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Razzia gegen Hildesheimer Salafisten-Moschee

von Florian Flade

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Prediger Ahmad A. alias „Abu Walaa“ – Quelle: Youtube

Ahmad Abdulaziz A. ist kamerascheu. Wenn er sich filmen lässt, zum Beispiel beim Auto fahren oder in der Moschee, dann immer so, dass sein Gesicht nicht zu erkennen ist. Wer zu bekannt sei, könne kein normales Privatleben mehr führen, meint der gebürtige Iraker. Er konzentriert sich lieber auf das Reden. Auf einer eigenen Webseite, auf Youtube, Facebook und über einen eigenen Telegram-Kanal. Aber auch in Moscheen. Wenn Ahmad Abdulaziz A., der sich „Abu Walaa“ nennt, predigt, dann geht es meist um den Propheten Mohammed, um die Hölle und das Paradies, um die Pflichten der Muslime, um den Unterschied zwischen den Gläubigen und den Ungläubigen. Es ist ein konservativer, fundamentalistischer, salafistischer Islam, den „Abu Walaa“ vermittelt.

„Wie viele Schwestern sind heute gestorben, die morgen ein Niqab (Gesichtsschleier) tragen wollten?“, mahnt „Abu Walaa“. „Wie viele Menschen sind heute gestorben, die morgen die Hijra (Auswanderung) vollziehen wollten?“. Beim Glauben dürfe man keine Zeit verlieren, nichts aufschieben. Es gelte Allah zu dienen und zu gehorchen – jeden Tag, überall, kompromisslos. „Die Hijra zu machen ist Pflicht für jeden Muslim. Dass er das Land des Kufr (Unglaubens) verlässt und zum Land des Islam geht“, sagte der Prediger jüngst in einem Youtube-Video. Und wer die Ungläubigen gegen die Muslime unterstütze, etwa durch das Spionieren, der begehe eine Abtrünnigkeit von der Religion und verwirke seinen Eintritt ins Paradies.

Sind solche Aussagen gefährlich? Werden Muslime so motiviert in den Dschihad nach Syrien zu reisen? Legen Prediger wie Ahmad A. alias „Abu Walaa“ mit derartigen Aufforderungen und Drohungen den Nähboden für Extremismus oder gar Terrorismus? 

Eine der Moscheen in denen Ahmad A. häufig gepredigt hat, liegt im Norden von Hildesheim. Im Erdgeschoss eines unscheinbaren Wohnblocks in der Martin-Luther-Straße residiert der „Deutschsprachige Islamkreis Hildesheim e.V. (DIK)“. Seit vier Jahren gibt es den Verein, er soll einige Dutzend Mitglieder haben. Zum Freitagsgebet sollen bis zu 250 Besucher in die Gemeinde gekommen sein. Für den niedersächsischen Verfassungsschutz ist die Moschee ein Treffpunkt radikaler Islamisten.

Gegen 19 Uhr am Mittwochabend rückten Sondereinsatzkommandos (SEK) der niedersächsischen Polizei vor der Salafisten-Moschee des DIK in Hildesheim an. Gleichzeitig gab es Razzien in acht Wohnungen von Vereinsmitgliedern. Mehr als 400 Beamte waren im Einsatz. Es gehe darum, Beweismittel sicherzustellen, um ein mögliches Vereinsverbot zu erwirken, teilte Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) mit. Der Verdacht: Im DIK Hildesheim werden möglicherweise Muslime radikalisiert und für den Dschihad in Syrien angeworben.

„Der DIK in Hildesheim ist ein bundesweiter Hot-Spot der radikalen Salafistenszene, den die niedersächsischen Sicherheitsbehörden seit längerer Zeit beobachten. Nach Monaten der Vorbereitung sind wir mit den heute durchgeführten Durchsuchungen einen wichtigen Schritt zum Verbot des Vereins gegangen. Ich bin zuversichtlich, dass die akribisch vorbereitete Aktion unserer Polizei und des Verfassungsschutzes ein voller Erfolg wird und bedanke mich heute bei allen Beteiligten für den Einsatz“, sagte Innenminister Pistorius (SPD) anschließend. 

Die angebliche „akribisch vorbereitete Aktion“ könnte sich jedoch als Warnschuss ohne Folgen für die Salafisten erweisen. Denn tatsächlich kam die Razzia alles andere als planmäßig, sondern übereilt und hastig. Es musste schnell gehen, denn die Extremisten des DIK waren bereits gewarnt. In ihrer Mittwochsausgabe hatte die „Neue Presse“  über ein bevorstehenden Vereinsverbot berichtet.

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„Dem Deutschsprachigen Islamkreis (DIK) Hildesheim droht das Vereinsverbot (…) Nach NP-Informationen plant Innenminister Boris Pistorius, den DIK in Kürze zu verbieten (…) Nach Einschätzungen von Insidern könnten die Ermittler in wenigen Tagen zum entscheidenden Schlag gegen den Verein ausholen.“ – Neue Presse: Hildesheim: Islamkreis droht Vereinsverbot – 27. Juli 2016

Zu groß war das Risiko, dass möglicherweise Beweismittel vernichtet werden. Daher schlugen die Behörden nur wenige Stunden nach Erscheinen des Zeitungsberichts zu. Mehrere Computer, Mobiltelefone, Unterlagen, eine Schreckschusspistole und rund 25.000 Euro Bargeld wurden bei den Razzien sichergestellt. Festnahmen gab es keine.

Innenminister Pistorius zeigte sich sichtlich verärgert darüber, dass die Polizeimaßnahme im Vorfeld bekannt geworden war. Noch am Freitag kündigte ein Sprecher des Innenministeriums eine Strafanzeige gegen den mutmaßlichen Durchstecher an. Es gehe um die „Verletzung des Dienstgeheimnisses und einer besonderen Geheimhaltungspflicht“

Seit rund drei Jahren beobachtet der niedersächsische Verfassungsschutz die Hildesheimer Salafisten-Gemeinde des DIK. Dabei wurde festgestellt, dass sich die Räumlichkeiten der Moschee zu einem festen Treffpunkt der salafistischen Szene in Niedersachsen etabliert haben. Auch aus benachbarten Bundesländern reisten immer wieder Extremisten nach Hildesheim, sollen zeitweise sogar in der Moschee genächtigt haben. Zu diesen Besuchern zählt unter anderem auch der als „Gefährder“ eingestufte Syrien-Rückkehrer Muhammed H. aus Wuppertal. Er soll die Hildesheimer Moschee vor wenigen Wochen während des Ramadan besucht haben.

Mindestens 74 Salafisten sind in den vergangenen Jahren aus Niedersachsen nach Syrien und den Irak gereist, um sich dort islamistischen Gruppen anzuschließen. 22 Dschihad-Reisende kamen aus Hildesheim, davon sollen mindestens 15 Mitglieder im DIK gewesen sein. Zuletzt reisten nach Erkenntnissen der Behörden im Februar zwei Hildesheimer Salafisten aus. Sie verwendeten dabei falsche Papiere und wurden in Ungarn aufgegriffen, wo sie derzeit noch in Haft sitzen.

Im März durchsuchte das Landeskriminalamt (LKA) die Wohnungen von vier Salafisten in Hildesheim. Die beiden nach islamischen Recht verheirateten Paare seien verdächtig, ebenfalls nach Syrien ausreisen zu wollen, um sich dort der Terrormiliz IS anzuschließen, hieß es von Behördenseite. Die vier Salafisten gehörten demnach zum Umfeld der DIK-Moschee. Ihnen wurde nach Anordnung des Amtsgericht die Reisepässe entzogen, um eine Ausreise zu verhindern.

Einer der betroffenen Salafisten, ein 31-jähriger Vater von drei Kindern, klagte daraufhin vor dem Verwaltungsgericht in Hannover gegen den Passentzug. Das Gericht aber wies die Klage zurück und ließ gleichzeitig kein Berufungsverfahren mehr zu. Die Behörden hätten zurecht gehandelt, da der Paketfahrer offenbar plante einen ausrangierten Krankenwagen von Hildesheim nach Syrien zu fahren. Derartige „Syrien-Konvois“ werden seit Jahren von den Sicherheitsbehörden beobachten. Immer wieder fahren dabe auch Dschihad-Rekruten in „pseudo-humanitärer Absicht“ direkt mit ins Kriegsgebiet.

Ob der „Deutschsprachige Islamkreis Hildesheim e.V.“ nun bald offiziell verboten wird, bleibt fraglich. Vielleicht lassen sich die Verdachtsmomente, die Polizei und Verfassungsschutz in den vergangenen Monaten über die Salafisten-Gemeinde gesammelt haben, nicht erhärten. Womöglich wurden Beweismittel auch tatsächlich vernichtet, nachdem die Extremisten aus der Zeitung von der bevorstehenden Durchsuchung erfahren haben. 

Ahmad A. alias „Abu Walaa“ wollte sich gestern Abend zur Razzia in einem Video äußern. Bislang aber tauchte keine Aufnahme auf. Was vielleicht auch daran liegt, dass die Polizei dem Prediger die Handys und seinen Laptop abgenommen hat. 

 

Von Göttingen in den Tod

von Florian Flade

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Das Foto könnte eine Toyota-Werbung sein. Vier Geländewagen stehen in einer Reihe. Der Lack glänzt, die Autos sehen frisch poliert aus. Daneben stehen Männer – der jüngste ist wohl gerade siebzehn Jahre alt, der älteste wohl jenseits der Vierzig.

Die Männer sind Selbstmordattentäter des „Islamischen Staates“ (IS). Ihre Wagen sind Autobomben. In der vergangenen Woche haben sie damit den Stützpunkt einer schiitischen Miliz in Al-Hajjaj, südlich irakischen Stadt Baiji, attackiert. Es gab mindestens elf Tote.

Die Attentäter stammten laut IS aus unterschiedlichen Ländern: Großbritannien, Kuwait, den Palästinensergebieten – und aus Deutschland.

Auf einem Propagandafoto feiert der IS den deutschen Selbstmordbomber als „Märtyrer Abu Ibrahim al-Almani“. In Deutschland trug der Dschihadist noch einen anderen Namen: Jacek S.. Der gebürtige Pole lebte zuletzt im niedersächsischen Göttingen. Anfang 2014 soll er zum Islam konvertiert sein. Zuvor fiel der 26-jährige der Polizei durch Drogen- und Fahrzeugdelikte auf.

Im Oktober 2014 schließlich wurde der Verfassungsschutz auf Jacek S. aufmerksam. Aufgrund seines Facebook-Profils und den dortigen, radikalen Äußerungen. Wenige Monate später gab es erste Hinweise auf eine mögliche, bevorstehende Ausreise nach Syrien.

Irgendwann im April verschwand Jacek S. schließlich und reiste offenbar über Antalya zunächst nach Syrien, anschliessend in den Irak, wo er sich schließlich in die Luft sprengte.

pic160615_2Jacek S. aus Göttingen

Deutsche Sicherheitsbehörden identifizierten den Islam-Konvertiten am Montag anhand der Fotos, die der IS über Twitter am Wochenende verbreitet hatte. Wie zu erfahren ist, führt auch die Staatsanwaltschaft in Hannover ein Ermittlungsverfahren gegen S. und hat die Polizei beauftragt, den Fall aufzuklären.

Aus Niedersachsen waren bislang keine Islamisten als prominenten Akteure des IS in Erscheinung getreten. Die Zahl der nach Syrien und in den Irak ausgereisten Extremisten ist mit rund 30 Personen, die der Verfassungsschutz registriert hat, im bundesweiten Vergleich eher gering. Insgesamt gehen deutsche Sicherheitsbehörden von mindestens 780 Islamisten aus Deutschland aus, die sich zumindest zeitweise in der Bürgerkriegsregion aufgehalten halten, um sich am Dschihad zu beteiligen.

Der Göttinger Jacek S. ist nur der letzte Attentäter aus Deutschland, der bislang in den Reihen des IS einen Selbstmordanschlag verübte. Mindestens 15 Islamisten zählen Verfassungsschutz und Bundeskriminalamt (BKA) inzwischen in dieser Kategorie.

Erst im Mai gab der IS den Tod von Yannick P. bekannt, einem weiteren 23-jährigen Konvertiten aus Freiburg im Breisgau. Der Islamist war polizeibekannt, fiel wegen Körperverletzung und Drogendelikten auf, lebte zeitweise als Obdachloser auf der Straße. Dann geriet P. in salafistische Kreise und radikalisierte sich.

pic160615_3Yannick P. aus Freiburg

Im Oktober 2014 reiste P. über die Türkei schließlich nach Syrien. Vor wenigen Wochen vermeldete die Terrorgruppe IS, der Freiburger mit Kampfnamen „Abu Muhammed al-Almani“ habe – genau wie nun der Göttinger Jacek S. – in der irakischen Stadt Baiji einen Autobombenanschlag verübt.

 

Taliban im Kinderzimmer

von Florian Flade

Der radikale Islam wächst in Deutschland schneller denn je. Junge Menschen, Migranten und Deutsche, werden zu Anhängern einer hasserfüllten Gewalt-Ideologie. Die Politik tut sich bislang schwer bei der Prävention.

Andi-Comic aus NRW – Auf dem Schulhof vor dem Salafismus warnen. Effektiv oder Alibi?

Es ist der 16. Oktober, 07:30 Uhr, als Hilal Bulut die elterliche Wohnung in Ratingen bei Düsseldorf verlässt. Die 16-jährige Türkin hat an diesem Morgen einen Arzttermin. Sie trägt eine lange schwarze Jacke, ein braunes Kopftuch und braune Turnschuhe (Chucks). Es ist das letzte Mal, dass Hilals Eltern ihre Tochter gesehen haben. Hilal kam an jenem Dienstag nicht mehr nach Hause.

Am späten Abend alarmierten die Eltern die Polizei, die daraufhin eine Suchaktion einleitet. Bislang erfolglos. Wurde Hilal Opfer eines Gewaltverbrechens? Die Ermittler in Düsseldorf sagen, darauf gebe es bislang keine Antwort. Die Eltern der Vermissten hätten einen ganz anderen Verdacht geäußert. Sie befürchten, ihre Tochter könnte sich in einen Islamisten verliebt haben.

Hilal, eine ausgezeichnete Gymnasiastin, war nach Angaben der Eltern in den vergangenen Monaten häufig im Umfeld radikaler Islamisten, sogenannter Salafisten, gesehen worden. Sie soll dort einen 18-Jährigen kennengelernt haben. Ihr Interesse am radikalen Islam wuchs. Das Mädchen bat die Eltern angeblich sogar um Erlaubnis, den Nikab – ein Gesichtsschleier – tragen zu dürfen. Doch die Eltern lehnten ab.

Inzwischen suchen Freunde mit einem Youtube-Video und Aufrufen bei Facebook nach der verschwunden 16-jährigen Muslimin. Der Staatsschutz hat aufgrund des vermuteten islamistischen Hintergrundes die Ermittlungen übernommen.

Der Fall verdeutlicht, wie schnell der Salafismus Jugendliche in seinen Bann ziehen und dabei mitten in Deutschland ganze Familien zu zerstören vermag. Experten warnen, es bedürfe dringend umfangreicher Aufklärung und Frühwarnsysteme. Junge Menschen müssten vor dem radikalen Islam geschützt werden, noch bevor die extremistische Ideologie ihren Verstand vergiftet hat.

„Niemand wird als Dschihadist geboren“, sagte Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann (CDU) jüngst bei einer Fachtagung. Radikalisierungsprozesse müssten daher so früh wie möglich erkannt und unterbrochen, am besten von vornherein verhindern werden.

Doch während Salafisten weiterhin mit Zehntausenden Koran-Übersetzungen in Fußgängerzonen neue Anhänger gewinnen und Jugendliche in sozialen Netzwerken ködern, steckt die Präventionsarbeit hierzulande noch in den Anfängen fest. In den vergangenen Jahren setzte der Staat in erster Linie auf Beobachtung und Repression.

Die Überwachung und Verhaftung von mutmaßlichen und echten Bombenbauern hat vielleicht Anschläge verhindert. Den Zuwachs in der salafistischen Szene konnte das aber nicht verhindern. Im Gegenteil: Die Festgenommenen sind oftmals sogar zu Idolen für den radikalen Nachwuchs geworden.

Jetzt denken die Innenminister der Länder um. Prävention rückt zunehmend in den Mittelpunkt. Hauptaugenmerk, so der Konsens von Behörden und Experten, müsse darauf liegen, zukünftige Salafisten, deren Eltern, Freunde und das weitere soziale Umfeld über die Gefahren des Extremismus aufzuklären – sei es zu Hause, in der Schule, bei der Arbeit oder auf dem Fußballplatz.

Vor allem Eltern müssen für das Thema sensibilisiert werden. Sie können in vielen Fällen präventiv eingreifen, noch bevor das Kind zum islamistischen Gotteskrieger mutiert und auf dem Radar der Geheimdienste erscheint. Allerdings fehlt den Eltern oft das entsprechende Wissen.

Sie können selten unterscheiden zwischen Mainstream-Islam und dem Salafismus. Und selbst wenn sie es können, wissen sie oft nicht, wie sie reagieren sollen. Viele haben Angst, ihr Kind komplett an die islamistische Szene zu verlieren.

Die Zeit drängt, denn die Zahlen sind alarmierend. Allein in Nordrhein-Westfalen hat sich die Zahl der Islamisten laut Verfassungsschutz in diesem Jahr im Vergleich zum Vorjahr auf fast 1000 Personen verdoppelt. „Diese Entwicklung bereitet mir große Sorgen“, sagte Nordrhein-Westfalens Innenminister Ralf Jäger (SPD) der „Welt“.

„Die Salafisten sprechen Jugendliche mit Migrationshintergrund genauso an wie Konvertiten und Nichtmuslime. Oft sind das junge Leute in einer kritischen Lebenssituation.“ Das Angebot der radikalislamischen Seelensänger: ein einfaches Weltbild von Gut gegen Böse, Gruppenzugehörigkeit, das Heilsversprechen vom Paradies. Die Radikalen bieten Orientierung und einfache Alltagsregeln in der hektischen Welt von heute.

Sie zielen dabei auf orientierungslose Teenager, die Halt und Anerkennung suchen. „Das Einstiegsalter in die Szene wird immer niedriger, im Einzelfall liegt es schon bei 14 oder 15 Jahren“, warnt Hans Wargel, Präsident des niedersächsischen Verfassungsschutzes. „Über die soziale Dynamik des Salafismus’ hierzulande wissen wir allerdings immer noch zu wenig.“

Sektenberatungen und Aussteigerprogramme für Rechtsextremisten und Scientologen blicken inzwischen auf jahrzehntelange Erfahrung zurück. Der Salafismus als Jugend-Subkultur ist hingegen absolutes Neuland. Wer hier erfolgreich sein will, muss Religion, Kultur, Sprache und nicht zuletzt auch den radikalislamischen Strukturen in Deutschland kennen.

Ab wann ist Glaube nicht mehr nur Frömmigkeit sondern Fanatismus? Wo endet Extremismus und wo beginnt Terrorismus? Der Staat – sowohl auf Landes- als auch auf Bundesebene – tut sich bislang schwer mit den richtigen Antworten.

Präventionsprojekte in den Bundesländern und eine bundesweite Plakat-Aktion ernten harsche Kritik. Als „unsensibel“ und „ineffektiv“ verspotteten Kritiker die Kampagne „Vermisst“ des Bundesinnenministeriums (BMI), die im August startete. Ziel war es, mit Plakaten auf die Beratungsstelle „Radikalisierung“ des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) aufmerksam zu machen.

Mehrere muslimische Verbände fühlten sich diffamiert und kündigten daraufhin die Sicherheitspartnerschaft mit dem Bundesinnenministerium. Dennoch wertet man dort die Kampagne als Erfolg. „Wer wirklich betroffen ist, findet diese Plakat-Aktion gut“, sagt Barbara Slowik, veranwortliche Referatsleiterin im Innenministerium. Die Zahl der Beratungsfälle habe zugenommen. Eltern wüssten nun, dass es ein Beratungstelefon gibt.

Die einzelnen Bundesländer gehen wiederum ihren eigenen Wege. In Niedersachsen rief das Innenministerium jüngst das Handlungskonzept „Antiradikalisierung“ ins Leben. Die Experten vom Verfassungsschutz erstellten dafür eine Informationsbroschüre zum Salafismus, die im Juni vorgestellt wurde.

Das Papier richtet sich an Behörden, Eltern, Sozialarbeiter, Lehrer und Arbeitgeber. Als „Islamisten-Checkliste“, die Vorurteile und Misstrauen gegenüber Muslimen schüre, verhöhnten SPD-Politiker daraufhin das Papier. Ähnlich harte Kritik ernteten nordrhein-westfälische Behörden schon vor vier Jahren für ein „Aufklärungs-Comic“, der Schulkinder vor dem Salafismus warnen soll.

Die Projekte aus den Bundesländern zeigen, dass es den staatlichen Institutionen sichtlich schwerfällt, das Vertrauen muslimischer Gemeinden zu gewinnen. Allzu oft verbinden Muslime die Ansprechpartner bei Polizei, Verfassungsschutz und Innenministerium mit staatlicher Überwachung und Stigmatisierung.

Andererseits kuschen politische Akteure nicht selten davor, von der muslimischen Seite ein stärkeres Engagement zu fordern. Sie fürchten als ausländerfeindlich abgestempelt zu werden.

Der palästinensische Psychologe und Islamismus-Experte Ahmad Mansour von der „European Foundation for Democracy“ berät seit Jahren Lehrer, Sozialarbeiter und Eltern im Umgang mit muslimischen Jugendlichen. Mansour glaubt, dass die wahre Front im Kampf gegen den religiösen Extremismus im Klassenzimmer verläuft.

Er hält es für unverzichtbar, Lehrer und Sozialarbeiter auf kommunaler Ebene, besonders in den Brennpunkten wie Berlin-Neukölln oder Bad-Godesberg bei Bonn, verstärkt für den islamischen Extremismus zu sensibilisieren. „Lehrer müssen extremistischen Strömungen im Klassenzimmer und auf dem Schulhof selbstsicher und mit Argumenten begegnen können“, sagt Mansour.

Zu häufig werde radikales Gedankengut, Antisemitismus und Frauenfeindlichkeit muslimischer Schüler aus Unwissenheit oder Angst toleriert oder als kulturelle Differenz verklärt. Es gelte dort klare Grenzen aufzuzeigen – aber gleichzeitig die religiöse und kulturelle Identität der Schülerinnen und Schüler zu respektieren.

Ein Grundproblem sei, dass in vielen traditionellen Migranten-Familien kritisches Denken nicht gefördert werde, so Mansour: „Muslimische Jugendliche müssen verstärkt lernen, kritisch zu hinterfragen. Dann sind sie weniger anfällig für Salafismus.“

Auch im Internet muss nach Expertenmeinung den salafistischen Rekrutierern der Kampf angesagt werden. Es bedarf Alternativangeboten zu den radikalen Inhalten im Netz, sagt der Berliner Soziologe Phillip Holtmann. Er erforscht seit Jahren die Internetstrategien von islamistischen Terroristen und fordert, deren Propaganda im Netz stärker zu bekämpfen.

„Im Gegensatz zu den traditionellen Moscheevereinen und Verbänden, wissen Salafisten sehr genau um die Macht des Internets“, sagt Holtmann. Gezielt würden soziale Netzwerke wie Facebook oder Videoplattformen wie YouTube genutzt, um ausgrenzende und gewaltverherrlichende Ideologien zu verbreiten.

„Junge Muslime, die im Internet nach islamischen Themen suchen, landen schon bei den ersten Treffern auf Salafisten-Webseiten, deren einschränkendes Weltbild keinerlei Spielraum für Interpretationen lässt“, sagt Holtmann, „Dort muss es moderate Alternativen geben. Google ist voll von Salafismus.“

Die salafistischen Anziehungskraft sei ein großes Problem, sagt Psychologe Mansour. Es seien einfache Botschaften in jugendgerechter Sprache, die Aufwertung der eigenen Identität, die klaren Feindbilder und die Opferrolle als Muslime, die den fundamentalistischen Islam so attraktiv für junge Menschen machen. Dahinter verberge sich jedoch eine äußerst flache Theologie. „Der Islam wird von den salafistischen Missionaren einseitig dargestellt und extrem vereinfacht“, so Mansour. „Das muss man entlarven, und zwar so, dass Jugendliche diese Islam-Interpretation als Einstiegsdroge erkennen.“