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Im Schatten der Taliban

Nach 20 Jahren ziehen Nato-Truppen aus Afghanistan ab. Die Taliban haben bereits große Teile des Landes unter ihre Kontrolle gebracht – und sind weiterhin mit Al-Qaida vernetzt. Geht von Afghanistan bald wieder eine Terrorgefahr aus?

Von Florian Flade

Die Terroristen hatten Amerika ins Herz getroffen. Es waren Anschläge von bis dato ungeahnter Dimension. Passagierflugzeuge, von Selbstmordattentätern entführt und als Waffen missbraucht, gesteuert in das World Trade Center in New York City, in das Pentagon in Washington D.C. und in einen Acker in Pennsylvania. Knapp 3000 Menschen ermordeten die sogenannten „Todespiloten“ des 11. September 2001.

Das historische Verbrechen war von langer Hand geplant, die neunzehn Attentäter sorgfältig ausgewählt und ausgebildet worden. Sie stammten aus Saudi-Arabien, aus den Vereinigten Arabischen Emiraten, aus Ägypten und dem Libanon. Manche hatten in Europa gelebt, etwa die Terrorzelle um Mohammed Atta, der in Hamburg studiert hat. Aus Afghanistan kam keiner der Terroristen.

Und doch geriet das zentralasiatische Land schon kurz nach den Anschlägen in den Fokus von Amerikas globalem Anti-Terror-Kampf. Denn am Hindukusch hatte das A-Qaida-Netzwerk von Osama Bin Laden seine Basis errichtet, terroristische Ausbildungslager aufgebaut und eine weltweite Terrorkampagne ersonnen. Unterschlupf gefunden hatten die Dschihadisten bei den afghanischen Taliban. Schnell war daher klar: Amerikas Vergeltung wird zuerst Afghanistan treffen.

Nur knapp vier Wochen nach den 9/11-Anschlägen besuchte der damalige US-Präsident George W. Bush die amerikanischen Luftwaffenbasis Travis in Kalifornien. Da war die Entscheidung in den Krieg zu ziehen längst getroffen worden, die Vorbereitungen liefen auf Hochtouren. Bush stimmte die Soldaten und ihre Familien auf das ein, was da kommen sollte. Und er ließ keinen Zweifel daran, dass die Taliban nun dafür zur Verantwortung gezogen werden sollten, dass sie den Al-Qaida-Terroristen einen Unterschlupf geboten hatten und sie gewähren ließen.

„Diese Nation wird den Terror besiegen, wo immer wir ihn auf der Welt finden. Und wir werden nicht nur die Terroristen finden: Wir werden die Doktrin durchsetzen, die besagt, wer einen Terroristen beherbergt, ist ein Terrorist. Wenn Sie einen Terroristen ernähren, wenn Sie einen Terroristen finanzieren, sind Sie ein Terrorist. Und diese großartige, stolze Nation freier Männer und Frauen wird Sie ebenso für die Aktionen verantwortlich machen, die auf amerikanischem Boden stattfinden. (…) Ich habe den Menschen in Afghanistan die Wahl gelassen. Ich sagte zu den Taliban: Liefert sie aus! Zerstört die Lager! Lasst die Leute frei, die ihr zu Unrecht gefangen haltet! Ich sagte: „Ihr habt Zeit dafür.“ Aber sie hörten nicht. Sie haben nicht geantwortet, und jetzt zahlen sie einen Preis. Sie lernen, dass jeder, der Amerika angreift, von unserem Militär hören wird, und ihnen wird nicht gefallen, was sie hören. Bei der Wahl ihres Feindes haben die Übeltäter und diejenigen, die sie beherbergen, ihr Schicksal gewählt.“

Rede von US-Präsident George W. Bush auf der Luftwaffenbasis Travis, 17. Oktober 2001

Aus Amerikas Krieg gegen Al-Qaida und die Taliban wurde eine internationaler Militäreinsatz der Nato. Zahlreiche Nationen, darunter auch Deutschland, beteiligten sich daran, das Taliban-Regime zu stürzen, das in den 1990er Jahre die Macht in dem Land errungen und einen radikalislamischen „Gottesstaat“ errichtet hatte.

Zwar verfestigte sich schnell der Eindruck, es ginge in Afghanistan vor allem um einen humanitären Einsatz. Um den Aufbau einer funktionierenden Demokratie, um den Schutz von Frauen und Minderheiten, um den Bau von Mädchenschulen, und darum zu verhindern, dass Ehebrecher und angeblich Gotteslästerer gesteinigt oder ausgepeitscht werden. Der ursprüngliche Anlass für die militärische Invasion und anschließend Besetzung des Landes aber war ein anderer – und wesentlich profaner. Es ging darum zu verhindern, dass aus Afghanistan heraus Terrorismus in andere Länder exportiert wird. Dass international agierende Terroristen das Land ungehindert als Rückzugsort und Basis benutzen, um Anschläge – vor allem in Europa und Nordamerika – vorzubereiten. 

„Um zu verdeutlichen, worum es wirklich geht, habe ich davon gesprochen, dass unsere Sicherheit auch am Hindukusch verteidigt wird. Deutschland ist sicherer, wenn wir zusammen mit Verbündeten und Partnern den internationalen Terrorismus dort bekämpfen, wo er zu Hause ist, auch mit militärischen Mitteln.“

Rede von Bundesverteidigungsminister Peter Struck, 20. Dezember 2002

Nach zwanzig Jahren soll der Nato-Einsatz in Afghanistan nun enden. Am 11. September dieses Jahres sollen die letzten US-Soldaten das Land verlassen, wie Präsident Joe Biden im April verkündet hat. Der Abzug der verbleibenden internationalen Truppen ist bereits in vollem Gange. Auch die Bundeswehr räumt ihre Stützpunkte und soll in den kommenden Wochen abziehen. Mission erfüllt, könnte man sagen.

Aber geht von Afghanistan heute tatsächlich keine Terrorgefahr mehr für den Rest der Welt aus? Wie groß ist das Risiko, dass das Land erneut zum Rückzugsraum für Dschihadisten aus aller Welt wird? Wie steht es um das Verhältnis von Taliban und Al-Qaida? Und wie kann ein effektiver Anti-Terror-Kampf in Afghanistan aussehen, wenn die Nato-Truppen abgezogen sind?

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Daten gegen Dschihadisten

Von Florian Flade

Bei der Operation „Gallant Phoenix“ sammeln Militärs, Geheimdienste und Polizeibehörden aus 27 Ländern Informationen über IS-Terroristen. Auch Deutschland ist dabei.

Eine kleine, internationale Gemeinschaft ist hier entstanden. Auf einer Militärbasis nahe der jordanischen Stadt Zarqa, nordöstlich der Hauptstadt Amman. Soldaten, Geheimdienstler und Polizisten aus der ganzen Welt sind hier stationiert, machen gemeinsam Sport, treffen sich zum Grillen. Auch Beamte aus Deutschland sind dabei, vom Bundeskriminalamt (BKA) und vom Bundesnachrichtendienst (BND). Sie sind Teil einer geheimen Militäroperation, die Terroranschläge verhindern und Terroristen ins Gefängnis bringen soll – der Operation „Gallant Phoenix“.

Es ist ein Projekt unter Federführung des US-Militärs, ins Leben gerufen schon im Jahr 2013, um die ausländischen Terrorkämpfer („Foreign Terrorist Fighters“) in den Blick zu nehmen, die nach Syrien und in den Irak zogen. Bereits ein Jahr später waren weitere Nationen an der Operation beteiligt, richtig los ging es jedoch erst im Jahr 2016, nach den verheerenden Terroranschlägen in Paris und Brüssel mit mehr als 130 Toten. Mittlerweile ist „Gallant Phoenix“ zu einer einzigartigen Austauschplattform für Behörden aus rund zwei Dutzend Ländern herangewachsen – und zur größte Datenbank mit Material der Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS).  Weiterlesen