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Daten gegen Dschihadisten

Von Florian Flade

Bei der Operation „Gallant Phoenix“ sammeln Militärs, Geheimdienste und Polizeibehörden aus 27 Ländern Informationen über IS-Terroristen. Auch Deutschland ist dabei.

Eine kleine, internationale Gemeinschaft ist hier entstanden. Auf einer Militärbasis nahe der jordanischen Stadt Zarqa, nordöstlich der Hauptstadt Amman. Soldaten, Geheimdienstler und Polizisten aus der ganzen Welt sind hier stationiert, machen gemeinsam Sport, treffen sich zum Grillen. Auch Beamte aus Deutschland sind dabei, vom Bundeskriminalamt (BKA) und vom Bundesnachrichtendienst (BND). Sie sind Teil einer geheimen Militäroperation, die Terroranschläge verhindern und Terroristen ins Gefängnis bringen soll – der Operation „Gallant Phoenix“.

Es ist ein Projekt unter Federführung des US-Militärs, ins Leben gerufen schon im Jahr 2013, um die ausländischen Terrorkämpfer („Foreign Terrorist Fighters“) in den Blick zu nehmen, die nach Syrien und in den Irak zogen. Bereits ein Jahr später waren weitere Nationen an der Operation beteiligt, richtig los ging es jedoch erst im Jahr 2016, nach den verheerenden Terroranschlägen in Paris und Brüssel mit mehr als 130 Toten. Mittlerweile ist „Gallant Phoenix“ zu einer einzigartigen Austauschplattform für Behörden aus rund zwei Dutzend Ländern herangewachsen – und zur größte Datenbank mit Material der Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS).  Weiterlesen

Das Leben und Sterben des Moez Garsallaoui

von Florian Flade

„Ich habe mein Zuhause verlassen, um in den Dschihad zu ziehen. Das bedeutet: um den Feind zu töten“

– Interview mit Moez Garsallaoui im Sommer 2009

Moezeddine Garsallaoui kam 1998 als Flüchtling aus Tunesien in die Schweiz. Er arbeitete auf Baustellen und als Computerfachmann. Dann lernte er über das Internet eine in Belgien lebende Marokkanerin kennen – Malika El-Aroud. Die vollverschleierte Salafistin ist die Witwe eines Al-Qaida-Selbstmordattentäters. Moezeddine Garsallaoui wurde ihr dritter Ehemann. Sie zog zu ihm in die Schweiz

Vom schweizerischen Düdingen (Kanton Freiburg) aus betrieb das Paar jahrelang zwei islamistische Internetseiten, auf denen es Propagandafilme von Enthauptungen und Bombenanschlägen verbreitete. El-Aroud und ihr Ehemann  etablierten sich als einige der führenden Dschihad-Unterstützer im Internet.

Im Jahr 2005 verhafteten Schweizer Behörden das islamistische Paar wegen Unterstützung terroristischer Organisationen. Garsallaouis Einbürgerungsverfahren wurde gestoppt. Das Schweizer Bundesstrafgericht verurteilte ihn und seine islamisch angetraute Ehefrau stattdessen im Juni 2007. Er erhielt 24 Monaten Haft, muss diese allerdings nicht sofort antreten.

Weil das Paar zunächst auf freiem Fuß blieb, konnten sich Garsallaoui und Malika El-Aroud ins Ausland absetzen. Sie floh nach Belgien, er reiste über die Türkei nach Pakistan.

Doch auch in Belgien ermittelten die Behörden gegen El-Aroud. Die Salafistin soll zu einer Gruppe radikaler Islamisten gehören, die junge Männer für den Dschihad rekrutieren. Im Mai 2010 folgte die nächste Verurteilung. Diesmal in Brüssel. Sowohl die Märtyrer-Witwe Malika El-Aroud als auch ihr im Ausland abgetauchter Ehemann wurden zu acht Jahren Haft wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation verurteilt. Während El-Aroud die Haftstrafe antrat, kämpfte ihr Gatte in Afghanistan gegen NATO-Soldaten.

Im Stammesgebiet Waziristan schloss sich Garsallaoui islamistischen Terrorgruppen an. Nach Erkenntnissen der Geheimdienste verkehrte er zuletzt im engeren Zirkel der Al-Qaida. Garsallaoui soll als Ausbilder in einem terroristischen Trainingslager tätig gewesen sein. Das Spezialgebiet des Tunesiers war angeblich der Bombenbau.

Nach Erkenntnissen von Experten gehörte Garsallaoui vermutlich zur Elite der Al-Qaida-Kommandeure in den pakistanischen Stammesgebieten. Er sprach fließend Französisch, Arabisch, Deutsch, Englisch und Paschtu und war damit prädestiniert um mit internationalen Terrorrekruten zu arbeiten. So soll er beispielsweise auch deutsche Dschihadisten während ihrer Ausbildung in Nord-Waziristan getroffen haben.

Seit seiner Flucht aus Europa gab Garsallaoui in diversen Internetforen regelmäßig Lebenszeichen von sich. Dort nannte er sich „Moez al-Qayrawani“ und veröffentlichte einige lange Traktate u.a. zur politischen Situation in Tunesien nach dem Sturz des Ben-Ali-Regimes. Per E-Mail soll der Dschihadist zudem mit Glaubensbrüdern und Verwandten in Belgien, der Schweiz und Nordafrika kommuniziert haben.

Ein Foto, das Garsallaoui seiner Ehefrau vor Jahren in einer E-Mail geschickt hatte, zeigt ihn mit einer Panzerfaust auf der Schulter irgendwo in den Bergen zwischen Afghanistan und Pakistan.

„Das Töten von amerikanischen Soldaten (…) ist kein moralisches Verbrechen für das wir uns schämen“, schrieb Garsallaoui vor drei Jahren in einer E-Mail an einen niederländischen Journalisten, „Ich habe in der Schweiz gelebt, ich will in dieses Land nicht zurückkehren oder irgendwo sonst nach Europa. Ich hoffe ich werde nie dazu gezwungen sein.“

Jetzt soll Moezeddine Garsallaoui tot sein. Dschihadistische Quellen in Pakistan melden, dass der Al-Qaida-Bombenexperte vor kurzem bei einem Luftangriff nahe der pakistanisch-afghanischen Grenze getötet wurde

Garsallaoui sei zuletzt Anführer einer von kasachischen Islamisten dominierten Gruppierung namens „Jund al-Khilafa“ gewesen, heißt es in arabischen Internetforen. Etliche ausländische Kämpfer habe er ausgebildet. Sein Ziel sei es gewesen, selbst wieder nach Tunesien oder Europa für Dschihad-Aktivitäten zurück zu kehren.

Zuletzt sorgte der Dschihadst aus der Schweiz Herbst 2011 für Schlagzeilen. Damals tauchten mehrere Geiselvideos eines Schweizer Touristen-Paares auf, die im Juli 2011 im Süden Pakistans von Taliban-Kämpfer entführt worden waren. In einem der Videos waren bewaffnete Islamisten zu sehen, die hinter dem am Boden sitzenden Geiseln standen. Einer der Kämpfer stand etwas abseits. Als einzige Person hatte er ein verpixeltes Gesicht.

Da die beiden entführten Touristen aus Bern in dem Video in englischer Sprache sondern in Mundart um ihre Freilassung flehten, spekulierten Medien und Sicherheitsbehörden, der verpixelte Mann könnte womöglich die Funktion eines Dolmetschers haben. Vielleicht sei die Person vor Ort gewesen um den Text der Geiseln zu kontrollieren und für die Taliban zu übersetzen. Folglich müsse es sich um jemanden handeln der Schweizerdeutsch versteht – möglicherweise Moez Garsallaoui.

Die später freigelassenen Schweizer Geiseln klärten in der Vernehmung durch die Behörden schließlich auf, dass die verpixelte Person ihr Aufpasser war und nicht Garsallaoui. Der Islamist selbst dementierte über Internetnachrichten seine Verwicklungen in die Entführung.

Gaddafi, Bin Laden und ein toter deutscher Agent

by Florian Flade

Der libysche Staatschef Muammar al-Gaddafi gilt als weltweiter Terror-Unterstützer. Doch er war es, der noch vor den USA den Al-Qaida Chef Osama Bin Laden jagte und festnehmen wollte – als Hauptverdächtigen im Mordfall an einem deutschen Geheimagenten.

Gaddafis Haftbefehl gegen Osama Bin Laden – März 1998

Al-Qaida heißt das Gespenst, das von unterschiedlichster Seite im Zusammenhang mit den aktuellen Geschehnissen in Libyen gebraucht und missbraucht wird. Die Dschihadisten der Al-Qaida nutzen den Konflikt zwischen dem Gaddafi-Regime und den oppositionellen Rebellen, um an Waffen wie Luftabwehrraketen zu gelangen, warnten beispielsweise jüngst algerische Sicherheitsbehörden. Der Diktator Muammar al-Gaddafi selbst, hält Osama Bin Laden und sein Terrornetzwerk gar für die Drahtzieher der Protestbewegung. Längst seien die Dschihadisten, Veteranen der Kriege im Irak und Afghanistan, auf Seiten der Rebellen an Kämpfen beteiligt.

Regime-Gegner halten dagegen und entwarnen, Gaddafi spiele die Al-Qaida-Karte in Wahrheit um die Terrorangst im Westen herauf zu beschwören. Er wolle sich als Bollwerk gegen den militanten Islamismus in Nordafrika präsentieren, als Garant für Sicherheit und Stabilität in der Region. In der Realität seien die Terroristen Bin Ladens jedoch wenn überhaupt, nur ein Promille-Anteil der aktuellen Rebellenbewegung und keine echte Gefahr für die politische Zukunft Libyens.

Ein Blick in die Vergangenheit zeigt jedoch: Tatsächlich warnte Gaddafi bereits lange vor den Anschlägen am 11.September 2001 vor der Terrorgefahr durch das Al-Qaida Netzwerk. Der libysche Despot war – vor dem US-Präsidenten – der erste Staatschef, der den saudischen Terroristen und Al-Qaida Gründer Osama Bin Laden per Haftbefehl jagen ließ, lange bevor dieser auf der politischen Weltbühne in Erscheinung trat. Die libyschen Bemühungen zur Festnahme Bin Ladens wurden anfänglich allerdings weitestgehend ignoriert.

Am 16.März 1998 stellt das Justizministerium in Libyens Hauptstadt Tripolis den ersten internationalen Haftbefehl gegen Osama Bin Laden aus und leitete ihn an Interpol im französischen Lyon weiter. Dort wurde das Dokument für rechtmäßig befunden und am 15.April 1998 erließ Interpol offiziell den Haftbefehl gegen den Al-Qaida Führer. Osama Bin Laden sei dringend verdächtig, so behaupteten die libyschen Behörden, zwei deutsche Staatsbürger in Libyen getötet zu haben.

Silvan Becker und seine Ehefrau Vera waren Anfang März 1994 im Zuge einer Urlaubsreise per Fähre von Genua über Tunesien nach Libyen eingereist. Gaddafis Reich war für den 56jährigen Deutschen ein Reiseland, in das er eigentlich keinen Fuß setzen durfte. Becker war Mitarbeiter des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) mit dem Fachbereich Terrorismus. Reisen in die libysche Diktatur waren ihm untersagt.

In Deutschland hatte Silvan Becker die Abteilung 6 des Verfassungsschutzes – „Internationaler Terrorismus“ – geleitet. Jahrelang war der Terrorfachmann leitender Referent für „Arabische Extremisten“, wechselte dann zu einem Referat zur Beobachtung der tamilischen Extremistengruppe LTTE.

Becker und seine Gattin seien am 10.März 1994, kurz nach ihrer Ankunft in Libyen, von vier bewaffneten Dieben überfallen und getötet worden, so erklärten später die libyschen Ermittler. Wie sich herausstellen sollte, wurden die beiden Deutschen zunächst in ein Militärkrankenhaus in die ostlibysche Stadt Surt gebracht, wo Vera Becker offenbar am 28.März 1994 verstarb. Ihr Ehemann soll seinen Verletzungen erst am 10.April 1994 erlegen sein.

Warum die Beckers trotz des Einreiseverbotes in Libyen auftauchten, ist bis heute ein Rätsel. Der deutsche Agent habe seinen privaten Urlaub genutzt, um Kontakte zu libyschen Islamisten herzustellen, wurde gemunkelt. Der Verfassungsschutz dementierte diese Theorie vehement. Es gebe keinen Anlass zu glauben, Becker sei ein Doppelagent gewesen oder habe für einen ausländischen Geheimdienst eine Mission in Libyen durchführen wollen.

Von Seiten des deutschen Verfassungsschutzes wollte man sich auf Nachfrage nicht näher zum Fall Silvan Becker äußern. Auch 17 Jahre nach dem Mord an dem deutschen Terrorexperten und seiner Ehefrau würden keine Informationen über die Arbeit von ehemaligen Mitarbeitern oder deren Angehörige veröffentlicht. „Das war schon damals unsere Politik, und daran hat sich nichts geändert“, so eine Pressesprecherin.

Die Frage nach den Mördern des deutschen Agenten und seiner Ehefrau, sowie die genauen Hintergründe sind weiterhin nicht zweifelsfrei geklärt. Libysche Behörden übergaben den deutschen Kollegen ihre Ermittlungsergebnisse, denen zufolge militante Islamisten, die der Al-Qaida nahe standen, für den Tod der Beckers verantwortlich seien.

Bei den drei Hauptverdächtigen – den Libyern Faraj al-Alwan, Faez Abu Zeid al-Warfali und Faraj al-Chalabi – soll es sich um Mitglieder der Gruppierung „Al-Muqatila“ (auch „Libysch Islamische Kampfgruppe“) handeln, die seit Anfang der 1990er Jahre in Libyen für die Errichtung eines islamistischen Gottesstaates kämpfte. „Al-Muqatila“, die sich als eine der ersten islamistischen Gruppen der Al-Qaida angeschlossen haben soll, bestand weitestgehend aus libyschen Dschihad-Veteranen, so genannten „libyschen Afghanen“, des Krieges gegen die Sowjet-Armee in Afghanistan in den 1980er Jahren.

Drahtzieher des mysteriösen Doppelmordes an den Beckers soll der Saudi Osama Bin Laden gewesen sein. Dessen Auslieferung wurde durch die libysche Justiz im März 1998 gefordert, ohne Angaben, wo genau sich Bin Laden aufhielt. Aus jedem Staat, mit Ausnahme Israels, solle Bin Laden an Libyen überstellt werden, heißt es in dem Interpol-Haftbefehl.

Der französische Terrorismus-Experte Jean-Charles Brisard, der in einem Buch erstmals auf den von Gaddafi ausgestellten Haftbefehl für Bin Laden hinwies, hält die libysche Darstellung von der Ermordung des deutschen Ehepaars durch Islamisten für glaubhaft. „Die Behauptung ist sicherlich wahr“, sagte mir Brisard, „Man sollte bedenken dass andere islamistische Kampfgruppen in der Region zur gleichen Zeit Operationen gegen westliche Personen durchgeführt haben. Die GIA (Algerien) hat einige westliche Personen 1993 und 1994 getötet, ein Terroranschlag fand 1994 auf ein Hotel in Marrakesh statt.“ Der Kontext dieser islamistischen Gruppen, erklärt Brisard, sei in den 1990er Jahren gewesen, Terror gegen westliche Touristen in Nordafrika zu verüben.

Kaum zu klären sein wird die Behauptung, ob Osama Bin Laden tatsächlich jemals in Libyen verweilte. Angeblich lebte der Al-Qaida Anführer in der Ortschaft unweit der ostlibyschen Stadt Bengasi und unterhielt dort enge Kontakte zur „Al-Muqatila“-Gruppe. „Es gibt Geheimdiensterkenntnisse, dass Osama Bin Laden in Libyen war“, meint Terrorexperte Brisard, „Es ist aber schwierig zu bestätigen, ob er wirklich physisch in Libyen präsent war.“

Über die Jahre entstanden Verschwörungstheorien um den Mordfall Silvan Becker, die an Agentenkrimis erinnern. Eine Theorie stammt vom ehemalige britische Geheimdienstler David Shayler. Dieser behauptet, der britische Auslandsgeheimdienst MI6 habe in den 1990er Jahren mit den mutmaßlichen Mördern des deutschen Paares Becker, den libyschen Islamisten der „Al-Muqatila“, kooperiert um eine Mordanschlag auf Muammar al-Gaddafi durchzuführen. Die Dschihadisten sollten angeblich behilflich sein, den libyschen Staatschef bei einer Parade in der Stadt Surt zu eliminieren. Silvan und Vera Becker seien den Islamisten dabei in die Quere gekommen und deshalb getötet worden, so die Theorie.

Die britische Zusammenarbeit mit den libyschen Extremisten sei auch der Grund, weshalb der libysche Interpol-Haftbefehl von Großbritannien und den USA ignoriert wurde, behauptet Shayler.

Eine weitere Theorie für die Hintergründe im Mordfall Becker lieferte bereits kurz nach Bekanntwerden des Falles, die Tageszeitung „taz“. Sie spekulierte, Silvan Becker sei hauptverantwortliche Ermittler des Verfassungsschutzes im Fall des Anschlages auf die Berliner Discothek „La Belle“ gewesen, bei dem am 05.April 1986 zwei amerikanische Soldaten und eine türkische Frau getötet wurden. Als Auftraggeber des Attentats wird der libysche Geheimdienst vermutet.

Die Behauptung, Becker sei ein Ermittler im Fall „La Belle“ gewesen, wies ein Sprecher des Bundesamtes für Verfassungsschutz gegenüber der „taz“ entschiedenurück. So bleibt weiterhin unklar, was der deutsche Agent 1994 in Libyen vor hatte, und wer ihn letztendlich weshalb ermordete.