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Der Prediger „Abu al-Mujtaba“ und seine Schüler

von Florian Flade

Quelle: Youtube

Sami A. – Prediger, Ideologe, Bin Laden-Bodyguard?

Eine Wiese im Stadtpark Bochum vor einigen Jahren. Eine Gruppe muslimischer Männer sitzt auf dem Boden. Einige mit Bart, andere rasiert. Die meisten in westlicher Kleidung, kaum jemand in islamischem Gewand oder mit Gebetsmütze. Sie lauschen einer Predigt, einem „aufrichtigen Ratschlag“, zum heiligen Fastenmonat Ramadan. Der Mann der zu den Gläubigen spricht heißt Sami A.. Seine Anhänger nennen ihn „Abu al-Mujtaba“.

Sami A. gehört zu den weniger bekannten Islamisten der Bundesrepublik. Er meidet öffentliche Auftritte im Format eines Pierre Vogel oder Ibrahim Abou Nagie, verfügt über keine eigenen Webseiten. Videopredigten von ihm sind rar. A. hält sich bewusst zurück. Sein Wirkungskreis ist das Ruhrgebiet, insbesondere Bochum. Hier schart der gebürtige Tunesier seit Jahren junge Männer um sich, die seiner konservativen Islam-Auslegung anhängen. Deutsche Sicherheitsbehörden beobachten Sami A. bereits seit Jahren. Sie halten ihn für einen Durchlauferhitzer. Der 37-jährige Salafist gilt als Radikalisierungsfaktor, als jemand der den geistigen Nährboden für Dschihad-Terror schafft.

In der vergangenen Woche ist viel berichtet worden über den Bochumer Salafisten und seine Al-Qaida-Vergangenheit. Das mediale Interesse an Sami A. ist gigantisch geworden. Dabei wird allzu häufig Hören-Sagen und Mythos zum Faktum verklärt. Die Schlagzeilen lauten „Bin Ladens Leibwächter lebt in Bochum“ oder „Bin Ladens Ex-Bodyguard soll in Bochum Terrorhelfer rekrutieren“. Was aber ist dran an den Geschichten rund um Sami A.?

Fakt ist: der in El-Hamma im Süden Tunesiens geborene Prediger kam 1997 als Student nach Deutschland. In Krefeld studiert Sami A. zunächst Textiltechnik, dann technische Informatik. Bereits damals soll er in salafistischen Kreisen in Nordrhein-Westfalen verkehrt haben. Wie in den Ermittlungen nach dem 11.September 2001 klar wurde, verfügte Sami A. offenbar schon in den 90er Jahren über Kontakte zu Al-Qaida. Den Sicherheitsbehörden liegen Erkenntnisse darüber vor, dass A. tatsächlich im Dezember 1999 nach Afghanistan reiste und dort mit unterschiedlichen Al-Qaida-Kadern in Kontakt trat.

Zunächst soll sich Sami A., so haben die Nachrichtendienste rekonstruiert, in einem Al-Qaida-Gästehaus in Kandahar aufgehalten haben. Anschließend folgte ein mehrwöchiger Aufenthalt mit paramilitärischer Ausbildung im Trainingslager „Al-Faruk“. In einem Vermerk des Staatsschutzes heißt es, in der islamistischen Szene werde berichtet, Sami A. sei nach der Terrorausbildung in die Leibgarde von Osama Bin Laden aufgenommen worden. Aus Sicht der Sicherheitsbehörden handelt es sich hierbei um Gerüchte.

„Wir können nicht bestätigen, dass Herr A. tatsächlich ein Leibwächter von Bin Laden war“, sagte mir ein ranghoher Vertreter der deutschen Sicherheitsbehörden, „Nicht jeder, der mal in der Nähe von Bin Laden eine Waffe getragen hatte, war auch sein Bodyguard. Bin Laden hat diese Camps öfter besucht. Vielleicht auch als Sami A. dort war.“

Fest steht, dass der Tunesier nach seiner Ausbildung im Al-Qaida-Lager noch weitere Monate in Afghanistan verbrachte, bevor er Mitte 2000 nach Deutschland zurückkehrte. Der Aufenthalt in einem islamistischen Guerilla-Camp war damals nach deutschem Recht kein Straftatbestand, wie er es heute ist. Sami A. konnte daher ungehindert wieder in die Bundesrepublik einreisen und wurde nicht als terroristische Gefahr betrachtet.

Die Stadt Köln verweigerte A. im Jahr 2004 die Aufenthaltsbewilligung weshalb er im Folgejahr nach Bochum umzog. Heute hat er mit seiner deutschen Ehefrau drei gemeinsame Kinder und lebt in der Stahlhauser- Straße im Zentrum von Bochum.

Nach seiner Rückkehr aus Afghanistan betätigte sich Sami A. als Prediger in den Moschee-Gemeinden im Ruhrgebiet. In Bochum verkehrte er häufig in der „Khalid Moschee“ beim Uni-Center und in den Gebetsräumen der „Islamischen Gemeinde e.V.“ an der Dibergstraße. Mittlerweile hat ihm der Moschee-Vorstand ein Hausverbot erteilt. Der Grund: Sami A. predige nicht wie üblich auf Deutsch oder Türkisch sondern auf Arabisch. Die Predigten würden von vielen Leuten nicht verstanden. Es gebe falsche Angaben über den Inhalt seiner Reden.

Diejenigen Predigten, die von Sami A. alias „Abu al-Mujtaba“ bekannt sind, lassen keinen Zweifel darüber zu, dass der Tunesier zu den Vertretern des radikalen Salafismus zählt. Sein Islam-Bild, so analysiert der Verfassungsschutz, liefert ideologisches Rüstzeug für Extremisten. „Sami A. ist ein Ideologe, der einen gewissen Einfluss auf junge Muslime in seiner Umgebung ausübt“, sagt ein Nachrichtendienstler, „Er ist ein radikaler Prediger, aber kein Terror-Logistiker.“

Und dennoch pflegte Sami A. in der Vergangenheit Kontakte zu späteren Terroristen. Zum Beispiel zu Amid C. und Halil S.. Beide Männer stehen derzeit Düsseldorf vor Gericht. Sie sollen Teil der Düsseldorfer Al-Qaida-Zelle sein, die im Frühjahr 2011 einen spektakulären Bombenanschlag in Deutschland plante. Der Deutsch-Iraner Amid C. besuchte seit 2007 häufig die Bochumer Moscheen, in denen Sami A. predigte. Einst war C. ein begeisterter Boxsportler. Er war Mitglied im „Deutschen Box Verband“  und nahm an Amateurkämpfen teil. Seine Familie ist eher westlich geprägt, von religiösem Extremismus keine Spur. Doch für Amid wurde der Islam mehr und mehr zum Lebensinhalt. Dies offenbar auch, nachdem er die Predigten von Sami A. gehört hatte.

Im Alter von 16 Jahren wandelte Amid C. seinen Lebensstil geradezu radikal. Er beendete seine Boxkarriere, ließ sich einen Bart stehen und trug fortan lange Gewänder. Zusammen mit Said B., einem ebenfalls Kampfsport-begeisterten Freund aus der Nachbarschaft, verschwand Amid im November 2009. Weder seine Eltern noch Freunden hatte er informiert. In der Schule fehlte er unentschuldigt. Amid C. reiste in den Iran. Doch die Heimat seiner Eltern sollte nur Zwischenstation sein auf dem Weg in ein Terrorcamp der Al-Qaida in Pakistan. Aus irgendeinem Grund aber brach Amid C. die Reise in den Dschihad frühzeitig ab. Von Meschad aus reiste er zurück nach Bochum. Sein Freund Said B. schaffte es bis nach Waziristan und wurde ein islamistischer Gotteskrieger.

Für Amid C. war die Rückkehr nach Deutschland kein Grund, dem radikalen Islam abzuschwören. Die Sicherheitsbehörden hatten von seinem Verschwinden nichts bemerkt. Für sie war C. nur einer von vielen jungen Männern die im Dunstkreis von Sami A. verkehrten. Genau wie Halil S..

Der Islamist aus Gelsenkirchen war Student der Universität Bochum. In den örtlichen Moscheen radikalisierte er sich und lernte dabei nicht nur den Amateurboxer und späteren Gymnasiasten Amid C. sondern auch den Prediger Sami A. kennen. Wie eng das Verhältnis zu A. war, ist kaum zu rekonstruieren. Aus Sicht der Bundesanwaltschaft vertieften jedoch sowohl Halil S. als auch Amid C. ihren Glauben durch den Kontakt zu Sami A..

Am 29.April 2011 wurde Amid C. und seine Komplizen Abdeladim el-K. und Jamil S. festgenommen. Es war der entscheidende Schlag gegen die „Düsseldorfer Al-Qaida-Zelle“. Monate später, am 8.Dezember 2011, gelang es den Sicherheitsbehörden auch Halil S. zu schnappen. Er war nach dem Auffliegen der Zelle untergetaucht. Unter falschem Namen lebte er in einem Bochumer Studentenwohnheim und, so glauben die Ermittler, wollte die Anschlagspläne seiner Glaubensbrüder fortsetzen.

Bei der Sichtung der beschlagnahmten Aservate stellten die Ermittler fest, dass es wohl eine recht enge Verbindung von Halil S. zum Prediger Sami A. gab. Auf dem Handy des Terrorverdächtigen S. fand sich eine Telefonnummer, die unter dem Namen „Abu Mujtaba“ abgespeichert war. Der islamische Name von Sami A.. Hatte Sami A. die „Düsseldorfer Zelle“ ideologisch beraten? Hatte er gar die Mitglieder der Terrorzelle rekrutiert?

Nein, sagen die Ermittler. Für derartige Behauptungen gebe es bislang keine Beweise. Gesichert sei allerdings dass sowohl Amid C. als auch Halil S. und der Kopf der Terrorzelle, Abdeladim el-K., den Bochumer Prediger kannten.

Da die Behörden schon vor Jahren um die radikalisierenden Einfluss des tunesischen Predigers wussten, wurden bereits 2005 Ermittlungen gegen Sami A. eingeleitet. Die Bundesanwaltschaft stützte sich auf den Verdacht der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung. Letztendlich aber reichten die Hinweise nicht aus für eine Anklage. Im Zuge der Ermittlungen fand sich allerdings bei Sami A. eine höchst interessante Handyverbindung, die Jahre später für Aufsehen sorgte. Bei ihm fand sich die Handynummer von Abdeladim el-K., dem führenden Kopf der „Düsseldorfer Zelle“.

Im vergangenen Jahr scheiterte die Ausländerbehörde von Bochum in ihrem Bemühen A. abzuschieben. Sami A. ist mit einer Deutschen verheiratet, hat mir ihr Kinder. Eine Abschiebung in seine Heimat Tunesien gilt als kaum möglich. Zumal dem bekennenden Salafisten in dem nordafrikanischen Land wohl Folter und Gefängnis drohen würde. Sami A. legte deshalb Rechtsmittel gegen die Abschiebeandrohung ein.

Zudem sei nicht ausreichend dargelegt worden, entschied das Gericht im März 2011, welche Gefahr tatsächlich von Sami A. ausgeht. Nun muss das Oberverwaltungsgericht in Münster über eine Berufung in dem Verfahren gegen Sami A. entscheiden.

Bis dahin muss sich der Salafist aufgrund einer Behördenauflage weiterhin regelmäßig bei der örtlichen Polizeistelle melden. In den vergangenen Tagen blieben die Besuche von A. bei den Beamten, meist mit dem Motorroller, allerdings aus. Möglicherweise, so heißt es, sei das mediale Interesse an seiner Person derart groß, dass er nur unter großer Belastung den täglichen Weg zur Polizei unternehmen könne.

„Wir werden Helden“

von Florian Flade

Es ist der 7. April 2011, 23.14 Uhr, als in der Wohnung in der Düsseldorfer Witzelstraße die entscheidenden Sätze fallen. „Die Deutschen sind Eindringlinge. Wir sind Helden. Wir werden Vorbilder für andere.“ Das BKA hört mit, als der Marokkaner Abdeladim El-K. diese Worte ausspricht. Als wenig später die Rede davon ist, es „an einer Bushaltestelle zu machen“, greift die Staatsmacht zu. Am 29.April 2011 werden El-K. und seine Mitstreiter von GSG9-Polizisten festgenommen. Sie sollten für al-Qaida in Deutschland morden.

An diesem Mittwoch beginnt vor dem Düsseldorfer Oberlandesgericht der Prozess gegen die sogenannte „Düsseldorfer Al-Qaida-Zelle“. Ihnen wird vorgeworfen, Terroranschläge mit Splitterbomben in deutschen Großstädten vorbereitet zu haben. Stolze 280 Aktenordner füllen die Ermittlungsergebnisse der Bundesanwaltschaft zu El-K. und den anderen.

Dokumente von BKA und Justiz, die vorliegen, machen deutlich: Selten entkam Deutschland einem Terroranschlag so knapp wie im Fall der Düsseldorfer Zelle. Noch nie hatten Islamisten in Deutschland direkt einen Anschlagsbefehl von der Al-Qaida-Führung in Pakistan erhalten. Und nur durch Zufall stießen die Sicherheitsbehörden auf die tödlichen Pläne des Quartetts.

Begonnen hatte die Jagd auf die Zelle im Herbst 2010. In der Bundesrepublik herrschte damals Terrorangst. Der damalige Bundesinnenminister Thomas de Maizière warnte die Bevölkerung vor möglichen Anschlägen islamistischer Fanatiker. Ein Anrufer aus dem fernen Pakistan hatte die Sicherheitsbehörden in Alarmbereitschaft versetzt.

Eine Terrorzelle der al-Qaida befinde sich bereits in Deutschland und plane Bombenanschläge, hatte der deutsche Islamist Emrah E. per Telefon gewarnt. Beim BKA und Verfassungsschutz liefen seitdem die Datenbanken heiß. Wer könnten die Terroristen sein? Sind die möglichen Attentäter vielleicht schon auf dem Radar der Sicherheitsbehörden?

Die Profile von hunderten gewaltbereiten Islamisten wurden analysiert. Am Ende blieb ein Mann im Raster hängen – der damals 30-jährige Marokkaner Abdeladim El-K.. Vieles passte: El-K. hatte ein Ausbildungslager von al-Qaida in Pakistan besucht. Jetzt war er zurück in Deutschland. War er ein islamistischer Schläfer?

Um das herauszufinden, heftete sich das BKA ab Ende November 2010 mit der Ermittlungsgruppe (EG) „Komet“ an seine Fersen und begann mit der Observation. In der von El-K. genutzten Wohnung wurden Wanzen installiert, Telefone wurden abgehört, E-Mails abgefangen, auch Überwachungssoftware wurde auf Computer und Notebooks aufgespielt. Der Islamist wurde fortan rund um die Uhr überwacht. Dabei stellten die Fahnder schnell fest: El-K. verhielt sich auffällig unauffällig.

Nur äußerst selten verließ er die Wohnung. Meist um in einem „Callshop“ im Internet zu surfen. Das tat er ungewöhnlich oft. „Callshop Hopping“, tauften die Fahnder das Verhalten heißt es in einem BKA-Protokoll. Daheim nutzte El-K. lediglich einen Computer ohne Internetanschluss. Um sein Aussehen zu verändern, wollte sich der Marokkaner zunächst die Haare färben. Dies ging schief, die Haare wurden rot. Schließlich rasierte er sie sich raspelkurz. Verließ El-K. die Wohnung, dann trug er meist ein Basecap oder gar eine Perücke. „Brad Pitt“, nannten ihn die Fahnder deshalb scherzhaft.

Hatten die Sicherheitsbehörden den richtigen aufgespürt? Einen Al-Qaida-Terroristen, der fieberhaft versuchte unsichtbar zu bleiben und auf seinen Einsatzbefehl wartete?

Abdeladim El-K. war 2001 nach Deutschland gekommen. Nach einigen Sprachkursen hatte er 2004 ein Studium der Mechatronik in Krefeld begonnen, wechselte dann 2006 an die Universität Bochum. Wohl noch zu Studienzeiten wurde El-K. zunehmend religiös. Er trug muslimische Kleidung, ließ sich einen Bart wachsen, ging immer seltener zur Uni. Im August 2009 exmatrikulierte ihn die Universität.

Drei Monate später verschwand El-K. aus Deutschland. Über den Iran setzt er sich nach Pakistan ab, um eine Terrorausbildung zu erhalten. In der Grenzregion zu Afghanistan, im Stammesgebiet Wasiristan, wurde aus dem Bochumer Studenten Abdeladim El-K. der Al-Qaida-Lehrling „Abu al-Baraa“. Deutsche Ermittler sind sich sicher, dass El-K. in Wasiristan das Bombenhandwerk gelernt hat und ranghohe Al-Qaida-Führer traf. Von ihnen, so glaubt die Staatsanwaltschaft, erhielt er einen Auftrag: in Deutschland eine Terrorzelle zu gründen und Anschläge zu planen.

Nach seiner Rückkehr nach Deutschland im Mai 2010 hielt sich El-K. konsequent an die Befehle der Al-Qaida-Führung in Pakistan. Er tat alles, so sagen Ermittler heute, um seine Anwesenheit in der Bundesrepublik zu verheimlichen. Da seine Aufenthaltserlaubnis ablief, setzte sich El-K. kurzzeitig nach Marokko ab, wo ihn der örtliche Geheimdienst auf Schritt und Tritt überwachte. Für seine Rückkehr nach Deutschland Ende 2010 besorgte er sich über einen Freund in Belgien gefälschte französische Pässe.

Anstatt eine eigene Wohnung anzumieten, zog El-K. in die seines Freundes Jamil S. im Düsseldorfer Stadtteil Bilk. Der damals 29-jährige Waziristan-Rückkehrer El-K. rekrutierte den 30-jährigen Elektriker und machte Jamil S. somit zum zweiten Mitglied der „Düsseldorfer Zelle“. Zwei weitere Bekannte stießen bald hinzu: Der Bochumer Student Halil S. und der Abiturient Amid C., den El-K. fast schon väterlich „Sohn“, nannte.

Amid C., ein vom Boxsport begeisterter Deutsch-Iraner, lebte noch bei seinen Eltern als El-K. ihn ansprach, ob er nicht ein Mudschahid, ein Gotteskrieger werden wolle. Beide kannten sich wohl von gemeinsamen Moschee-Besuchen. Zwei Jahre vor Gründung der „Düsseldorfer Zelle“, hatte C. eigenständig versucht in den Dschihad zu ziehen. Am 23.November 2009 reiste der damals 18-jährige über Istanbul ins iranische Mashad. Die Stadt im Osten des Iran ist ein beliebter Sammelpunkt für Dschihad-Reisende. In Deutschland fehlte Amid C. unentschuldigt in der Schule. Seine Eltern unterrichtete er erst, nachdem die Weiterreise nach Pakistan offenbar scheiterte. Abdeladim el-K. sollte nun Amids Wunsch nach dem Dschihad gegen die Ungläubigen erfüllen – mitten in Deutschland.

Als Kopf der Zelle hielt El-K. offenbar per Internet Kontakt zur Al-Qaida-Führung in Pakistan und prahlte mit den Ergebnissen der Anschlagsplanung. Darauf lassen arabische Dokumente schließen, die Ermittler später auf USB-Sticks sicherstellten. „Oh unser Sheikh, wir halten noch unser Versprechen, entweder Sieg oder Märtyrertum“, heißt es darin.

„Ich trainiere einige Jugendliche aus Europa, die bislang in Sachen Sicherheit sauber sind. Nach dem Ende des Trainings werde ich mit Hilfe Allahs mit dem Schlachten der Hunde anfangen.“ Wenn möglich, solle ihm der Sheikh noch ein Dokument schicken, einen „Lehrgang über Gifte“, so schrieb El-K dem Al-Qaida-Mann am 14.April 2011 um 20:53 Uhr. „Und bete für deinen Bruder im Land der Versuchungen, dass er standhaft bleibt und ein gutes Ende bekommt.“

Der Sheikh, dem El-K. wohl über ein passwortgeschütztes Islamisten-Forum verschlüsselte Nachrichten schickte, war der Libyer Jamal Ibrahim al-Misrati, besser bekannt als „Sheikh Atiyatullah“. Er galt als ranghöchster Al-Qaida-Mann in Waziristan und war Osama bin Ladens direkter Stellvertreter in den Terrorcamps. Inzwischen ist der Sheikh tot, gestorben bei einem US-Drohnenangriff im August 2011.

Während das BKA die Al-Qaida-Zelle in der Witzelstraße weiter überwachte, setzten El-K. und seine Mitstreiter die Anschlagsvorbereitungen unbeirrt fort. Sie drehten den Fernseher laut, in der Hoffnung, mögliche Überwacher könnten so nicht mithören, was sie besprachen. Ein Irrtum. Die Fahnder hatten längst Personal und Technik vor Ort, um die heiße Phase der Vorbereitungen der Zelle Ende April 2011 zu überwachen.

Sie wussten, dass die die Islamisten im Supermarkt große Mengen Grillanzünder („weiße Kohle“) kauften. Abdeladim El-K. hatte bei al-Qaida in Pakistan gelernt, dass sich daraus durch Erhitzen die Chemikalie Hexamin gewinnen lässt – ein wichtiger Bestandteil des Bombenzünders. „Dann hast du den Zünder für eine Bombe“, erklärte El-K. seinem Freund Jamil S. am 26. April 2011. „Zünder ist das wichtigste, Bombe ist einfach.“

So einfach wie al-Qaida es in den Bombenbauanleitungen beschreibt, war es dann aber doch nicht. Deutsche Grillanzünder enthalten anstatt Hexamin nur das untaugliche Paraffin. Doch das wusste die „Düsseldorfer Zelle“ augenscheinlich nicht. Selbstbewusst sprachen sie von einem „Test“, der durchgeführt werden sollte.

Ein Test mit explosiven Chemikalien in einem Mehrfamilienhaus? Das Risiko erschien den Fahndern zu groß, sie entschieden zuzugreifen. Polizisten der Eliteeinheit GSG9 stürmten am 29. April 2011 die Wohnung in der Düsseldorf und weitere Objekte in Bochum und nahmen Abdeladim El-K., Jamil S. und Amid C. fest.

Neben dem Schlafsofa in Jamil S. Wohnung fanden die Ermittler einen Laptop, zwei USB-Sticks und eine SD-Speicherkarte mit zahlreichen Dokumenten. Darauf entdeckte das BKA unter anderem eine genaue Schritt-für-Schritt-Anleitung zur Herstellung von Sprengstoffen sowie gespeicherte Nachrichten an Sheikh Atiyyatullah.

In Amid C.s Wohnung stießen die Polizisten bei der Durchsuchung auf einen handschriftlichen Zettel. „Pässe falsch“, „Tarnungsmöglichktn“, „Geld beschaffn“ stand darauf.

Das vierte Mitglied der Al-Qaida-Zelle, der gebürtige Gelsenkirchener Halil S., konnte nach dem Auffliegen des Terrorplans noch monatelang untertauchen. Für die Ermittler war der Bochumer Maschinenbau-Student ein unbekannter. Erstmals war er am 16.April 2011 zusammen mit Amid C. im konspirativen Treffpunkt der Zelle, der Wohnung von Jamil S., aufgetaucht. Im Verhör erzählte Amid C. später, dass er Halil S. seit 2008 kenne. Beide seien Mitglieder einer salafistischen Studentenbewegung gewesen.

Abdeladim El-K. hatte für den 16.April 2011 den Besuch seines „Sohnes“ (gemeint war Amid C.) und eines „Freundes“ angekündigt. Die BKA-Fahnder filmten, wie ein Mann mit rotem Pullover die Wohnung in der Witzelstraße betrat. Im Verlauf des Tages begleitete der Besucher El-K. bei einem Spaziergang. El-K. trug dabei eine Perücke. Anschließend drehten die Islamisten in ihrer Wohnung den Fernseher laut, damit Nachbarn die Gespräche nicht mithören konnten. Wer war der Unbekannte?

Das BKA vermutete, dass El-K.s Besuch an jenem Tag zum möglichen Unterstützerkreis der Zelle gehörte. Sie fanden später heraus, dass Halil S. dem Marokkaner an jenem Tag eine Liste mit 45 Namen, Bankverbindungen, Anschriften und in zwei Fällen auch Kreditkarten-Daten übergab – hilfreich für ein Leben im Untergrund. S. hatte die Daten über seinen damaligen Arbeitgeber, einen Vermittler von Mobilfunkverträgen, bezogen.

Als die Düsseldorfer Zelle aufflog, entdeckten die Ermittler den Brief von El-K. an Al-Qaida-Kommandeur Atiyatullah. Darin hatte El-K. erklärt, im Falle einer Festnahme wolle er „Brüder hinterlassen, die die Arbeit fortführen“.
Halil S. war einer dieser Brüder.

Er kaufte nur zwei Tage nach den Festnahmen in Düsseldorf und Bochum einen „Spy Wecker“ mit Kamera, der die Wohnung filmte und vor möglichen Eindringlingen warnte. Unter falschen Identitäten mietete er sich in einem Bochumer Studentenwohnheim ein, eröffnete Bankkonten,  besorgte sich zudem Computer und legte Ebay-Accounts an. Der 27-jährige S. wollte das Werk seiner Glaubensbrüder offenbar zu Ende bringen. Konspirativ strickte er einen Plan, an Geld zu kommen um mögliche Anschläge zu finanzieren.

Zu diesem Zweck knüpfte er Kontakte ins kriminelle Milieu von Schleswig-Holstein. Ohne zu wissen, dass sie es mit einem überzeugten Islamisten zu tun hatten, unterstützten einige junge Männer aus Norddeutschland Halil S. bei diversen Internet-Betrügereien. Gegen Vorkasse bot er bei Ebay teure Spiegelreflexkameras an, die er nicht besaß. Bis zu 5200 Euro soll er so ergaunert haben. Einem Freund gab Halil S. anschließend mehrere tausend Euro mit der Bitte, in Hamburg eine Waffe zu kaufen.

Für das BKA war Halil S. nur schwer greifbar. Der Student, der unter falscher Identität in einem Bochumer Wohnheim lebte, nutzte allerlei Verschlüsselungstechnik für seinen Computer. Das Gerät zu infiltrieren war für die Fahnder eine Sisyphos-Arbeit. 

So bekamen die Terrorjäger nur allmählich mit, dass Halil S. nach der Festnahme von El-K. und den anderen, Rat von höchster Terrorstelle gesucht hatte, was nun zu tun sei. Halil S. alias „Abdullah“ schrieb E-Mails an den jemenitischen Al-Qaida-Prediger Anwar al-Awlaki. Er schwärmte von Maschinengewehren und von Bombenanschlägen in Europa. Das nötige Geld, so erzählte der Islamist dem Jemeniten, bekäme er indem er die „kuffar“ betrüge.

Am 8. Dezember 2011 um 12:05 Uhr griff das BKA im Fall „Abdullah“ zu. Der letzte Mann der Düsseldorfer Zelle wurde in seiner Bude im Bochumer Studentenwohnheim festgenommen, gerade als er sich auf seinem Computer eingeloggt hatte. 

Ab Mittwoch müssen sich nun Abdeladim El-K. und seine Jünger vor dem Düsseldorfer Oberlandesgericht wegen Mitgliedschaft und Unterstützung einer terroristischen Vereinigung und wegen der Anschlagsvorbereitung verantworten. Ihr Traum vom Märtyrertum wurde nicht wahr. Der jüngste Angeklagte, der Deutsch-Iraner Amid C., scheint allerdings noch Hoffnung zu haben, ein Leben nach der Haft beginnen zu können. In der Untersuchungshaft machte er seine schriftlichen Abitur-Prüfungen – mit Erfolg. Agrarwissenschaften an der Universität Bochum wolle er studieren, sagte Amid C. den Ermittlern, ein geregeltes Leben führen.

The Fourth Man Of The „Düsseldorf Cell“

by Florian Flade

Attiyatullah al-Libi – Al-Qaida´s contact to „Düsseldorf Cell“

“We as Muslims should seek the wealth of the disbelievers as a form of jihad in the path of Allah. That would necessitate that we spend the money on the cause of jihad and not on ourselves” – now killed US-Yemeni Anwar al-Awlaki wrote in a issue of the English-language „Inspire“ magazine released by Al-Qaida in Yemen in early 2011.

In Germany, a 27 year-old student obviously felt strongly moved by Awlaki´s sanctioning of crime in the name of Allah to support the Jihad against the disbelievers. Halil S. needed money, enough money to finish with a plot he and his comrades had been planning for months.

On December 8 a police commando of the German special police unit GSG-9 raided a student´s house in the West-German city of Bochum. Halil S. was arrested in his room while he was logging onto the Internet. He is – according to German prosecution – part of the „Düsseldorf Cell“, an Al-Qaida-linked terrorist cell that was busted by German intelligence in April. The „Düsseldorf Cell“ consisted of the three men Abdeladim El-K., Amid C. and Jamil S who were all arrested in several police raids. El-K. who is considered to be the head of the „Düsseldorf Cell“ was trained in an Al-Qaida camp in Waziristan in early 2010 and was in contact with Al-Qaida ideologue Attiyatullah al-Libi.

Halil S. aka „Abdullah“ was recruited by Abdeladim El-K. and was part of a Jihadi supporter network. On April 16 Halil S. visited El-K. in his apartment in Düsseldorf. He handed him a list of 45 names, credit card accounts and passwords – information that was useful for online crimes and the financing of a terrorist attack. German intelligence agents observed the meeting in El-K.´s apartment but were unable to identify Halil S..

When the „Düsseldorf Cell“ was arrested, Halil S. decided to move on with the plot that his „Emir“ Abdeladim El-K. had planned: building a bomb and carrying out a terrorist attack in Germany. Immediately after El-K.´s arrest S. ordered a wiretap detection device and contacted common criminals living in the North of Germany.

In the city of Kiel Halil S. found what he was searching for. Florian M. and five other people from Kiel started to work with Halil S. using fake names and passports for online shopping. The group sold items via Ebay including cameras and thereby was able to raise 5.200 EUROs. According to the prosecution Florian M. and his friends from Kiel did not know about Halil S. intention and his Jihadi terrorist background. They thought they were involved in crime not terrorism.

In May Halil S. contacted the Jihadi cleric Anwar al-Awlaki located in Yemen via e-mail. The German-born Islamist told Awlaki about his plans and his desire to obtain weapons. Awlaki responded. German security officials were not willing to confirm or deny the e-mail exchange between Halil S. and Awlaki. There is no information on what Awlaki´s answers or orders to Halil S. were – but there were answers.

After months of observation and unsuccessful attempts of online searches on Halil S.´computer German authorities decided to move in and arrest the 27 year-old student.

More than 150 police officers were involved in 18 raids that took place in Düsseldorf, Herne, Gelsenkirchen, Kiel and Hamburg. Only two people were arrested: Islamist Halil S. and criminal Florian M..