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Neue Lügen und alte Strategien

Russlands Propaganda und Desinformation stellt westliche Gesellschaften zunehmend vor Herausforderungen. Mit Lügen, Halbwahrheiten und Manipulationen will der Kreml die Grundfesten der Demokratien angreifen. Dabei setzen Putins Trolle auf altbekannte Methoden und Strategien, wie BND-Analysen zeigen.

Von Florian Flade

Jede Woche kommt im Bundesinnenministerium eine ungewöhnliche Arbeitsgruppe zusammen. Schon seit mehreren Jahren tagt sie, in der Öffentlichkeit spielte die Runde bislang jedoch kaum eine Rolle. Die Männer und Frauen stammen aus unterschiedlichen Ministerien und Behörden. Aus dem Auswärtigen Amt, dem Kanzleramt, dem Bundespresseamt, Verfassungsschutz und dem Bundesnachrichtendienst (BND). Mit dabei sind Politologen und Soziologen, Diplomaten und Geheimdienstler.

Ihre Aufgabe ist es, Gefahren zu erkennen. Es geht dabei nicht um Terroranschläge oder Hackerangriffe, sondern um eine Bedrohung, die wesentlich leiser und subtiler daherkommt, aber mitunter gravierendere Schäden verursachen kann als eine Bombe oder ein Computervirus. Im Fokus stehen Propaganda-Aktivitäten und Desinformationskampagnen – vor allem aus Russland.

Die Arbeitsgruppe (AG) „Hybrid“ beschäftigt sich mit hybriden Bedrohungen, mit Lügen und Halbwahrheiten, Verzerrungen der Realität und Manipulationen, die von fremden Staaten gezielt eingesetzt werden, um die Stimmung in der Gesellschaft hierzulande zu verändern und somit Einfluss auf die politischen Prozesse zu nehmen. Letztendlich geht es um nichts geringeres als den Schutz der wohl kritischsten aller kritischen Infrastrukturen: Der Demokratie.

Der Krieg gegen die Ukraine geht einher mit einer massiven Flut an Propaganda und Falschinformationen, die durch den Kreml, seine offiziellen Sprachrohre und zahlreichen Unterstützer verbreitet werden. Und zwar über russische Medien, insbesondere aber über soziale Netzwerke, Youtuber, Telegramer und andere Einflussagenten, die bestimmte Narrative der russischen Führung in der westlichen Öffentlichkeit platzieren sollen.

Gerade erst hat eine Recherche von t-online aufgedeckt, dass offenbar aktuell eine umfangreiche pro-russische Fake-News-Offensive in sozialen Medien mit Fokus auf Deutschland stattfindet. Zum Einsatz kommen gefälschte Webseiten, die deutschen Nachrichtenportalen zum Verwechseln ähnlich sehen, und deren Beiträge vor allem bei Facebook verbreitet werden. Maßgeblich daran beteiligt sind Nutzerkonten, die vorgeben, es handele sich um Mitarbeiterinnen von Netflix.

Während es Putins Trollen und Propagandisten anfangs primär darum ging, den Mythos einer angeblichen zeitlich und räumlich begrenzten Anti-Terror-Operation in der Ukraine zu verbreiten und den Eindruck einer angeblichen „Russophobie“ in Europa zu verstärken, werden mittlerweile unzählige kleine und große Lügen und Verzerrungen zum Krieg gestreut. Und nach Ansicht der deutschen Sicherheitsbehörden könnte die Desinformation in den kommenden Monaten angesichts der drohenden Energiekrise in Europa noch weiter zunehmen.

Der Kreml weiß um die gesellschaftlichen Spannungen und Konflikte, die durch steigende Energiepreise befeuert werden können. Schon gibt es erste Warnungen vor Volksaufständen und Protesten, vor einem „heißen Herbst“ oder „Wut-Winter“. Putins Propagandisten nutzen daher die Chance, bestimmte Narrative zu verbreiten: Die Wirtschaftssanktionen seien wirkungslos und träfen den Westen mehr als Russland. Zudem gehe die Energiewende, die Lossagung von fossilen Energien, mit zu hohen finanziellen Belastungen einher, die gesellschaftlich nicht zu tragen seien. Und die durch Lebensmittelknappheit ausgelöste Hungersnot in Afrika – und damit wieder verstärkte Fluchtbewegung nach Europa – sei ausschließlich zurückzuführen auf die westliche Sanktionspolitik.

Moskaus Propaganda, so lautet eine Binse aus dem Kalten Krieg, soll nicht überzeugen, sondern vor allem verwirren. Sie zielt darauf ab, dass an eigenen Überzeugungen gezweifelt und diese schließlich verworfen werden. Es geht darum, dass man Unsicherheiten verspürt und die grundlegenden Fakten in Frage stellt. Der Eindruck soll vermittelt werden, dass es eben nicht „die eine Wahrheit“ gebe, sondern ganz unterschiedliche Versionen. So dass letztendlich die Tatsachen und die Realität nicht mehr klar erkennbar scheinen. Beim Gegenüber soll sich die Überzeugung verfestigt: Wer weiß schon, was stimmt und was nicht?

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