Wie viel Terror steckt in den Taliban?

Seit einem Jahr reagieren die Taliban in Afghanistan. Die deutsche Justiz konnte die Islamisten und ihre Helfer bislang als Terroristen verfolgen. Doch das könnte sich bald ändern.

Von Florian Flade

Die Gefahr des islamistischen Terrorismus ist angesichts der Kriegssituation in der Ukraine in den Hintergrund gerückt. Beim Generalbundesanwalt in Karlsruhe werden jedoch noch immer Woche für Woche neue Ermittlungsverfahren gegen Dschihadisten und deren Unterstützer eingeleitet. 258 Verfahren waren es im Jahr 2021, dieses Jahr sind es bereits mehr als 130.

Es sind vor allem die Anhänger der Terrororganisation Islamischer Staat (IS), die Deutschlands obersten Chefankläger beschäftigen. Aber auch eine andere Gruppierung findet sich häufig in den Terrorismus-Akten in Karlsruhe: Die afghanischen Taliban. Und genau das stellt die deutsche Justiz mittlerweile vor ein Dilemma.

Die Taliban haben im August 2021 erneut die Macht in Afghanistan übernommen. Die internationalen Truppen sind nach 20 Jahren abgezogen, die Islamisten haben ein „Emirat“ ausgerufen und regieren das Land nun gemäß ihrer fundamentalistischen Religionsauslegung. Die Taliban sind jetzt Staatsmacht am Hindukusch.

Was bedeutet das für die Strafverfolgung von Taliban-Kämpfern und Unterstützern in Deutschland? Handelt es sich bei den Taliban aus Sicht der deutschen Justiz weiterhin um eine terroristische Organisation?

Von einer solchen Einstufung hängt viel ab. Etwa ob die Bundesrepublik Gelder für Entwicklungshilfe an die neuen Machthaber in Kabul zahlen darf, oder ob es sich dabei um verbotene Terrorismusfinanzierung handelt. Und wie mit Hilfsorganisationen umgegangen werden soll, die mit den Taliban direkt zusammenarbeiten. Diese nicht unerheblichen Fragen sind ein Jahr nach dem Machtwechsel in Afghanistan noch immer nicht abschließend geklärt.

Um die Mitglieder oder Unterstützer einer ausländischen Terrororganisation verfolgen zu können, muss dem für Terrorismusverfahren zuständigen Generalbundesanwalt eine Verfolgungsermächtigung durch das Bundesjustizministerium vorliegen. Im Fall der afghanischen Taliban erhielt der Karlsruher Chefankläger eine solche Ermächtigung erstmals im November 2008. Und auch aktuell kann die Justizbehörden weiterhin gegen Taliban-Mitglieder vorgehen.

„Es besteht weiterhin eine allgemeine Ermächtigung des Bundesministeriums der Justiz zur Verfolgung bereits begangener und künftiger Straftaten nach §§ 129a, 129b des Strafgesetzbuches (StGB) in Hinblick auf Mitglieder der Vereinigung Taliban“, so ein Sprecher des Bundesjustizministeriums.

Mehr als 900 Verfahren im Bezug zu den Taliban hat der Generalbundesanwalt seit 2016 eingeleitet, wie kürzlich das Nachrichtenportal The Pioneer berichtet hat. Im laufenden Jahr waren es demnach 39 Taliban-Verfahren. Bei diesen Fällen aber handelt es sich um Fälle, bei denen die möglichen Straftaten, etwa die Mitgliedschaft oder Unterstützung der Taliban, in einem Zeitraum vor der Machtergreifung der Islamisten im August 2021 stattgefunden haben sollen.

Im Dezember 2021 hat das Bundesjustizministerium die Verfolgungsermächtigung zudem angepasst. Unterstützer der Taliban werden dann nicht mehr strafrechtlich verfolgt, „wenn die Tat nach dem 15. August 2021 begangen worden ist“. Ab diesem Zeitpunkt können Unterstützungshandlungen „nicht mehr allgemein, sondern nur verfolgt werden, wenn das BMJ im Einzelfall eine Ermächtigung erteilt“, wie ein Ministeriumssprecher mitteilt.

In nur sehr wenigen Fällen kam es hierzulande bislang überhaupt zu Anklagen oder Verurteilungen von Taliban. Anders als beispielsweise bei der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) haben sich kaum Islamisten aus Deutschland den Taliban angeschlossen. Über den einzig bekannten Fall eines deutschen Dschihadisten, der in den Reihen der afghanischen Taliban aktiv war, hatte ich hier geschrieben. Der weit überwiegende Teil der Verfahren resultiert aus sogenannten Selbstbezichtigungen in Asylverfahren.

Dabei gaben die Personen an, sich in der Vergangenheit den Taliban angeschlossen oder ihnen geholfen zu haben. Oftmals berichteten die Asylbewerber in Gesprächen mit dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), sie seien zum Tatzeitpunkt minderjährig gewesen oder zwangsrekrutiert worden. In den seltensten Fällen konnten die Sicherheitsbehörden die Angaben jedoch überprüfen oder gar bestätigen. Einen solchen Fall, der vor dem Oberlandesgericht München verhandelt wurde, hatte ich 2018 beschrieben.

Unter Ermittlern sprach man vom „Taliban-Trick“, da vermutet wurde, dass durch die Selbstbezichtigungen ein Abschiebehindernis geschaffen werden sollte. Denn aufgrund der Angaben wurde zunächst ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Außerdem galt es als durchaus wahrscheinlich, dass Taliban-Kämpfern nach der Abschiebung nach Afghanistan dort Folter und Misshandlung durch die örtlichen Behörden oder gar die Todesstrafe drohte. Was wiederum ebenfalls ein Abschiebehindernis darstellt.

Die Ermittlungen von Polizeibehörden und Nachrichtendiensten erbrachten jedoch oftmals keine gerichtsfeste Belege dafür, dass die Person tatsächlich bei den Taliban aktiv gewesen war. Und so wurden zahlreiche Verfahren letztendlich ergebnislos eingestellt.

Wie in Zukunft mit den afghanischen Taliban und möglichen Unterstützern in Deutschland verfahren wird, ist bislang noch unklar. Es sei durchaus möglich, dass die Taliban irgendwann als islamistische Bewegung angesehen werde, die keine terroristischen Aktivitäten gegen die Bundesrepublik anstrebe. In diesem Sinne keine terroristische Agenda verfolge, und daher die Einstufung der Organisation verändert werden könnte, so heißt es in Sicherheitskreisen. Noch aber kann die Justiz strafrechtliche Ermittlungen einleiten, eine Entscheidung die neuen Machthaber in Kabul von der Liste der terroristischen Organisationen zu streichen, ist bislang nicht getroffen worden.

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