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Die Reise des Robert B.

von Florian Flade

In Großbritannien wurden zwei deutsche Terrorverdächtige zu Haftstrafen verurteilt. Die mutmaßlichen Islamisten Robert B. und Christian E. aus dem bergischen Solingen hatten bei ihrer Einreise nach Großbritannien im Juli 2011 Bombenbau-Anleitungen und Dschihad-Propaganda im Gepäck. Zu Hause in Solingen rätseln Angehörige wie aus Robert und Christian radikale Islamisten werden konnten.

Für Marlis B. (57) aus Solingen waren die letzten Monate eine anstrengende Zeit voller Hoffen und Bangen. Heute fiel in London das Urteil gegen ihren Sohn, den Terrorverdächtigen Robert B.. Es ist die vorläufig letzte Etappe eines langen Weges von der bergischen Provinz in einen britischen Gerichtssaal. Bis heute ist es Marlis B. unerklärlich, wie aus dem braven Robert, der nie in Schlägereien oder Kriminalität verwickelt war, der radikale Islamist „Abdul Hakim“ werden konnte. Die Geschichte einer Radikalisierung mitten in Deutschland.

Roberts Leben vor dem Islam sei nicht einfach gewesen, sagt seine Mutter. Der Vater verstarb nur drei Tage vor dem 13.Geburtstag seines Sohnes an Lungenkrebs. In der Schule sei Robert viel gehänselt worden, galt eher als Außenseiter. Er brach die Schule nach der neunten Klasse ab und ging als 17jähriger – mit Einwilligung der Mutter – zur Bundeswehr. Sein Traum war es, sich verpflichten zu lassen, Panzer zu fahren, auch in den Afghanistan-Einsatz zu gehen. Doch innerhalb der Truppe wies man Robert einen tristen Bürojob zu. Vielleicht aus Langeweile, vielleicht durch den Einfluss von Kameraden driftete er in die rechte Gesinnung ab. Die Bundeswehr musste er deshalb verlassen. Robert holte seinen Realschulabschluss nach und schloss anschließend eine Lehre als Fachlagerist ab. In der Solinger Firma übernommen wurde Robert aber nicht. Er rutschte in eine Sinnkrise.

Irgendwo auf den Straßen und in den Hinterhöfen Solingens kam Robert mit den Predigern des fundamentalischen Islams in Kontakt. Robert, den seine Eltern absichtlich nicht taufen ließen, damit er seinen Glauben frei wählen kann, war fasziniert von der strenggläubigen Lehre der Salafiten. Er schwärmte von Predigern, von der Brüderlichkeit unter Muslimen und vom Paradies. Im Januar 2009 konvertierte Robert. Er nannte sich fortan „Abdul Hakim“ und orientierte sich immer stärker an die Pflichten und Vorschriften seiner neuen Religion. Er wollte von nun an ein Leben nach dem Vorbild des Propheten Mohammed führen. Regelmäßig besuchte Robert nun die Vorträge fundamentalistischer Prediger in den Moscheen in Solingen, Bonn, Köln und auch Hamburg. Ein Video, aufgenommen in einer Solinger Moschee, zeigt Robert im Publikum, mit Gebetsmütze und breitem Grinsen im Gesicht. Im Hintergrund zu erkennen: der salafitische Prediger Abu Abdullah aus Bonn.

Innerhalb weniger Monate wurde aus dem Atheisten Robert B. ein fundamentalistischer Salafit, der auch begann, in der eigenen Familie zu missionieren. Öfter brachte er Flyer radikalislamischer Prediger mit nach Hause, riet der Mutter, Kopftuch, gar die Burka zu tragen, damit auch sie ins Paradies komme. „Du bist radikal“, sagte seine Mutter als sie die Wandlung ihres Sohnes bemerkte. „Mutti, ich würde niemals einen Menschen umbringen“, versprach Robert.

Der Freundeskreises von Robert B. bestand zunehmend aus radikalen Islamisten, darunter der bereits 2003 konvertierte Christian David E. (28) genannt „Abdul Malik“. Der mehrfach vorbestrafte Solinger übte, so glauben es Sicherheitsbehörden, einen starken Einfluss auf Robert aus. Der blonde, bullige Konvertit, ein Auszubildender in einer Pflegeklinik und begeisterter HipHop und Eishockey-Fan, nahm den jungen Neu-Muslim angeblich unter seine Fittiche. Christian E. führte Robert wohl in das salafitische Netzwerk zwischen Solingen, Köln und Bonn ein. „Er hat eine Ersatzfamilie gesucht“, erklärt sich Roberts Mutter den Einfluss der radikalen Islamisten auf ihren Sohnes, „Robert war etwas labil und wusste noch nicht genau was er wollte.“

Im Oktober 2010 plante eine Gruppe deutscher Muslime aus Nordrhein-Westfalen eine Sprachreise nach Ägypten – unter ihnen auch Robert und sein Freund Christian. In Alexandria wollten die Gläubigen aus Deutschland Arabisch lernen, planten sich in einer berüchtigten Sprach-Schule einzuschreiben. „Ein richtiger Muslim muss Arabisch können“, sagte Robert seiner Mutter, er wolle die Sprache lernen, um seinen Glauben richtig leben zu können. Marlis B. überkam ein ungutes Gefühl, die Alarmglocken gingen ab. „Robert redete nur noch vom wahren Paradies, davon dass Ungläubige in die Hölle kommen“, erinnert sich die 57jährige. Sie rief noch vor Roberts Abreise den Staatsschutz an und fragte nach Rat. Sie solle doch versuchen ihrem Sohn den Reisepass wegzunehmen, riet man Marlis B.. Die entgegnete, das sei doch gar nicht möglich, denn ihr Sohn sei schließlich volljährig,

Nur wenige Tage später bekam ihr Sohn tatsächlich Besuch von Beamten der Sicherheitsbehörden. Sie befragten Robert, beruhigten anschließend seine Mutter: Man habe zukünftig ein Auge auf ihn. Dennoch reiste Robert drei Wochen später, am 25.Oktober 2010, nach Ägypten. Drei Monate war der deutsche Konvertit in Alexandria, die Mutter schickte ihm regelmäßig das Kindergeld. Ende Januar 2011 erreichte der Arabische Frühling auch Ägypten. Deutsche Staatsbürger wurden aufgrund der politischen Unruhen mit Sondermaschinen ausgeflogen. In einer dieser Maschinen saß am 1.Februar 2011 auch Robert B. aus Solingen.

Zurück in Deutschland, wohnte Robert zunächst zwei Tage bei seiner Mutter. „Er war wie verwandelt“, erinnert sich Marlis B., „Er war nicht mehr zugänglich. Ich musste dem Jungen jedes Wort aus der Nase ziehen.“ Er behauptete eine eigene Wohnung gefunden zu haben, beantragte Hartz IV. In Wahrheit wurde eine als radikal berüchtige Hinterhof-Moschee Roberts neues Zuhause. Der 24jährige schlief fortan im „Deutsch-Islamisten Zentrum“ an der Konrad-Adenauer-Strasse. Sein Freund und Glaubensbruder Christian E., so verriet es der Name am Briefkasten der Moschee, war ebenfalls dort wohnhaft.

In anderen Moscheen der Stadt waren die Konvertiten Robert und Christian in den vergangenen Jahren stets abgewiesen worden. Sie tauchten dort regelmäßig mit ihren Laptops auf, sprachen nach den Predigten mit den anderen Muslimen über Politik. „Eines Tages kam die Polizei und sagte, wir sollten die beiden Männer nicht mehr in unsere Gemeinde lassen“, erinnert sich ein Moschee-Vorstand aus Solingen, „Ich habe sie daraufhin gebeten, zu gehen.“ In der verschlossenen Salafiten-Gemeinde der Hinterhof-Moschee wurden Robert B. und Christian E. mit offenen Armen empfangen.

Innerhalb der Solinger Islamisten-Szene etablierte sich das Konvertiten-Duo rasch als feste Größe. Robert B. und Christian E. gerieten zunehmend in den Fokus der Sicherheitsbehörden in Nordrhein-Westfalen. Sie galten als „Einflusspersonen und Logistiker“ innerhalb der Salafiten-Szene, heißt es in Ermittlerkreisen. Nach Informationen von „Welt Online“ sollen sie auch Ansprechpartner für Reiseplanungen in terroristische Ausbildungslager im Ausland gewesen sein.

Roberts Mutter Marlis bekam von all dem immer weniger mit. Die Besuche des Sohnes wurden immer kürzer, Robert sprach kaum noch über sein Leben. Im Juni 2011 schöpfte die Mutter plötzlich wieder Hoffnung, ihr Sohn könnte vielleicht doch wieder in ein regeltes Leben ohne Fanatismus zurückfinden. „Ich dachte es geht wieder aufwärts“, so Marlis B., „Er hat gesagt er würde sich eine eigene Wohnung nehmen und sich eine Arbeit suchen“. Doch das Gegenteil war der Fall. Nur einen Monat später war Robert verschwunden. Weil sie auf einem Kontoauszug ihres Sohnes die Buchung für ein Reiseticket entdeckte, wandte sich Marlis B. Mitte Juli erneut an die deutschen Sicherheitsbehörden.

Dort wusste man bereits wohin Robert gereist war. „Man sagte mir, es gehe ihm gut“, so Marlis B., „Ich war erleichtert. Ich hatte ihn schon mit einer Bombe rumlaufen sehen, Leute umbringen.“ Was die Mutter noch nicht ahnte: Robert und sein Freund Christian E. waren als Terrorverdächtige am 15.Juli 2011 bei der Einreise nach Großbritannien festgenommen worden. Bei der späteren Vernehmung erklärten die beiden Deutschen, sie hätten ursprünglich geplant mit dem Flugzeug von Brüssel aus nach Ägypten zu fliegen. Das Flugticket sei ihnen dann zu teuer gewesen, stattdessen reisten sie angeblich spontan per Fähre nach Großbritannien.

In der Hafenstadt Dover warteten bereits Beamte der britischen Anti-Terror Einheiten. Sie stießen bei der Durchsuchung des Gepäcks der deutschen Salafiten auf brisantes Material. Auf einem Laptop und einer externen Festplatte befand sich islamistisches Propaganda-Material. Unter den sichergestellten PDF-Dateien war auch ein englischsprachiges Online-Magazin der jemenitischen Al-Qaida mit dem Titel „Inspire“. Darin findet sich der Artikel „Make A Bomb In The Kitchen Of Your Mom“, eine Schritt-für-Schritt Anleitung zum Bombenbau. Und die britischen Beamten fanden noch mehr. Auch ein Essay des inzwischen getöteten Al-Qaida Predigers Anwar al-Awlaki mit dem Titel „39 Way to Support the Jihad“ hatten Robert B. und Christian E. in ihrem Gepäck.

Der Fund veranlasste die britische Staatsanwaltschaft gemäß den Anti-Terror-Gesetzen aus dem Jahr 2000 Ermittlungen gegen Robert B. und Christian E. einzuleiten. Den mutmaßlichen Islamisten aus Deutschland wird vorgeworfen gegen Artikel 58 des „Terrorism Act“ verstoßen zu haben. Sie sollen Material besessen und nach Großbritannien eingeführt haben, das für die Planung eines terroristischen Anschlages verwendet werden kann. Die Verteidigung behauptet allerdings, das brisante Propaganda-Material sei im Internet frei zugänglich und dessen Download und Besitz in Deutschland nicht strafbar. Anschlagsabsichten seien den Solinger Konvertiten nicht nachweisbar.

Da die Angeklagten bestritten in Anschlagsplanungen oder Dschihad-Aktivitäten verwickelt zu sein, ist weiterhin unklar, was das eigentliche Ziel ihre Reise war. Wollten Robert B. und Christian E. in Großbritannien Glaubensbrüder treffen? Sollten sie im Auftrag nordrhein-westfälischer Prediger Kontakte auf der Insel knüpfen? War London nur eine Zwischenstation und wollten die Konvertiten eigentlich weiterreisen? Robert und Christian machten zu diesen Fragen bislang keinerlei Angaben.

Nach ihrer Festnahme wurden die deutschen Terrorverdächtigen in das Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh östlich von London verlegt. Marlis B.in Solingen bemühte sich seither vergeblich über einen Anwalt um Kontakt zu ihrem Sohn. Sie schrieb Briefe in das Gefängnis, wusste anfänglich nicht, dass alle Post nach den Vorschriften des Gefängnisses auch in englischer Sprache verfasst werden muss. Statt sich direkt bei seiner Mutter zu melden, kontaktierte Robert zunächst seine Glaubensbrüder in Deutschland. Das belegt ein Brief des deutschen Konvertiten vom Oktober 2011, der „Welt Online“ vorliegt.

„Die Haft ist nicht schlimm und die behandeln uns verhältnismäßig gut hier“, schrieb Robert B. an islamistische Freunde in Deutschland, „Es tut gut mit so vielen Brüdern zu sein. Die Haft lässt sich aushalten. Man bekommt sein Essen, man kann Fitness machen und islamische Klassen besuchen, Freitagsgebet gibt es auch.“ Nicht-muslimische Häftlinge würden die Haftbedingungen allerdings nicht ertragen. Häufig würden Mithälftlinge ausrasten oder Suizid begehen, berichtet Robert B.: „Die kommen nicht klar, die sind ja auch nicht auf dem Weg Allahs hier, die sind einfach Kuffar (Ungläubige), möge Allah sie rechtleiten.“

Mitte Januar erhielt Mutter Marlis B. die ersten Briefe von Robert. Sie haderte seither mit dem Wunsch nach Großbritannien zu reisen. Am vergangenen Samstag flog Marlis B. nun mit ihrem Anwalt Burkhard Benecken nach London. Sie soll als „präsente Zeugin“ im Prozess gegen ihren Sohn aussagen, von der Entwicklung ihres Sohnes, den Familienverhältnissen und seiner Kindheit berichten.

Robert und der Mitangeklagte Christian E. bekannten sich indes bereits vor einer Woche schuldig im Sinne der Anklage. Die deutschen Terrorverdächtigen hatten offenbar im Fall einer Verurteilung auf eine Strafmilderung gehofft. Gestern fiel vor dem Strafgericht „Old Bailey“ in London das Urteil. Robert B. wurde zu 12 Monaten Haft, Christian E. zu 16 Monaten verurteilt. Die Hälfte der Strafe müssen beide Konvertiten absitzen, der Rest wurde zur Bewährung ausgesetzt. Damit ist Robert B. praktisch auf freiem Fuß. Christian E., dessen Vater britischen Ermittlern gesagt hatte, er habe sich lediglich für den extremistischen Islam interessiert, sei aber kein Extremist,  muss hingegen noch vier Monate in Großbritannien in Haft bleiben und darf dann die Bewährungszeit in Deutschland verbringen.

Christian E. und Robert B. drohte ursprünglich eine Maximalstrafe von bis zu zehn Jahre Haft. Davon ließ sich der gottesfürchtige Konvertit Robert kaum einschüchtern. „Meine Anklage ist ein Witz“, heißt es in einem Brief von Robert aus dem Gefängnis, „Es ist schön so viel Zeit für Koran lesen zu haben, draußen kam irgendwie immer was dazwischen.“

Wenn das eigene Kind nur noch für Allah lebt

von Florian Flade

Eine neue Broschüre informiert über den radikalen Islam als Jugendkultur in Deutschland. Sie soll Eltern und Sozialpädagogen darüber aufklären, was den Salafismus für junge Deutsche so attraktiv macht und was getan werden kann, damit das eigene Kind nicht in eine terroristische Karriere abrutscht.

Die „Gesellschaft Demokratische Kultur“, ein vom Bundesministerium für Familie gefördertes Projekt, hat am Donnerstag in Berlin eine Info-Broschüre vorgestellt, die über eine fundamentalisischen Islam-Variante aufklären soll, die sich in Deutschland zunehmend zu einer Jugendkultur entwickelt – der Salafismus.

Laut Verfassungsschutz hat der Salafismus landesweit inzwischen mehrere tausend Anhänger – Tendenz steigend. Die Zahl der oft jugendlichen Konvertiten wächst steti und so mehren sich auch die Fälle, in denen Familien zerbrechen, wenn der Sohn oder die Tochter zum ultraorthodoxen Islam konvertiert. Gipfel des Radikalisierungsprozesses ist immer häufiger die Ausreise in ein terroristisches Ausbildungslager in Pakistan.

Primäres Ziel der knapp 80-seitigen Broschüre „Ich lebe nur für Allah – Argumente und Anziehungskraft des Salafismus“ soll sein, über den salafitischen Islam in Deutschland, Prediger und Gruppierungen aufzuklären, auch um mögliche Gefahren einer Radikalisierung erkennen zu können und präventiv dagegen arbeiten zu können.

Das Info-Heft entstand in sechsmonatiger Arbeit des Teams um die Islamismus-Expertin Claudia Dantschke, dem palästinensischen Psychologen Ahmad Mansour, dem Islamwissenschaftler Dr.Jochen Müller und der Sozialwissenschaftlicher Yasemin Serbest. Es ist ein Versuch, Antworten zu geben: Warum werden Jugendliche zu Salafiten? Was macht die Ideologie vom Leben wie zu Zeiten des Propheten vor 1400 Jahren so attraktiv? Wann wird aus religiösem Fundamentalismus gefährlicher Dschihadismus?

Familien und Sozialpädagogen soll es durch die bislang einzigartige Handreiche erleichtert werden, frühzeitig zu erkennen, wann ein junger Mensch in den islamischen Extremismus abrutscht. Dabei gehe es nicht um Pauschalisierung, betont Islamwissenschafter Dr. Jochen Müller, Religiösität allgemein dürfe nicht verurteilt werden.

„Anhänger des salafitischen Islam zu werden, heißt nicht zwangsläufig Gewalt zu verherrlichen oder Dschihadist zu werden“, sagt die Islamismus-Expertin Claudia Dantschke, „Eltern sollen verstehen, dass es erstmal kein Problem ist, wenn das Kind zum Islam konvertiert ist. Auch wenn das Kind dann Videos von Pierre Vogel anguckt, muss dies auch noch kein Alarmzeichen sein.“ Problematisch werde es erst, wenn jemand ausschließlich Predigten der radikalen Hardliner anhängt.

Doch um diese Anzeichen für einer Radikalisierung früh zu erkennen, müssen Eltern und Pädagogen wissen, welchen Predigern das Kind anhängt, in welcher Moschee es verkehrt und auf welchen Webseiten es surft. Worin der Unterschied zwischen den moderaten und den dschihadistischen Strömungen der Szene besteht, kann nur erkennen, wer die einzelnen Akteure und Argumente kennt. Hier setzt die Broschüre an. Sie stellt die Spannweite bundesweit agierender salafitischer Prediger dar – von den Hardlinern der Szene im Kreis Köln-Bonn, bis hin zu moderateren Stimmen in Berlin, Wuppertal oder Leipzig.

Warum aber wird ein junger Mensch in Deutschland überhaupt zum islamischen Fundamentalisten? Der Salafismus als Sinn-Angebot für junge Menschen biete oftmals einfache Antworten auf nahezu alle Lebensfragen, erklärt die Info-Broschüre. Für Nicht-Muslime sei der fundamentalistische Islam besonders attraktiv, da er neben der vermeintlich exklusiven göttlichen Wahrheit auch ein simples Gesellschafts-Bild von „Wir und Die“ vermittle, Gemeinschaft schaffe und Identität stifte. Dies greife gerade bei Jugendlichen, die eine Sinn- und Identitätskrise durchlaufen oder aus zerbrochenem Elternhaus stammen. Ihnen bietet der Salafismus eine soziale Gruppe, in der sie Anerkennung erfahren.

„Zudem bedienen salafitische Strömungen ein ganz jugendtypisches Bedürfnis, nämlich das nach Protest und Provokation“, heißt es in der Broschüre, „Zu einer diskriminierten Minderheit zu gehören, kann durchaus sexy sein – wird dabei doch ein weiterer politischer Mobilisierungsfaktor gleich mitgeliefert: der Kampf für Gerechtigkeit.“

Innerhalb dieses Millieus gehöre man automatisch zu einer „weltweiten Opfergemeinschaft“, erklärt Claudia Dantschke. Opfer- und Feindbild werden klar definitiert. Die eigene Gruppe aufzuwerten, andere Gruppen, so auch Gläubige anderer Religionen und andersdenkende Muslime abzuwerten, sei zentraler Aspekt der salafitischen Ideologie.

„Salafitische Gruppierungen verbinden reale Erfahrungen, die Jugendliche mit Diskriminierungen und Islamfeindlichkeit machen, mit diversen internationalen Konflikten wie den Kriegen im Irak und Afghanistan oder dem Nahostkonflikt“, heißt es im Info-Heft. Dass der Islam weltweit bekämpft würde und der Dschihad zur Pflicht werde, wird so zur Grundannahme. Gepaart mit der Angst vor der Hölle und der Verheisung des Paradieses kann daraus eine gefährliche Mischung erwachsen.

Psychologe Ahmad Mansour erklärt, die Angst-Pädagogik der islamistischen Prediger sei ein ganz entscheidender Aspekt. „Jugendlichen wird gesagt: wenn ihr uns nicht folgt, droht euch die ewige Höllen-Qual“, so Mansour, „das spielt im Salafismus eine unglaubliche große Rolle.“

Wie kaum eine andere islamische Strömung versteht es der Salafismus, das Internet als Anwerbungsstätte zu nutzen. „Sie gehen dorthin, wo die Jugendlichen schon sind und wo viele von ihnen nach Antworten auf ihre Fragen suchen – im Internet“, heißt es in der Broschüre. Dort gebe das „System Salafismus“ mit Video-Vorträgen, Internet-Foren, interaktive Chatrooms und Blogs auch Antworten auf nicht-religiöse Fragen – Liebe, Arbeit, das Heiraten, Familie.

„Im Internet tauchen die Nutzer auf ihrer Suche nach Informationen und Kenntnissen zum Islam dann mit ein paar Mausklicks in ein salafitisches Universum ein, das von moderaten Missionaren bis hin zu dschihadistischen Radikalen reicht, wobei die Unterschiede oft erst auf den zweiten oder dritten Blick zu erkennen sind.“

Wie eine Radikalisierung junger Muslime präventiv verhindert werden kann, sei nicht pauschal zu erklären, meint der palästinensische Psychologe Ahmad Mansour. „Bei Salafismus ist Hinterfragen nicht erlaubt“, so Mansour, „Wenn ein Kind anfängt nachzudenken, dann wird Salafismus kaum mehr eine Rolle spielen.“ Aus der muslimischen Gemeinschaft müsse es lautere Gegenstimmen für einen liberalen Islam geben. „Jugendliche haben nur ein Bild vom Islam: den Salafismus“, meint Mansour. Für Eltern sei es außerdem ratsam Beratung und pädagogische Hilfe in Anspruch zu nehmen.

Diese Hilfe bietet Claudia Dantschke mit ihrem Team der „Arbeitsstelle Islamismus und Ultranationalismus“ seit einigen Jahren an – mit nicht zu unterschätzendem Erfolg. Die nun erschienene Broschüre, die zunächst bei einem Modellprojekt in Neukölln verteilt werden soll, ist so auch Produkt der Erfahrung aus direkter Zusammenarbeit mit betroffenen Familien.
Mehr Informationen, auch für betroffene Familien, finden Sie unter:

http://zentrum-demokratische-kultur.de/Startseite/Islamismus-/-Ultranationalismus/Neue-Handreichung/Neue-Handreichung-K361.htm

Fanatischer Pastor stellt Koran vor Gericht

by Florian Flade

Der christliche Fundamentalist Terry Jones plant erneut den Koran zu vernichten. In einem Schauprozess am Sonntag, soll das heilige Buch der Muslime angeklagt und verurteilt werden. Ein muslimischer Geistlicher wird die Rolle der Verteidigung übernehmen, Ankläger und Zeugen sind ausnahmslos ehemalige Muslime, die zum Christentum konvertiert sind.

Pastor Terry Jones  – Organisator vom „Richte den Koran“-Tag

In der Kirchengemeinde „Dove World Outreach Center“ der Ortschaft Gainesville im US-Bundesstaat Florida wird am Sonntag das heilige Buch der Muslime, der Koran in einem Schauprozess angeklagt. Das umstrittene Oberhaupt der christliche Fundamentalist-Gemeinde, Pastor Terry Jones, hatte im vergangenen Jahr geplant, den Koran öffentlich zu verbrennen und damit weltweit Empörung ausgelöst. Im letzten Moment, nach dem Einwirken amerikanischer Politiker, sagte Jones den „Burn the Koran-Day“ im September 2010 ab.

Am Sonntag nun will der Pastor eine weitere provokative Aktion starten. Beim „International Judge the Koran- Day“, werde das für Muslime heilige Buch, vor Gericht stehen, hatte Jones „Welt Online“ bereits im Januar mitgeteilt. „An diesem Tag wird der Koran vor Gericht gestellt werden. Ihm werden Mord, Vergewaltigung, Fehlleitung und Aufrufe zu Terroraktionen vorgeworfen“, so der Pastor. Im Internet laufe eine Abstimmung, auf welche Weise der Koran – falls schuldig befunden – hingerichtet werde, so Terry Jones. Zur Wahl stehen dort „Verbrennen“, „Ertränken“, „Zerreißen“ und „Erschießen“. Den Koran im Fall eines Schuldspruchs zu verbrennen favorisieren im Internet derzeit 69 Prozent.

Der Prozess soll von 16:00 Uhr – 20:00 Uhr in Jones Gemeinde in Gainesville stattfinden und über das Internet live übertragen werden. Jones erklärte Welt Online, der Koran werde einen typisch amerikanischen Prozess erhalten, mit Verteidiger, Ankläger, Richter und Jury. Muslime seien aufgerufen zur Verteidigung des Koran ihre besten Gelehrten und religiösen Würdenträger zu entsenden, sagte Jones. Sollten sich die Anschuldigungen als falsch erweisen, werde es eine „öffentliche Entschuldigung an die Muslime“ geben. Wer den Koran verteidigen werde, stand im Januar noch nicht fest.

Inzwischen wurden die Namen der Verteidigung, Ankläger und Zeugen veröffentlicht. Ahmed Abaza, ein Ägypter der 1987 zum Christentum konvertierte und in Kalifornien den arabischen TV-Sender „The Truth TV“ betreibt, wird als Ankläger auftreten. Die Verteidigung der heiligen Schrift übernimmt Sheikh Imam Mohammed al-Hassan, der Präsident des „Islamic Center in Texas“. Al-Hassan trat außerdem im vergangenen Jahr als Präsidentschaftskandidat in seiner Heimat Sudan auf.

Als Zeugen treten laut Vorabmeldung der Kirchengemeinde zwei zum Christenum konvertierte Muslime auf. Der Ägypter Ahmed Paul „war ein Mitglied der Präsidentengarde in Ägypten (…) und hat den Herrn Jesus 1997 akzeptiert“. Ein weiterer Zeuge ist Sheikh Abdullah al-Sabah aus der kuwaitischen Königsfamilie. Al-Sabah, der 1995 zum Christentum konvertierte, soll in Kuwait aufgrund seines Religionswechsels in Haft gesessen haben.

Der gesamte Koran-Prozess werde in Arabisch abgehalten, kündigte Pastor Jones an, damit sowohl Ankläger als auch Verteidigung im arabischen Original zitieren können. Als Übersetzerin soll eine Frau names Manal Faragalla sein, deren Vater angeblich aufgrund seiner Konvertierung zum Christentum nach Sharia-Gesetzgebung hingerichtet worden sein soll. „Der Herr Jesus hat sie ausgebildet, einer seiner Soldaten zu sein für sein Volk, das unter dem Joch der Sharia lebt“, heißt es über Manal Faragalla in einer E-Mail, die ich jüngst von der Gemeinde erhalten habe.

Veranstalter Terry Jones, der den Islam als teuflische Religion und den Koran als Anleitung für Verbrechen bezeichnet, werde selbst keinen Part in dem Schauprozess übernehmen. „“Ich werde nicht Teil der Jury sein“, sagte Jones „Welt Online“ im Januar. „Das wäre ich gerne, aber ich denke das ist nicht möglich, denn nach allem was vorgefallen ist, gelte ich sicher nicht als unvoreingenommen und unparteiisch.“

Wie im vergangenen Jahr habe auch diesmal die US-Bundespolizei FBI versucht, ihn von seinem Vorhaben abzubringen, so Jones. Er rechne mit Racheakten von muslimischer Seite, sollte es tatsächlich zu einer Koran-Hinrichtung kommen. Doch selbst wenn US-Präsident Barack Obama ihn diesmal persönlich anrufen würde, werde der „Judge the Koran-Day“ nicht abgesagt.