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Osama und die Deutschen

Vor zehn Jahren wurde der Al-Qaida-Anführer Osama Bin Laden durch eine US-Spezialeinheit in einer Villa in Pakistan getötet. In seinem Versteck fanden sich Unterlagen, die bestätigten: Das Terrornetzwerk plante damals Anschläge in Deutschland. Ein Rückblick.

von Florian Flade

Handschriftliches Notizbuch von Osama Bin Laden, gefunden in Abbottabad, Mai 2011

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Es sollte so schnell wie möglich ablaufen. Aus dem Hubschrauber abseilen, in das Gebäude eindringen, die Zielperson, Codename „Geronimo“, identifizieren und töten – und schnell wieder raus. Eine halbe Stunde war für den Einsatz eingeplant gewesen, am Ende soll es rund 48 Minuten gedauert haben bis das Team Six der US-Spezialeinheit Navy SEALs das Anwesen im pakistanischen Abbottabad wieder verlassen hatte. Ihr Ziel, Osama Bin Laden, den meistgesuchten Terroristen der Welt zu töten, hatten die amerikanischen Elitesoldaten schnell erledigt. Dann aber waren sie im Versteck des Al-Qaida-Anführers auf unzählige Unterlagen, Computer, USB-Sticks und Festplatten gestoßen. 

„Nehmt so viel ihr könnt!“, soll der damalige Befehlshaber der US-Spezialeinheiten, Admiral William H. McRaven, der die geheime Operation „Neptune Spear“ vom benachbarten Afghanistan aus geleitet hatte, den Soldaten über Funk angewiesen haben. Dann aber drängte die Zeit. „Ich werde ein bisschen nervös“, so der Admiral. Die Antwort: „Sir, hier ist einfach so viel Zeug. Wir packen es in Müllsäcke.“ Als die Soldaten schließlich wieder mit den Hubschraubern in den Nachthimmel verschwanden und auf die US-Militärbasis nach Afghanistan zurückflogen, hatten sie nicht nur die Leichnam von Osama Bin Laden dabei, sondern auch Säcke und Taschen voller Datenträger, Aktenordner, Notizbücher und Zettel. 

Was das US-Kommando am 02. Mai 2011 aus dem Versteck von Osama Bin Laden im Norden Pakistans herausgeholt hatte, erwies sich als eine Schatztruhe für die Geheimdienste. Das Material aus Abbottabad lieferte tiefe Einblicke in das Innenleben des Terrornetzwerkes Al-Qaida. Durch die Unterlagen, Fotos, Videos und handschriftlichen Aufzeichnungen und Briefe wurde deutlich, dass Bin Laden bis zu seinem Tod eine wesentlich aktivere Rolle bei der Planung und Steuerung von Terroranschlägen und auch bei der Koordinierung der einzelnen Ableger seines Netzwerkes spielte, als viele Geheimdienstler und Experten vermutet hatten. Auch über die Bemühungen seiner Handlanger, Attentate in Deutschland zu organisieren, wusste Bin Laden erstaunlich viel.

Die „Abbottabad Files“

In den Jahren nach der Tötung des Top-Terroristen werteten die CIA und das FBI das umfangreiche Material aus. Ein Teil wurde nach und nach der Öffentlichkeit zugänglich, die Dokumente übersetzt ins Englische. Noch bevor die „Abbottabad Files“ allerdings online gestellt wurden, teilten die US-Behörden ihren Datenschatz auch mit europäischen Partnerdiensten. Schließlich bestand die Möglichkeit, dass sich darin Hinweise auf bevorstehende Anschläge oder noch unentdeckte Terrorzellen befinden – was tatsächlich der Fall war.

Einige Dokumente aus Bin Ladens Versteck hatten Bezüge zu Deutschland. Der Al-Qaida-Führer, seine Terrorplaner und Strategen beschäftigte sich offensichtlich mit der Bundesrepublik als Anschlagsziel. Sie analysierten, wie Propagandavideos mit Drohungen gegen Deutschland hierzulande wahrgenommen wurden. Ein Brief aus Abbottabad legt nahe, dass Bin Laden durchaus konkret von Terrorplänen und sogar von einem der ausgewählten Attentäter wusste. Ein weiteres Dokument liefert zudem Hinweise darauf, dass für deutsche Geiseln möglicherweise Lösegeld an Al-Qaida gezahlt worden war.

Deutsche Sicherheitsbehörden sahen ihre damalige Einschätzung durch die Informationen aus dem Abbottabad-Fundus bestätigt: Al-Qaida hatte sich offensichtlich ab 2009 intensiv damit beschäftigt, Terroranschläge in Deutschland zu verüben. Die Planungsebene des Netzwerkes hatte nach geeigneten Rekruten gesucht und bereits einige potentielle Terroristen ausgebildet und zurück in die Bundesrepublik geschickt. Manche scheiterten früh, wurden bereits bei der Rückreise festgenommen, andere kamen einem erfolgreichen Anschlag erschreckend nahe.

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Zahlte die Bundesregierung Lösegeld an Al-Qaida?

von Florian Flade

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Jemenitischer Al-Qaida-Anführer „Abu Basir“

Das Datum war sicher kein Zufall. Am 19. Januar, einen Tag vor der Amtseinführung von Donald Trump, gab das Büro des US-Geheimdienstkoordinators James Clapper eine überraschende Veröffentlichung bekannt: 98 Dokumente aus dem Versteck des getöteten Al-Qaida-Führers Osama Bin Laden wurden ins Netz gestellt. „Closing the Book on bin Laden“, ließ Clapper verlauten. Soll heißen: Es sind vermutlich die letzten Schriftstücke des Top-Terroristen, die an die Öffentlichkeit gelangen werden.

Mehr als 1 Million Dateien, Notizen, Bücher und Aktenordner sollen in Bin Ladens Villa im pakistanischen Abbottabad im Mai 2011 von US-Spezialeinheiten erbeutet worden sein. Die Unterlagen, die sich auf Computern, DVDs, USB-Sticks und Festplatten befanden, wurden von der CIA jahrelang ausgewertet. Ein kleiner Teil – rund 620 Dokumente – wurde schrittweise öffentlich gemacht. Es handelt sich dabei vor allem um Strategie-Papiere, teils unveröffentliche Reden und Briefwechsel zwischen dem Al-Qaida-Chef und seinen Statthaltern im Nahen und Mittleren Osten.

Einer dieser Briefe liefert bislang unbekannte Einblicke in die Geiselnahme einer deutschen Familie im Jemen. Das Schriftstück legt zudem nahe, dass in dem Fall wohl Lösegeld an Al-Qaida gezahlt wurde.

Im Juni 2009 waren Johannes und Sabine H., die für eine christliche Hilfsorganisation arbeiteten, mit ihren Kindern Anna, Lydia und dem damals einjährigen Sohn Simon im Norden des Jemen verschleppt worden. Die Familie aus Sachsen war gemeinsam mit zwei Bibel-Schülerinnen aus Nordrhein-Westfalen, einer koreanischen Lehrerin und einem britischen Ingenieur auf dem Rückweg von einem Ausflug in ein Wadi nahe der jemenitischen Stadt Saada.

Nur wenige Tage nachdem die Reisegruppe verschwand, fanden jemenitische Sicherheitskräfte in einem ausgetrockneten Flussbett die Leichen der beiden deutschen Bibel-Schülerinnen und der Südkoreanerin. Offenbar hatten die Geiselnehmer die Frauen erschossen.

Die sächsische Familie H. blieb monatelang verschwunden. Wer sie entführt hatte, war lange unklar. Zuerst hieß es, lokale Stämme seien für die Verschleppung verantwortlich. Dann wurde berichtet, Al-Qaida stecke dahinter. Es folgten Gerüchte über Lösegeld-Forderungen in Millionen-Höhe. Den Krisenstab in Berlin erreichten außerdem mindestens zwei Geisel-Videos. Darin zu sehen war das Ehepaar H. mit ihren offensichtlich erschöpften, und gesundheitlich angeschlagenen Kindern.

Im Mai 2010, rund ein Jahr nach ihrem Verschwinden, kam schließlich die Meldung: Die entführten Mädchen Anna und Lydia sind frei. Saudi-arabische Sicherheitskräfte sollen die beiden Kinder im Nordjemen befreit haben. Es sei keine militärische Befreiungsaktion gewesen, sondern eine „Rettungsaktion“, betonte der saudische Innenminister Mansur Turki. In anderen Berichten hieß es, die Mädchen seien von jemenitischen Stammesleuten an die saudischen Vermittler „übergeben“ worden.

Ein zweiseitiges Schriftstück aus Osama Bin Ladens Versteck in Abbottabad lässt vermuten, dass die Freilassung der deutschen Kinder wohl gegen Lösegeld erfolgt ist. Es ist ein Brief des jemenitischen Al-Qaida-Chefs Nasir al-Wuhayshi („Abu Basir“) an den Al-Qaida-Militärchef Jamal Ibrahim al-Misrati („Atiyah Abd al-Rahman al-Libi“), datiert auf den 08. Juni 2010.

„Ich war so erfreut, deinen Brief zu erhalten“, beginnt der Emir der Al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel (AQAP) sein Schreiben. „Ich habe nachfolgend einige wichtige Botschaften.“ Al-Wuhayshi berichtet über Kontakte zu somalischen Dschihadisten und über deren Wunsch sich Al-Qaida anzuschließen. Dann geht es um eine Geiselnahme.

„Vor ungefähr einem Jahr haben wir neun Christen entführt, darunter Deutsche, einen Briten und eine Koreanerin. Die Brüder haben drei Frauen getötet. Dann haben sich eine Frau und ihr Ehemann gewehrt und sie wurden gemeinsam mit dem Briten getötet. Die drei Kinder blieben ein Jahr lang bei uns. Wir haben versucht, dich zu kontaktieren. Ohne Erfolg. Das Kind starb vor rund zwei Wochen und wir haben die verbliebenen zwei Kinder gegen ein kleines Lösegeld ausgetauscht. Wir waren nicht erfahren mit Geiselnahmen (…) Wir hatten außerdem kein gutes Versteck und daher konnten wir die Entführung nicht so ausnutzen, wie wir es hätten machen sollen (…) Das ist die Zusammenfassung der Entführung der Evangelikalen.“

Die Details zur Geiselnahme, die der jemenitische Al-Qaida-Chef in seinem Brief erwähnt, decken sich weitestgehend mit den bereits bekannten Informationen. Über Lösegeld war bislang allerdings nur spekuliert worden.

Im September 2014 hatten Angehörige der Familie H. eine Mitteilung des Auswärtigen Amtes erhalten. „Gemäß hier vorliegendem zuverlässigen nachrichtendienstlichen Aufkommen wurden Johannes, Sabine und Simon H. im Verlauf ihrer Entführung im Jemen getötet bzw. verstarben“, hieß es darin. Das „nachrichtendienstliche Aufkommen“ war wohl jener Brief aus dem Jemen, der im Bin Laden Versteck in Pakistan gefunden wurde.

Die beiden Mädchen Anna und Lydia kamen nach ihrer Freilassung zunächst in die Obhut von  saudi-arabischen Sicherheitskräften und dann wieder nach Deutschland. Sie sprachen nach elfmonatiger Geiselhaft fließend Arabisch und hatten offenbar von den Entführern auch neue Namen erhalten.

Zu Lösegeld, das an die Al-Qaida-Terroristen geflossen sein soll, will sich das deutsche Außenministerium derweil nicht äußern. Auf Nachfrage heißt es: „Die Bundesregierung äußert sich grundsätzlich nicht zu Entführungsfällen und Geiselnahmen deutscher Staatsangehöriger im Ausland.“

Abbottabad und die Düsseldorfer Zelle

von Florian Flade

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„Schatztruhe“,  so nannte die CIA all jene Festplatten, USB-Sticks, DVDs und Dokumente, auf die die „Navy Seals“  bei der nächtlichen Kommandoaktion in Osama Bin Ladens Versteck im pakistanischen Abbottabad stießen. Die Elitesoldaten mussten in jener Nacht innerhalb kürzester Zeit faktisch das Büro des Al-Qaida-Führers konfiszieren.

So viel sie tragen konnten, schleppten sie in die wartenden Hubschrauber. Jede Datei, jedes Blatt Papier könnten schließlich einen Teil der Geschichte Al-Qaidas beschreiben, der bislang unbekannt ist. Terrorpläne, Namen von Geldgebern, Finanzierungssysteme, Helfernetzwerke – all das, so die Hoffnung der CIA, könnte der Berg an Terrabyte enthalten.

Und tatsächlich war zwischen all den Propagandaschriften, den Medienberichten, den Ansprachen des Terrorchefs, Foto- und Videodateien, brauchbares Material zu finden. Bislang unbekannte Korrespondenzen zwischen Bin Laden und seinen Kommandeuren. Briefwechsel, Ideenaustausch und Planungsskizzen, die Al-Qaidas globale Strategie im Detail darlegen.

Mein Kollege Yassin Musharbash von der ZEIT berichtet in einem sehr lesenswerten Stück in der aktuellen Ausgabe der Wochenzeitung über einen 17-seitigen Brief des Al-Qaida-Kommandeurs Sheikh Yunis al-Mauretani an Osama Bin Laden. Das Dokument vom März 2010 liefert tiefe Einblicke in das Innenleben des Terrornetzwerkes. Mauretanis Schreiben dokumentiert den Willen Al-Qaidas zu einer weltweiten Terrorkampagne gegen den Westen und dessen Interessen in der arabischen Welt.

Die Fantasie des Mauretaniers scheint schier grenzenlos: von Infiltration, Sabotage auf hoher See bis zur der Entsendung von Terrorkommandos schrieb er in dem Brief an Bin Laden. Aufgetaucht ist das Dokument am Rande des Prozesses gegen die „Düsseldorfer Zelle“. Vier Islamisten stehen derzeit vor dem Düsseldorfer Oberlandesgericht und müssen sich verantworten, Terroranschläge in Deutschland geplant zu haben.

Als juristische Hilfe entsandten die USA den Mauretani-Brief vor kurzem an das Bundesministerium der Justiz. Dies geschah aus einem brisanten Grund: das Dokument erwähnt einen marokkanischen Terrorrekruten und dessen Geburtsdatum. Die Angaben passen überraschend präzise auf den in Düsseldorf angeklagten Kopf der Terrorzelle, Abdeladim el-K..

Ich hatte im August 2011 von einem Brief berichtet, der in Bin Ladens Versteck in Abbottabad gefunden worden war. Meine Quelle berichtete mir damals, das Dokument sei ein nicht fertig gestellter Brief Osama Bin Ladens. Darin erwähne der Terrorchef den im April 2011 in Düsseldorf festgenommenen Marokkaner El-K. namentlich. Offenbar war dies so nicht korrekt. Den Hinweis auf die Erwähnung El-K.s jedoch gab es, wie das jetzt nach Deutschland entsandte Dokument beweist.

Dass die USA etwas in Abbottabad gefunden hatten, was auf Abdeladim el-K. hindeutete, war schon früh klar. El-K. ist nicht der einzige mutmaßliche Islamist aus Deutschland, der in den Ausbildungslagern der Al-Qaida in Pakistan gedrillt wurde. Auch der Frankfurter Deutsch-Syrer Rami M. und der Hamburger Deutsch-Afghane Ahmad Wali S. waren 2009 bis 2010 in den Terrorschulen Waziristans. Beide wurden festgenommen und in Deutschland zu Haftstrafen verurteilt.

Im Gegensatz jedoch zu Rami M. und Ahmad Wali S. klagte die Staatsanwaltschaft New York den Marokkaner Abdeladim el-K. wegen mutmaßlicher Unterstützung der Al-Qaida an. Zwischen November 2009 und April 2011 habe El-K. das Terrornetzwerk unterstützt, heißt es in der kurzen Anklage aus dem November 2011. Die US-Behörden nennen auch den arabischen Kampfnamen des Terrorverdächtigen – „Abi al-Barra“.

Warum sollte die US-Justiz ein derart starkes Interesse an Abdeladim El-K. haben, nicht aber den anderen Mitgliedern der „Düsseldorfer Zelle“ oder den anderen Al-Qaida-Mitgliedern Rami M. oder Ahmad S.?

Die Antwort dürfte womöglich das in Abbottabad gefundene Papier sein. Von Seiten der US-Justiz gibt es dazu keine weiteren Informationen. Man verweist auf das kurze Anklage-Papier.

Der Anwalt von Abdeladim el-K. zweifelt übrigens die Echtheit des Mauretani-Briefes an. Er habe „grundsätzliche Zweifel“ an der Authentizität, sagte Johannes Pausch der ZEIT. Al-Qaida würde wohl kaum derart sorglos mit sensiblen Daten von Terrorrekruten umgehen.

Heute sollen drei Mitarbeiter des FBI in Düsseldorf vor Gericht zur Herkunft des Dokumentes aussagen.