und das hat einen ganz bestimmten Grund: Die Duplex-Antennenanordnung wurde von einem Mitarbeiter des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) erfunden. Es ist das einzige Patent eines deutschen Nachrichtendienstes, das sich durch Recherche in der Datenbank des Patentamtes finden lässt. Aber nicht die einzige Erfindung deutscher Sicherheitsbehörden.

So hat etwa das Bundeskriminalamt (BKA) seit 1990 neun Patente angemeldet, und zwar zwischen den Jahren 2004 und 2019. Dazu gehören ein „Fernöffnungsgerät für Türen“, das durch Zugseile bedient werden kann. Oder ein „Verfahren zur Herstellung form- und maßhaltiger Replikate komplexer stereometrischer Körper“, bei dem es darum geht, Nachbildungen von Munition möglichst detailliert herzustellen, um kriminaltechnische Untersuchungen und Vergleiche durchführen zu können.

Auch die Cybersicherheitsbehörde Bundesamt für die Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) hat seit ihrer Gründung mehr als ein Dutzend Eigenentwicklungen angemeldet. Zum Beispiel ein Verfahren zur „Bereitstellung und Verwendung pseudonymer Schlüssel bei hybrider Verschlüsselung“ oder ein „Verfahren und Einrichtung zur Entdeckung von virtuellen Basisstationen (VBTS) im GSM-Netz“. In einem Fall handelt es sich um eine gemeinsame Entwicklung mit der Technischen Universität Dresden, in einem anderen um ein gemeinsames Projekt mit der Telekom.

Es ist eher ungewöhnlich, dass staatliche Stellen, insbesondere Sicherheitsbehörden, Erfindungen patentieren lassen. Denn meist stehen diese Einrichtungen nicht in marktwirtschaftlicher Konkurrenz, sprich: Sie verkaufen keine Produkte oder Dienstleistungen, die es urheberrechtlich zu schützen gilt. Bei den Nachrichtendiensten und Polizeibehörden kommt noch hinzu, dass sie meist im Verborgenen agieren. Eine Preisgabe über die technischen Tools und Methoden kann sich somit eher negativ auf die Arbeit auswirken.

Allerdings besteht durchaus die Möglichkeit, Erfindungen schützen zu lassen, ohne dass die Patente öffentlich einsehbar sind. Beim Deutschen Patent- und Markenamt (DPMA) gibt es eine Stelle, in der solche Geheimpatente hinterlegt werden können – das sogenannte „Büro 99“.

Seit den 1960er Jahren existiert dieser Bereich des Patentamtes. Dort werden all jene Erfindungen angemeldet und hinterlegt, die besonders schutzbedürftig sind und deren öffentliches Bekanntwerden negative Auswirkungen auf die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland haben kann. Es handelt sich um Patente, die ähnlich wie Staatsgeheimnisse geschützt werden. Dazu gehören vor allem Erfindungen aus dem Bereich der Rüstung und Kerntechnologie, aber auch Kryptologie oder Wert- und Sicherheitsdokumente wie Wertpapiere, Ausweise oder Banknoten.

„Alle beim DPMA eingehenden Patent- und Gebrauchsmusteranmeldungen aus bestimmten Klassen der Internationalen Patentklassifikation (IPC) werden zunächst dem Büro 99 zugeleitet. Hier werden dann die nicht geheimhaltungsbedürftigen Schutzrechtsanmeldungen in mehreren Schritten „ausgesiebt“. Das DPMA arbeitet dabei mit anderen Behörden wie dem Bundesministerium der Verteidigung und dem Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie zusammen.“

Deutsches Patent- und Markenamt (DPMA)

Geheimpatente werden nicht offengelegt, auch die Erfinder dürfen sie nicht veröffentlichen und nur unter bestimmten Bedingungen wirtschaftlich verwerten. Die Anmeldung eines solchen Patents erfolgt grundsätzlich genau wie jene normalen Patente. Allerdings kann dies nur auf dem Postweg per Briefsendung geschehen, nicht auf elektronischem Wege. Nur Personen, die zuvor sicherheitsüberprüft wurden, dürfen jedoch Zugang zu den Unterlagen zur Erfindung haben. Dies gilt auch für Mitarbeitende von Patentsanwaltskanzleien, die solche Patente anmelden.

Wie viele Geheimpatente im Büro 99 hinterlegt sind, ist nicht bekannt. Und auch ob sich darunter beispielsweise auch Erfindungen des BND befinden.

In den USA sind derzeit mehr als 6000 Patente als geheimhaltungsbedürftig eingestuft, eine Vielzahl davon wurde durch das Militär eingerichtet. Aber auch die National Security Agency (NSA) hat sich mehrere Entwicklungen patentieren lassen.

Der US-Abhördienst verfügt über einen eigenen Bereich, der sich mit Forschung und Entwicklung befasst, das Office of Research & Technology Applications, sowie über das 1990 ins Leben gerufene Technology Transfer Programm (TTP), mit dem NSA-Patente privatwirtschaftlichen Unternehmen zur Verfügung gestellt werden können.

Wie viel Terror steckt in den Taliban?

Seit einem Jahr reagieren die Taliban in Afghanistan. Die deutsche Justiz konnte die Islamisten und ihre Helfer bislang als Terroristen verfolgen. Doch das könnte sich bald ändern.

Von Florian Flade

Die Gefahr des islamistischen Terrorismus ist angesichts der Kriegssituation in der Ukraine in den Hintergrund gerückt. Beim Generalbundesanwalt in Karlsruhe werden jedoch noch immer Woche für Woche neue Ermittlungsverfahren gegen Dschihadisten und deren Unterstützer eingeleitet. 258 Verfahren waren es im Jahr 2021, dieses Jahr sind es bereits mehr als 130.

Es sind vor allem die Anhänger der Terrororganisation Islamischer Staat (IS), die Deutschlands obersten Chefankläger beschäftigen. Aber auch eine andere Gruppierung findet sich häufig in den Terrorismus-Akten in Karlsruhe: Die afghanischen Taliban. Und genau das stellt die deutsche Justiz mittlerweile vor ein Dilemma.

Die Taliban haben im August 2021 erneut die Macht in Afghanistan übernommen. Die internationalen Truppen sind nach 20 Jahren abgezogen, die Islamisten haben ein „Emirat“ ausgerufen und regieren das Land nun gemäß ihrer fundamentalistischen Religionsauslegung. Die Taliban sind jetzt Staatsmacht am Hindukusch.

Was bedeutet das für die Strafverfolgung von Taliban-Kämpfern und Unterstützern in Deutschland? Handelt es sich bei den Taliban aus Sicht der deutschen Justiz weiterhin um eine terroristische Organisation?

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Der BND und der Jom-Kippur-Krieg

Im Oktober 1973 kam es zum Krieg zwischen Ägypten, Syrien und Israel. Historische Akten zeigen, dass der BND damals vom Beginn des „Jom-Kippur-Krieges“ überrascht wurde. Dann aber hofften die Pullacher Spione, durch den Konflikt an sowjetische Waffensysteme zu gelangen.

Von Florian Flade

Der Angriff kam überraschend. Am 06. Oktober 1973, an Jom Kippur, dem höchsten jüdischen Feiertag, griffen Ägypten und Syrien zeitgleich Israel an. Die Armeen der arabischen Staaten attackierten an zwei Fronten, der Sinai-Halbinsel und den Golan-Höhen, die während des Sechs-Tage-Krieges 1967 von Israel besetzt worden waren. Zunächst hatten die Angreifer die Oberhand, dann schlug die israelische Armee sie zurück. Mehr als zwei Wochen dauerte der Krieg und forderte schließlich mehrere Tausend Tote auf allen Seiten.

In einem Waldstück südlich von München, in der Zentrale des Bundesnachrichtendienstes (BND), sah man damals eine günstige Gelegenheit gekommen – um an begehrte Waffensysteme aus dem Ostblock zu gelangen, die von den arabischen Kriegsparteien eingesetzt wurden. Über die Kontakte zu den Israelis sollte der deutsche Auslandsgeheimdienst erbeutetes, sowjetisches Kriegsgerät auswerten und die Ergebnisse der Bundeswehr zur Verfügung stellen.

Der BND beobachtete das Kriegsgeschehen im Nahen Osten in jenen Oktoberwochen 1973 daher sehr genau, wie aus historische Unterlagen des Dienstes hervorgeht. Die Akten zeigen außerdem nicht nur, wie der Jom-Kippur-Krieg militärisch analysiert wurde, sondern auch wie der deutsche Dienst die Bewertungen anderer Staaten in ziemlich arroganter und überheblicher Weise kommentiert, insbesondere die Einschätzungen der israelischen Militärführung und Regierung.

Dies wird vor allem durch Tagebucheinträge des damaligen BND-Präsidenten Gerhard Wessel (1913-2002) deutlich. Wessel diente nach seinem Abitur ab Oktober 1932 zunächst in der Reichswehr, später dann in einem Artillerieregiment der Wehrmacht. Beim Überfall der Nazis auf Polen war er in einer Infanterie-Division tätig, nach seiner Ausbildung zum Generalstabsoffizier ab 1942 in der Abteilung Fremde Heere Ost, die von Reinhard Gehlen geleitet wurde, dem späteren ersten BND-Präsidenten.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges stand Wessel im Dienst der „Organisation Gehlen“, dem Vorläufer des BND, trat dann in die Bundeswehr ein, stieg in den Führungsstab auf und wurde erster Leiter des Militärischen Abschirmdienstes. Später war er Kommandeur der Panzerbrigade 2, wurde dann zum Generalmajor befördert und schließlich im Mai 1968 zum BND-Präsidenten ernannt.

„Es sind wohl alle westlichen Staaten auf die israelische Feindlagebeurteilung hereingefallen“, schrieb Wessel im November 1973 in sein Tagebuch. Israel habe die militärischen Vorbereitungen Ägyptens und Syriens als „übliche Manöver“ abgetan und „keine Gefahr eines ernsthaften Angriffes“ gesehen.

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