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Dschihad mit dem Messer?

von Florian Flade

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Man kann nicht sagen, dass man nicht vorbereitet war. Am Mittwoch erst hatte Berlins Polizei den Ernstfall geprobt. Der Parkplatz des Polizeigeländes an der Charlottenburger Chaussee wurde für mehrere Stunden zum Tatort. Blutverschmierte Leichen von Polizisten lagen herum, ein zerschossener schwarzer Mercedes. Eine Szene wie aus einem Horrorfilm. „Übung terroristische Anschlagslage“, so der Titel des ungewöhnlichen Aktion.

Ziel war es, das Attentat eines islamistischen Killerkommandos in der Hauptstadt zu simulieren. Als Übung für die Spurensicherung und Ermittler. Angelehnt an den realen Anschlag der Brüder Kouachi in Paris im Januar. Die dargestellte Situation sei „ein realistisches Szenario“, sagte Innensenator Frank Henkel (CDU) bei der „Tatortbegehung“. In Berlin herrsche weiterhin eine „abstrakt hohe Gefährdungslage“ durch radikale Islamisten.

Schon am Folgetag wurde aus der abstrakten eine schrecklich reale Gefahr. Es begann am frühen Donnerstagmorgen gegen 9.48 Uhr, als ein Notruf bei der Polizei in Berlin-Spandau eingriff. Ein geistig verwirrter Mann bedrohe Passanten an der Heerstraße mit einem Messer. Zuvor hatten Zeugen beobachtet wie der Mann „wirres Zeug auf Arabisch“ geredet habe, sich auf den Boden warf, offenbar betete. Anschließend stieg er in einen Bus und drohte weiter mit einem Messer.

Ein Streifenwagen raste umgehend zum Ort des Geschehens an der Heerstraße, Ecke Pichelsdorfer Straße. Als die Polizisten den Mann zu Gesicht bekamen, nahmen sie die Verfolgung auf. Eine 44-jährige Polizistin rannte ihm hinterher, forderte ihn auf, das Messer wegzuwerfen. Urplötzlich ging der Mann zum Angriff über und stach mit einem 19-Zentimeter-langen Klappmesser auf Hals und Schulter der Beamtin ein, die sofort zu Boden ging.

Ihr Begleiter, ein 30-jähriger Polizeimeister, zog seine Dienstwaffe und feuerte umgehend auf den Messerstecher. Weitere Polizisten, die inzwischen eingetroffen waren, schossen wohl ebenfalls. Dabei wurde unglücklicherweise auch die verletzte Polizistin in der Hüfte getroffen. Sie kam schwer verletzt mit einem Rettungshubschrauber ins Krankenhaus. Ein Notarzt versuchte den Angreifer zu reanimieren. Vergeblich. Er verstarb um 11 Uhr.

Zu diesem Zeitpunkt ging die Polizei noch von einem geistig verwirrten Täter aus. Doch schnell wurde klar: der Attentäter war kein Unbekannte. Es handelte sich um Rafik Mohamad Y. (41), einen polizeibekannten Islamisten und verurteilten Terroristen. Der Iraker galt als gefährlicher Extremist mit niedriger Hemmschwelle zur Gewalt.

Rafik Y., geboren 1974 in Bagdad, kam 1996 als Asylbewerber nach Deutschland. Jahrelang lebte der Exil-Iraker in Berlin, verkehrte dort in der salafistischen Szene. In einigen Moscheen der Hauptstadt soll er Hausverbot bekommen haben, weil er zu radikale Ansichten vertrat. Bekannte berichten, Rafik Y. werde „schnell aggressiv“, reagiere oft gereizt und hektisch. Der Irakkrieg im Jahr 2003 habe ihn wohl radikalisiert.

Für die deutschen Sicherheitsbehörden aber wurde Rafik Y. erst am 28. November 2004 interessant. Da belauschten Ermittler in Süddeutschland ein Telefonat zwischen Y. und einem Bekannten, dem ebenfalls aus dem Irak stammenden Mazen H., wohnhaft in Augsburg. H. galt als Unterstützer der irakischen Terrorgruppe „Ansar al-Islam“.

„Am Freitag kommt er nach Berlin“, sagte Rafik Y. „Er“, damit war Iyad Alawi gemeint, der damalige Premierminister des Irak. Alawi sollte tatsächlich in der folgenden Woche zum Staatsbesuch nach Deutschland kommen. Geplant war ein Auftritt im Gebäude der Deutschen Bank in Berlin-Mitte.

Die Fahnder hörten weitere Telefonate ab. Darin sprach Mazen H. mit Ata R., einem in Stuttgart lebenden Iraker. Man wolle den Gast „betrunken“ machen, erklärte Mazen H.. Aus Sicht der Ermittler verdichteten sich die Hinweise: das Trio plante offenbar einen Mordanschlag auf den irakischen Premier. Die Männer verfügten, so konnten Verfassungsschutz und Bundeskriminalamt ermitteln, über enge Kontakte zur Ansar al-Islam. Ata R. soll mehrere zehntausend Euro für die Dschihadisten gesammelt und in den Irak geschickt haben.

Am Vortag des Staatsbesuches von Iyad Alawi wurde Rafik Y. nervös. Er rief Bekannte an, fragte, wer „das Essen“ vorbereiten könne, etwa einen „Lammkopf“. Gemeint war, so glaubten die Ermittler, einen Bombe. Auch die Filiale der Deutschen Bank in Berlin-Mitte kundschaftete Y. aus.  Zweifel seiner Mitstreiter wollte der Iraker ausräumen: „So eine Gelegenheit wird nie wieder kommen.“

Der Sicherheitsapparat wollte kein Risiko eingehen. Obwohl die Veranstaltung mit Premier Alawi längst abgesagt worden war, griffen die Fahnder zu. Rafik Y. wurde in seiner Wohnung im achten Stock eines unscheinbaren Wohnblocks am Käthe-Dorsch-Ring in Berlin-Neukölln festgenommen. Und auch in Augsburg bei Mazen H. und in Stuttgart bei Ata R. klickten die Handschellen.

Vor dem Oberlandesgericht Stuttgart begann schließlich fast zwei Jahre nach der Festnahme der Prozess gegen das Terror-Trio. Rafik Y. zeigte sich dabei launisch bis aggressiv. Er weigerte sich aufzustehen, als die Richterin den Saal betrat. Und keifte die Vorsitzende mehrfach an, drohte Zeugen und warnte sie vor „dem Jüngsten Gericht“. Im Juli 2008, nach 142 Verhandlungstagen, wurde Rafik Y. wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und den Mordplänen gegen den irakischen Premierminister zu acht Jahren Haft verurteilt.

Aufgrund der vierjährigen Untersuchungshaft verbüßte Y. nur noch rund vier Jahre in der JVA Berlin-Tegel. Am 26. März 2013 wurde der Extremist entlassen. Eine Abschiebung in den Irak war nicht möglich, weil ihm dort die Todesstrafe drohte. Das Gericht verhängte daher eine Führungsaufsicht. Rafik Y. war verpflichtet eine elektronische Fußfessel zu tragen. Zudem wurde angeordnet, dass der Islamist nach Berlin ziehen musste und die Hauptstadt nicht verlassen durfte.

Wer per gerichtlicher Anordnung in der Stadt verweilen muss, wird einem der zwölf Berliner Bezirke zugeteilt – je nach Geburtsmonat. Rafik Y. zog zunächst in den achten Bezirk: Neukölln. Er erhielt eine kleine Wohnung und rund 380 Euro vom Amt. Jeden Montag zwischen 10 und 12 Uhr musste er gemäß Auflage beim Meldeamt vorstellig werden. Später zog er um. In eine 1,5-Zimmer-Wohnung in Spandau. 

Von den Sicherheitsbehörden sei Y. „intensiv betreut“ worden, teilte Berlins Innensenator Henkel heute mit. Konkret heißt dies: der Iraker wurde als gefährlicher Islamist eingestuft. Das Bundeskriminalamt (BKA) führte ihn als einen von rund 40 Gefährdern in Berlin. Immer wieder folgten Observationsteams dem Extremisten durch die Hauptstadt. Besonders auffällig verhielt sich Rafik Y. allerdings nicht.

Lediglich wenn er mit Behörden in Kontakt kam, trat er aggressiv auf. So etwa gegenüber einer Sachbearbeiterin beim Arbeitsamt. An die Wand ihres Büros hatte die Frau ein Bild von christlichen Engeln neben einen Koran gehängt. Dies sei verboten, sagte ihr Rafik Y., dafür müsse sie enthauptet werden.

Noch ist unklar, was den Islamisten am Donnerstag zu seiner Messerattacke auf die Polizeibeamtin bewegte. Seine Fußfessel jedenfalls hatte Rafik Y. zuvor, um 8.52 Uhr, aufgebrochen und entfernt. Dabei wurde ein Alarm ausgelöst. Die hessische Zentralstelle, bei der alle in Deutschland eingesetzten Fußfesseln überwacht werden, rief Rafik Y. umgehend auf einem eigens dafür vorgesehenen Handy an. Der Islamist ging ans Telefon, rede jedoch nur wirres Zeug. Als die Polizei kurze Zeit später an seiner Wohnung in Berlin-Spandau eintraf, war Y. jedoch schon nicht mehr auffindbar.

Die Motivlage des Messerangriffs sei noch unklar, teilte die Polizei heute mit. „Es gibt einige Anhaltspunkte, die gegen ein geplantes Vorgehen sprechen“, so Innensenator Henkel. „Bei der Vorgeschichte der getöteten Person Y. kann jedoch eine religiöse Motivation nicht ausgeschlossen werden.“

Rafik Y. war nach seiner Haftentlassung nicht als potenzieller Dschihad-Tourist aufgefallen. Er hatte  keine Ausreiseversuche in Richtung Syrien oder Irak unternommen. Ob er dennoch ein Anhänger der Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS) war, ist bislang offen. Ein Attentat wie seines aber wäre wohl genau im Sinne der Dschihadisten.

„Nimm ein großes Messer und schlachte jeden Kafir (Ungläubigen)! Sie sind wie Hunde!“, hatte der österreichische IS-Terrorist Mohamed Mahmoud jüngst in einem Propagandavideo gefordert. Und Muslime in Deutschland und Österreich zu Anschlägen aufgefordert.

Der Tag, an dem Bünyamin starb

von Florian Flade

Ein US-Drohnenangriff in Pakistan tötet einen deutschen Staatsbürger. Er sei ein islamistischer Terrorist und damit ein legitimes Ziel gewesen, behauptet die Bundesanwaltschaft und lehnt Ermittlungen wegen Mordes ab. Das Opfer sei unschuldig hingerichtet worden, sagt der Bruder. Er hat die Tötung miterlebt.

Mir_maps.google.de 2013-7-24 9 45 9Mir Ali, Nord-Waziristan – Google Maps

Der Tod kommt oft langsam und mit Vorwarnung. Manchmal aber auch ganz plötzlich, beim Abendessen. Manchmal fällt er vom Himmel. In Form einer Rakete. So auch am 4.Oktober 2010. Ein Gehöft in Mir Ali, einer Ortschaft im pakistanischen Stammesgebiet Waziristan, unweit der Grenze zu Afghanistan. Acht Männer kamen hier an jenem Abend zum Essen zusammen. Eingeladen hatte sie der Hausherr, ein Deutsch-Kurde aus Wuppertal. Emrah Erdogan war in die Bergwelt Nordwest-Pakistans gekommen, um gemeinsam mit seiner Frau und seinem Sohn ein islamisches Leben zu führen, sagt er. Um ein islamistischer Gotteskrieger zu werden, behauptet die Staatsanwaltschaft.

Emrah Erdogan muss sich derzeit vor dem Frankfurter Oberlandesgericht verantworten. Der Wuppertaler soll ein Terrorist sein, ein Al-Qaida-Mitglied. Im Herbst 2010 versetzte er mit seinen Anrufen aus den Bergen Pakistans die deutschen Sicherheitsbehörden in Alarmbereitschaft. Emrah erzählte von angeblich geplanten Anschlägen in Deutschland.

Bevor er Richter aus seinem Leben, von seiner verkorksten Jugend, den Drogen, der Zeit im Knast, seiner Radikalisierung und seiner Dschihad-Karriere erzählte, betonte Emrah jedoch: „Ich bin hier nicht, um irgendwelche Namen zu verraten, damit jemand hingerichtet wird.“

Er weiß, wovon er spricht, denn er hat hautnah miterlebt, wie Menschen getötet wurden. Ohne Gerichtsprozess, ohne Anhörung, ohne Beweise. Einer von ihnen war sein kleiner Bruder Bünyamin.

An jenem Abend des 4.Oktober 2010 aßen Emrah, Bünyamin und die anderen im fernen Waziristan gemeinsam zu Abend. Der damals 20-jährige Bünyamin war erst wenige Wochen zuvor seinem älteren Bruder nach Waziristan gefolgt. In ihrer Heimat Wuppertal hatten „Bünno“ und „Emo“, wie Freunde sie nannten, zum fundamentalistischen Islam gefunden. Nun waren sei ausgewandert. In eine Region der Welt in der statt Demokratie die Scharia herrscht, in der Taliban-Clans und Al-Qaida regieren, der pakistanische Staat schwach ist. Und in der die USA mit Drohnen Jagd auf Terroristen machen.

So auch an jenem Abend. Während sein kleiner Bruder anschließend den Tisch abräumte, verließ Emrah die Runde und ging über den Innenhof in einen anderen Teil des Gehöfts. In diesem Moment gab es eine gewaltige Explosion.

Die Druckwelle habe ihm die Klamotten vom Leib gerissen und ihn durch die Luft geschleudert, erzählt Emrah heute. In Panik sei er zurückgelaufen, in den Innenhof, dort wo die Raketen eingeschlagen waren. Die Lehmwände seien zerstört gewesen. Überall lag Schutt. In den Trümmern habe er mit bloßen Händen gewühlt und nach Überlebenden gesucht.

Zunächst fand Emrah den Deutsch-Iraner Shahab Dashti, der im März 2009 mit einer größeren Islamisten-Gruppe aus Hamburg nach Pakistan gekommen war. Die Beine von Dashti seien abgerissen worden, berichtet Emrah später. Der Hamburger verblutete noch vor Ort.

Als Emrah weiter grub, stieß er auf einen Leichnam. Ein Raketensplitter steckte im Kopf des Mannes – es war sein kleiner Bruder Bünyamin. „Der hat nicht geantwortet“, erzählte Emrah später der Familie in Wuppertal per Telefon. „Sein hinterer Kopf alles zerfetzt, sein ganzes Gehirn war draußen.“ Sein Bruder sei ein Märtyrer geworden.

Bünyamin Erdogan, Shahab Dashti und die anderen fünf Männer, die an diesem Abend durch die amerikanischen Raketen in Mir Ali ums Leben kamen, wurden Opfer im Kampf gegen den Terror. Es war ein amerikanischer Drohnenangriff, wie sie in dieser Gegend Pakistans beinahe wöchentlich stattfinden. Doch etwas war dieses Mal anders: Bünyamin Erdogan besaß einen deutschen Pass.

Er ist der erste deutsche Staatsbürger, der bei einem CIA-Drohnenangriff getötet wurde. Ein Präzedenzfall. Und ein Fall für die deutsche Justiz. In jenem kurzen Moment, in dem die Raketen im Haus von Emrah Erdogan einschlugen, wurden die Ereignisse zu seiner juristischen Herausforderung.

Ist Amerikas Drohnenkrieg in Pakistan legal? Dürfen die USA einen Menschen ohne Beweise, ohne Anklage und Gerichtsprozess hinrichten? Sind Islamisten Freiwild, noch bevor sie einen Anschlag verübt haben? Ist die Tötung von Bünyamin Erdogan als Mord zu bewerten?

All diese Fragen spielten wohl nie eine Rolle, als die US-Drohnen in den Terrorcamps von Waziristan Saudi-Araber, Jordanier, Ägypter, Marokkaner oder Jemeniten trafen. Jetzt aber wurde ein Deutscher, ein EU-Bürger, getötet.

In Karlsruhe setzte man einen Prüfvorgang im Fall Bünyamin Erdogan in Gang. Es galt zu klären, ob die Situation in Waziristan als internationaler, bewaffneter Konflikt zu werten ist. Und welche Rolle die Islamisten in der Region spielen. Sind sie pauschal legitime Ziele im Kampf gegen Al-Qaida & Co.? Oder muss in jedem Fall nachgewiesen werden, dass die Person eine Gefahr darstellt?

Die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe hat ihr Prüfverfahren inzwischen beendet. „Keine Anklage wegen eines Drohnenangriffs in Mir Ali / Pakistan am 4.Oktober 2010“ heißt es in der Überschrift der Erklärung, die Anfang Juli veröffentlicht wurde.

„Nach dem Ergebnis der zeitaufwändigen und umfangreichen Überprüfungen handelte es sich bei dem getöteten deutschen Staatsangehörigen nicht um einen vom humanitären Völkerrecht geschützten Zivilisten, sondern um einen Angehörigen einer organisierten bewaffneten Gruppe“, stellt die Bundesanwaltschaft fest. „Gezielte Angriffe gegen solche Personen in einem bewaffneten Konflikt sind kein Kriegsverbrechen nach dem Völkerstrafgesetzbuch.“

Gutachten seien herangezogen worden, um zu klären, ob in der Region um Mir Ali ein bewaffneter Konflikt herrscht. Dies habe sich bestätigt, so die Karlsruher Juristen. Zwei Konfliktsituationen gebe es rund um Mir Ali.

„Dies waren der aus Afghanistan herüberreichende Konflikt zwischen Aufständischen, die hauptsächlich vom pakistanischen Grenzgebiet aus agieren, und der von der ISAF unterstützten afghanischen Regierung sowie ein innerpakistanischer Konflikt, bei dem sich eine Allianz aus pakistanischen Taliban sowie afghanischen Aufständischen und die pakistanische Regierung gegenüberstanden, die faktisch von den USA unterstützt wurde. Der Drohneneinsatz, der zum Tode des deutschen Staatsangehörigen Bünyamin Erdogan führte, war Teil dieser Auseinandersetzungen.“

Nach dem Ergebnis der Untersuchungen stehe fest, dass Bünyamin Erdogan nach Pakistan gereist sei, um sich im Sinne des gewaltsamen Dschihad an den dortigen militärischen Auseinandersetzungen zu beteiligen, erklärt die Bundesanwaltschaft weiter. „Er ließ sich zum Einsatz im bewaffneten Kampf ausbilden, wurde mit einer Waffe ausgestattet und war mit seinem Einverständnis für einen Selbstmordanschlag vorgesehen. Seine gesamten Aktivitäten in Pakistan waren darauf ausgerichtet, an feindseligen Handlungen teilzunehmen.“

Zum Zeitpunkt des Drohneneinsatzes am 4. Oktober 2010 habe Bünyamin Erdogan an einem Treffen von acht männlichen Personen teilgenommen, darunter seien auch Mitglieder von Al-Qaida und den Taliban gewesen.

„Dabei sollten die Planungen für ein Selbstmordattentat unter seiner Beteiligung auf Angehörige der pakistanischen Armee oder der ISAF-Streitkräfte vorangetrieben werden“, heißt es in der Begründung der Bundesanwaltschaft weiter. „(…) Deshalb war seine Tötung am 4. Oktober 2010 nach den Regeln des Konfliktvölkerrechts gerechtfertigt und stellt kein Kriegsverbrechen dar.“

War der Wuppertaler also das Ziel des amerikanischen Drohnenangriffs, weil er einen Terroranschlag verüben wollte? Oder kam Bünyamin Erdogan zufällig ums Leben, weil er zur falschen Zeit am falschen Ort war?

Glaubt man dem Bruder des Toten, dann wurde Bünyamin grundlos das Opfer der amerikanischen Tötungs-Aktionen.

Um einschätzen zu können, weshalb die Raketen am 4.Oktober 2010 das Haus von Emrah Erdogan trafen, muss man wissen, wer sich an diesem Abend im Gehöft in Mir Ali aufhielt. Es handelte sich nämlich keineswegs um irgendwelche Gäste aus der Nachbarschaft. Sondern um Terror-Prominenz, die schon länger im Visier der USA stand.

Bünyamin habe in Waziristan einige Leute kennen gelernt, die ihn beeinflusst hätten. So berichtet Emrah vor Gericht. In dieser Zeit habe sich sein kleiner Bruder stark verändert. „Er hat den Kampf anders gesehen als ich“, so Emrah. Bünyamin sei radikaler geworden. Öfter habe er bei anderen Personen geschlafen und jemanden getroffen, der offenbar einen starken Einfluss auf ihn ausübte.

Wer dieser jemand gewesen sei, fragte der Richter im Frankfurter Gerichtssaal. „Mussa al-Brittani“, antwortete Emrah. Der britische Islamist habe seinen jüngeren Bruder für ein Selbstmordattentat anwerben wollen und deshalb auf Bünyamin eingeredet, erinnert sich Emrah. Quasi Gehirnwäsche betrieben.

Al-Brittani gehörte laut Emrahs Aussagen nicht zur Al-Qaida. „Er hat unabhängig Dinge gemacht“, beschreibt er die Funktion des mysteriösen Dschihadisten. Westliche Nachrichtendienste kannten Mussa al-Brittani. Er soll ein „Ustadhi al-Fidayin“ der pakistanischen Taliban gewesen sein. Ein Anwerber und Ausbilder für Selbstmordattentäter.

In Waziristan habe sich Mussa al-Brittani aufgeführt wie der Anführer, erzählt Emrah vor Gericht. Einmal habe er Emrah und die anderen aufgefordert einen Konvoi der pakistanischen Armee anzugreifen. Als diese verweigerten, um nicht unnötig eine Militäraktion zu provozieren, habe al-Brittani herumerzählt, die Deutschen seien Angsthasen. „Denkst du, du bist der Emir?“, habe ihn Emrah daraufhin gefragt. „Ja“, antwortete der britische Dschihadist.

Emrah behauptet, er habe die Pläne seines Bruders, ein Attentat zu verüben, nicht unterstützt. Im Gegenteil. Er wollte ihn angeblich davon abhalten, ein Selbstmordattentäter zu werden. Telefonate, die Emrah mit den Verwandten im heimischen Wuppertal führte, zeichnen jedoch ein anderes Bild.

Am 7.September 2010 beispielsweise hört das Bundeskriminalamt (BKA) ein Gespräch zwischen Emrah und seinem Bruder Yusuf ab. Es ging offenbar darum, dass für Bünyamin eine Braut gesucht und dann nach Pakistan geschickt werden solle. „Wir werden sie Bünyamin nicht mehr geben“, sagte Emrah plötzlich. Verwundert fragte der Bruder nach. „Ich werde dir jetzt etwas sagen, aber du sollst es niemand weitersagen“, so Emrah. „Auch Bünyamin nicht, okay?“

Der kleine Bruder sei für eine Operation ausgewählt worden. Bünyamin werde ins Paradies kommen. „Erzähl es niemand!“, schärft Emrah seinem Bruder in Deutschland ein. „Sag es nicht Mutter!“

Klingt so jemand, der seinen Bruder angeblich von seinem Attentat abhalten will?

Das BKA hatte offenbar nach dem abgehörten Telefonat keinen Zweifel mehr, was mit Bünyamin geschehen sollte. Es handele sich um einen „tatsächlichen Tatplan“ schrieb eine Woche später eine BKA-Sachbearbeiterin laut „Stern“ handschriftlich neben das abgetippte Gesprächs-Protokoll. Bünyamin Erdogan solle sich an einem Selbstmordattentat beteiligen, so das Fazit der Terrorbekämpfer.

Ging es am 4.Oktober 2010 im Haus von Emrah gar um konkrete Planungen eines Terroranschlages? Die Liste der Gäste könnte dies vermuten lassen. Gekommen waren Bünyamin, Mussa al-Brittani und ein pakistanischer Taliban-Kommandeur namens Qari Hussain Mehsud.

Hussain Mehsud war zum damaligen Zeitpunkt einer der meistgesuchten Terroristen Pakistans. Er war der Leiter der „Märtyrerbrigaden“ der pakistanischen „Tehrik e-Taliban“ (TTP). Auf ihn war ein Kopfgeld von rund 300.000 Euro ausgesetzt. Die pakistanische Presse nannte ihn „Vater der Selbstmordattentäter“, weil er mehrere Schulen für zukünftige Märtyrer im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet unterhielt. Hussain Meshud soll öfter geprahlt haben, er brauche nur eine halbe Stunde Gespräch, um aus einem jungen Mann einen todeswilligen Selbstmordattentäter machen.

War also der Top-Terrorist Qari Hussain Mehsud das eigentliche Ziel des US-Drohnenangriffs vom 4.Oktober 2010? Sowohl Hussain Mehsud als auch al-Brittani galten in Kreisen westlicher Nachrichtendienste als gefährliche Strategen und Anschlagsplaner. Terroristen, denen zugetraut wurde auch international Attentate umzusetzen.

Der Drohnenangriff, der auch Bünyamin Erdogan das Leben kostete, tötete nach Angaben von Geheimdienstlern auch Mussa al-Brittani und Qari Hussain Mehsud. Emrah hingegen gibt an, al-Brittani habe den Raketeneinschlag überlebt. Er soll ihm sogar ein neues Haus vermittelt haben.

Vieles deutet darauf hin, dass Bünyamin Erdogan dem amerikanischen Drohnenkrieg zum Opfer fiel, weil er mit Terroristen verkehrte, die lange schon im Visier amerikanischer und pakistanischer Geheimdienste standen. Weil er sich womöglich einließ, auf den bewaffneten Kampf und weil sein großer Bruder Emrah die Dschihad-Prominenz in seinem Haus empfing, die im Visier der Amerikaner standen.

Geklärt ist damit noch lange nicht, die Rechtmäßigkeit der CIA-Drohnenpolitik. Nicht wenige Völkerrechtler diesseits und jenseits des Atlantiks bezweifeln, dass es sich bei den Einsätzen um legale Kriegshandlungen handelt. Für die deutsche Justiz ist der Fall Bünyamin Erdogan offenbar abgeschlossen.

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Der Artikel erschien am 23.Juli 2013 auf Heise Telepolis

http://www.heise.de/tp/artikel/39/39570/1.html

Bonner Salafisten-Angriff auf einen Studenten nur erfunden?

von Florian Flade

Vor knapp einer Woche berichtete ich von einem mutmaßlichen Angriff radikaler Islamisten auf einen indischen Studenten in Bonn am 24.Dezember 2012. Die Aussage des Opfers zur mutmaßlichen Tat galten laut Polizei als glaubwürdig.

Jetzt berichtet der „Express“ dass die Ermittler der Darstellung des Inders nicht mehr uneingeschränkt Glauben schenken. Nach ersten Untersuchungen sei entschieden worden, weitere medizinische Gutachten einzuholen, um auszuschließen dass sich das Opfer die Verletzungen womöglich selbst bei gebracht hat.

„Da wir nicht ausschließen können, dass sich der Sachverhalt anders dargestellt hat, werden wir ergänzende medizinische Stellungnahmen einholen“, sagt Oberstaatsanwalt Fred Apostel dem „Express“.

Das indische Opfer des angeblichen Salafisten-Angriffs ist inzwischen zurück in seiner Heimat. Die Ermittler suchen weiterhin nach den möglichen Tätern.