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Dschihad-Rückkehrer Teil 3 – „Etwas erledigen“

von Florian Flade

junud_sham1Propagandavideo der Junud ash-Sham

Das Schlusswort klang nach Reue. „Ich möchte mich für meine Taten aufrichtig entschuldigen. Ich möchte mich ändern, ich habe auch schon begonnen mich zu ändern“, sagte Fatih K. im April 2011 vor dem Berliner Kammergericht. Zumindest Josef Hoch, den Vorsitzenden Richter, schien der sechsfache Vater überzeugt zu haben. Durch sein Geständnis habe der Angeklagte glaubhaft Reue gezeigt, erklärte Hoch bei der Urteilsverkündung gegen den Deutsch-Türken aus Berlin-Kreuzberg.

Fatih K. stand damals als Terrorhelfer vor Gericht. Er hatte die Terrorgruppe „Deutsche Taliban Mujahideen“ (DTM) im pakistanisch-afghanischen Grenzgebiet mit rund 2000 Euro unterstützt. Das Urteil fiel schließlich vergleichsweise milde aus: ein Jahr und zehn Monate, ohne Bewährung. Allerdings wurde kein Haftbefehl aufgehoben. Es bestehe keine Fluchtgefahr, so die damalige Begründung.

Heute, drei Jahre später, sitzt der 35-jährige Fatih K. wieder in der Justizvollzugsanstalt Berlin-Moabit und wartet erneut auf seine Anklage. Diesmal geht es nicht mehr nur um Terrorunterstützung mit Spendengeldern. Der Vorwurf lautet nun: Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat.

Offenbar hatte Fatih K. keinesfalls, wie angekündigt, dem radikalen Islam abgeschworen. Nur drei Jahre nach seiner Verurteilung soll K. in den Dschihad gezogen sein. Diesmal nicht in das pakistanische Waziristan, sondern nach Syrien.

Im Juni 2013, so hat die Bundesanwaltschaft ermittelt, reiste der Berliner gemeinsam mit dem 26-jährigen Türken Fatih I. aus Frankfurt a. Main., dessen Ehefrau und den beiden Kindern von Deutschland aus in die Türkei. Wenig später überquerten Fatih K. und Fatih I. offenbar die Grenze nach Syrien. Dort sollen sie sich der Terrorgruppe Junud ash-Sham angeschlossen haben. Zu der Dschihad-Truppe, die von einem Kaukasier angeführt wurde, gehörte bereits ein alter Bekannter von Fatih K., der ebenfalls aus Berlin stammende Ex-Rapper Denis Cuspert („Deso Dogg“).

Gemeinsam mit Cuspert soll sich Fatih K. im August 2013 an einem Gefecht zwischen Junud ash-Sham und syrischen Regierungstruppen im Durin-Gebirge nahe Lattakia beteiligt haben – als Kameramann. Die Ermittler des Bundeskriminalamtes (BKA) stießen im Internet auf ein russischsprachiges Propagandavideo, das zumindest teilweise von Fatih K. produziert worden sein könnte. In anderen Aufnahmen soll Fatih K. zwei tote syrische Soldaten gefilmt und als Hunde beschimpft haben.

Der Frankfurter Fatih I. hatte nach Überzeugung der Ermittler ein Geldgeschenk für die Dschihadisten dabei, als er nach Syrien reiste. Das BKA fand über Telefonüberwachung und Finanzermittlungen heraus, dass sich der Islamist am 27. Juni 2013 einen Kredit über 25.000 Euro bei einer Bank erschlichen hatte. Insgesamt 30.000 Euro soll I. den Terroristen der Junud ash-Sham letztendlich übergeben haben.

Im September 2013 kehrte Fatih K. – nur wenige Monate nach seiner Ausreise – über die Türkei wieder nach Berlin zurück. Im Gepäck hatte er unter anderem USB-Sticks mit allerlei Fotos aus dem Kriegsgebiet. Darauf zu sehen sein, soll K. mit Kalaschnikow vor einer Flagge der Terrororganisation „Islamischer Staat“ posierend. Wenige Tage nachdem die Aufnahmen gemacht wurden, war der Islamist wieder in Deutschland.

Weshalb Fatih K. dem syrischen Bürgerkrieg den Rücken kehrte – darüber rätseln die Ermittler bis heute. Der Berliner Denis Cuspert soll in einem Telefonat mit seiner in Deutschland lebenden Frau im Oktober 2013 erklärt haben, Fatih K. habe „etwas erledigen müssen“ und sei deshalb zurückgereist.

Auch sein Mitstreiter Fatih I. kam im September 2013 wieder nach Deutschland zurück, reiste jedoch im Dezember wieder nach Syrien. Am 16. Januar schließlich war I. wieder in der Bundesrepublik. Und engagierte sich nach Darstellung der Bundesanwaltschaft als Terrorhelfer. Er soll Ausrüstungsgegenstände und insgesamt 1.536 Euro an ein Mitglied der Junud ash-Sham übermittelt haben.

Nach monatelangen Ermittlungen erließ der Bundesgerichtshof schließlich Haftbefehle gegen Fatih K. und Fatih I.. Mehr als 100 Beamte der GSG 9, des BKA und der Landeskriminalämter nahmen die beiden Syrien-Rückkehrer am 31. März fest und durchsuchten Wohnungen in Berlin und Frankfurt am Main. Beschlagnahmt wurden zahlreiche Datenträger. Insgesamt ist die Rede von mehr als 400 Gigabyte an Material, darunter offenbar Fotos und Dokumente, die auch andere deutsche Terrorverdächtige belasten sollen.

Im Januar beginnt vor dem Berliner Kammergericht der Prozess gegen Fatih K. und Fatih I.. Wieder wird Fatih K. auf der Anklagebank sitzen. Fraglich ob er ein weiteres Mal versuchen wird, mit Worten der Reue und dem Versprechen der Besserung das Gericht zu überzeugen.

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Lesen Sie hier:

Dschihad-Rückkehrer Teil 1 – „Du Blödmann!“

Dschihad-Rückkehrer Teil 2 – Auf Shoppingtour

„Ich habe das getan!“ – Anklage gegen Boston-Attentäter

von Florian Flade

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Die US-Staatsanwaltschaft hat Anklage gegen Dzhokhar Tsarnaev, einen der Bombenleger von Boston, erhoben. Ihm wird vorgeworfen, gemeinsam mit seinem Bruder Tamerlan einen Terroranschlag verübt und drei Menschen getötet zu haben. Der 19-jährige Student, der derzeit in einem Krankenhaus aufgrund von Schussverletzungen behandelt wird, muss sich nun bald vor einem US-Gericht verantworten. Sein älterer Bruder wurde in der vergangenen Woche bei einem Polizeieinsatz getötet.

Lange war gerätselt worden, ob sich der überlebende Terrorverdächtige als „feindlicher Kämpfer“ sogar von einem US-Militärgericht verurteilt wird. Nun steht fest: Dzhokhar Tsarnaev ist US-Staatsbürger. Geboren in Kirgisien als Sohn tschetschenischer Einwanderer, kam er am 12.April 2002 in die USA und wurde später eingebürgert. Er ist daher ein Fall für ein Zivilgericht.

Die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Massachusetts liegt „Welt Online“ vor. Sie dokumentiert aus Sicht der Bundespolizei FBI die spektakuläre Jagd nach den Bombenlegern von Boston und liefert neue Details.

„Am 15.April 2013 gegen 14:49, als der Marathon noch in vollem Gange war, ereigneten sich zwei Explosionen auf der Nordseite der Bolyston Street nahe dem Zielgeraden des Marathons“, heißt es in der Anklageschrift gegen Dzhokhar Tsarnaev. „Jede Explosion tötete mindestens eine Person, verletzte, verbrannte und verwundete unzählige andere (…) Ingesamt wurden drei Personen getötet und über zweihundert weitere verletzt.“

Die Tsarnaev-Brüder sollen die beiden Bomben – bestehend aus Dampfkochtöpfen, gefüllt mit Schießpulver, einem Zünder und hunderten Eisenkugeln und Nägeln – am Straßenrand platziert haben. Die Sprengsätze waren so präpariert, dass möglichst viele Menschen durch die Explosion verletzt werden.

Am Nachmittag des vergangenen Donnerstages, dem 18.April, hatte die US-Bundespolizei FBI erstmals Fahndungsfotos von Dzkhokar und Tamerlan Tsarnaev veröffentlicht. Es handelte sich dabei um Aufnahmen von Überwachungskameras, die die Brüder vor und nach den Bomben-Explosionen während des Bostoner Marathons zeigen. Die Identität der Bombenleger war zu diesem Zeitpunkt allerdings noch unklar. Die Ermittler nannten sich nur „Bombenleger 1“ und „Bombenleger 2“. Das FBI bat die Bevölkerung um Mithilfe bei der Jagd nach den Attentätern.

Laut Staatsanwaltschaft entführten die Tsarnaev-Brüder nur wenige Stunden nach Veröffentlichung der Videoaufnahmen ein fremdes Auto in der Stadt Cambridge bei Boston. Der Autobesitzer, der kurzfristig als Geisel genommen wurde, erzählte dem FBI später, was an jenem Abend geschah.

„Das Opfer erzählte, dass sich ein Mann näherte und auf der Beifahrer-Seite gegen die Scheibe klopfte“, heißt es in der Anklageschrift. Als der Autofahrer das Fenster öffnete, griff der Unbekannte ins Wageninnere, öffnete die Tür und sprang in das Fahrzeug.

Der Mann hielt dem Autofahrer eine Pistole vor das Gesicht. „Hast du von den Boston Anschlägen gehört?“, fragte der Bewaffnete. „Ich habe das getan“. Dann habe der Mann das Magazin aus der Pistole gezogen und ihm gezeigt, dass sich darin eine Patrone befand, berichtete der Autofahrer später der Polizei. Dann schob er das Magazin wieder in die Waffe. „Ich meine es ernst“, soll er anschließend gesagt haben.

Der Autofahrer sei schließlich gezwungen worden loszufahren und an einem anderen Ort einen zweiten Mann abzuholen. Dieser warf mehrere Gegenstände – Rohrbomben wie sich später herausstellte – in den Kofferraum des Wagens und nahm auf der Rückbank des entführten Autos Platz. Beide Männer, so erzählte der Autofahrer, hätten sich in einer ausländischen Sprache unterhalten.

Anschließend sei der Autobesitzer gezwungen worden, auf den Beifahrersitz zu rutschen. Der Mann mit der Pistole habe das Steuer des Wagens übernommen. Ihrem Opfer hätten die Tsarnaev-Brüder anschließend 45 US-Dollar abgenommen, sowie ihn zur Herausgabe seiner Kreditkarte und des Passwortes gezwungen. An einem Geldautomaten versuchten sich damit Bargeld abzuheben. Erst als die Entführer an einer Tankstelle aus dem Auto stiegen, gelang es dem Fahrer zu entkommen.

In Watertown, unweit von Boston, lokalisierte die Polizei kurze Zeit später das entführte Auto. „Als die Männer die Dexter Straße in Watertown hinunterfuhren, warfen sie mindestens zwei Improvisierte Sprengsätze aus dem Auto“, heißt es in der Anklageschrift. Daraufhin kam es zum Schusswechsel zwischen den Tsarnaevs und der angerückten Polizei. „Einer der Männer wurde schwer verletzt und blieb vor Ort“. Es war der ältere Bruder Tamerlan Tsarnaev. Mit schweren Schussverletzungen wurde er ins „Beth Israel“-Krankenhaus gebracht, wo er für tot erklärt wurde. Dzhokhar Tsarnaev gelang es im Auto zu fliehen.

Das verlassene Fahrzeug, einen Honda Civic, fand das FBI später verlassen vor. Im Wagen lag ein intakter Sprengsatz. Zwei weitere Bomben fand die Polizei am Ort des Schusswechsels.

Erst am Freitagabend, nach stundenlanger Belagerung der Kleinstadt Watertown und einer Ausgangssperre für die Einwohner, gelang es der Polizei von Massachusetts den flüchtigen Bombenleger Dzhokhar Tsarnaev ausfindig zu machen. „Polizeiermittlungen ergaben, dass sich eine Person in einem abgedeckten Boot in der Franklin Street 67 in Watertown befand“, heißt es dazu in der Anklageschrift.

Als Dzhokhar Tsarnaev schließlich nach tagelanger Jagd aus dem Motorboot gezogen wurde, in dem er sich versteckt hatte, fand die Polizei bei ihm einen Ausweis der „University of Massachusetts at Dartmouth“ und Kreditkarten. „Alles wies ihn als Dzhokhar Tsarnaev aus“, notieren die FBI-Beamten. „Er hatte offensichtliche Verletzungen, darunter augenscheinlich Schussverletzungen am Kopf, Nacken, Armen und an der Hand.“

Zwei Tage nach der Festnahme des Bostoner Bombenlegers durchsuchten FBI-Beamte die Studentenwohnung des mutmaßlichen Islamisten an der „University of Massachusetts at Dartmouth“. Einen großen Feuerwerkskörper und Eisenkugeln entdeckten die Ermittler dort, sowie eine schwarze Jacke und „einen weißen Hut der genauso aussieht wie jener, der Bombenleger beim Boston Marathon am 15.April trug“.

Der Tod kam beim Abendessen

by Florian Flade

Ein deutscher Staatsbürger wird vom US-Geheimdienst CIA per ferngesteuerter Drohne getötet – und keiner ermittelt. Warum der Fall des Bünyamin E. zu einem Politikum werden könnte.

Zwischen 2002 und 2009 rief die „Aktion Mensch“ in einer Bürgerdebatte tausende Menschen in Deutschland auf, Fragen einzusenden, die sie schon immer mal beantwortet haben wollten. Andere Bürger gaben dann ihre ganz persönlichen Antworten. „Was ist der Tod?“ – wollte im Jahr 2003 der damals 13jährige Bünyamin E. wissen.

Am Montag dem 04.Oktober 2010, gut sieben Jahre später, traf den jungen Deutsch-Türken aus Wuppertal genau jenes Schicksal. Er starb – 5000km von der nordrhein-westfälischen Heimat entfernt – im pakistanischen Stammesgebiet Nord-Waziristan, getötet von den Raketen einer CIA-Drohne. Bünyamin E. saß gerade beim Abendessen in einem Gehöft unweit des Zentrums der Ortschaft Mir Ali als ihn und vier weitere Männer – darunter auch den Deutsch-Iraner Shahab D. aus Hamburg – der Tod ereilte. Nicht länger als vier Wochen war Bünyamin in Waziristan, bevor er getötet wurde. Inzwischen ist sein Leichnam beerdigt, in einem primitiven Erd-Grab ohne Grabstein irgendwo in der Bergwelt im wilden Nord-Westen Pakistans.

Doch der Tod des 20jährigen Deutsch-Türken bleibt nicht ohne Folgen. Er droht zu einem Politikum zu werden, das diplomatische Spannungen zwischen Berlin und Washington nach sich ziehen könnte. Bünyamin E. war deutscher Staatsbürger und er starb durch eine höchstumstrittene Methode der Terrorismus-Bekämpfung der USA. Ein islamistischer Gotteskrieger soll der Wuppertaler Junge gewesen sein, ein Mitglied der terroristischen „Islamischen Bewegung Usbekistans“, die sowohl in Pakistan gegen Regierungssoldaten als auch in Afghanistan gegen die Nato in den Dschihad zieht. Beweise für diese Behauptungen – wie etwa abgehörte Telefongespräche, E-Mails, schriftliche Hinweise – wurden weder von den Amerikanern noch von deutschen Behörden vorgebracht.

Kein Haftbefehl gegen Bünyamin E.

Die Staatsanwaltschaft Düsseldorf führte seit Juli 2010 ein Ermittlungsverfahren gegen Bünyamin E wegen des Verdachts auf „Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Straftat“. Am 18.Oktober 2010 wurde das Verfahren von der Bundesanwaltschaft übernommen. „Gegen Bünyamin E. lag bis zum Zeitpunkt seines mutmaßlichen Todes kein Haftbefehl vor“, so ein Sprecher der Generalbundesanwaltschaft auf Nachfrage. Eine Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung wurde jedoch vermutet.

Bünyamin E. wurde ohne Anklage, ohne Prozess oder Gerichtsurteil vom US-Auslandsgeheimdienst CIA getötet. Erstmals stellt sich damit für die deutsche Politik die Frage, ob der Geheimdienst einer befreundeten Nation deutsche Staatsbürger auf Verdacht hin töten darf. Dass Bünyamin E. tatsächlich bei jenem Drohnenangriff am 04.Oktober ums Leben kam, bezweifelt ersthaft niemand mehr. Die Bundesregierung aber gibt sich unwissend, erklärt gebetsmühlenartig, der Fall werde weiter geprüft, offizielle Bestätigungen für den Tod des deutschen Islamisten gebe es immer noch nicht.

Regierung hat angeblich keine Informationen

„Dem Auswärtigen Amt liegen weiterhin keine offiziell bestätigten Informationen zu Berichten über den Tod von Bünyamin E. vor“, sagte ein Sprecher des Auswärtigen Amtes auf Nachfrage. Schon kurz nach dem Vorfall in Pakistan, hätte die deutsche Botschaft in Washington Kontakt mit den US-Behörden aufgenommen. „In Islamabad hat die Bundesregierung pakistanische Behörden mehrmals um Auskunft gebeten“, so das Auswärtige Amt weiter, „Sie bemüht sich weiterhin um eine offizielle Antwort.“

Seit Monaten aber liegen diverse direkte und indirekte Bestätigungen für Bünyamins Tod vor. Islamistische Netzwerke aus Waziristan vermeldeten bereits kurz dem tödlichen Drohnenangriff, dass der Deutsch-Türke, der sich in Waziristan „Imran“ nannte, zum „Märtyrer“ geworden sei. Wenige Tage später folgten die Fotoaufnahmen der Leiche und der Bestattung. Bünyamin E.s ehemaliger Arbeitgeber, das Bauernehepaar Bleckmann aus Velbert, identifizierten den Jungen, der früher oft auf ihrem Bauerhof arbeitete, auf den Leichenfotos zweifelsfrei.

Und es gibt noch eine weitere Quelle, die bestätigt, dass der deutsche Islamist bei jenem US-Raketenangriff ums Leben kam. Der ältere Bruder, dem Bünyamin wohl im Sommer 2010 nach Pakistan nachgereist war, soll sich weiterhin in einem pakistanischen Terrorlager aufhalten. Er überlebte den Drohnenangriff vom 04.Oktober nur weil er kurz zuvor das Gebäude verlassen hatte. Wenige Tage nach dem tödlichen Raketenangriff informierte der Bruder die Eltern in Wuppertal per Telefon über den Tod Bünyamins.

Auf mehrere Anfragen von Seiten der „B´90/Grünen“ und „Die Linke“ zum Tod des deutschen Staatsbürgers E. antwortete die Bundesregierung bislang ausweichend mit dem Hinweis, es seien Ermittlungen eingeleitet worden.

Anzeigen gegen den CIA-Chef

Zwei deutschen Juristen geben sich indes mit den bisherigen Bemühungen der deutschen Politik nicht zufrieden. Sie sehen ihre Bürgerpflicht darin, deutsche Behörden im Fall Bünyamin E. zum Handeln zu bewegen. Wenn ein Deutscher ums Leben kommt, besteht für die deutsche Justiz schließlich Ermittlungspflicht – auch in Pakistan.

Der Hamburger Rechtsanwalt Sven Dubitscher erfuhr vom Tod Bünyamin E.s bei der Zeitungslektüre Anfang Oktober. Er erstattete daraufhin am 13.Oktober 2010 schriftlich Strafanzeige gegen Leon Panetta, den Direktor des für die Drohnenangriffe verantwortlichen US-Geheimdienstes CIA. „Wenn ein Mensch gewaltsam getötet wird, ermittelt die Polizei ungeachtet der Person und des Ansehens des Täters oder des Opfers“, so Dubitscher, „Ich bin kein Strafrechtler und kein Völkerrechtler, aber bislang konnte mir niemand erklären, warum in diesem Fall keine Ermittlungen laufen.“

Keine Anklage gegen BKA-Präsident

Thomas Schulte-Kellinghaus, Richter am Oberlandesgericht Karlsruhe, sah womöglich deutsche Stellen in der Mitverantwortung für den Tod E.s. Er zeigte BKA-Präsident Jörg Ziercke wegen des „Verdachts der Beihilfe zum Mord“ an. Möglicherweise gaben deutsche Stellen Informationen über Bünyamin E. an die Amerikaner weiter, die letztlich zur Tötung des deutschen Islamisten führten, so offenbar die Vermutung hinter der Anzeige des Richters. Geklärt werden sollte, ob das BKA eine Mitschuld am Tod eines deutschen Staatsbürgers trägt.

Die zuständige Staatsanwaltschaft in Wiesbaden ließ mittlerweile verlauten, es würden nach der Anzeige von Richter Schulte-Kellinghaus keine Ermittlungen gegen BKA-Chef Ziercke eingeleitet. Es gebe „keine ausreichenden Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Straftat“, sagte der Sprecher der Staatsanwaltschaft, Hartmut Ferse.

Bünyamins Tod reiner Zufall?

Tatsächlich bleiben die Vermutungen über eine Zusammenarbeit deutscher und amerikanischer Behörden im Vorfeld des Todes von Bünyamin E. reine Spekulation. Die Behörden beider Länder tauschen regelmäßig im Zuge der Terrorbekämpfung Informationen aus, auch über mutmaßliche Terroristen in den pakistanischen Ausbildungslagern. Trotzdem könnte die Rakete, die am 04.Oktober 2010 das Haus in Nord-Waziristan traf, rein zufällig Bünyamin aus Wuppertal getötet haben. Somit wäre der Deutsche lediglich ein Kollateralschaden der amerikanischen Drohnenpolitik.

Dass die Amerikaner den genauen Aufenthaltsort des 20jährigen Abendschülers aus Wuppertal kannten, gilt als eher unwahrscheinlich. Die Verhöre der in Afghanistan und Pakistan im vergangenen Jahr festgenommenen deutschen Dschihadisten Ahmed Wali S. und Rami M., dürften keine Informationen über Bünyamin E. erbracht haben. Rami M. wurde bereits im Mai 2010 von pakistanischen Soldaten verhaftet, Ahmed S. fiel im Juni 2010 US-Truppen in Kabul in die Hände. Bünyamin E. reiste jedoch erst zu diesem Zeitpunkt nach Pakistan. In die Grenzregion Waziristan kam er erst vier Wochen vor seinem Tod.

Prinzipiell sei es auch unwichtig, ob und woher die amerikanische CIA im Vorfeld Informationen über den deutschen Dschihadisten hatte, meinen Völkerrechtler. Sollte sich Bünyamin E. in einem Kriegsgebiet an einem bewaffneten Konflikt beteiligt haben, so sei er als feindlicher Kämpfer ein legitimes Ziel für einen Tötung per Drohne. Diese würden – wenn auch inoffiziell – mit Zustimmung der pakistanischen Regierung auf pakistanischem Territorium stattfinden, und seien daher kein diplomatischer Skandal mehr.

CIA-Agenten dürfen nicht töten

Felix Boor, Völkerrechtler der „Ruhr-Universität“ in Bochum, hält es eher für zweitrangig ob und wenn ja welchen Feindstatus Bünyamin E. zum Zeitpunkt seines Todes hatte. Entscheidend sei, wer ihn getötet hat. Die Drohnenangriffe unterscheiden sich von militärischen Luftangriffen vor allem durch eines: sie werden nicht vom US-Militär durchgeführt, sondern von Agenten des amerikanischen Geheimdienstes CIA. Die Geheimdienstler allerdings dürfe laut Völkerrecht gar nicht töten.

„Die CIA hat kein Kombattanten-Privileg im bewaffneten Konflikt“, sagte mir Boor , „d.h. die CIA stellt sich auf die Stufe von Zivilisten, die unerlaubt Kriegshandlungen vornehmen.“ Nach Genfer Konventionen dürfen sich nur Streitkräfte am bewaffneten Konflikt beteiligen, nicht aber Zivilisten wie CIA-Agenten. „Und wenn sie es tun, sind sie strafrechtlich verfolgbar,“ so Boor. Rechtlich seien die CIA-Agenten somit gleichgestellt mit den Al-Qaida Kämpfern, die ja ebenfalls als Zivilisten an Kampfhandlungen teilnehmen.

Bünyamin E. wollte angeblich Selbstmordattentäter werden

Ob Bünyamin E. lediglich in Pakistan in den Krieg ziehen wollte, beabsichtigte in Afghanistan gegen Nato-Truppen zu kämpfen oder Terroranschläge in Europa plante, bleibt wohl ein Geheimnis, das der 20jährige mit ins Grab nimmt. Die Gruppe, der er sich angeschlossen hatte, feiert ihn als Märtyrer im Heiligen Krieg – einen Tod nachdem sich der Deutsche angeblich sehnte. Sowohl Bünyamin E. als auch Shahab D., der ebenfalls beim Raketenangriff vom 04.Oktober 2010 starb, hatten angeblich den Wunsch, ein Selbstmordattentat zu verüben. „Beide haben seit dem ersten Tag an dem sie hier angekommen sind, nur darum gedrängt, dass man ihnen eine Märtyrer-Operation vorbereitet“, erklärte der Bonner Dschihadist Mounir C., der sich weiterhin in Waziristan aufhält.