von Florian Flade
Sie wussten, dass er etwas plante. Schon seit Monaten beobachten die Sicherheitsbehörden in Nordrhein-Westfalen den Deutsch-Türken Tayfun S.. Der 23-jährige Salafist aus Essen galt potentiell gewaltbereiter Extremist. Er stand in Kontakt mit Terrorverdächtigen aus der salafistischen Szene. Im November 2012 begannen ihn die Ermittler zu überwachen. Dabei stellten sie schnell fest: S. traf sich regelmäßig mit drei anderen Salafisten. Unter konspirativen Umständen.
Plante die Gruppe einen Terroranschlag? Zunächst war unklar, ob von dem Quartett tatsächlich eine Gefahr ausging. Auch Raubzüge und Überfälle galten als wahrscheinlich. Sicher war nur: Tayfun S., Marco René G., Enea B. und Koray D. hatten etwas vor.
Am vergangenen Dienstagabend sah es so aus, als würde zumindest ein Teil der Gruppe zur Tat schreiten wollen. Der 25-jährige Konvertit Marco René G. verabschiedete sich von seiner Frau und seinem Kind, und fuhr mit dem 43-jährige Deutsch-Albaner Enea B. in einem Auto von Bonn nach Leichlingen bei Leverkusen. Der Wagen war von den Sicherheitsbehörden verwanzt worden. So konnten sich die Ermittler an die Versen der beiden Salafisten heften. Wohin wollten G. und B. mitten in der Nacht?
In Leichlingen näherte sich das Duo dem Haus von Markus Beisicht. Der Jurist ist nicht irgendwer. Er ist der Vorsitzende der als rechtspopulistisch geltenden Partei „Pro-NRW“, die sich vor allem durch ihre Islam-Feindlichkeit hervortut. Für radikale Muslime ist Beisicht nichts geringeres als ein Erzfeind des Islams. Seine Partei hatte im vergangenen Jahr durch das Zeigen von Mohammed-Karikaturen während einer Wahlkampftour für gewaltsame Proteste von Seiten der Salafisten in Solingen und Bonn gesorgt.
Hatten Marco G. und Enea B. ein Attentat auf den „Pro-NRW“-Chef vor? Die Art und Weise wie G. und B. über Beisicht sprachen, wie sie sein Haus, sein Auto, die Einfahrt und den Garten auskundschafteten, ließ den Schluss zu: hier wird ein Mord geplant. Auf Seiten der Ermittler wollte man offenbar kein Risiko eingehen. Gegen 0:30 Uhr griff die Spezialeinheit SEK zu, verhaftete die beiden Salafisten.
Zeitgleich stürmten Polizeibeamte die Wohnung von Marco G. in Bonn-Tannenbusch sowie die Wohnung von Tayfun S. in Essen. Tayfun S. wurde widerstandslos festgenommen. In G.s Wohnung stießen Polizisten auf den 24-jährigen Deutsch-Türken Koray D., der nach Informationen der „Welt“ zum Zeitpunkt der Festnahme eine scharfe Pistole Kaliber 7,65mm bei sich trug.
In der Bonner Wohnung entdeckten die Ermittler zudem eine kugelsichere Weste, drei Gasrevolver, einen Teleskopschlagstock sowie knapp 616 Gramm verpacktes, strengfähiges Ammoniumnitrat. Und noch etwas wurde gefunden: eine Liste mit Dutzenden Namen von Politikern und Partei-Anhängern, darunter die rot-markierten Namen von neun „Pro-NRW“-Mitgliedern. Ob es sich dabei um eine Todesliste handelt, wollte die Dortmunder Staatsanwaltschaft am Mittwoch nicht mitteilen. Die genannten Personen werden inzwischen durch das Landeskriminalamt NRW betreut.
„Wir gehen davon aus, dass wir eine Straftat verhindern konnten“, sagte ein Vertreter der deutschen Sicherheitsbehörden der „Welt“. Zwar war das in Leichlingen verhaftete Salafisten-Dua nicht bewaffnet gewesen, heißt es von Seiten der zuständigen Staatsanwaltschaft in Dortmund, dennoch beabsichtigte die Gruppe offenbar gemeinschaftlich einen Mord zu verüben. Die Fahrt zum Haus von „Pro NRW“-Chef Markus Beisicht war womöglich ein Auskundschaften der potentiellen Opfers.
Alle vier Salafisten seien zuvor nicht polizeilich bekannt gewesen. Der nordrhein-westfälische Verfassungsschutz hatte die Männer jedoch aufgrund ihrer radikalen Einstellung seit längerer Zeit im Blick. Sie seien nicht die erste Riege der nordrhein-westfälischen Salafisten gewesen, heißt es, aber zunehmend radikaler aufgetreten.
Am Donnerstag wurden die vier Terrorverdächtigen dem Haftrichter vorgeführt, der den Haftbefehl bestätigte. Tayfun S., Marco G., Enea B. und Koray D. schweigen bislang zu den Vorwürfen.
Das Klima gegenüber den Islam-feindlichen Aktivisten von „Pro NRW“ hat sich seit dem Frühjahr 2012 massiv verschärft. Radikale Salafisten, insbesondere emotionalisierte Einzeltäter, könnten sich berufen fühlen, für den Propheten Mohammed Rache zu üben, warnten Sicherheitsbehörden in den vergangenen Monaten.
Im Laufe des vergangenen Jahres tauchten mindestens drei direkte Morddrohungen im Internet auf, die auf die islamfeindliche Partei Bezug nehmen. Der in Pakistan lebende Terrorist Yassin Chouka („Abu Ibrahim“) aus Bonn rief am 25.Mai 2012 in einer Tonbandbotschaft Muslime in Deutschland dazu auf, Mitglieder der „Pro-NRW“ zu ermorden.
„Ihr sollt die Mitglieder von Pro NRW alle töten!“, sagt Chouka, „Lauert und sucht einzelne Personen im Geheimdienstverfahren auf, sammelt genug Informationen über ihre Wohnorten, über ihre täglichen Routen, ihre Arbeitsplätze. Und dann nach guten und ausreichenden Recherchen und einem strategischen Plan: schlagt zu! Am besten im Schutz der Dunkelheit oder im Morgengrauen.“
Fast zeitgleich mit der Drohbotschaft von Yassin Chouka veröffentlichte im Mai 2012 die inzwischen verbotene islamistische Gruppierung „Millatu Ibrahim“ ein islamistisches Kampflied über die gewaltsamen Salafisten-Proteste in Bonn während der Wahlkampftour von „Pro-NRW“. Darin singt ein Salafist: „Wir warnen euch Pro-NRW, gebt acht, wenn ihr nachts schlafen geht!“
Im September 2012 schließlich tauchte im Internet ein deutschsprachiges PDF-Dokument mit dem Titel „Abrechnung mit Deutschland“ auf. Es stammt aus dem Umfeld des nach Ägypten ausgereisten Islamisten-Predigers Mohamed Mahmoud. Der Verfasser der Hetzschrift fordert die Ermordung von „Pro-NRW“-Anhängern.
„Die Pro-NRW, die unseren geliebten Propheten in Karikaturen belustigten (…) Ihr Blutvergießen bzw. ihre Tötung soll eine besondere Wichtigkeit in den Herzen jener haben, die darauf brennen den Gesandten Allahs zu rächen“, schreibt ein Islamist, der sich „Abu Assad al-Almani“ nennt.