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Der Irak-Krieg, der BND und die Lügen

Vor zwanzig Jahren marschierten die USA im Irak ein und stürzten das Regime des Diktators Saddam Hussein. Zuvor sollten die Geheimdienste die Belege für die Existenz von Massenvernichtungswaffen in den Händen des Despoten liefern. Die CIA, MI6 und auch der BND lieferten dabei die vermeintlichen Kriegsgründe. Die Dienste wurden von der Politik instrumentalisiert und machten folgenschwere Fehler.

Von Florian Flade

In einem Klinkergebäude in Berlin-Mitte, direkt neben den imposanten Bauten der Zentrale des Bundesnachrichtendienstes (BND), befindet sich das Besucherzentrum des deutschen Auslandsnachrichtendienstes. Hier bekommen Besucher seltene Einblicke in die Arbeit der ansonsten verschlossene Spionage-Behörde.

An einer Wand hängen Gegenstände, die BND-Mitarbeiter mit ihrer Tätigkeit verbinden. Zum Beispiel eine Flasche koffeinhaltige Club Mate als wichtiges Utensil eines Hackers oder eine Pistole aus dem 3D-Drucker, hergestellt von BND-Fachleuten, um zu testen, ob mit solcher Technologie tatsächlich todbringende Waffen produziert werden können. Ein Bundesverdienstkreuz ist ebenfalls zu bewundern, der BND-Mann Gerhard Conrad hat es für seine Verdienste bei den Geheimverhandlungen zwischen Israel und der libanesischen Terrormiliz Hisbollah bekommen.

Auch ein irakisches Autokennzeichen hängt dort. Ein BND-Spion hatte es in Bagdad in aller Eile für 100 US-Dollar erworben und damit kurz nach Kriegsbeginn ein Fahrzeug getarnt. Um das Land schnell verlassen zu können, galt es in der irakischen Metropole nicht aufzufallen. In dem BND-Museum könnte auch noch etwas anderes ausgestellt werden, das mit dem Irak zu tun hat. Ein historisch durchaus bedeutsamer Brief. Geschrieben hat ihn der damalige BND-Präsident August Hanning an den CIA-Direktor. Es war eine schriftliche Warnung, mit der vor mehr als zwanzig Jahren ein Krieg verhindert werden sollte, dessen Folgen Hunderttausende Menschenleben gekostet haben.

Im März 2003 zogen die USA in den Krieg gegen das Regime des irakisches Diktators Saddam Hussein. Die US-Administration von Präsident George W. Bush behauptete damals, der Despot von Bagdad besitze Massenvernichtungswaffen, geheime Programme und Produktionsstätten für biologische, chemische und möglicherweise sogar nukleare Waffen. Und das Saddam-Regime kooperiere mit internationalen Terroristen wie dem Al-Qaida-Netzwerk. Die Rechtfertigung für den Feldzug sollten die Geheimdienste liefern – und zwar nicht nur die Spione in den USA und Großbritannien, sondern auch beim BND.

Saddam Hussein besaß mit hoher Wahrscheinlichkeit keine Massenvernichtungswaffen, Belege für deren Existenz konnten auch in den Jahren nach seinem Sturz nicht erbracht werden. Und doch beriefen sich die Regierungen in Washington und London damals explizit auf geheimdienstliche Erkenntnisse. Hatten die Geheimdienste demnach versagt? Waren die Spione willfährige Helfer? Oder wurden sie nicht vielmehr von der Politik instrumentalisiert, um einen Krieg zu rechtfertigen, der längst beschlossene Sache war?

Als einer der Schlüsselmomente jener Zeit gilt die Rede des damaligen US-Außenministers Colin Powell vor dem UN-Sicherheitsrat in New York City am 5. Februar 2003. An jenem Mittwoch präsentierte Powell, ein Vier-Sterne-General und Vietnam-Veteran, der Weltöffentlichkeit angebliche Beweise für irakische Massenvernichtungswaffen und Programme zu deren Entwicklung. Es sollte eine Rechtfertigung für den anstehenden Krieg gegen den Irak sein. Rund 80 Minuten dauerte Powells Rede, es wurden Fotos, Satellitenbilder, Zeichnungen, Grafiken sowie Tonaufnahmen von Gesprächen vorgelegt, die belegen sollten, dass die Inspektoren der Internationalen Atomenergie-Organisation vom Saddam-Regime belogen und hintergangen worden waren.

„Das Material, das ich Ihnen heute vorlege, stammt aus unterschiedlichen Quellen. Es sind zum Teil amerikanische Quellen, zum Teil Quellen anderer Länder. Einige Quellen sind technischer Art, wie die abgehörten Telefongespräche und die Satellitenfotos. Andere Quellen sind Menschen, die ihr Leben riskiert haben, damit die Welt erfährt, was Saddam Hussein wirklich vorhat.“

– US-Außenminister Colin Powell am 5. Februar 2003 vor dem UN-Sicherheitsrat

Es handele sich um „Fakten und Schlussfolgerungen aus solider Geheimdienstarbeit“, so der US-Außenminister. So gebe es „sich verdichtende Geheimdienstinformationen“ zu biologischen Waffen im Irak. Dabei gehe es um mobile Produktionsanlagen zur Herstellung solcher Stoffe. „Wir haben Beschreibungen aus erster Hand von biologischen Waffenproduktionsanlagen auf Rädern und auf der Schiene“, erklärte Powell. Er sprach anschließend von mehreren irakischen Quellen, die von solchen Programmen berichtet hätten. Darunter ein Deserteur aus dem irakischen Sicherheitsapparat, unter ein Ingenieur, der die Existenz solcher mobilen Herstellungsanlagen bestätigt habe.

Was zu diesem Zeitpunkt in der Öffentlichkeit nicht bekannt war: Colin Powell bezog sich in seiner Rede auf die Aussagen eines Mannes, der im November 1999 als Asylbewerber nach Deutschland gekommen war. Der Iraker Rafed Aljanabi gab damals bei einer ersten Befragung in einem Aufnahmelager im bayerischen Zirndorf an, in seinem Heimatland als Ingenieur für das geheime Waffenprogramm des Saddam-Regimes gearbeitet zu haben, das angeblich unter der Tarnbezeichnung „Chemical Engineering and Design Center“ in Bagdad betrieben wurde. Ebenso habe er für Al-Hakam gearbeitet, eine Produktionsstätte für biologische Waffen, die 1996 unter UN-Aufsicht geschlossen worden war.

Bei der Befragung von Asylbewerbern gibt es immer wieder Fälle, die auch für die deutschen Sicherheitsbehörden von Interesse sind. Beispielsweise wenn Personen aus Staaten fliehen, in denen autoritäre Regime herrschen oder Terrorgruppen aktiv sind. Wenn die Geflüchteten dann etwas darüber berichten könnten, wie es in diesen Regionen gerade aussieht, welche Strukturen es im Militär oder den fremden Geheimdiensten gibt, dann schaltet sich nicht selten auch der BND ein.

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Operation „Heimkehr“

Als Anis Amri im Dezember 2016 sein Attentat in Berlin verübte, lief zur gleichen Zeit eine umfangreiche Anti-Terror-Operation von BKA und Verfassungsschutz. Es ging um mehrere Terrorkommandos, die nach Deutschland einreisen sollten. Und um einen geplanten Anschlag auf ein Musikfestival.

Von Florian Flade

Im Herbst 2016 herrschte Alarmstimmung bei den deutschen Sicherheitsbehörden. Die Sorge vor Terroranschlägen war groß. Davor, dass auch hierzulande islamistische Killerkommandos zuschlagen könnten. So wie kurz zuvor in Paris und Brüssel. Die Einschläge jedenfalls, sie kamen näher. 

Im Wochentakt gingen damals Warnhinweise bei der Polizei und den Nachrichtendiensten ein. Mal kamen sie von Behörden aus dem Ausland, oft auch von aufmerksamen Bürgern, die glaubten ein Nachbar plane ein Attentat. Manche Hinweise aber stammten auch aus „eigenem Aufkommen“, wie es im Jargon der Dienste heißt. 

So wie jene Informationen, die das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) im September 2016 erreichten, und die schließlich dafür sorgten, dass die deutsche Terrorismusabwehr eine umfangreiche Operation startete, um zu verhindern, dass es zu einem „deutschen Bataclan“ kommt. Es ging um einen Anschlagsplan, bei dem mehrere Selbstmordattentäter zuschlagen sollten. Ein Ziel war offenbar ein Musikfestival in Norddeutschland.

Doch ausgerechnet während die Terrorabwehr fieberhaft versuchte, ein solches „Paris Szenario“ zu verhindern, kam es zum bislang schwersten islamistischen Terroranschlag in der Bundesrepublik. Nicht mit Sturmgewehren oder Sprengstoffgürteln, sondern mit einem entführten Lastwagen verübte Anis Amri sein Attentat auf den Weihnachtsmarkt am Berliner Breitscheidplatz.

Einen Anschlag wie diesen wollten die Verfassungsschützer und Polizisten eigentlich verhindern, die im Herbst 2016 im Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ) in Berlin zusammenkamen. Das Bundesamt für Verfassungsschutz teilte damals mit, dass man beunruhigende Chatnachrichten aus dem Kriegsgebiet in Syrien festgestellt habe. Es spreche einiges dafür, dass die Terrororganisation Islamischer Staat (IS) einen Anschlag in Deutschland plane, und dafür gleich mehrere Terrorkommandos eingeschleust werden sollten. Genau wie es zuvor bereits in Frankreich und Belgien geschehen war.

Mehr über das Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum gibt es hier: Das GTAZ

Die Absenderin der Nachrichten war Marcia M., eine aus Salzgitter stammende Islam-Konvertitin, die den Behörden als Extremistin bekannt war. Sie war geneinsam mit ihrem Ehemann, dem Hildesheimer Oguz G. nach Syrien ausgereist, beide hatten sich der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) angeschlossen.

Über Messengerdienste hielt Marcia M. während ihrer Zeit beim IS weiter Kontakt mit Verwandten und Bekannten in Deutschland. So auch zu einer Freundin in Bremen, die angab, ebenfalls in das Kriegsgebiet ausreisen zu wollen. Marcia M. soll sie zunächst in dem Vorhaben bestärkt haben, dann aber riet sie ihr ab. Sie solle lieber in Deutschland bleiben und den IS dort unterstützen. 

Gleich drei Freundinnen kontaktierte Marcia M. im September 2016 mit einem brisanten Anliegen. Sie wollte wissen, ob die Frauen, denen sie offenbar vertraute, bereit wären, islamistische Kämpfer zu heiraten, mit einer Legende auszustatten und bei sich aufzunehmen, die heimlich aus Syrien nach Deutschland reisen würden – um „sehr wichtige Arbeit zu erledigen“.

Was die Islamistin damals wohl nicht ahnte: Eine der Bekannten, der sie sich anvertraute, war inzwischen vom Verfassungsschutz als Quelle angeworben worden. Die V-Frau teilte dem BfV umgehend mit, welch ungewöhnliche Bitte aus Syrien sie erreicht hatte. Bei den Verfassungsschützern wiederum war man nun alarmiert. Was ging da vor sich? Sollten tatsächlich IS-Terroristen heimlich eingeschleust werden? Was genau war der Plan?

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Der Bombenbauer von Paris

In Paris beginnt der Prozess um die Terroranschläge vom 13. November 2015. Der Mann, der die Sprengstoffgürtel für die Attentäter baute, wird allerdings nicht vor Gericht stehen. Er konnte nach den Attentaten entkommen und ist bis heute verschwunden.

Von Florian Flade

Ziemlich ausdruckslos und müde guckt der Mann mit den markanten, dunklen Augenbrauen in die Kamera. Bevor die Fotos gemacht wurden, nahmen die ungarischen Beamten seine Fingerabdrücke und notierten die Angaben aus seinem syrischen Pass. Name: „Ahmad al Khald“. Name des Vaters: „Mohamad“. Name der Mutter: „Siham“. Geburtsdatum: „01.01.1992“. Geburtsort: „Aleppo“. Fast alles davon war wohl falsch. Nur aus der Gegend um Aleppo stammte der Mann wohl tatsächlich.

Am 19. September 2015 reiste der Syrer, der sich „Ahmad al Khald“ nannte, mit einem Flüchtlingsboot von der Türkei nach Griechenland, auf die Insel Farmakonisi. Tags darauf wurde er gemeinsam mit anderen Geflüchteten nach Leros gebracht. Dann ging es weiter die sogenannte Balkanroute entlang, über Mazedonien und Serbien, nach Ungarn, Österreich und Deutschland. Es war der Weg zehntausender Flüchtlinge in jenen Tagen. 

In der Masse der Menschen, die vor Krieg und Terror aus Syrien nach Europa flohen, fiel der junge Mann nicht weiter auf. Allerdings war er kein Flüchtling. Er wollte den Schrecken des Krieges, das Sterben und das Leiden nicht hinter sich lassen, sondern es nach Europa bringen. Einen perfiden Hinweis auf sein mörderisches Vorhaben lieferte ein Kleidungsstück, das er trug, als er von den europäischen Beamten fotografiert wurde. Auf dem schwarzen Pullover prangt der weißen Schriftzug einer kalifornischen Modemarke. Und das Logo: eine Bombe.

Heute beginnt in Paris der Prozess zu den Anschlägen am Abend des 13. November 2015. Ein islamistisches Terrorkommando ermordete damals in der französischen Hauptstadt 130 Menschen. In Bars, Cafés, vor dem Fußballstadion Stade de France und im Konzertsaal Bataclan. Dem Islamischen Staat (IS) war es gelungen unbemerkt Attentäter von Syrien bis nach Frankreich zu bringen. Sie tarnten sich dabei als Flüchtlinge des syrischen Bürgerkrieges. „Ahmad al Khald“, der Mann mit der Bombe auf dem Sweatshirt, war einer von ihnen. Er soll die Sprengstoffwesten gebaut haben, die in der Terrornacht von Paris eingesetzt wurden.

Zwanzig Terroristen und Terrorhelfer sind in Paris angeklagt. Sie sollen sich in den kommenden Monaten dafür verantworten, dass sie an den Attentaten entweder selbst beteiligt waren – oder die Attentäter unterstützt hatten. Längst nicht alle Angeklagten stehen auch vor Gericht. Nur vierzehn von ihnen werden anwesend sein, die übrigen sind entweder im Ausland inhaftiert, gelten inzwischen als tot oder sind schlichtweg verschwunden.

Auch der Bombenbauer, der sich „Ahmad al Khald“ nannte, ist angeklagt. Allerdings ist er bis heute nicht auffindbar. Überhaupt dauerte es mehrere Jahre bis die französischen Ermittler seine wohl wahre Identität herausgefunden hatten.

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