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Sommerregen am Hindukusch

Der BND unterstützte in den 1980er Jahren die afghanischen Mudschaheddin im Kampf gegen die Sowjets. Wie genau lief die Operation „Sommerregen“ ab? Und was war das Ziel? Akten geben Einblicke in eine der letzten großen BND-Operationen des Kalten Krieges.

Von Florian Flade

Hafizullah Amin sollte sterben. Anfang Dezember 1979 beschloss das Politbüro in Moskau den afghanischen Premierminister, der kurz zuvor durch Intrigen und einen Putsch an die Macht gekommen war, zu liquidieren. Mehrere Attentate auf Amin waren zuvor bereits gescheitert. Die Angst der Sowjetführung war groß, dass Amin, der Afghanistan eigentlich in ein sozialistisches Land umbauen wollte, möglicherweise doch zu einem Verbündeten der USA werden würde, um sein Überleben zu sichern. Dies hätte im schlimmsten Fall bedeuten können, dass amerikanische Truppen vielleicht sogar an der Südflanke der Sowjetunion stationiert worden wären. Ein inakzeptables Szenario für Moskau.

Am 27. Dezember 1979 fand im Tajbeg-Palast am südlichen Stadtrand von Kabul ein Empfang statt. Hafizullah Amin hatte seine Minister und hochrangige Funktionäre seiner Partei geladen. Dem sowjetischen Geheimdienst war es gelungen, das Essen zu vergiften. Mehrere Anwesende erkrankten schwer, einige starben später. Amin überlebte zunächst. Dann aber stürmten sowjetische Fallschirmjäger und KGB-Einheiten den Palast, erschossen seine Leibgarde und töteten Amin und seinen Sohn schließlich mit einer Handgranate.

Gleichzeitig wurde über das Radio eine Rede gesendet. Babrak Karmal, einstiger Weggefährte von Amin, wurde als neuer Machthaber von den Sowjets in Kabul installiert. Er verkündete nun, Afghanistan sei von Amins Regime befreit worden. Moskau hatte durch eine militärische Aktion einen Machtwechsel herbeigeführt.

Bereits zwei Tage zuvor, am 25. Dezember 1979, hatten sowjetische Truppen die Grenze zu Afghanistan überquert. Zudem wurden tausende Soldaten per Flugzeug nach Kabul und Bagram gebracht. Es war der Beginn des sowjetisch-afghanischen Krieges, der neun Jahre dauern sollte und zu einer der letzten heißen Schlachten des Kalten Krieges werden sollte. Zwei Millionen Afghanen und zehntausende sowjetische Soldaten kamen dabei ums Leben, unzählige Menschen wurden vertrieben, in den Nachbarländern Pakistan und Iran entstanden riesige Flüchtlingslager.

Der Einmarsch und die Besetzung Afghanistans durch die Sowjetunion rief den Westen auf den Plan. Zunächst erfolgte aus Protest der Boykott der Olympischen Spiele in Moskau 1980 durch die USA und weitere Staaten wie der Bundesrepublik Deutschland, Kanada, Japan und Norwegen. In den Folgejahren aber sah man Washington eine günstige Gelegenheit, der rivalisierenden Großmacht einen erheblichen Schaden zuzufügen. 

In Afghanistan hatten sich mehrere Partisanengruppen gegründet, die gegen die Sowjetarmee kämpften. Sie nannten sich Mudschaheddin. Der Krieg gegen die kommunistischen Invasoren war für sie einerseits ein Widerstandskampf zur Befreiung ihres Landes, andererseits sahen sie es als religiöse Pflicht in den Dschihad zu ziehen. Einen gottgewollten Krieg gegen die „ungläubigen“ Aggressoren. 

Die USA begannen ab Mitte der 1980er Jahre damit, den afghanischen Widerstand gegen die Sowjets zu unterstützen – mit Geld, mit Ausrüstungsgegenständen und mit Waffen. Das Kalkül der Regierung von Ronald Reagan war: Die Mudschaheddin sollten mit amerikanischer Hilfe die Sowjets in einen verlustreichen, kostspieligen Abnutzungskrieg verwickeln. Die CIA sollte dafür sorgen, dass Moskau in Afghanistan sein „Vietnam-Trauma“ erlebt. Es war der Beginn der amerikanischen Operation „Cyclone“.

Doch nicht nur die CIA mischte am Hindukusch mit. Auch der Bundesnachrichtendienst (BND) hat die afghanischen Kämpfer mehrere Jahre lang unterstützt. In einer geheimen Operation namens „Sommerregen“. Aus historischen Akten des BND wird ersichtlich, wie die deutschen Spione dabei vorgingen, was mit der Operation erreicht werden sollte – und wie sie zustande kam.

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Thomas bei den Taliban

Ein deutscher Islamist schließt sich den Taliban an und lebt jahrelang mit den Extremisten in Pakistan und Afghanistan. In seinen Vernehmungen und vor Gericht liefert er seltene Einblicke in das Leben mit den radikalislamischen Fundamentalisten.

Von Florian Flade

Sie konnten es offenbar selbst kaum fassen. Der Mann mit dem schwarzen Turban und dem rötlichen Bart, der sprach Deutsch! Ein Deutscher in einer Lehmhütte, im Süden Afghanistans. Afghanische und amerikanische Soldaten hatten das Gebäude gestürmt, sie waren auf der Suche nach Taliban-Kämpfern. Dass sie auf einen deutschen Islamisten stoßen würden, damit hatten sie wohl kaum gerechnet. Es gibt ein Handyvideo, aufgenommen kurz nach der Festnahme im Februar 2018. „Holy shit, du sprichst Deutsch?“, fragt einer der Soldaten. „Ich kann Deutsch sprechen“, antwortet der sichtlich verängstigte Mann, „ich bin ein Mudschahir“. Das bedeutet: Einer, der ausgewandert ist. 

Thomas K. war sechs Jahre zuvor aus Deutschland an den Hindukusch gereist. Um den „islamischen Militärdienst“ zu verrichten, wie er es selbst später beschrieb. Er schloss sich zunächst in Pakistan, später dann in Afghanistan den örtlichen Terrorgruppen an, arbeitete an einem Propagandafilm über die Taliban und war zwischenzeitlich sogar als Selbstmordattentäter ausgewählt worden. Am Ende aber soll er nur nur so etwas wie ein Hausmeister bei den Taliban gewesen sein.

Mehr als 1000 Islamisten zog es aus der Bundesrepublik in die Kriegsgebiete von Afghanistan, Pakistan, Somalia, nach Syrien und in den Irak. Die meisten landeten bei Gruppierungen wie dem Islamischen Staat (IS), bei Al-Qaida, syrischen Milizen oder bei kleineren Terrorzellen in den Stammesgebieten im pakistanischen Waziristan. Kaum einer jedoch schloss sich den Taliban an, in deren Reihen waren und sind europäische Dschihadisten eine seltene Ausnahme. 

Umso ungewöhnlicher ist der Fall von Thomas K., der mehrere Jahre bei den afghanischen Islamisten verbrachte, und den Ermittlern des Bundeskriminalamtes (BKA) über seine Zeit in den Reihen der Extremisten ausführlich und bereitwillig Auskunft gab. Seine Erzählungen liefern seltene Einblicke in jene radikalislamische Bewegung, die zwanzig Jahre nach dem 11. September 2001 wieder große Teile Afghanistans beherrscht, und nach dem Abzug der Nato-Truppen möglicherweise sogar die Macht im Land an sich reißen könnte.

„Ich habe gedacht, in Afghanistan die Wurzeln des Islam zu finden“, sagte Thomas K., der sich nach seiner Rückkehr vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf wegen Mitgliedschaft und Unterstützung der Taliban verantworten musste. Der Islam in Afghanistan sei nunmal „noch purer und konservativer“

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Osama und die Deutschen

Vor zehn Jahren wurde der Al-Qaida-Anführer Osama Bin Laden durch eine US-Spezialeinheit in einer Villa in Pakistan getötet. In seinem Versteck fanden sich Unterlagen, die bestätigten: Das Terrornetzwerk plante damals Anschläge in Deutschland. Ein Rückblick.

von Florian Flade

Handschriftliches Notizbuch von Osama Bin Laden, gefunden in Abbottabad, Mai 2011

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Es sollte so schnell wie möglich ablaufen. Aus dem Hubschrauber abseilen, in das Gebäude eindringen, die Zielperson, Codename „Geronimo“, identifizieren und töten – und schnell wieder raus. Eine halbe Stunde war für den Einsatz eingeplant gewesen, am Ende soll es rund 48 Minuten gedauert haben bis das Team Six der US-Spezialeinheit Navy SEALs das Anwesen im pakistanischen Abbottabad wieder verlassen hatte. Ihr Ziel, Osama Bin Laden, den meistgesuchten Terroristen der Welt zu töten, hatten die amerikanischen Elitesoldaten schnell erledigt. Dann aber waren sie im Versteck des Al-Qaida-Anführers auf unzählige Unterlagen, Computer, USB-Sticks und Festplatten gestoßen. 

„Nehmt so viel ihr könnt!“, soll der damalige Befehlshaber der US-Spezialeinheiten, Admiral William H. McRaven, der die geheime Operation „Neptune Spear“ vom benachbarten Afghanistan aus geleitet hatte, den Soldaten über Funk angewiesen haben. Dann aber drängte die Zeit. „Ich werde ein bisschen nervös“, so der Admiral. Die Antwort: „Sir, hier ist einfach so viel Zeug. Wir packen es in Müllsäcke.“ Als die Soldaten schließlich wieder mit den Hubschraubern in den Nachthimmel verschwanden und auf die US-Militärbasis nach Afghanistan zurückflogen, hatten sie nicht nur die Leichnam von Osama Bin Laden dabei, sondern auch Säcke und Taschen voller Datenträger, Aktenordner, Notizbücher und Zettel. 

Was das US-Kommando am 02. Mai 2011 aus dem Versteck von Osama Bin Laden im Norden Pakistans herausgeholt hatte, erwies sich als eine Schatztruhe für die Geheimdienste. Das Material aus Abbottabad lieferte tiefe Einblicke in das Innenleben des Terrornetzwerkes Al-Qaida. Durch die Unterlagen, Fotos, Videos und handschriftlichen Aufzeichnungen und Briefe wurde deutlich, dass Bin Laden bis zu seinem Tod eine wesentlich aktivere Rolle bei der Planung und Steuerung von Terroranschlägen und auch bei der Koordinierung der einzelnen Ableger seines Netzwerkes spielte, als viele Geheimdienstler und Experten vermutet hatten. Auch über die Bemühungen seiner Handlanger, Attentate in Deutschland zu organisieren, wusste Bin Laden erstaunlich viel.

Die „Abbottabad Files“

In den Jahren nach der Tötung des Top-Terroristen werteten die CIA und das FBI das umfangreiche Material aus. Ein Teil wurde nach und nach der Öffentlichkeit zugänglich, die Dokumente übersetzt ins Englische. Noch bevor die „Abbottabad Files“ allerdings online gestellt wurden, teilten die US-Behörden ihren Datenschatz auch mit europäischen Partnerdiensten. Schließlich bestand die Möglichkeit, dass sich darin Hinweise auf bevorstehende Anschläge oder noch unentdeckte Terrorzellen befinden – was tatsächlich der Fall war.

Einige Dokumente aus Bin Ladens Versteck hatten Bezüge zu Deutschland. Der Al-Qaida-Führer, seine Terrorplaner und Strategen beschäftigte sich offensichtlich mit der Bundesrepublik als Anschlagsziel. Sie analysierten, wie Propagandavideos mit Drohungen gegen Deutschland hierzulande wahrgenommen wurden. Ein Brief aus Abbottabad legt nahe, dass Bin Laden durchaus konkret von Terrorplänen und sogar von einem der ausgewählten Attentäter wusste. Ein weiteres Dokument liefert zudem Hinweise darauf, dass für deutsche Geiseln möglicherweise Lösegeld an Al-Qaida gezahlt worden war.

Deutsche Sicherheitsbehörden sahen ihre damalige Einschätzung durch die Informationen aus dem Abbottabad-Fundus bestätigt: Al-Qaida hatte sich offensichtlich ab 2009 intensiv damit beschäftigt, Terroranschläge in Deutschland zu verüben. Die Planungsebene des Netzwerkes hatte nach geeigneten Rekruten gesucht und bereits einige potentielle Terroristen ausgebildet und zurück in die Bundesrepublik geschickt. Manche scheiterten früh, wurden bereits bei der Rückreise festgenommen, andere kamen einem erfolgreichen Anschlag erschreckend nahe.

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