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IS veröffentlicht Handy-App für Kinder

von Florian Flade

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Kinderleicht soll es sein. Auf dem Smartphone durch das arabische Alphabet klicken und dabei spielerisch die Buchstaben lernen. Die Handyapp ist in bunten Farben und Comic-Stil gehalten. Einzig die Beispiele wirken etwas verstörend. „د“ für „دبابة“ – das arabische Wort für „Panzer“. Oder „س “ für „سيف“ , was „Schwert“ bedeutet.

Die Terrorgruppe IS hat in der vergangenen Woche eine App für Android-Handys veröffentlicht, mit der Kinder die arabischen Buchstaben lernen sollen. Das Programm mit dem Namen „Huruf“ wird derzeit von den Dschihadisten über die unterschiedlichen Kanäle in sozialen Medien beworben. Damit sollen Kinder sowohl die Aussprache als auch das Schreiben der Buchstaben erlernen. Zusätzlich gibt es noch ein Acapella-Lied, ein sogenanntes Nasheed.

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Die App darf als weiterer Versuch des IS bei der Indoktrinierung von Kindern gewertet werden. Aus Propagandavideos der Organisation ist ersichtlich, dass in den beherrschten Gebieten in Syrien und Irak bereits routinemäßig religiöse und ideologische Schulungen für Kinder und Jugendliche stattfinden. „Löwenwelpen“ nennen die Terroristen ihren Nachwuchs. Mit „Huruf“ zielt der IS nun auch Kinder von islamistischen Eltern im Ausland, sprich auch im Westen, ab.

Das Arabisch-Lernprogramm ist dabei nur die letzte digitale Innovation der Terroristen. Schon seit einigen Monaten bietet der IS auch eine App seiner ominöse Nachrichtenagentur „Amaq“ an. Auch sie ist für Android-Smartphones konzipiert und bietet regelmäßige Updates mit Videos, Bekennerschreiben und Audiobotschaften.

 

Die Reise des Robert B.

von Florian Flade

In Großbritannien wurden zwei deutsche Terrorverdächtige zu Haftstrafen verurteilt. Die mutmaßlichen Islamisten Robert B. und Christian E. aus dem bergischen Solingen hatten bei ihrer Einreise nach Großbritannien im Juli 2011 Bombenbau-Anleitungen und Dschihad-Propaganda im Gepäck. Zu Hause in Solingen rätseln Angehörige wie aus Robert und Christian radikale Islamisten werden konnten.

Für Marlis B. (57) aus Solingen waren die letzten Monate eine anstrengende Zeit voller Hoffen und Bangen. Heute fiel in London das Urteil gegen ihren Sohn, den Terrorverdächtigen Robert B.. Es ist die vorläufig letzte Etappe eines langen Weges von der bergischen Provinz in einen britischen Gerichtssaal. Bis heute ist es Marlis B. unerklärlich, wie aus dem braven Robert, der nie in Schlägereien oder Kriminalität verwickelt war, der radikale Islamist „Abdul Hakim“ werden konnte. Die Geschichte einer Radikalisierung mitten in Deutschland.

Roberts Leben vor dem Islam sei nicht einfach gewesen, sagt seine Mutter. Der Vater verstarb nur drei Tage vor dem 13.Geburtstag seines Sohnes an Lungenkrebs. In der Schule sei Robert viel gehänselt worden, galt eher als Außenseiter. Er brach die Schule nach der neunten Klasse ab und ging als 17jähriger – mit Einwilligung der Mutter – zur Bundeswehr. Sein Traum war es, sich verpflichten zu lassen, Panzer zu fahren, auch in den Afghanistan-Einsatz zu gehen. Doch innerhalb der Truppe wies man Robert einen tristen Bürojob zu. Vielleicht aus Langeweile, vielleicht durch den Einfluss von Kameraden driftete er in die rechte Gesinnung ab. Die Bundeswehr musste er deshalb verlassen. Robert holte seinen Realschulabschluss nach und schloss anschließend eine Lehre als Fachlagerist ab. In der Solinger Firma übernommen wurde Robert aber nicht. Er rutschte in eine Sinnkrise.

Irgendwo auf den Straßen und in den Hinterhöfen Solingens kam Robert mit den Predigern des fundamentalischen Islams in Kontakt. Robert, den seine Eltern absichtlich nicht taufen ließen, damit er seinen Glauben frei wählen kann, war fasziniert von der strenggläubigen Lehre der Salafiten. Er schwärmte von Predigern, von der Brüderlichkeit unter Muslimen und vom Paradies. Im Januar 2009 konvertierte Robert. Er nannte sich fortan „Abdul Hakim“ und orientierte sich immer stärker an die Pflichten und Vorschriften seiner neuen Religion. Er wollte von nun an ein Leben nach dem Vorbild des Propheten Mohammed führen. Regelmäßig besuchte Robert nun die Vorträge fundamentalistischer Prediger in den Moscheen in Solingen, Bonn, Köln und auch Hamburg. Ein Video, aufgenommen in einer Solinger Moschee, zeigt Robert im Publikum, mit Gebetsmütze und breitem Grinsen im Gesicht. Im Hintergrund zu erkennen: der salafitische Prediger Abu Abdullah aus Bonn.

Innerhalb weniger Monate wurde aus dem Atheisten Robert B. ein fundamentalistischer Salafit, der auch begann, in der eigenen Familie zu missionieren. Öfter brachte er Flyer radikalislamischer Prediger mit nach Hause, riet der Mutter, Kopftuch, gar die Burka zu tragen, damit auch sie ins Paradies komme. „Du bist radikal“, sagte seine Mutter als sie die Wandlung ihres Sohnes bemerkte. „Mutti, ich würde niemals einen Menschen umbringen“, versprach Robert.

Der Freundeskreises von Robert B. bestand zunehmend aus radikalen Islamisten, darunter der bereits 2003 konvertierte Christian David E. (28) genannt „Abdul Malik“. Der mehrfach vorbestrafte Solinger übte, so glauben es Sicherheitsbehörden, einen starken Einfluss auf Robert aus. Der blonde, bullige Konvertit, ein Auszubildender in einer Pflegeklinik und begeisterter HipHop und Eishockey-Fan, nahm den jungen Neu-Muslim angeblich unter seine Fittiche. Christian E. führte Robert wohl in das salafitische Netzwerk zwischen Solingen, Köln und Bonn ein. „Er hat eine Ersatzfamilie gesucht“, erklärt sich Roberts Mutter den Einfluss der radikalen Islamisten auf ihren Sohnes, „Robert war etwas labil und wusste noch nicht genau was er wollte.“

Im Oktober 2010 plante eine Gruppe deutscher Muslime aus Nordrhein-Westfalen eine Sprachreise nach Ägypten – unter ihnen auch Robert und sein Freund Christian. In Alexandria wollten die Gläubigen aus Deutschland Arabisch lernen, planten sich in einer berüchtigten Sprach-Schule einzuschreiben. „Ein richtiger Muslim muss Arabisch können“, sagte Robert seiner Mutter, er wolle die Sprache lernen, um seinen Glauben richtig leben zu können. Marlis B. überkam ein ungutes Gefühl, die Alarmglocken gingen ab. „Robert redete nur noch vom wahren Paradies, davon dass Ungläubige in die Hölle kommen“, erinnert sich die 57jährige. Sie rief noch vor Roberts Abreise den Staatsschutz an und fragte nach Rat. Sie solle doch versuchen ihrem Sohn den Reisepass wegzunehmen, riet man Marlis B.. Die entgegnete, das sei doch gar nicht möglich, denn ihr Sohn sei schließlich volljährig,

Nur wenige Tage später bekam ihr Sohn tatsächlich Besuch von Beamten der Sicherheitsbehörden. Sie befragten Robert, beruhigten anschließend seine Mutter: Man habe zukünftig ein Auge auf ihn. Dennoch reiste Robert drei Wochen später, am 25.Oktober 2010, nach Ägypten. Drei Monate war der deutsche Konvertit in Alexandria, die Mutter schickte ihm regelmäßig das Kindergeld. Ende Januar 2011 erreichte der Arabische Frühling auch Ägypten. Deutsche Staatsbürger wurden aufgrund der politischen Unruhen mit Sondermaschinen ausgeflogen. In einer dieser Maschinen saß am 1.Februar 2011 auch Robert B. aus Solingen.

Zurück in Deutschland, wohnte Robert zunächst zwei Tage bei seiner Mutter. „Er war wie verwandelt“, erinnert sich Marlis B., „Er war nicht mehr zugänglich. Ich musste dem Jungen jedes Wort aus der Nase ziehen.“ Er behauptete eine eigene Wohnung gefunden zu haben, beantragte Hartz IV. In Wahrheit wurde eine als radikal berüchtige Hinterhof-Moschee Roberts neues Zuhause. Der 24jährige schlief fortan im „Deutsch-Islamisten Zentrum“ an der Konrad-Adenauer-Strasse. Sein Freund und Glaubensbruder Christian E., so verriet es der Name am Briefkasten der Moschee, war ebenfalls dort wohnhaft.

In anderen Moscheen der Stadt waren die Konvertiten Robert und Christian in den vergangenen Jahren stets abgewiesen worden. Sie tauchten dort regelmäßig mit ihren Laptops auf, sprachen nach den Predigten mit den anderen Muslimen über Politik. „Eines Tages kam die Polizei und sagte, wir sollten die beiden Männer nicht mehr in unsere Gemeinde lassen“, erinnert sich ein Moschee-Vorstand aus Solingen, „Ich habe sie daraufhin gebeten, zu gehen.“ In der verschlossenen Salafiten-Gemeinde der Hinterhof-Moschee wurden Robert B. und Christian E. mit offenen Armen empfangen.

Innerhalb der Solinger Islamisten-Szene etablierte sich das Konvertiten-Duo rasch als feste Größe. Robert B. und Christian E. gerieten zunehmend in den Fokus der Sicherheitsbehörden in Nordrhein-Westfalen. Sie galten als „Einflusspersonen und Logistiker“ innerhalb der Salafiten-Szene, heißt es in Ermittlerkreisen. Nach Informationen von „Welt Online“ sollen sie auch Ansprechpartner für Reiseplanungen in terroristische Ausbildungslager im Ausland gewesen sein.

Roberts Mutter Marlis bekam von all dem immer weniger mit. Die Besuche des Sohnes wurden immer kürzer, Robert sprach kaum noch über sein Leben. Im Juni 2011 schöpfte die Mutter plötzlich wieder Hoffnung, ihr Sohn könnte vielleicht doch wieder in ein regeltes Leben ohne Fanatismus zurückfinden. „Ich dachte es geht wieder aufwärts“, so Marlis B., „Er hat gesagt er würde sich eine eigene Wohnung nehmen und sich eine Arbeit suchen“. Doch das Gegenteil war der Fall. Nur einen Monat später war Robert verschwunden. Weil sie auf einem Kontoauszug ihres Sohnes die Buchung für ein Reiseticket entdeckte, wandte sich Marlis B. Mitte Juli erneut an die deutschen Sicherheitsbehörden.

Dort wusste man bereits wohin Robert gereist war. „Man sagte mir, es gehe ihm gut“, so Marlis B., „Ich war erleichtert. Ich hatte ihn schon mit einer Bombe rumlaufen sehen, Leute umbringen.“ Was die Mutter noch nicht ahnte: Robert und sein Freund Christian E. waren als Terrorverdächtige am 15.Juli 2011 bei der Einreise nach Großbritannien festgenommen worden. Bei der späteren Vernehmung erklärten die beiden Deutschen, sie hätten ursprünglich geplant mit dem Flugzeug von Brüssel aus nach Ägypten zu fliegen. Das Flugticket sei ihnen dann zu teuer gewesen, stattdessen reisten sie angeblich spontan per Fähre nach Großbritannien.

In der Hafenstadt Dover warteten bereits Beamte der britischen Anti-Terror Einheiten. Sie stießen bei der Durchsuchung des Gepäcks der deutschen Salafiten auf brisantes Material. Auf einem Laptop und einer externen Festplatte befand sich islamistisches Propaganda-Material. Unter den sichergestellten PDF-Dateien war auch ein englischsprachiges Online-Magazin der jemenitischen Al-Qaida mit dem Titel „Inspire“. Darin findet sich der Artikel „Make A Bomb In The Kitchen Of Your Mom“, eine Schritt-für-Schritt Anleitung zum Bombenbau. Und die britischen Beamten fanden noch mehr. Auch ein Essay des inzwischen getöteten Al-Qaida Predigers Anwar al-Awlaki mit dem Titel „39 Way to Support the Jihad“ hatten Robert B. und Christian E. in ihrem Gepäck.

Der Fund veranlasste die britische Staatsanwaltschaft gemäß den Anti-Terror-Gesetzen aus dem Jahr 2000 Ermittlungen gegen Robert B. und Christian E. einzuleiten. Den mutmaßlichen Islamisten aus Deutschland wird vorgeworfen gegen Artikel 58 des „Terrorism Act“ verstoßen zu haben. Sie sollen Material besessen und nach Großbritannien eingeführt haben, das für die Planung eines terroristischen Anschlages verwendet werden kann. Die Verteidigung behauptet allerdings, das brisante Propaganda-Material sei im Internet frei zugänglich und dessen Download und Besitz in Deutschland nicht strafbar. Anschlagsabsichten seien den Solinger Konvertiten nicht nachweisbar.

Da die Angeklagten bestritten in Anschlagsplanungen oder Dschihad-Aktivitäten verwickelt zu sein, ist weiterhin unklar, was das eigentliche Ziel ihre Reise war. Wollten Robert B. und Christian E. in Großbritannien Glaubensbrüder treffen? Sollten sie im Auftrag nordrhein-westfälischer Prediger Kontakte auf der Insel knüpfen? War London nur eine Zwischenstation und wollten die Konvertiten eigentlich weiterreisen? Robert und Christian machten zu diesen Fragen bislang keinerlei Angaben.

Nach ihrer Festnahme wurden die deutschen Terrorverdächtigen in das Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh östlich von London verlegt. Marlis B.in Solingen bemühte sich seither vergeblich über einen Anwalt um Kontakt zu ihrem Sohn. Sie schrieb Briefe in das Gefängnis, wusste anfänglich nicht, dass alle Post nach den Vorschriften des Gefängnisses auch in englischer Sprache verfasst werden muss. Statt sich direkt bei seiner Mutter zu melden, kontaktierte Robert zunächst seine Glaubensbrüder in Deutschland. Das belegt ein Brief des deutschen Konvertiten vom Oktober 2011, der „Welt Online“ vorliegt.

„Die Haft ist nicht schlimm und die behandeln uns verhältnismäßig gut hier“, schrieb Robert B. an islamistische Freunde in Deutschland, „Es tut gut mit so vielen Brüdern zu sein. Die Haft lässt sich aushalten. Man bekommt sein Essen, man kann Fitness machen und islamische Klassen besuchen, Freitagsgebet gibt es auch.“ Nicht-muslimische Häftlinge würden die Haftbedingungen allerdings nicht ertragen. Häufig würden Mithälftlinge ausrasten oder Suizid begehen, berichtet Robert B.: „Die kommen nicht klar, die sind ja auch nicht auf dem Weg Allahs hier, die sind einfach Kuffar (Ungläubige), möge Allah sie rechtleiten.“

Mitte Januar erhielt Mutter Marlis B. die ersten Briefe von Robert. Sie haderte seither mit dem Wunsch nach Großbritannien zu reisen. Am vergangenen Samstag flog Marlis B. nun mit ihrem Anwalt Burkhard Benecken nach London. Sie soll als „präsente Zeugin“ im Prozess gegen ihren Sohn aussagen, von der Entwicklung ihres Sohnes, den Familienverhältnissen und seiner Kindheit berichten.

Robert und der Mitangeklagte Christian E. bekannten sich indes bereits vor einer Woche schuldig im Sinne der Anklage. Die deutschen Terrorverdächtigen hatten offenbar im Fall einer Verurteilung auf eine Strafmilderung gehofft. Gestern fiel vor dem Strafgericht „Old Bailey“ in London das Urteil. Robert B. wurde zu 12 Monaten Haft, Christian E. zu 16 Monaten verurteilt. Die Hälfte der Strafe müssen beide Konvertiten absitzen, der Rest wurde zur Bewährung ausgesetzt. Damit ist Robert B. praktisch auf freiem Fuß. Christian E., dessen Vater britischen Ermittlern gesagt hatte, er habe sich lediglich für den extremistischen Islam interessiert, sei aber kein Extremist,  muss hingegen noch vier Monate in Großbritannien in Haft bleiben und darf dann die Bewährungszeit in Deutschland verbringen.

Christian E. und Robert B. drohte ursprünglich eine Maximalstrafe von bis zu zehn Jahre Haft. Davon ließ sich der gottesfürchtige Konvertit Robert kaum einschüchtern. „Meine Anklage ist ein Witz“, heißt es in einem Brief von Robert aus dem Gefängnis, „Es ist schön so viel Zeit für Koran lesen zu haben, draußen kam irgendwie immer was dazwischen.“

Der Terror hat tausend Gesichter – Und kein Profil

von Florian Flade

Bei Sicherheitskontrollen an deutschen Flughäfen soll ein terroristisches Täterprofil zum Einsatz kommen – so der Vorschlag vom Präsidenten des Deutschen Flughafenverbandes. Wer glaubt dies bringe den gewünschten Erfolg lebt im sicherheitspolitischen Mittelalter.

„Diese neue Generation von Mujahideen wächst mehrsprachig auf. Sie lernen hier in der Regel Arabisch, Türkisch, Englisch, Paschtu, Urdu und die Muttersprache der Eltern“, schrieb der Saarländer Konvertit Eric Breininger in seinen Memoiren, die im April im Internet veröffentlicht wurden, kurz nachdem pakistanische Soldaten den deutschen Islamisten erschossen hatten. „Mit Allahs Erlaubnis wird dieser Nachwuchs zu einer ganz besonderen Generation von Terroristen, die in keiner Datenbank und keiner Liste der Feinde Allahs erfasst ist“, schrieb Breininger weiter, „Sie sprechen die Sprachen der Feinde, kennen ihre Sitten und Bräuche und können sich auf Grund ihres europäischen Aussehens hervorragend tarnen und so die Länder der Ungläubigen unauffällig infiltrieren um dort eine Operation nach der anderen ausführen und so Angst und Terror in ihren Herzen zu sähen.“

Der inzwischen getötete Breininger macht auf mit seiner Autobiografie postmortem ein Phänomen aufmerksam, das Sicherheitsdiensten zunehmend zu schaffen macht. Historische Profile von islamistischen Attentätern beginnen zu bröckeln, phenotypische Terroristenprofile lassen sich neun Jahre nach dem 11.September 2001 nicht mehr aufrechterhalten. Der dschihadistische Terrorismus kommt längst nicht mehr im Gewand eines Mohammed Atta oder Ziad Jarrah daher.

Genau deshalb lässt sich das vom Präsident des Deutschen Flughafenverbandes Christoph Blume vorgeschlagene Profiling von Passagieren an deutschen Flughäfen nicht nur verfassungsrechtlich hinterfragen, sondern darf als wenig effektiv bewertet werden.
Von welchem Profil etwa spricht Herr Blume? Ist es der 20-30jährige Mann nahöstlich oder vorderasiatischer Herkunft? Trägt er Bart oder ist frisch rasiert? Reist er alleine oder mit Familie? Spricht er Arabisch, Türkisch oder Pashtu? In Kategorien zu denken mag hilfreich erscheinen. Es macht Vorurteile vermeintlich real bedeutsam und formt eine Realität, deren Komplexität schlechtweg verkannt oder bewusst ignoriert wird. Wer sich sein Terroristen-Profil bastelt vermittelt Passagieren den Eindruck, Reisen würde dadurch sicherer dass ab sofort Türken und Araber eine separate Sicherheitsschleuse benutzen müssen. Abgesehen von der Frage nach Menschenwürde und Bürgerrechten – ein fataler Trugschluss welcher der sicherheitspolitischen Realität nicht gerecht wird.

Vor fast genau einem Jahr überwältigten Passagiere den dunkelhäutigen Nigerianer Umar Farouk Abdulmutallab, der eine in der Unterwäsche versteckte Bombe in einem US-Passagierflugzeug über Detroit zünden wollte. Der Sohn eines nigerianischen Bankiers sprach perfektes Englisch, trug ein weißes T-Shirt, hatte keinen Bart. Welchem Täterprofil entsprach Abdulmutallab?

Beispiel Sauerlandzelle. Ihre Mitglieder waren ein blonder Konvertit namens Fritz, ein langhaariger, hellhäutiger Deutscher namens Daniel. Wäre Breininger nicht in etlichen Propagandavideos aufgetreten und hätten deutsche Behörden ihn nicht auf dem Radar gehabt – wem wäre der blonde, blauäugige Saarländer mit spärlichem Oberlippenbart als Terrorist aufgefallen? Was ist mit den dunkelhäutigen Somaliern die dutzendfach die europäischen Exil-Gemeinde von Großbritannien, Schweden und Dänemark verlassen und eventuell als ausbildete Guerilla-Kämpfer zurückkehren?

In den terroristischen Ausbildungslagern Pakistans tummeln sich seit Jahren nicht mehr nur Ibrahims, Mohammeds, Ahmeds oder Omars. Konvertiten dominieren zunehmend die Szene, weiße, europäische oder nordamerikanische Islamisten, die teilweise nur wenige Monaten nach dem Übertritt zum Islam den militanten Weg einschlagen und Märtyrer werden wollen. Ihre Profile sind so variabel wie die Personen selbst. Soll also das Sicherheitspersonal an deutschen Flughäfen nun in Zukunft auf rothaarige Briten, blauäugige Libanesen, hellhäutige Algerier, dunkelhäutige Somalier mit dänischem Akzent achten?

Ein gefährliches Merkmal der al-Qaida-Kultur ist nicht etwa ihre Gefahr oder der schier grenzenlose Fanatismus, sondern vielmehr die Tatsache dass es Bin Laden gelang aus den Wirren des anti-sowjetischen Krieges in Afghanistan eine islamistische Internationale zu formen. Während die militanten Palästinensergruppen kaum einen Monat ohne interne Machtkämpfe und blutige Streitereien verbleiben, hat al-Qaida eine multiethnische, multilinguale Dschihad-Allianz geschaffen, ein terroristisches Netzwerk das die Grenzen von Nationalität, Rasse, Hautfarbe und gar Geschlecht überwindet.

Auf Propagandaebene hat sich das Netzwerk schon lange auf nicht-arabische Rekruten konzentriert. Englischsprachige Videobotschaften und Schriften sollen Muslime im Westen mit dem dschihadistischen Virus infizieren. Sie sollen Einzeltäter dazu bringen ohne Befehl, ohne Netzwerk, ohne Komplizen loszuschlagen. Erreicht werden damit keineswegs nur westliche Islamisten mit arabisch oder pakistanischem Hintergrund. Die Liste jener Terroristen, die in den vergangenen Jahren festgenommen wurden, und in kein Kategorie-Schema passen ist lang und wird immer länger.

„Jihad Jane“ ist der Spitzname der amerikanischen Konvertitin Colleen LaRose, die im Zusammenhang mit einem geplanten Anschlag auf den schwedischen Mohammed-Karikaturisten Lars Vilks festgenommen wurde. Nicht einmal israelischen Profilern wäre die blauäugige Frau mit wallender, blonder Mähne aufgefallen. Auch der Amerikaner Bryant Neal Vinas wollte im Namen Allahs töten. Er ist ein Hispanic aus New Jersey, ausgebildet in einem al-Qaida Lager in Pakistan.

Die Einführung eines Profiling nach Aussehen, Geschlecht und ethnischer Herkunft ist demnach nichts anderes als ein Arbeiten gegen den Trend. Ein Blick in die islamistischen Propagandavideos der vergangenen Jahre belegt: der dschihadistische Feind hat viele Gesichter, spricht etliche Sprachen und besitzt westliche Pässe. Neben deutschen Islamisten trainieren Usbeken, Tadschiken, Kirgisen, Tataren, Dagestaner und andere zentralasiatische Ethnien in den Lagern Waziristan. Chinesische Uiguren, Indonesier, Bangladescher und Maledivier tauchen auf, komplett verschleierte Frauen und vermummte unbekannte Gesichter die in akzentfreiem Deutsch Hass predigen – sogar albinotische Personen.

Geheimdienstarbeit und grenzübergreifende Zusammenarbeit von Sicherheitsdiensten und nicht das Fixieren auf ein veraltetes Täterprofil sind der effektivste Weg für eine sichere, terrorfreie Zivilluftfahrt. Das Risiko ist die Dunkelziffer, an deren Minimierung die deutschen Sicherheitsbehörden fieberhaft, und teilweise durchaus erfolgreich, arbeiten. Durch Videopropaganda bekannte Gesichter, wie etwa das von Breininger, Bekkay Harrach oder Mounir Chouka, würden wohl nie wagen per Flugzeug in Richtung Bundesrepublik abzufliegen. Zu bekannt sind sie, als dass sie per Passagierflugzeug versuchen würden einzureisen.

Viel gefährlich sind jene, die im Schatten der Propaganda-Schlachtrösser standen, bislang unbekannte Islamisten, jene Generation der europäisch aussehenden Kosmopoliten dschihadistischer Couleur, die Eric Breininger in seinen Memoiren erwähnte.