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Operation „Heimkehr“

Als Anis Amri im Dezember 2016 sein Attentat in Berlin verübte, lief zur gleichen Zeit eine umfangreiche Anti-Terror-Operation von BKA und Verfassungsschutz. Es ging um mehrere Terrorkommandos, die nach Deutschland einreisen sollten. Und um einen geplanten Anschlag auf ein Musikfestival.

Von Florian Flade

Im Herbst 2016 herrschte Alarmstimmung bei den deutschen Sicherheitsbehörden. Die Sorge vor Terroranschlägen war groß. Davor, dass auch hierzulande islamistische Killerkommandos zuschlagen könnten. So wie kurz zuvor in Paris und Brüssel. Die Einschläge jedenfalls, sie kamen näher. 

Im Wochentakt gingen damals Warnhinweise bei der Polizei und den Nachrichtendiensten ein. Mal kamen sie von Behörden aus dem Ausland, oft auch von aufmerksamen Bürgern, die glaubten ein Nachbar plane ein Attentat. Manche Hinweise aber stammten auch aus „eigenem Aufkommen“, wie es im Jargon der Dienste heißt. 

So wie jene Informationen, die das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) im September 2016 erreichten, und die schließlich dafür sorgten, dass die deutsche Terrorismusabwehr eine umfangreiche Operation startete, um zu verhindern, dass es zu einem „deutschen Bataclan“ kommt. Es ging um einen Anschlagsplan, bei dem mehrere Selbstmordattentäter zuschlagen sollten. Ein Ziel war offenbar ein Musikfestival in Norddeutschland.

Doch ausgerechnet während die Terrorabwehr fieberhaft versuchte, ein solches „Paris Szenario“ zu verhindern, kam es zum bislang schwersten islamistischen Terroranschlag in der Bundesrepublik. Nicht mit Sturmgewehren oder Sprengstoffgürteln, sondern mit einem entführten Lastwagen verübte Anis Amri sein Attentat auf den Weihnachtsmarkt am Berliner Breitscheidplatz.

Einen Anschlag wie diesen wollten die Verfassungsschützer und Polizisten eigentlich verhindern, die im Herbst 2016 im Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ) in Berlin zusammenkamen. Das Bundesamt für Verfassungsschutz teilte damals mit, dass man beunruhigende Chatnachrichten aus dem Kriegsgebiet in Syrien festgestellt habe. Es spreche einiges dafür, dass die Terrororganisation Islamischer Staat (IS) einen Anschlag in Deutschland plane, und dafür gleich mehrere Terrorkommandos eingeschleust werden sollten. Genau wie es zuvor bereits in Frankreich und Belgien geschehen war.

Mehr über das Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum gibt es hier: Das GTAZ

Die Absenderin der Nachrichten war Marcia M., eine aus Salzgitter stammende Islam-Konvertitin, die den Behörden als Extremistin bekannt war. Sie war geneinsam mit ihrem Ehemann, dem Hildesheimer Oguz G. nach Syrien ausgereist, beide hatten sich der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) angeschlossen.

Über Messengerdienste hielt Marcia M. während ihrer Zeit beim IS weiter Kontakt mit Verwandten und Bekannten in Deutschland. So auch zu einer Freundin in Bremen, die angab, ebenfalls in das Kriegsgebiet ausreisen zu wollen. Marcia M. soll sie zunächst in dem Vorhaben bestärkt haben, dann aber riet sie ihr ab. Sie solle lieber in Deutschland bleiben und den IS dort unterstützen. 

Gleich drei Freundinnen kontaktierte Marcia M. im September 2016 mit einem brisanten Anliegen. Sie wollte wissen, ob die Frauen, denen sie offenbar vertraute, bereit wären, islamistische Kämpfer zu heiraten, mit einer Legende auszustatten und bei sich aufzunehmen, die heimlich aus Syrien nach Deutschland reisen würden – um „sehr wichtige Arbeit zu erledigen“.

Was die Islamistin damals wohl nicht ahnte: Eine der Bekannten, der sie sich anvertraute, war inzwischen vom Verfassungsschutz als Quelle angeworben worden. Die V-Frau teilte dem BfV umgehend mit, welch ungewöhnliche Bitte aus Syrien sie erreicht hatte. Bei den Verfassungsschützern wiederum war man nun alarmiert. Was ging da vor sich? Sollten tatsächlich IS-Terroristen heimlich eingeschleust werden? Was genau war der Plan?

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Terrorausbilder aus Deutschland

Bei der Vorbereitung der IS-Anschläge von Paris sollen zwei Islamisten aus Deutschland eine Rolle gespielt haben. Französische Ermittler glauben, dass die Männer das spätere Terrorkommando ausgebildet haben.

Von Florian Flade

Szene aus einem IS-Propagandavideo zu den Terroranschlägen von Paris: Bei dem verpixelten Ausbilder der Attentäter soll es sich um Thomas-Marcel C. (rechts) handeln.

Salah Abdeslam durfte sich in der vergangenen Woche vor Gericht in einem ersten längeren Statement äußern. Zu den Terroranschlägen in Paris vom 13. November 2015 mit 130 Toten, an denen er beteiligt war – und deren einziger überlebender Attentäter der Franzose sein soll.

„Wir haben gegen Frankreich gekämpft, wir haben Frankreich angegriffen, wir haben Zivilisten angegriffen. Aber es war nichts persönliches gegen sie“, sagte Abdeslam am 15. September, seinem 32. Geburtstag, offensichtlich ohne Reue und Mitgefühl für die Hinterbliebenen und Überlebenden der Terrornacht. Die Anschläge in Paris seien vielmehr gerechtfertigte Vergeltung gewesen, wegen Frankreichs Luftangriffen gegen die Terrormiliz IS in Syrien, behauptete der Extremist.

In einem historischen Mammut-Prozess, der noch Monate dauern wird, sind insgesamt zwanzig Personen wegen der Paris-Anschläge angeklagt worden. Neben Abdeslam stehen noch dreizehn weitere mutmaßliche Unterstützer und Helfer der Terrorzelle vor Gericht. Die anderen Dschihadisten wurden in Abwesenheit angeklagt, sie gelten als tot oder sind verschwunden. Einer befindet sich in der Türkei im Gefängnis. 

Zu der IS-Terrorzelle, die am Abend des 13. November 2015 in Paris, und dann am März 2016 in Brüssel zuschlug, gehörten fast ausschließlich Islamisten die in Belgien und Frankreich aufgewachsen waren. Sie waren in Syrien für ihre tödliche Mission ausgewählt und vorbereitet worden. Dann wurden sie als Flüchtlinge getarnt nach Europa geschickt.

Über die mutmaßlichen Hintermänner der Anschläge, die Terrorstrategen und Planer beim IS, gibt es inzwischen mehr Informationen. Die französischen Ermittler sind überzeugt, dass etwa die Brüder Fabien und Jean-Michael Clain aus Toulouse eine wichtige Rolle bei den Vorbereitungen der Attentaten gespielt haben. Ein entscheidender Drahtzieher soll angeblich Oussama Atar gewesen sein, ein aus Brüssel stammender Islamist, der sich angeblich hinter der mysteriösen Figur „Abu Ahmad“ verbergen soll, die das Terrorkommando aus Syrien heraus angeleitet hat – woran es allerdings berichtigte Zweifel gibt.

Auch zwei Dschihadisten aus Deutschland sollen an den Anschlagsvorbereitungen in Syrien beteiligt gewesen sein: Thomas-Marcel C. und Ahmad Abu G.. Sie gehören zwar nicht zu den Angeklagten im Pariser Terrorprozess, die französische Ermittler gehen allerdings davon aus, dass die beiden Männer die Attentäter ausgebildet haben.

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Der Bombenbauer von Paris

In Paris beginnt der Prozess um die Terroranschläge vom 13. November 2015. Der Mann, der die Sprengstoffgürtel für die Attentäter baute, wird allerdings nicht vor Gericht stehen. Er konnte nach den Attentaten entkommen und ist bis heute verschwunden.

Von Florian Flade

Ziemlich ausdruckslos und müde guckt der Mann mit den markanten, dunklen Augenbrauen in die Kamera. Bevor die Fotos gemacht wurden, nahmen die ungarischen Beamten seine Fingerabdrücke und notierten die Angaben aus seinem syrischen Pass. Name: „Ahmad al Khald“. Name des Vaters: „Mohamad“. Name der Mutter: „Siham“. Geburtsdatum: „01.01.1992“. Geburtsort: „Aleppo“. Fast alles davon war wohl falsch. Nur aus der Gegend um Aleppo stammte der Mann wohl tatsächlich.

Am 19. September 2015 reiste der Syrer, der sich „Ahmad al Khald“ nannte, mit einem Flüchtlingsboot von der Türkei nach Griechenland, auf die Insel Farmakonisi. Tags darauf wurde er gemeinsam mit anderen Geflüchteten nach Leros gebracht. Dann ging es weiter die sogenannte Balkanroute entlang, über Mazedonien und Serbien, nach Ungarn, Österreich und Deutschland. Es war der Weg zehntausender Flüchtlinge in jenen Tagen. 

In der Masse der Menschen, die vor Krieg und Terror aus Syrien nach Europa flohen, fiel der junge Mann nicht weiter auf. Allerdings war er kein Flüchtling. Er wollte den Schrecken des Krieges, das Sterben und das Leiden nicht hinter sich lassen, sondern es nach Europa bringen. Einen perfiden Hinweis auf sein mörderisches Vorhaben lieferte ein Kleidungsstück, das er trug, als er von den europäischen Beamten fotografiert wurde. Auf dem schwarzen Pullover prangt der weißen Schriftzug einer kalifornischen Modemarke. Und das Logo: eine Bombe.

Heute beginnt in Paris der Prozess zu den Anschlägen am Abend des 13. November 2015. Ein islamistisches Terrorkommando ermordete damals in der französischen Hauptstadt 130 Menschen. In Bars, Cafés, vor dem Fußballstadion Stade de France und im Konzertsaal Bataclan. Dem Islamischen Staat (IS) war es gelungen unbemerkt Attentäter von Syrien bis nach Frankreich zu bringen. Sie tarnten sich dabei als Flüchtlinge des syrischen Bürgerkrieges. „Ahmad al Khald“, der Mann mit der Bombe auf dem Sweatshirt, war einer von ihnen. Er soll die Sprengstoffwesten gebaut haben, die in der Terrornacht von Paris eingesetzt wurden.

Zwanzig Terroristen und Terrorhelfer sind in Paris angeklagt. Sie sollen sich in den kommenden Monaten dafür verantworten, dass sie an den Attentaten entweder selbst beteiligt waren – oder die Attentäter unterstützt hatten. Längst nicht alle Angeklagten stehen auch vor Gericht. Nur vierzehn von ihnen werden anwesend sein, die übrigen sind entweder im Ausland inhaftiert, gelten inzwischen als tot oder sind schlichtweg verschwunden.

Auch der Bombenbauer, der sich „Ahmad al Khald“ nannte, ist angeklagt. Allerdings ist er bis heute nicht auffindbar. Überhaupt dauerte es mehrere Jahre bis die französischen Ermittler seine wohl wahre Identität herausgefunden hatten.

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