Die deutsche Friedensbewegung stand schon früher im Fokus von Geheimdiensten. Wenn gegen Aufrüstung, NATO-Doppelbeschluss oder Nuklearwaffen demonstriert wurde, mischten manchmal auch Spione aus DDR und Sowjetunion mit. Über die heimliche Unterwanderung einer Protestbewegung.
Von Florian Flade

Es herrscht wieder Krieg in Europa. Wladimir Putin hat ihn begonnen, auf seinen Befehl hin hat das russische Militär vor einem Jahr die Ukraine überfallen. Seitdem sterben täglich Menschen, viele Soldaten, aber auch Zivilisten. Da kann es kaum verwundern, dass nun auch hierzulande wieder Menschen für den Frieden auf die Straße gehen. Aus Angst davor, dass auch Deutschland in diesen Krieg hineingezogen wird. Davor, dass die Gewalt noch weiter eskalieren könnte, bis hin zur atomaren Apokalypse.
Am vergangenen Wochenende fand in Berlin eine der bislang größten Kundgebungen dazu statt. Unter dem Slogan „Aufstand für den Frieden“ forderten die Teilnehmenden einen Waffenstillstand in der Ukraine, ein Ende der deutschen Waffenlieferungen und Friedensverhandlungen. Viele Demonstranten kritisierten die geplanten Erhöhungen für Rüstungsausgaben, prangerten einen westlichen Imperialismus an und gaben der NATO, und insbesondere den USA, eine Mitschuld am Krieg in der Ukraine.
Aufgerufen hatten zu der Demonstration die Linke-Politikerin Sahra Wagenknecht, die Publizistin Alice Schwarzer und auch Erich Vad, ehemaliger Brigadegeneral der Bundeswehr. Gekommen waren nach Polizeiangaben rund 13.000 Menschen, die Veranstalter selbst nannten wesentlich höhere Zahlen, die allerdings von mehreren Beobachtern angezweifelt werden.
„Sie haben Angst vor uns. Sie haben Angst vor einer neuen Friedensbewegung“, sagte Wagenknecht bei ihrer Ansprache. „Sie haben Angst dass sie ihre Politik nicht mehr ohne Weiteres so fortsetzen können.“ Es sei der Beginn einer „Bürgerbewegung“, der „Startschuss für eine neue, starke Friedensbewegung in Deutschland“.
Eine Friedensbewegung gab es in der Bundesrepublik schon einmal. In den 1970 und 80er Jahren gingen in Bonn, Hamburg, Stuttgart und anderenorts regelmäßig Tausende Menschen auf die Straße. Ihre Forderungen beim „Kampf für den Frieden“ damals waren ähnlich wie heute: Ein Ende der Aufrüstung, eine neue Ost-Politik und ein Ende der Feindseligkeiten zwischen West und Ost.
Vor allem der NATO-Doppelbeschluss vom Dezember 1979 und die Stationierung von US-amerikanischen Pershing-Raketen in Europa, sorgte für eine Welle von Friedensdemos in West-Deutschland. Zahlreiche Bündnisse, Initiativen und Organisationen wurden ins Leben gerufen. Auch damals wurden bereits Manifeste und „offene Briefe“ verfasst, und es gehörten Politiker, Intellektuelle, Publizisten und Ex-Militärs zu der Friedensbewegung.
Es mischten allerdings auch Akteure mit, die diese Bewegung verdeckt befeuerten – und zum Teil sogar gesteuert haben sollen: Die Geheimdienste aus der DDR und der Sowjetunion. Durch historische Akten und die Aussagen von Zeitzeugen ist mittlerweile unstrittig, dass die Spione aus dem Osten damals mit großem Aufwand die westdeutsche Friedensbewegung unterwandert haben. Sie setzten auf die pazifistische, anti-amerikanische und NATO-feindliche Haltung in einigen Teilen der Bevölkerung, um den Druck auf die Bundesregierung zu erhöhen und politische Prozesse zu beeinflussen.
Eine maßgebliche Rolle dabei spielte damals ein Mann mit rundlichem Gesicht, dickem Oberlippenbart und Berliner Schnauze: Günter Bohnsack, geboren 1939 in Berlin, verstorben 2013. Bohnsack, der zuvor Journalistik in Leipzig studiert hatte, war Oberstleutnant der Hauptverwaltung Aufklärung (HVA), des Auslandsgeheimdienstes der DDR. Er war tätig in der 1966 gegründeten Abteilung X, zuständig für „Aktive Maßnahmen“.
Damit gemeint waren Desinformation, die Aufklärung und Bearbeitung von Medien und Journalisten in der Bundesrepublik durch die DDR-Spione, die Lancierung von bearbeiteten, teils gefälschten oder manipuliertem Materialien, die finanzielle Unterstützung von Publikationen und der Einsatz von Einflussagenten. Kurzum: Psychologische Kriegsführung.
Die Spezialisten der HVA-Abteilung X nahmen sich in den 1980er Jahren der deutschen Friedensbewegung an. Für die Spione des legendären HVA-Chefs Markus Wolf boten die Demonstrationen und vielen Veranstaltungen, beispielsweise an Universitäten, passende Gelegenheiten, um Spitzel anzuwerben und somit verdeckt Einfluss zu nehmen – wie etwa durch eine Organisation namens „Generale für den Frieden“.
Günter Bohnsack schrieb in den 1990er Jahren zwei Bücher über seine Tätigkeit für die HVA und übte auch öffentlich Kritik an der DDR-Staatssicherheit. Über sein Mitwirken und Einwirken auf die Friedensbewegung in West-Deutschland machte er dabei keinen Hehl.
„Die Friedensbewegung war sehr wichtig für unsere Seite. Die wurde für unsere Konzeption eingespannt, Losungen wurden vorgegeben (…) Die Friedensgruppen sollten Druck auf die westlichen Parlamente und Regierungen machen (…) Die Bewegung „Generäle für den Frieden“ nach dem NATO-Doppelbeschluß war auch von mir. Wir haben unseren Agenten Professor Gerhard Kade, der Friedensforscher, bei uns IM „Super“, zu pensionierten Generälen in ganz Westeuropa geschickt, um sie für diese Bewegung zu gewinnen. Von uns bezahlt, sind dann die ganzen Publikationen gegen den NATO-Doppelbeschluß veröffentlicht worden“
– Interview mit Günter Bohnsack, Junge Freiheit, März 2000
Der von Bohnsack erwähnte Friedensforscher Gerhard Kade lehrte in den 1960er Jahren zunächst an der Technischen Hochschule Darmstadt Statistik und Ökonometrie, sein Lehrgebiet war „Politische Ökonomie und Planung“. Später dann war Kade, der aufgrund einer Verbindungen zu Kommunisten aus der SPD ausgeschlossen wurde, ein Anhänger der marxistischen Friedensforschung. Er gehörte dem im Dezember 1974 in Bonn gegründeten sozialistischen Komitee für Frieden, Abrüstung und Zusammenarbeit (KOFAZ) an, das Kontakte zur DKP und auch der SED hielt.
Was damals noch nicht bekannt war: Gerhard Kade war vom Auslandsgeheimdienst der DDR als Quelle angeworben worden, trug als Inoffizieller Mitarbeiter (IM) den Decknamen „Super“. Kade veröffentlichte zahlreiche Schriften, darunter das 1979 erschienene Buch „Die Bedrohungslüge. Zur Legende von der Gefahr aus dem Osten“, in dem die NATO-Aufrüstung angeprangert wurde. Kade soll Material für diese Publikation von den Spionen von Markus Wolf bekommen haben, der in dem Professor aus Darmstadt einen willfährigen Helfer darin sah, im Interesse der DDR die Friedensbewegung zu beeinflussen.
Der ostdeutsche Nachrichtendienstmann Günter Bohnsack berichtete vor einigen Jahren, dass es vor allem das sowjetische KGB gewesen sein soll, das vorgab, die westdeutsche Protestbewegungen gegen die Aufrüstung zu unterwandern. Laut Bohnsack hieß die Operation „Mars“ und beinhaltete eine Reihe von nachrichtendienstlichen Maßnahmen in der Bundesrepublik. Dazu zählte die Gründung der Organisation „Generale für den Frieden“ im Jahr 1981 durch den selbsternannten Friedensforscher Gerhard Kade, der auch vom KGB als Quelle mit dem Decknamen „Robust“ geführt wurde.
Kade soll mehrere Ex-Militärs aus NATO-Staaten kontaktiert und für die Organisation angeworben haben, die schließlich als „Friedensgenerale“ engagierten, Reden hielten und Schriften verfassten. Dazu zählten auch ehemalige hochrangige Soldaten der Bundeswehr und des niederländischen Militärs. Eines der bekanntesten Gründungsmitglieder war der frühere deutsche Generalmajor Gert Bastian, der von 1983 bis 1987 Abgeordneter der Grünen im Bundestag war. Später soll die HVA sich aus der Steuerung der „Generale für den Frieden“ zurückgezogen haben, stattdessen übernahm das sowjetische KGB.
HVA-Chef Markus Wolf bestätigte nach dem Ende der DDR, dass „Generale für den Frieden“ eine Erfindung seiner Geheimdienstler war und mit rund 100.000 D-Mark jährlich finanziell unterstützt wurde. Damit finanzierte der DDR-Geheimdienst nicht nur Veranstaltungen der Organisation, sondern half auch bei der Erstellung von Publikationen.
„Es war immer ein Teil solcher Kampagnen Fachleute, möglichst Wissenschaftler in kompetenten Positionen zu gewinnen, um zu einem Thema Stellung zu nehmen zu dem sie forschen. In diesem Fall sind die „Generale für den Frieden“ sozusagen die Ober-Kompetenz auf diesem Gebiet, die aus ihrer Sachkenntnis heraus agierend in der Bevölkerung als Fachleute par excellence betrachtet werden“, sagte der Berliner Politikwissenschaftler Jochen Staadt im April 2000 im Interview mit dem Deutschlandfunk.
Dabei wurde der Friedensbegriff ganz im Sinne der Sowjet-Propaganda bewusst dafür eingesetzt, um im Westen eine Abkehr von der Aufrüstung herbeizuführen – während Moskau keineswegs eine militärische Entspannungspolitik oder gar Abrüstung vorantrieb. Und sogar selbst imperialistische Bestrebungen an den Tag legte. Beispielsweise marschierte die Rote Armee im Dezember 1979 in Afghanistan ein, um aus dem Land einen kommunistischen Vasallenstaat zu machen. Es folgte ein fast zehn Jahre andauernder Krieg, der unzählige Opfer forderte und Millionen Menschen zur Flucht zwang.
Auch in der DDR ließ die Führung der Staatssicherheit schon damals erkennen, dass es bei der Unterwanderung der pazifistischen Bewegungen in der Bundesrepublik vor allem darum ging, einen verteidigungspolitischen Wettbewerbsvorteil für den Osten zu sichern.
„Mielke hat vor seinen Generalen gesagt, es geht in dieser Unterstützung der west-deutschen Friedensbewegung darum, den Rüstungsvorsprung der Sowjetunion im Mittelstreckenbereich aktiv zu verteidigen“, sagte der Historiker Manfred Wilke vom Forschungsverbund SED-Staat an der Freien Universität Berlin dem Deutschlandfunk.
Die westdeutsche Friedensbewegung sympathisierte teilweise völlig offen mit dem Sozialismus, in vielen Fällen aber dürfte den Aktivisten nicht bewusst gewesen sein, wie groß der verdeckte Einfluss der Spione aus dem Osten tatsächlich war. Der einstige HVA-Mann Günter Bohnsack erklärte dazu später, die Mitglieder bei „Generale für den Frieden“ seien „missbraucht“ worden. Sie seien jedoch auch keinesfalls naiv gewesen. „Ein holländischer General hat gesagt: Ist mir doch egal, woher das Geld kommt“, so Bohnsack.
| Icon, verwendet in Illustration (Quelle)
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