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Knapp daneben

Der BND hat die schnelle Machtübernahme der Taliban in Afghanistan nicht vorhergesehen. Es ist nicht das erste Mal, dass der Geheimdienst mit seiner Prognose daneben lag. Wie kommt es zu solchen Fehleinschätzungen? Und sind die Erwartungen an die Spione möglicherweise zu hoch?

Von Florian Flade

BND-Zentrale in Berlin-Mitte

Plötzlich waren die Amerikaner weg. Die BND-Mitarbeiter in der Deutschen Botschaft in Kabul sollen sich noch verwundert draußen auf dem Gelände umgesehen haben, und stellten dann fest, dass das US-Militär offenbar abgezogen war. Aus der „Green Zone“, einem besonders gesicherten Bereich der afghanischen Hauptstadt. Die Amerikaner hatten sich augenscheinlich zum Flughafen zurückgezogen. Und zwar ohne die anderen Nationen vorzuwarnen, wie es heißt.

Nun brach Unruhe aus, denn ohne das US-Militär war das internationale Personal in der „Green Zone“ nahezu schutzlos. Das war am Wochenende rund um den 14. August, als die Taliban in Kabul auftauchten, die afghanische Sicherheitskräfte keinen Widerstand leistete und die afghanische Regierung fluchtartig das Land verließ.

Dann ging alles ganz schnell. Die Deutsche Botschaft wurde geräumt, wichtige Dokumente und Datenträger vernichtet. Der Vize-Botschafter Jan Hendrik van Thiel schrieb noch in einer E-Mail an das Auswärtige Amt in Berlin: „Wir sind dann erst mal nur noch per Telefon zu erreichen. Wir zerstören die IT. Schönen Sonntag noch, Ende.“

Zwei Tage zuvor, am Freitag, dem 13. August, hatte eine dringliche Sitzung des Krisenstabes in Berlin zu Afghanistan stattgefunden. Unterschiedliche Behördenvertreter trugen dabei ihre Einschätzungen vor. Auch die Vize-Präsidentin des BND, Tania Freiin von Uslar-Gleichen, war dabei. Sie erklärte, man gehe davon aus, dass die Taliban „derzeit kein Interesse“ an einer militärischen Eroberung Kabuls hätten. Zumindest nicht vor dem 11. September, dem von US-Präsident Joe Biden genannten Datum des vollständigen Abzugs der US-Truppen aus dem Land.

Militärisch erobern mussten die Islamisten die afghanische Hauptstadt allerdings auch gar nicht. Am Ende nahmen sie Kabul ohne lange Gefechte und ohne großes Blutvergießen ein, so wie schon zahlreiche Provinzhauptstadt zuvor. Schließlich übernahmen sie die Kontrolle über fast alle Landesteile. Sie brauchten dafür keine Wochen oder gar Monate, wie prognostiziert worden war, sondern nur wenige Tage.

Die Prognose des BND zum möglichen Fall Kabuls war falsch – auch wenn die Fachleute des Auslandsdienstes durchaus mehrere Eventualitäten berücksichtigt hatten. Sie hatten sogenannte „Kipp-Punkte“ aufgelistet, und dabei Szenarien beschrieben, die sie für wahrscheinlich hielten, falls bestimmte Entwicklungen eintreten sollten. Dennoch lag man bei der Einschätzung der Dynamik des Taliban-Vormarsches daneben.

„Der BND hat offensichtlich eine falsche Lageeinschätzung vorgenommen, so wie andere Dienste auch“, sagte Bundesaußenminister Heiko Maas später im Interview mit dem Spiegel. „Die Entscheidungen, die aufgrund dieser fehlerhaften Berichte getroffen wurden, sind nach bestem Wissen und Gewissen gefallen. Aber sie waren im Ergebnis falsch, mit katastrophalen Folgen.“

BND-Präsident Bruno Kahl war um Schadensbegrenzung bemüht. Er trat in geheimer Sitzung des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag auf, ebenso im Parlamentarischen Kontrollgremium (PKGr), und berichtete, wie der BND zu seiner Prognose gekommen sei. Dabei betonte Kahl, dass man die besagten „Kipp-Punkte“ aufgelistet habe, was in der öffentlichen Darstellung nur verkürzt wiedergegeben worden sei. Außerdem hätten auch die wichtigen Partnerdienste in dieser Sache, allen voran die Amerikaner, die Lage ähnlich eingeschätzt.

Mittlerweile ist man im BND bereits einen Schritt weiter gegangen. Der Dienst ist nun mit der Fehleranalyse beschäftigt. Es wurde eine interne Prüfung eingeleitet, die klären soll, warum man mit der Prognose daneben lag.

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16-jähriger Deutsch-Türke aus Hessen stirbt in Syrien

von Florian Flade

In Syrien ist offenbar ein junger Mann aus Frankfurt getötet worden. Er wurde gerade einmal 16 Jahre alt. Hessens Innenminister fordert bundesweites Präventionsprogramm gegen den Islamismus.

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Die islamistische Szene in Deutschland kennt derzeit nur ein Thema: Syrien. Wie kaum eine andere Region zieht das Bürgerkriegsland am Mittelmeer derzeit radikale Islamisten aus aller Welt magnetisch an. Bis zu eintausend Dschihadisten aus Europa sollen inzwischen auf Seiten der Rebellengruppen gegen das Assad-Regime kämpfen. Unter ihnen mehr als 200 Islamisten aus Deutschland.

Die Sicherheitsbehörden sind aufgrund dieser Entwicklung seit Monaten alarmiert. Woche für Woche reisen junge Muslime aus Deutschland nach Syrien. Die meisten von ihnen sind deutsche Staatsbürger, einige sogar noch minderjährig. So wie „Enes“.

Der 16-jährige Deutsch-Türke aus Frankfurt am Main ist wohl erst vor wenigen Wochen in Syrien angekommen. Und ist jetzt bereits tot. Im Internet feiern ihn seine Glaubensbrüder als „Märtyrer“.

„Enes erreichte Aleppo erst vor drei Tagen und ist schon ein Shahid (Märtyrer)“, heißt es in einem Internet-Eintrag zum Tod des Frankfurters. Fotoaufnahmen, die der „Welt“ vorliegen, zeigen den Leichnam des jungen Mannes und blutverschmierte Kleidung. Und dann gibt es da noch eine Fotocollage, die offenbar Kampfgefährten des Getöteten ins Internet gestellt haben. Darauf zu sehen: ein junger Mann mit Kalaschnikow-Sturmgewehr in der Hand.

Deutsche Sicherheitsbehörden prüfen die Echtheit der Todesmeldung und der Fotoaufnahmen. Sie gehen Hinweisen nach, dass es sich bei dem Getöteten um Enes Ü. handeln könnte, einen von mehreren minderjährigen Islamisten, die aus Hessen ausgereist sind. Bestätigt ist dies aber bislang nicht.

Während einige Islamisten im Internet den Märtyrertod des Jungen aus Deutschland feiern, äußern einige auch Kritik. „Ein 16 jähriger hat nichts in Syrien verloren“, heißt es in einem Interneteintrag zum Tod von „Enes“. „Guckt mal wie es den Jungen seinen Eltern geht.“

Hessens Innenminister Boris Rhein (CDU) hatte auf der Innenministerkonferenz (IMK) am 5.Dezember ein bundesweites Frühwarnsystem gefordert, um zu verhindern, dass sich junge Muslime weiter radikalisieren und womöglich noch mehr Minderjährige nach Syrien ausreisen.

Eine Studie im Auftrag des hessischen Innenministeriums kam zu dem Ergebnis, dass sich unter den 23 Fällen von hessischen Islamisten, die in den syrischen Dschihad gezogen waren, auch neun Schüler befanden. Die islamistischen Rekrutierungsbemühungen zielten zunehmend auf Minderjährige, so Rhein. Daher sei es notwendig die Präventionsarbeit zu verstärken und bundesweit zu vernetzen.

„Die Anwerbung von Schülern durch radikale Salafisten macht nicht an den hessischen Landesgrenzen halt“, sagte Rhein im Vorfeld der Innenministerkonferenz. „Ein solches bundesweites Präventionsnetzwerk sollte einerseits zu einer verbesserten Beratung von Angehörigen, Lehrern, Freunden oder Arbeitgebern führen.“ Andererseits solle das Netzwerk auch zu einer verbesserten Intervention, beispielsweise bei kampferprobten Syrien-Rückkehrern, beitragen.

Für Enes Ü. auf Frankfurt kommt dieses Projekt wohl zu spät.

Trendland Syrien

von Florian Flade

pic_080813_13Der deutsche Dschihadist „Abu Ahmad al-Almani“ (Mitte)

Es gibt Entwicklungen im Islamismus, die sind vorhersehbar und kaum zu verhindern. Etwa, dass sich ein Land, dessen staatliche Strukturen sich im Zuge eines Konfliktes zunehmend auflösen, an dem islamistische Akteure einen gewissen Anteil haben, eine geradezu magnetische Anziehungskraft auf kampfeswillige Islamisten aus aller Welt ausüben. So geschehen in den 1980er Jahren beim Einmarsch der Roten Armee in Afghanistan, in den 1990er Jahren beim Konflikt zwischen Christen und Muslimen auf dem Balkan und ab 2003 nach der US-Invasion im Irak. Stets zog es hunderte, manchmal sogar tausende Islamisten in die Kriegsgebiete, um ihren Anteil am Dschihad zu leisten.

Obwohl die Konflikte in Afghanistan, dem Irak oder Nordafrika keinesfalls beendet oder auch nur beruhigt sind, gibt es derzeit wohl kein Land, dass Islamisten aus Europa stärker anzieht als Syrien. „Trendland“ nennt Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen das zerfallende Land mit Blick auf eine wachsende Zahl von dorthin gereisten Islamisten aus Deutschland.

„Syrien ist weiterhin das zentrale Ausreiseziel für Dschihadisten aus Deutschland“, ließ Maaßen in einer gestrigen Pressemitteilung verlauten. Nach Erkenntnissen des Bundeskriminalamtes und des Bundesamtes für Verfassungsschutz sind seit Ende 2012 rund 120 Islamisten aus Deutschland in Richtung Syrien ausgereist. Wie viele tatsächlich dort ankamen, ist den Sicherheitsbehörden unbekannt. Ein gutes Dutzend Ausreise habe der Verfassungsschutz zusammen mit der Polizei verhindern können.

Die Zahlen der Ausreisen nach Syrien schwankten jeden Tag, so der Verfassungsschutz, die Tendenz sei jedoch eher steigend, meldet der Verfassungsschutz. Einige der Islamisten seien inzwischen wieder nach Deutschland zurückgekehrt, darunter auch eine einstellige Zahl von Personen, von denen bekannt ist, dass sie sich wohl an Kampfhandlungen beteiligt haben.

„Es ist oft sehr schwierig nachzuvollziehen, was diese Personen in Syrien getan haben“, erklärte mir dazu ein Verfassungsschützer. „Klar ist, sie alle beteiligen sich am Sturz des Assad-Regimes. In welcher Form, ob mit der Waffe oder durch andere Tätigkeiten, ist nicht immer eindeutig.“

Bei den Rückkehrern ließen oftmals nur Schussverletzungen Rückschlüsse darauf zu, ob sich die Person an Kämpfen beteiligt hat. „Da gibt es dann Fälle, wo die Person erzählt, sie habe sich bei einem Jagdausflug in Syrien oder der Türkei verletzt.“

Der Verfassungsschutz bestätigt inzwischen auch, dass vereinzelt auch Todesfälle in den Reihen der deutschen Dschihadisten zu verzeichnen sind. Auf eine genaue Zahl will sich der Inlandsnachrichtendienst allerdings nicht festlegen.

Die dschihadistische Gruppe „Jabhat al-Nusrah“ vermeldete vor wenigen Tagen den Tod eines deutschen Kämpfers in ihren Reihen. „Abu Ahmad al-Almani“ sei während eines Gefechts nahe der Ortschaft Ost-Ghuta getötet worden, so die Rebellengruppe. Der gebürtige Libanese habe seit seiner Kindheit in Deutschland gelebt und verkehrte zunächst im kriminellen Milieu, bevor er Anhänger des fundamentalistischen Islams wurde und über die Türkei nach Syrien reiste.

„Abu Ahmad al-Almani“ fiel mir im vergangenen Jahr aufgrund seines Facebook-Profils auf. Der Islamist posierte mit Schusswaffen und Militärweste auf Fotos und glorifizierte die Dschihadisten unter den syrischen Rebellen. Jetzt scheint der in Beirut geborene „Abu Ahmad“ einer der vielen gefallenen Kämpfer der Jabhat al-Nusrah zu sein.