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Was steht in den Geheimpapieren?

Im Internet tauchen zahlreiche Geheimdokumente des US-Militärs und der Nachrichtendienste auf. Während das FBI und das Pentagon nach dem Leck suchen, ist die Politik um Schadensbegrenzung bemüht. Denn es geht auch um Spionage gegen verbündete Nationen.

Von Florian Flade

Vielleicht wird es das Buch über Ferngläser sein oder die Klebstofftube, die jene Person überführen wird, die offenbar Geheimpapiere des US-Militärs und der Nachrichtendienste abfotografiert und dann ins Internet gestellt hat. Die besagten Gegenstände jedenfalls sind wohl eher unabsichtlich im Hintergrund der Fotos erkennbar, die derzeit in Washington für Unruhe sorgen.

Noch ist unklar, wer für das durchaus schwerwiegende Datenleck verantwortlich ist. „Diese Informationen sollten nicht in der Öffentlichkeit sein“, sagte John Kirby, der Sprecher des Weißen Hauses für die Nationale Sicherheit am Montag. Das FBI und das Pentagon ermitteln nun, die Politik bemüht sich um Schadensbegrenzung. Was aber steht eigentlich drin, in den Papieren, die nun die US-Regierung in Erklärungsnot bringen?

In den Geheimpapieren finden sich detaillierte Informationen zum Kriegsverlauf in der Ukraine, zu westlichen Waffenlieferungen, Ausbildungshilfe und zu den Planungen einer möglichen Frühjahrsoffensive der ukrainischen Streitkräfte. Es handelt sich um teils streng geheime Unterlagen, die aus dem US-Verteidigungsressort stammen sollen – und die wohl schon vor Wochen im Internet veröffentlicht worden waren.

Der breiteren Öffentlichkeit wurde das Datenleck allerdings erst in der vergangenen Woche bekannt. Da tauchte in einem pro-russischen Telegram-Kanal ein Dokument auf, bei dem es sich offensichtlich um ein Lagebild zum Krieg in der Ukraine vom 01. März dieses Jahres handelt, das wohl vom US-amerikanischen Militärgeheimdienst, der Defense Intelligence Agency (DIA), erstellt wurde und als „streng geheim“ eingestuft ist.

Darin beschrieben wird der aktuelle Stand des Krieges im Osten der Ukraine anhand einer Landkarte, aufgelistet werden Truppenstärken der ukrainischen wie der russischen Seite, ebenso wichtige Ereignisse. Abgebildet ist auch ein kleiner schwarzer Kasten, der die Einschätzung des US-Militärgeheimdienstes zu den Verlusten (KIA = killed in action) der beiden Kriegsparteien enthält. Für Russland ist dort die angebliche Größenordnung „16k-17.5k KIA“ angegeben, für die Ukraine „61k-71.5k KIA“.

In sozialen Netzwerken wurde die Lageeinschätzung schnell verbreitet, meist in Verbindung mit der Behauptung, die Verluste der Ukraine seien um ein Vielfaches größer als die Russlands. Tatsächlich aber wurde das besagte Dokument wohl verfälscht und manipuliert. Die Zahlen der Gefallenen waren offenbar absichtlich vertauscht worden, vermutlich zur gezielten Desinformation.

Dies wurde ersichtlich, nachdem bekannt wurde, dass das ursprüngliche Militärdokument augenscheinlich schon seit mehreren Wochen frei im Internet verfügbar war. Noch bevor der pro-russische Telegram-Kanal das höchstwahrscheinlich manipulierte Lagebild verbreitet hatte, war das Papier zusammen mit zahlreichen weiteren Unterlagen auf der Plattform Discord veröffentlicht worden, die vor allem von der Gaming-Community genutzt wird.

Am 04. März kam es auf einem Discord-Server, auf dem sich Spieler des Computerspiels Minecraft austauschten, zu einer Diskussion über den Krieg in der Ukraine. Daraufhin schrieb einer der Nutzer „here, have some leaked documents“ und postete zehn der Dokumente, die inzwischen weltweit für Schlagzeilen sorgen. Darunter auch jenes Lagebild, das wohl in manipulierter Form in der vergangenen Woche über Telegram veröffentlicht wurde. Der Nutzer „Lucca“, der die Papiere zur Ukraine ursprünglich bei Discord online stellte, blieb anonym und hat inzwischen seinen Account gelöscht.

Auf der Plattform Discord wurden indes nicht nur die Lageeinschätzungen zur Ukraine veröffentlicht, sondern wohl bereits zuvor (zwischen dem 28. Februar und 02. März) rund 100 weitere abfotografierte Dokumente, die auch Erkenntnisse der US-Geheimdienste CIA, DIA, NRO und weiterer Behörden zu anderen Themen und Ländern enthalten, etwa Iran, China, Israel, Südkorea, Türkei, Nordkorea, Ägypten und Jordanien.

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Der Irak-Krieg, der BND und die Lügen

Vor zwanzig Jahren marschierten die USA im Irak ein und stürzten das Regime des Diktators Saddam Hussein. Zuvor sollten die Geheimdienste die Belege für die Existenz von Massenvernichtungswaffen in den Händen des Despoten liefern. Die CIA, MI6 und auch der BND lieferten dabei die vermeintlichen Kriegsgründe. Die Dienste wurden von der Politik instrumentalisiert und machten folgenschwere Fehler.

Von Florian Flade

In einem Klinkergebäude in Berlin-Mitte, direkt neben den imposanten Bauten der Zentrale des Bundesnachrichtendienstes (BND), befindet sich das Besucherzentrum des deutschen Auslandsnachrichtendienstes. Hier bekommen Besucher seltene Einblicke in die Arbeit der ansonsten verschlossene Spionage-Behörde.

An einer Wand hängen Gegenstände, die BND-Mitarbeiter mit ihrer Tätigkeit verbinden. Zum Beispiel eine Flasche koffeinhaltige Club Mate als wichtiges Utensil eines Hackers oder eine Pistole aus dem 3D-Drucker, hergestellt von BND-Fachleuten, um zu testen, ob mit solcher Technologie tatsächlich todbringende Waffen produziert werden können. Ein Bundesverdienstkreuz ist ebenfalls zu bewundern, der BND-Mann Gerhard Conrad hat es für seine Verdienste bei den Geheimverhandlungen zwischen Israel und der libanesischen Terrormiliz Hisbollah bekommen.

Auch ein irakisches Autokennzeichen hängt dort. Ein BND-Spion hatte es in Bagdad in aller Eile für 100 US-Dollar erworben und damit kurz nach Kriegsbeginn ein Fahrzeug getarnt. Um das Land schnell verlassen zu können, galt es in der irakischen Metropole nicht aufzufallen. In dem BND-Museum könnte auch noch etwas anderes ausgestellt werden, das mit dem Irak zu tun hat. Ein historisch durchaus bedeutsamer Brief. Geschrieben hat ihn der damalige BND-Präsident August Hanning an den CIA-Direktor. Es war eine schriftliche Warnung, mit der vor mehr als zwanzig Jahren ein Krieg verhindert werden sollte, dessen Folgen Hunderttausende Menschenleben gekostet haben.

Im März 2003 zogen die USA in den Krieg gegen das Regime des irakisches Diktators Saddam Hussein. Die US-Administration von Präsident George W. Bush behauptete damals, der Despot von Bagdad besitze Massenvernichtungswaffen, geheime Programme und Produktionsstätten für biologische, chemische und möglicherweise sogar nukleare Waffen. Und das Saddam-Regime kooperiere mit internationalen Terroristen wie dem Al-Qaida-Netzwerk. Die Rechtfertigung für den Feldzug sollten die Geheimdienste liefern – und zwar nicht nur die Spione in den USA und Großbritannien, sondern auch beim BND.

Saddam Hussein besaß mit hoher Wahrscheinlichkeit keine Massenvernichtungswaffen, Belege für deren Existenz konnten auch in den Jahren nach seinem Sturz nicht erbracht werden. Und doch beriefen sich die Regierungen in Washington und London damals explizit auf geheimdienstliche Erkenntnisse. Hatten die Geheimdienste demnach versagt? Waren die Spione willfährige Helfer? Oder wurden sie nicht vielmehr von der Politik instrumentalisiert, um einen Krieg zu rechtfertigen, der längst beschlossene Sache war?

Als einer der Schlüsselmomente jener Zeit gilt die Rede des damaligen US-Außenministers Colin Powell vor dem UN-Sicherheitsrat in New York City am 5. Februar 2003. An jenem Mittwoch präsentierte Powell, ein Vier-Sterne-General und Vietnam-Veteran, der Weltöffentlichkeit angebliche Beweise für irakische Massenvernichtungswaffen und Programme zu deren Entwicklung. Es sollte eine Rechtfertigung für den anstehenden Krieg gegen den Irak sein. Rund 80 Minuten dauerte Powells Rede, es wurden Fotos, Satellitenbilder, Zeichnungen, Grafiken sowie Tonaufnahmen von Gesprächen vorgelegt, die belegen sollten, dass die Inspektoren der Internationalen Atomenergie-Organisation vom Saddam-Regime belogen und hintergangen worden waren.

„Das Material, das ich Ihnen heute vorlege, stammt aus unterschiedlichen Quellen. Es sind zum Teil amerikanische Quellen, zum Teil Quellen anderer Länder. Einige Quellen sind technischer Art, wie die abgehörten Telefongespräche und die Satellitenfotos. Andere Quellen sind Menschen, die ihr Leben riskiert haben, damit die Welt erfährt, was Saddam Hussein wirklich vorhat.“

– US-Außenminister Colin Powell am 5. Februar 2003 vor dem UN-Sicherheitsrat

Es handele sich um „Fakten und Schlussfolgerungen aus solider Geheimdienstarbeit“, so der US-Außenminister. So gebe es „sich verdichtende Geheimdienstinformationen“ zu biologischen Waffen im Irak. Dabei gehe es um mobile Produktionsanlagen zur Herstellung solcher Stoffe. „Wir haben Beschreibungen aus erster Hand von biologischen Waffenproduktionsanlagen auf Rädern und auf der Schiene“, erklärte Powell. Er sprach anschließend von mehreren irakischen Quellen, die von solchen Programmen berichtet hätten. Darunter ein Deserteur aus dem irakischen Sicherheitsapparat, unter ein Ingenieur, der die Existenz solcher mobilen Herstellungsanlagen bestätigt habe.

Was zu diesem Zeitpunkt in der Öffentlichkeit nicht bekannt war: Colin Powell bezog sich in seiner Rede auf die Aussagen eines Mannes, der im November 1999 als Asylbewerber nach Deutschland gekommen war. Der Iraker Rafed Aljanabi gab damals bei einer ersten Befragung in einem Aufnahmelager im bayerischen Zirndorf an, in seinem Heimatland als Ingenieur für das geheime Waffenprogramm des Saddam-Regimes gearbeitet zu haben, das angeblich unter der Tarnbezeichnung „Chemical Engineering and Design Center“ in Bagdad betrieben wurde. Ebenso habe er für Al-Hakam gearbeitet, eine Produktionsstätte für biologische Waffen, die 1996 unter UN-Aufsicht geschlossen worden war.

Bei der Befragung von Asylbewerbern gibt es immer wieder Fälle, die auch für die deutschen Sicherheitsbehörden von Interesse sind. Beispielsweise wenn Personen aus Staaten fliehen, in denen autoritäre Regime herrschen oder Terrorgruppen aktiv sind. Wenn die Geflüchteten dann etwas darüber berichten könnten, wie es in diesen Regionen gerade aussieht, welche Strukturen es im Militär oder den fremden Geheimdiensten gibt, dann schaltet sich nicht selten auch der BND ein.

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Das Klima und die Spione

Krieg, Terrorismus oder Kriminalität sind Bedrohungen mit denen sich die meisten Geheimdienste befassen. Was aber ist mit den Gefahren, die ebenfalls Auswirkungen auf die Sicherheit der Menschheit haben, etwa der Klimawandel und seine Folgen?

Von Florian Flade

Der Name des einfachen weißen Holzhauses, erbaut im Jugendstil im Jahr 1909, lautet Höfði. Es ist das Gästehaus der isländischen Regierung und liegt am Stadtrand von Reykjavík. Höfði ist ein historischer Ort. Kurz vor Ende des Kalten Krieges trafen sich hier der damalige US-Präsident Ronald Reagan und der sowjetische Generalsekretär Michail Gorbatschow, um über Abrüstung und den Frieden zwischen den beiden Atommächten zu sprechen.

Im März 2019 ging es in Höfði erneut darum, wie weltpolitische Krisen und Konflikte gelöst werden können – und vor allem darum, welche Herausforderungen der Zukunft die USA und Russland trotz aller Differenzen gemeinsam lösen sollten. In dem Gästehaus in Island fand damals das Treffen der „Elbe Group“ statt, einer kaum bekannten und durchaus ungewöhnlichen Initiative der Harvard Kennedy School.

Die „Elbe Group“ wurde 2010 von einem ehemaligen US-Brigadegeneral ins Leben gerufen, mit dem Ziel auch in krisenhaften Zeiten einen Gesprächskanal zwischen den USA und Russland aufzubauen und eine Plattform für den Dialog zu schaffen. Mehr als zwanzig amerikanische und russische Ex-Militärs und Geheimdienstler gehören dem Gesprächskreis an, darunter einstige Mitarbeiter von KGB, GRU und CIA. Sie treffen sich einmal pro Jahr und sprechen über sicherheitspolitische Themen.

Benannt ist der Gesprächskreis nach dem ersten Aufeinandertreffen der US-Armee und der sowjetischen Truppen nahe Torgau an der Elbe im April 1945, wenige Tage vor dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Damals beschworen die Soldaten aus Ost und West das gemeinsame Ziel: Die Vernichtung des Dritten Reiches und den Sieg über den Nationalsozialismus.

„Hier wurde der „Geist der Elbe“ geboren, der sich an die Menschen aller Nationen wendet, Differenzen ausschließlich mit friedlichen Mitteln zu lösen“, so steht es auf einer Gedenktafel zu jenem Ereignis. „Er ist ewige Mahnung an alle Nationen, für das gemeinsame Wohl der gesamten Menschheit zusammenzuarbeiten.“

In diesem Geiste sehen sich auch die Mitglieder der „Elbe Group“. Bei ihrem Treffen in Island vor vier Jahren sprachen sie unter anderem über die Zukunft der amerikanisch-russischen Abkommen zur Rüstungskontrolle, über Militärmanöver in der Ostsee und im Schwarzen Meer, darüber wie grenzüberschreitende Cyberkriminalität effektiver bekämpft werden kann – und über die Arktis als geopolitischen Konfliktherd.

Isländische Fachleute referierten insbesondere darüber, zu welchen Veränderungen der Klimawandel in der Arktis führt und welche Auswirkungen dies auf die Stabilität in der Region, auf die Wirtschaft oder auch auf die verteidigungspolitische Situation haben kann.

Die Themenauswahl macht deutlich: Neben all den sicherheitspolitischen Herausforderungen, die in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten von großer Bedeutung waren – wie etwa der internationale Terrorismus, Kriege, die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen oder die Organisierte Kriminalität, die teilweise die Stabilität ganzer Länder und Regionen gefährdet – gibt es auch globale Bedrohungen, die so umfänglich und von einer solchen Dimension sind, dass sie eine Gefahr für große Teile der Menschheit darstellen. Und bei denen die USA ebenso betroffen sind wie Russland, China, die Europäische Union, Iran, Brasilien, Nigeria oder Saudi-Arabien.

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