Globale Terrorgefahr durch IS-K

Der Ableger des Terrornetzwerkes Islamischer Staat (IS) in Afghanistan wird gefährlicher, warnt das US-Militär. Bald schon könnten die Dschihadisten auch Anschläge im Westen durchführen. Ein aktueller Fall aus Deutschland zeigt, wie die Gruppe schon jetzt versucht, Attentate in Europa zu orchestrieren.

Von Florian Flade

Der Viersterne-General war in seiner Warnung mehr als deutlich. In weniger als einem halben Jahr werde das Terrornetzwerk Islamischer Staat (IS) in Afghanistan in der Lage dazu sein, amerikanische oder westliche Ziele außerhalb des Landes anzugreifen, prognostizierte Michael Kurilla, Befehlshaber des US Central Command, am vergangenen Donnerstag vor dem Armed Services Commitee des US-Senats.

Der afghanische Ableger der Terrorgruppe Islamischer Staat (IS), der aufgrund der sogenannten Khorasan Provinz auch als ISIS-K, ISPK oder IS-K bezeichnet wird, baue derzeit sehr schnell seine Fähigkeiten aus, um „externe Operationen“ in Europa und Asien durchführen zu können, so General Kurilla. Das Risiko für Anschläge durch die Gruppierung sei in Übersee jedoch vermutlich höher als in den USA.

Die Warnung vor der neuen internationalen Terrorgefahr durch IS-K kommt mehr als ein Jahr nach dem Abzug der NATO-Truppen aus Afghanistan. Und auch mehr als drei Jahre nachdem die IS-Terroristen in Syrien und Irak weitestgehend zurückgedrängt und die einstigen Hochburgen wie Raqqa oder Mossul von den Islamisten befreit wurden.

Mit der Machtübernahme durch die Taliban in Afghanistan ging auch die Hoffnung mancher westlicher Beobachter einher, dass das Land künftig kein Rückzugsort mehr für internationale Terroristen sein könnte. In den Friedensverhandlungen mit den Taliban hatte die US-Regierung insbesondere darauf bestanden, dass etwa das Al-Qaida-Netzwerk nicht mehr geduldet und unterstützt wird.

Und tatsächlich ist den Taliban – abgesehen von ideologischen Bekundungen – offenbar derzeit wenig an einer globalen dschihadistischen Agenda gelegen. Im Land aber gibt es seit einigen Jahren noch einen weiteren Akteur, der durchaus Terror in die Welt hinaus tragen möchte: Der afghanische IS-Ableger

Die Dschihadisten sind zwar mit den Taliban verfeindet und werden von diesen bekämpft, allerdings wächst die Bedrohung durch die IS-Anhänger in Afghanistan und wohl darüber hinaus. Dass die Warnungen von General Michael Kurilla bei der Senatsanhörung vor möglichen Terroranschlägen von IS-K in Europa keineswegs unbegründet sind, verdeutlicht ein aktueller Fall aus Deutschland, bei dem offenbar zwei jugendliche Islamisten über Kontakte zum afghanischen IS-Ableger zu Anschlägen angeleitet werden sollten.

Anfang September 2022 stürmte ein Spezialeinsatzkommando der Polizei ein Mehrfamilienhaus im nordrhein-westfälischen Iserlohn. Die Beamten nahmen zeitweise einen 16 Jahre alten Jugendlichen fest und beschlagnahmten Mobiltelefone und Computer. Der Deutsch-Kosovare, der kurz darauf zunächst wieder auf freien Fuß kam, wird von den Sicherheitsbehörden seit dem vergangenen Jahr als islamistischer Gefährder eingestuft. Wenige Monate vor der Razzia hatte er die Hauptschule erfolgreich abgeschlossen, dann setzte wohl eine schnelle Radikalisierung des Jugendlichen ein.

Der junge Mann soll geplant haben einen Terroranschlag im Namen des Islamischen Staates (IS) in Deutschland zu verüben. So jedenfalls der Vorwurf der Bundesanwaltschaft, die den Verdächtigen schließlich wenige Wochen nach der Hausdurchsuchung, am 22. September 2022, verhaften ließ. Er sitzt seitdem in Untersuchungshaft.

Nach Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden soll sich der Deutsch-Kosovare dazu bereit erklärt haben, einen Anschlag mit einem Sprengsatz zu verüben. Da er aber befürchtet haben soll, dass die Anschlagspläne verteilt werden könnten, etwa bei der Beschaffung der notwendigen Chemikalien zur Sprengstoff-Herstellung, soll er sich stattdessen entschlossen haben, einen Messerangriff auf Polizeibeamte zu verüben.

Bei seiner angeblichen Tatvorbereitung soll der Terrorverdächtige aus Iserlohn mit einem in Afghanistan aufhältigen Mitglied der Terrorgruppe IS-K in Kontakt gestanden haben. Per Handychat soll dieser Dschihadist den Jugendlichen in Deutschland beim Bau einer Bombe angeleitet haben.

Den Kontakt vermittelt haben soll dem Deutsch-Kosovaren ein Bekannter, ein ebenfalls minderjähriger Islamist aus Norddeutschland. Es handelt sich um einen russischen Staatsbürger aus Bremerhaven mit familiären Wurzeln im Kaukasus, der laut Bundesanwaltschaft „seit Sommer 2022 in regelmäßigem Kontakt mit einem in Afghanistan aufhältigen Mitglied es regionalen Ablegers des IS“ stand und sich gegenüber dieser Kontaktperson bereit erklärt haben soll, „in Deutschland eine lokale IS-Zelle zu gründen“.

Der junge Russe soll schließlich im Auftrag von IS-K terroristische Propaganda übersetzt und verbreitet haben. Zudem soll er eine eigene Chatgruppe gegründet haben, der mehrere jugendliche Islamisten angehört haben sollen. Dort soll er unter anderem zwei Hinrichtungsvideos und Anleitungen zum Bombenbau eingestellt, und auch zu Anschlägen in Deutschland im Namen des IS aufgerufen haben. 

„Weiter bemühte er sich intensiv um die Anwerbung neuer Mitglieder oder Unterstützer des IS und bot Hilfe bei Reisen in das Operationsgebiet der Vereinigung an. Bei einer Gelegenheit sorgte er für den Transfer von Geld“, so die Bundesanwaltschaft. Seinem Bekannten aus Nordrhein-Westfalen soll der Jugendliche zudem versucht haben, ein Messer für dessen mutmaßlich geplante Terrortat zu beschaffen.

Am 08. September 2022, einen Tag nach der Razzia bei dem Islamisten in Iserlohn, wurde der Terrorverdächtige in Bremerhaven verhaftet. Mittlerweile hat die Bundesanwaltschaft die beiden Extremisten als Jugendliche mit Verantwortungsreife wegen Mitgliederschaft und Unterstützung einer ausländischen terroristischen Vereinigung, der Vorbereitung beziehungsweise Beihilfe einer schweren, staatsgefährdenden Gewalttat und Verbreitung von Gewaltdarstellungen vor dem Hanseatischen Oberlandesgericht Hamburg angeklagt.

Das Verfahren gegen die beiden Teenager-Dschihadisten ist ein klarer Indikator dafür, dass in Afghanistan offensichtlich bereits jetzt IS-Strukturen existieren, die darauf abzielen, Attentäter im Westen zu rekrutieren und anzuleiten. Vor entsprechenden Entwicklungen, einer Verschiebung der Terroraktivitäten des IS aus Syrien und dem Irak an den Hindukusch, warnen deutsche Sicherheitsbehörden intern seit einigen Jahren. Es handelt sich dabei auch nicht um den ersten Fall eines mutmaßlich vereitelten Anschlags in Deutschland, bei denen es offenbar eine direkte Verbindungen zum afghanischen IS-Ableger gab.

Im April 2020 wurden in Nordrhein-Westfalen fünf Tadschiken festgenommen, die sich zu einer IS-Zelle zusammengeschlossen und Anschläge in der Bundesrepublik geplant hatten, darunter die Ermordung eines zum Christentum konvertierten Islamkritikers. Die Islamisten wurden später zu hohen Haftstrafen verurteilt. Anderthalb Jahre lang hatte eine Sonderkommission namens „Takim“ des nordrhein-westfälischen Landeskriminalamtes (LKA) gegen die Islamisten ermittelt.

Dabei waren die Ermittler auf die Chatkommunikation der Gruppe gestoßen. Die tadschikische Zelle hielt demnach Kontakt zu mindestens zwei IS-Terroristen, darunter einem Dschihadisten mit dem Kampfnamen „Abu Fatima“, der sich in Syrien aufhielt und auch mit jenem Attentäter in Verbindung gestanden haben soll, der im April 2017 in Stockholm einen Anschlag mit einem Lastwagen verübt hatte.

Ein weiterer Kontakt der angehenden Attentäter in Deutschland bestand offenbar nach Afghanistan. In einer Chatgruppe über die App Zello kommunizierte der Rädelsführer der Tadschiken-Zelle mit einem ranghohen Mitglied des afghanischen IS-Ablegers, bei dem es sich um einen ebenfalls aus Tadschikistan stammenden Prediger handeln soll, der den Islamisten geraten haben soll, bestimmte Strukturen aufzubauen, einen „Emir“ zu ernennen, den Treueeid auf den „IS-Kalifen“ abzulegen und konspirativ mit den Anschlagsplanungen fortzufahren.

Solchen „angeleiteten Terrorismus“ etwa per Handychat gab es früher häufiger aus Syrien, Irak oder Nordafrika heraus – mit teils verheerenden Folgen. So wurde etwa der Attentäter vom Anschlag auf den Weihnachtsmarkt am Berliner Breitscheidplatz mutmaßlich aus Libyen heraus von einem IS-Kontaktmann angeleitet. Ebenso standen islamistische Täter in Frankreich oder Belgien über digitale Kommunikationskanäle in Kontakt mit IS-Kadern in Syrien.

Oftmals waren die Terrorinstrukteure allerdings Dschihadisten, die selbst aus Europa stammten und dann aus den Kriegs- und Konfliktgebieten heraus über Messengerdienste wie Telegram oder WhatsApp in den islamistischen Milieus der Heimatländer nach willigen Rekruten suchten.

Das „IS-Kalifat“ in Syrien und Irak hatte einige tausend Islamisten aus Europa und anderen Teilen der Welt angezogen. Der Ableger in Afghanistan hat bislang keine vergleichbare Anziehungskraft entwickelt. Unter den Ausländern sollen es vor allem Islamisten aus dem Kaukasus, aus den zentralasiatischen Republiken und Südostasien sein, die sich der Gruppe angeschlossen haben. Nur vereinzelt sollen bislang westliche Dschihadisten aufgetaucht sein, darunter wohl einige IS-Anhänger, die zuvor in Syrien gelebt hatten. 

Im Februar wurde in den USA ein gebürtiger Iraker aus Ohio zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt, der geplant haben soll, sich IS-K anzuschließen. Der Islamist wollte offenbar im Oktober 2018 über Kasachstan nach Afghanistan reisen, wurde jedoch noch am Flughafen vom FBI festgenommen.

Aus Deutschland sind nur sehr wenige Ausreisen von behördenbekannten Islamisten in Richtung Afghanistan registriert worden. Vor einigen Jahren machte sich etwa eine Gruppe junger Extremisten aus Hessen auf den Weg, allerdings sollen diese Personen im Iran von Sicherheitskräften festgenommen und später zurück nach Deutschland geschickt worden sein. Ein junger Mann aus dieser Reisegruppe kam wohl in iranischer Haft ums Leben.

Die Aktivitäten des Terrorgruppe IS in Afghanistan sorgen bereits dafür, dass die USA trotz des militärischen Rückzugs aus dem Land auch weiterhin Anti-Terror-Maßnahmen durchführen, und zwar in sogenannten „Over-the-Horizon“-Operationen, bei denen entweder Kampfflugzeuge, Drohnen oder Kommandoeinheiten zum Einsatz kommen, die eingeflogen werden.

Zwei Mal, so teilte General Michael Kurilla den US-Abgeordneten bei seiner Anhörung in der vergangenen Woche mit, habe das US-Militär seit der Machtübernahme der Taliban im August 2021 bereits nicht-tödlichen Einsätze durchgeführt, um terroristische Planungen zu verhindern. Auch gegen IS-Terroristen sei man bereits erfolgreich vorgegangen. Details wollte Kurilla in der öffentlichen Sitzung nicht nennen.

Kommentar verfassen

Bitte logge dich mit einer dieser Methoden ein, um deinen Kommentar zu veröffentlichen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..