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Der Durchschnitts-Dschihadist

von Florian Flade

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„Underdog“, Schulabbrecher, Problemfamilie, Drogenvergangenheit – all dies hört und liest man immer wieder, wenn es um radikale Islamisten geht, die Deutschland verlassen und sich in ein Dschihad-Gebiet begeben haben. Aus gesellschaftlichen Verlierern werden gefährliche Extremisten, so die Annahme.

Aber stimmt das? Wie sieht es tatsächlich aus bei den Dschihad-Reisenden? Wer sind sie?

Eine Studie der Bund-Länder-Gruppe im Auftrag des Bundesinnenministeriums sollte genau diese Frage klären. Insgesamt wurden 378 Islamisten analysiert, die nach Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden von Juni 2012 bis Ende Juni 2014 mutmaßlich nach Syrien ausgereist sind, um sich dort am bewaffneten Kampf zu beteiligen. Entstanden ist die bislang umfangreichste Erfassung von Alter, Herkunft und Bildungsgrad von Dschihadisten aus Deutschland. Gespeist durch Informationen der Verfassungsschutzämter, der Polizeien und

Das Ergebnis der Studie: „Es gibt kein typisches Profil“.

Im Durchschnitt ist ein Dschihadist aus Deutschland jedoch wohl männlich, zwischen 21 und 25 Jahre alt, wurde in Deutschland in einer muslimischen Familie geboren, besitzt die deutsche Staatsbürgerschaft, hat keinen Schulabschluss, hat vor der Ausreise Straftaten begangen, verkehrte in der salafistischen Szene und reist gemeinsam mit Freunden aus.

Ein Blick auf die Zahlen lohnt in jedem Fall.

Von den nach Syrien ausgereisten Islamisten sind…

89 % sind Männer
88 % lebten vor ihrer Ausreise in einer Stadt, der Rest in ländlichen Gegenden

125 von 378 Personen waren bei ihrer Ausreise zwischen 21 und 25 Jahren alt.

Die jüngste Person war 15 Jahre, die älteste 63 Jahre alt.

Insgesamt stammen die Ausgereisten aus 31 Nationen.

61 % wurden in Deutschland geboren
8 % in Syrien
6 % in der Türkei
3 % im Libanon
3 % in der Russischen Förderation

37 % besitzen ausschließlich die deutsche Staatsbürgerschaft
24 % besitzen eine doppelte Staatsbürgerschaft (mehrheitlich marokkanisch, türkisch, syrisch und afghanisch)

14 % sind türkische Staatsbürger
5 % sind syrische Staatsbürger
4 % sind russische Staatsbürger

64 % wuchsen in Familien auf, mit mindestens einem muslimischen Elternteil
14 % sind Konvertiten
77 % der Konvertiten sind Männer, 23 % sind Frauen

Es sind etwa gleich viele ledige wie verheiratete Personen darunter. Mehr als 100 der 378 Personen haben eigene Kinder.

26 % besuchten zum Zeitpunkt der Ausreise eine Schule, davon mehr als ein Viertel ein Gymnasium

33 % haben einen Schulabschluss, davon etwa ein Drittel das Abitur
6 % haben eine Ausbildung abgeschlossen
2 % haben ein Studium abgeschlossen

21 % waren arbeitslos
12 % waren berufstätig
65 % haben Straftaten begangen, hauptsächlich Drogendelikte und Diebstahl

84 % werden der salafistischen Szene zugerechnet
4 Personen gelten „explizit nicht als Salafisten“
30 % waren vor der Ausreise in Moscheegemeinden aktiv
6 % radikalisierten sich in weniger als einem Jahr
12 % radikalisierten sich in ein bis weniger als zwei Jahren

52 % sollen „dschihadistisch“ motiviert sein
19 % sollen aus „humanitären Gründen“ ausgereist sein

37 % reisten gemeinsam mit Freunden
18 % reisten mit Familienmitgliedern
14 % reisten alleine

120 Personen kehrten zurück, davon befinden sich 6 Personen in Haft

„Frisch von dem Gefängnis“ – Solinger Islamisten wieder in der Heimat

von Florian Flade

Fröhlich lächelt er in die Kamera, auf der Rückbank eines Autos sitzend – Robert B. aus Solingen. Er sei froh wieder frei zu sein, sagt der 24-jährige Konvertit. Monatelang hatte Robert B. in Großbritannien in Haft gesessen nachdem er und sein Freund Christian E. im Juli 2011 in der Hafenstadt Dover festgenommen worden waren. Die beiden deutschen Muslime hatten bei ihrer Einreise islamistisches Propagandamaterial im Gepäck.

Im Februar hatte ein Gericht in London Robert B. und Christian E. zu Freiheitsstrafen verurteilt. Weil B. bereits ein halbes Jahr U-Haft abgesessen hatte und weil seine Strafe von einem Jahr zur Bewährung ausgesetzt wurde, ist der Solinger nun frei. Robert B. wurde am 23.März von London nach Frankfurt abgeschoben und kehrte umgehend nach Solingen zurück. Der 28-jährige Christian E. wurde wenige Tage später abgeschoben und lebt nun ebenfalls wieder in Solingen.

Wieder in der Heimat traf Robert B. zunächst seine Mutter, die in den Monaten zuvor verzweifelt versucht hatte Kontakt zu ihrem Sohn in britischer Haft zu bekommen. Nun ist Robert B. frei – von der islamistischen Szene Solingens hat sich der Konvertit allerdings nicht distanziert. Im Gegenteil. Robert B. und Christian E. engagieren sich aktuell im Koran-Verteilprojekt der salafitischen Szene.

Ein Glaubensbruder B.s, scherzt und stellt den Solinger vor: „Frisch von dem Gefängnis aus England! Der Terrorist.“

„An die Bewohner dieses Landes, die noch keine Muslime sind, sie haben Allah sei Dank mit diesem Projekt eine Möglichkeit, einen Koran in sehr sehr schöner Qualität umsonst zu bekommen“, sagt Robert B. in einem jüngst aufgenommenem Video in die Kamera, „Das ist eine Sache die auf jeden Fall genutzt werden sollte! Möge Allah dieses Projekt segnen!“

In Wuppertal und auch in Iserlohn waren Robert B. und offenbar auch Christian E. bei den Informations-Ständen der Salafiten anwesend und verteilten Korane in deutscher Übersetzung.

Beobachter der islamistischen Szene bewerten diese Entwicklung mit großer Sorge. Eine Rückkehr der in Großbritannien festgenommenen deutschen Islamisten in die salafitische Community war von Expertenseite bereits befürchtet worden. Über das Gefangenenprojekt „Ansar ul-Asir“ hatten deutsche Salafiten Briefkontakt zu den inhaftierten Konvertiten gehalten und somit ihren Weg zurück in die Heimatgemeinde geebnet.

Deutsche Terrorverdächtige verlassen Großbritannien

von Florian Flade

Zwei deutsche Islam-Konvertiten, die in Großbritannien wegen Terrorverdacht verurteilt wurden, sind wieder zurück in Deutschland. Beobachter warnen: die hiesige Islamisten-Szene könnte die Ex-Häftlinge als Helden feiern.

Solingen hat einen verlorenen Sohn wieder. Der Islam-Konvertit Robert B. befindet sich nach monatelanger Haft in Großbritannien wieder in der Bergischen Provinz. Am vergangenen Freitag wurde der Terorverdächtige nach meinen Informationen per Linienflug von London aus nach Frankfurt am Main abgeschoben. Von dort ging die Reise in die Heimatstadt Solingen.

Bombenbau-Anleitung im Gepäck

Robert B. (24) und sein Glaubensbruder und Freund Christian E. (28) waren im Juli 2011 bei ihrer Einreise nach Großbritannien festgenommen worden. Die Grenzpolizei in der Hafenstadt Dover hatte die beiden per Fähre angereisten deutschen Konvertiten kontrolliert und war dabei auf islamistische Propagandaschriften gestoßen. Die Solinger hatten mehrere radikalislamische Dokumente auf ihren Laptops, darunter auch das englischsprachige Al-Qaida-Magazin „Inspire“, das eine Bombenbau-Anleitung enthält.

Bereits in Deutschland hatten Sicherheitsbehörden Robert B. und Christian E. im Visier. Die zum Islam konvertierten Männer, die in den vergangenen Jahren Sprachschulen in Ägypten besucht hatten, gelten als überzeugte Islamisten und Logistiker in den salafitischen Netzwerken von Nordrhein-Westfalen.

Bei ihrer Einreise in Großbritannien gaben die Konvertiten aus Deutschland an, sie hätten ursprünglich geplant von Belgien per Flugzeug nach Ägypten zu reisen. Die Flugtickets seien ihnen allerdings zu teuer gewesen, und sie hätten sich stattdessen spontan für eine Reise nach Großbritannien entschieden. Britische Sicherheitsbehörden hingegen vermuten, dass Robert B. und Christian E. vor hatten Glaubensbrüder in Großbritannien zu treffen mit denen sie bereits vor ihrer Einreise Kontakt über das Internet hielten.

Großbritannien hat strengere Anti-Terror-Gesetze

Aufgrund der brisanten Dokumente in ihrem Gepäck wurden B. und E. noch am Tag ihrer Einreise unter Terrorverdacht festgenommen. Nach dem britischen Anti-Terror-Gesetz gilt – anders als in Deutschland – bereits der Besitz von Bombenbau-Anleitungen, wie sie die beiden Deutschen bei sich führten, als Straftat.

Nach der Festnahme im Juli 2011 saßen B. und E. zunächst monatelang in Untersuchungshaft in London, unter anderem im Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh. Aus der Haft heraus hielten die Terrorverdächtigen per Briefwechsel weiterhin Kontakt zu Glaubensbrüdern in Deutschland. In den Briefen, die teilweise veröffentlicht wurden, gaben sich Robert B. und Christian E. kämpferisch.

Briefe aus dem Gefängnis in London

“Es tut gut mit so vielen Brüdern zu sein. Die Haft lässt sich aushalten. Man bekommt sein Essen, man kann Fitness machen und islamische Klassen besuchen, Freitagsgebet gibt es auch“, schrieb Robert B. in Briefen aus dem britischen Gefängnis, „Es ist schön so viel Zeit für Koran lesen zu haben, draußen kam irgendwie immer was dazwischen.“

Im Herbst vergangenen Jahres erhob die britische Staatsanwaltschaft Anklage gegen die Solinger Konvertiten. Im Februar kam es zur Gerichtsverhandlung. Als Zeugen sagte u.a. auch Marlis B, die Mutter von Robert B. aus, die eigens mit ihrem Anwalt nach London gereist war. Marlis B. hatte in den Monaten zuvor in TV-Sendungen wie etwa der Talkshow „Beckmann“ die Wandlung ihres Sohnes hin zum radikalen Islamisten geschildert.

Haftstrafen für Robert B. und Christian E.

Der Zentrale Strafgerichtshof Old Bailey in London verurteilte Robert B. und Christian E. am 6.Februar zu jeweils 12 beziehungsweise 16 Monaten Haft. Zuvor hatten sich die beiden Angeklagten schuldig bekannt. Die Hälfte der Strafen wurde auf Bewährung ausgesetzt und die bereits abgesessene Untersuchungshaft wird angerechnet. Dies bedeutet: Robert B. darf das Gefängnis verlassen. Christian E. muss theoretisch nach seiner Abschiebung den Rest der Haftstrafe in Deutschland absitzen. Offenbar verzichteten die britischen Behörden jedoch in seinem Fall auf ein Gesuch an die deutsche Justiz die verbleibende Haftstrafe in Deutschland zu vollstrecken.

Wie aus Großbritannien erfuhr, soll Christian E. nach wochenlanger Abschiebehaft am heutigen Dienstag nach Deutschland ausgeflogen werden. Ob die Abschiebung aufgrund der aktuell herrschenden Streiks an vielen deutschen Flughäfen stattfinden kann, ist unklar.

Solinger Moschee inzwischen „Hort des Islamismus“

In der Heimatstadt von Robert B. und Christian E. hat sich seit ihrer Abwesenheit und anschließenden Festnahme einiges getan. Der islamistische Prediger Mohammed M. alias „Abu Usama al-Gharib“ aus Österreich hat den kleinen Moschee-Verein übernommen, in dem B. und E. lange Zeit verkehrten. Inzwischen heißt die Gemeinde „Millatu Ibrahim e.V.“ und gilt als Hort des radikalen Islamismus. Die Anhänger des Moschee-Vereins, so warnen Verfassungsschützer, seien mehrheitlich Befürworter des bewaffneten Dschihad.

Das Treiben der Salafiten-Bewegung „Millatu Ibrahim“ hat mittlerweile auch die Lokalpolitik auf den Plan gerufen. Nach Bürgerprotesten und Aufmärschen der rechtspopulistischen Bewegung „Pro NRW“ organisierte die Stadt Solingen im Februar einen Informationsabend zum Thema Salafismus. Besorgte Eltern, die befürchten ihre Kinder könnten von den Islamisten missioniert werden, informierten sich und forderten gleichzeitig Polizei und Stadtverwaltung zum Handeln auf.

Wiedereingliederung von Robert B. in die Gesellschaft gefordert

Aufgrund dieser aufgeladenen Stimmung in Solingen, sehen viele Beobachter in der Rückkehr des Konvertiten Robert B. in seine Heimatgemeinde einen Test-Fall für die örtlichen Behörden. Die Islamismus-Expertin Claudia Dantschke vom „Zentrum für Demokratische Kultur“( ZDK) in Berlin befürchtet, der nun aus britischer Haft entlassene Robert B. könnte erneut in extremistische Kreise abrutschen. „Es besteht durchaus die Gefahr, dass der Konvertit von den Solinger Islamisten von Millatu-Ibrahim jetzt als Symbolfigur missbraucht wird“, so Dantschke.

„Die Stadt sollte jetzt alle Anstrengungen darauf konzentrieren, die Mutter von Robert B. dabei zu unterstützen, ihm eine Wiedereingliederung in die Gesellschaft zu ermöglichen“, fordert die Expertin. Als gläubiger Muslim brauche der Konvertit aber auch eine religiöse Heimat: „Hier sind die Mocheegemeinden in Solingen gefordert.“

Bislang ist nicht bekannt, ob Robert B. nach seiner Rückkehr nach Solingen Kontakt zu seiner Mutter aufgenommen hat. Deren Anwalt war heute nicht erreichbar. Aufgrund der Äußerungen von Robert B. in den vergangenen Monaten ist allerdings wohl eher davon auszugehen dass der Solinger sich wieder in die Moschee-Gemeinde eingliedern wird, die er im Juli 2011 verlassen hatte. Man darf gespannt sein auf den ersten Youtube-Auftritt des Ex-Häftlings Robert B.  – vielleicht ja sogar an der Seite von Mohammed M. (Abu Usama al-Gharib) und Denis C. (Deso Dogg).