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„Lauert ihnen auf!“

von Florian Flade

Sie wussten, dass er etwas plante. Schon seit Monaten beobachten die Sicherheitsbehörden in Nordrhein-Westfalen den Deutsch-Türken Tayfun S.. Der 23-jährige Salafist aus Essen galt potentiell gewaltbereiter Extremist. Er stand in Kontakt mit Terrorverdächtigen aus der salafistischen Szene. Im November 2012 begannen ihn die Ermittler zu überwachen. Dabei stellten sie schnell fest: S. traf sich regelmäßig mit drei anderen Salafisten. Unter konspirativen Umständen.

Plante die Gruppe einen Terroranschlag? Zunächst war unklar, ob von dem Quartett tatsächlich eine Gefahr ausging. Auch Raubzüge und Überfälle galten als wahrscheinlich. Sicher war nur: Tayfun S., Marco René G., Enea B. und Koray D. hatten etwas vor.

Am vergangenen Dienstagabend sah es so aus, als würde zumindest ein Teil der Gruppe zur Tat schreiten wollen. Der 25-jährige Konvertit Marco René G. verabschiedete sich von seiner Frau und seinem Kind, und fuhr mit dem 43-jährige Deutsch-Albaner Enea B. in einem Auto von Bonn nach Leichlingen bei Leverkusen. Der Wagen war von den Sicherheitsbehörden verwanzt worden. So konnten sich die Ermittler an die Versen der beiden Salafisten heften. Wohin wollten G. und B. mitten in der Nacht?

In Leichlingen näherte sich das Duo dem Haus von Markus Beisicht. Der Jurist ist nicht irgendwer. Er ist der Vorsitzende der als rechtspopulistisch geltenden Partei „Pro-NRW“, die sich vor allem durch ihre Islam-Feindlichkeit hervortut. Für radikale Muslime ist Beisicht nichts geringeres als ein Erzfeind des Islams. Seine Partei hatte im vergangenen Jahr durch das Zeigen von Mohammed-Karikaturen während einer Wahlkampftour für gewaltsame Proteste von Seiten der Salafisten in Solingen und Bonn gesorgt.

Hatten Marco G. und Enea B. ein Attentat auf den „Pro-NRW“-Chef vor? Die Art und Weise wie G. und B. über Beisicht sprachen, wie sie sein Haus, sein Auto, die Einfahrt und den Garten auskundschafteten, ließ den Schluss zu: hier wird ein Mord geplant. Auf Seiten der Ermittler wollte man offenbar kein Risiko eingehen. Gegen 0:30 Uhr griff die Spezialeinheit SEK zu, verhaftete die beiden Salafisten.

Zeitgleich stürmten Polizeibeamte die Wohnung von Marco G. in Bonn-Tannenbusch sowie die Wohnung von Tayfun S. in Essen. Tayfun S. wurde widerstandslos festgenommen. In G.s Wohnung stießen Polizisten auf den 24-jährigen Deutsch-Türken Koray D., der nach Informationen der „Welt“ zum Zeitpunkt der Festnahme eine scharfe Pistole Kaliber 7,65mm bei sich trug.

In der Bonner Wohnung entdeckten die Ermittler zudem eine kugelsichere Weste, drei Gasrevolver, einen Teleskopschlagstock sowie knapp 616 Gramm verpacktes, strengfähiges Ammoniumnitrat. Und noch etwas wurde gefunden: eine Liste mit Dutzenden Namen von Politikern und Partei-Anhängern, darunter die rot-markierten Namen von neun „Pro-NRW“-Mitgliedern. Ob es sich dabei um eine Todesliste handelt, wollte die Dortmunder Staatsanwaltschaft am Mittwoch nicht mitteilen. Die genannten Personen werden inzwischen durch das Landeskriminalamt NRW betreut.

„Wir gehen davon aus, dass wir eine Straftat verhindern konnten“, sagte ein Vertreter der deutschen Sicherheitsbehörden der „Welt“. Zwar war das in Leichlingen verhaftete Salafisten-Dua nicht bewaffnet gewesen, heißt es von Seiten der zuständigen Staatsanwaltschaft in Dortmund, dennoch beabsichtigte die Gruppe offenbar gemeinschaftlich einen Mord zu verüben. Die Fahrt zum Haus von „Pro NRW“-Chef Markus Beisicht war womöglich ein Auskundschaften der potentiellen Opfers.

Alle vier Salafisten seien zuvor nicht polizeilich bekannt gewesen. Der nordrhein-westfälische Verfassungsschutz hatte die Männer jedoch aufgrund ihrer radikalen Einstellung seit längerer Zeit im Blick. Sie seien nicht die erste Riege der nordrhein-westfälischen Salafisten gewesen, heißt es, aber zunehmend radikaler aufgetreten.

Am Donnerstag wurden die vier Terrorverdächtigen dem Haftrichter vorgeführt, der den Haftbefehl bestätigte. Tayfun S., Marco G., Enea B. und Koray D. schweigen bislang zu den Vorwürfen.

Das Klima gegenüber den Islam-feindlichen Aktivisten von „Pro NRW“ hat sich seit dem Frühjahr 2012 massiv verschärft. Radikale Salafisten, insbesondere emotionalisierte Einzeltäter, könnten sich berufen fühlen, für den Propheten Mohammed Rache zu üben, warnten Sicherheitsbehörden in den vergangenen Monaten.

Im Laufe des vergangenen Jahres tauchten mindestens drei direkte Morddrohungen im Internet auf, die auf die islamfeindliche Partei Bezug nehmen. Der in Pakistan lebende Terrorist Yassin Chouka („Abu Ibrahim“) aus Bonn rief am 25.Mai 2012 in einer Tonbandbotschaft Muslime in Deutschland dazu auf, Mitglieder der „Pro-NRW“ zu ermorden.

„Ihr sollt die Mitglieder von Pro NRW alle töten!“, sagt Chouka, „Lauert und sucht einzelne Personen im Geheimdienstverfahren auf, sammelt genug Informationen über ihre Wohnorten, über ihre täglichen Routen, ihre Arbeitsplätze. Und dann nach guten und ausreichenden Recherchen und einem strategischen Plan: schlagt zu! Am besten im Schutz der Dunkelheit oder im Morgengrauen.“

Fast zeitgleich mit der Drohbotschaft von Yassin Chouka veröffentlichte im Mai 2012 die inzwischen verbotene islamistische Gruppierung „Millatu Ibrahim“ ein islamistisches Kampflied über die gewaltsamen Salafisten-Proteste in Bonn während der Wahlkampftour von „Pro-NRW“. Darin singt ein Salafist: „Wir warnen euch Pro-NRW, gebt acht, wenn ihr nachts schlafen geht!“

Im September 2012 schließlich tauchte im Internet ein deutschsprachiges PDF-Dokument mit dem Titel „Abrechnung mit Deutschland“ auf. Es stammt aus dem Umfeld des nach Ägypten ausgereisten Islamisten-Predigers Mohamed Mahmoud. Der Verfasser der Hetzschrift fordert die Ermordung von „Pro-NRW“-Anhängern.

„Die Pro-NRW, die unseren geliebten Propheten in Karikaturen belustigten (…) Ihr Blutvergießen bzw. ihre Tötung soll eine besondere Wichtigkeit in den Herzen jener haben, die darauf brennen den Gesandten Allahs zu rächen“, schreibt ein Islamist, der sich „Abu Assad al-Almani“ nennt.

„Übt Rache für den Gesandten!“

von Florian Flade

Recht unscheinbar blinkt der Werbebanner in den arabischen Internetforen der Al-Qaida & Co.. Er ist leicht zu übersehen, wäre da nicht der Text in deutscher Sprache: „Abrechnung mit Deutschland“.

Seit einigen Tagen kursiert eine achtseitige Propagandaschrift mit diesem Titel in diversen Dschihad-Foren. Veröffentlicht wurde sie von der „Global Islamischen Medienfront“ (GIMF), einem islamistischen Medienlabel, das seit Jahren immer wieder Propaganda für den „Heiligen Krieg“ macht. In mehreren Sprachen, in Video- und in Textform.

GIMF hat sich in erster Linie auf eines spezialisiert: die Übersetzung von arabischer Original-Propaganda. Diesmal aber ist es anders. „Abrechnung mit Deutschland“ ist ein deutschen Papier, verfasst von einem angeblich deutschen Autoren namens „Abu Assad al-Almani“.

Das Dokument ist im Prinzip nichts anderes als eine Lizenz zum Töten in PDF-Format. Der Verfasser behauptet, der Schauspieler, der in dem umstrittenen Mohammed-Video „Unschuld der Muslime“ den Propheten spielt, sei ein Deutscher. Grund genug die gesamte deutsche Bevölkerung ins Visier zu nehmen.

“Diese wertlosen Halbaffen, welche es nicht mehr verdient hatten, am Leben gelassen zu werden, beleidigten (…) zum wiederholtem Male unseren geliebten Propheten Muhammad
Neben den hässlichen Karikaturen wurde nun schließlich durch die Hände der Amerikaner ein Film gedreht, in welches diese Schweine sich über unseren geehrten Propheten lustig machten und ihn beleidigten. Derjenige, der unseren edlen Gesandten spielte war ein Deutscher…

Lasst euer Ziel diesen deutschen Schauspieler dieses Filmes sein, der die Rolle unseres edlen Gesandten spielte. Die Pro-NRW, die unseren geliebten Propheten in Karikaturen belustigten. Und jene Politiker, welche die Genehmigung für das zeigen dieser Karikatur guthießen und erlaubten. Und jene Mitbürger, die sie darin unterstützen, egal wer sie sind.
Ihr Blutvergießen bzw. ihre Tötung soll eine besondere Wichtigkeit in den Herzen jener haben, die darauf brennen den Gesandten Friede und Segen auf ihn) zu rächen, und die darauf brennen nach dem Wohlgefallen ihres Herrn zu streben.”

Experten von Verfassungsschutz und Bundeskriminalamt haben die Hassschrift inzwischen ausgewertet. Ihr primäres Ziel: die Gefahr einzuschätzen, die von dem brisanten Papier ausgeht. Und die Urheberschaft festzustellen.

Bislang seien keine konkreten Anschlagspläne zu verzeichnen, heißt es von Seiten des BKA, die Gefährdungslage sei weiter abstrakt und konstant hoch. Deutschland sei immer noch im Visier radikaler Islamisten.

Das Satire-Magazin „Titanic“ hat für die Oktober-Ausgabe ein provokantes Titelblatt angekündigt. Das Titelfoto der Ausgabe, die am Freitag erscheinen soll, zeigt den Propheten Mohammed an der Seite von Bettina Wulff. Die Schlagzeile lautet „Auch das noch: Bettina Wulff dreht Mohammed-Film“.

In Sicherheitskreisen ist die Rede vom „Arid U.-Szenario“. Wie der Kosovare Arid U. im März 2011, so könnten sich weitere islamistische Einzeltäter motiviert fühlen, Anschläge zu verüben. Vielleicht auf Politiker und Anhänger der „Pro-Bewegung“, eventuell auf Vertreter der Medien oder der Sicherheitsbehörden.

Intern gehen die Sicherheitsbehörden davon aus, dass „Abrechnung mit Deutschland“ nicht in Deutschland, sondern in Ägypten entstand. Der Verfasser wird am Nil vermutet und soll eine Person aus dem salafistischen Spektrum sein, die vor kurzem in das arabische Land ausgewandert ist. Der Islamist versucht nun Glaubensbrüder hierzulande zu Mordanschlägen und Attentaten anzustacheln.

„Der Krieg mit al-Qa´ida ist kürzer geworden“ – Interview mit Peter Bergen

von Florian Flade

Osama Bin Laden & Peter Bergen (1997)

Der Journalist und Autor Peter Bergen (48) gilt als einer weltweit angesehensten Al-Qa´ida-Experten. Er reiste im Auftrag des US-Fernsehsenders CNN 1997 nach Afghanistan und traf als einer von nur wenigen westlichen Journalisten den Al-Qa´ida-Gründer Osama Bin Laden zum Interview. Damals erklärte der nun getötete Top-Terrorist im Gespräch mit Peter Bergen den USA den Krieg.

Nach den Anschlägen vom 11.September 2001 veröffentlichte Bergen mehrere Bücher über Bin Laden und sein Terrornetzwerk. Bergens jüngstes Werk „The Longest War – The Enduring Conflict Between America And Al-Qaeda“ erschien im Februar. Ich habe mit Peter Bergen über den Tod Osama Bin Laden gesprochen und warum dieser möglicherweise der Anfang vom Ende al-Qa´idas sein könnte.

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Herr Bergen, Sie haben Bin Laden 1997 in einer kleinen Lehmhütte irgendwo in den Bergen getroffen. Waren Sie überrascht als Sie hörten, dass er jahrelang in einem Anwesen in einer relativ großen pakistanischen Stadt gelebt hat?

Ehrlich gesagt habe ich ihn in einer ziemlich urbanen Umgebung irgendwo in den Stammesgebieten (afghanisch-pakistanische Grenzgebiet) getroffen. Es war keine Überraschung dass er in einem Haus gelebt hat. Von den Audio-und Videobotschaften konnte man darauf schließen dass er Zugang zu Nachrichten hatte. Er war auch nicht in einer Höhle weil wir in den Videos gesehen haben: seine Kleidung war immer sauber und ordentlich. Also nein, mich hat nicht die Art seines Versteckes überrascht. Dass er in Abbottabad war, schon.

Enge Vertraute Bin Ladens wurden in der Vergangenheit meist in Städten wie Abbottabad festgenommen und nicht in den Bergen.

Ja, stimmt. Nehmen Sie z.B. Khalid Sheikh Mohammed, Abu Zubaidah, Ramzi Binalshibh – sie alle wurden in Städten gefasst. 2004 entschieden sich viele al-Qa´ida Führer in die Stammesgebiete abzuwandern. Ganz offenbar hat Bin Laden die gegenteilige Entscheidung getroffen. Es sieht wohl danach aus, dass er irgendwann 2003 in der Grenzregion zu Afghanistan war, aber 2004 oder 2005 in eine Stadt gezogen ist. In den Stammesgebieten ist es durch die Drohnenangriffe nicht mehr sicher, in einer Stadt bemerken aber mehr Leute dass du da bist – beide Verstecke haben Vor- und Nachteile.

Was sind die unmittelbaren Folgen seines Todes für al-Qa´ida?

In meinem Buch „The Longest War“ sage ich, dass Bin Laden und al-Qa´ida schon seit Jahren dabei sind, den Krieg der Ideen in der muslimischen Welt zu verlieren. Umfragen in Indonesien, Saudi-Arabien, Jordanien und Marokko belegen das. Die Unterstützung für al-Qa´ida und ihre Ideen sinkt seit Jahren. Und dann kommt der Arabische Frühling, in dem Bin Laden und al-Qa´ida keinerlei Rolle spielen, und schließlich die Tötung von Bin Laden selbst. Der Arabische Frühling schadet al-Qa´idas Ideologie und Bin Ladens Tod schadet al-Qa´ida als Organisation. Ich denke die Ideologie und die Organisation haben sehr starke Schläge einstecken müssen, von denen sich beide kaum wieder erholen werden.

Ist der Tod Bin Ladens also das Ende des „Longest War“?

Ja, ich denke es bedeutet dass der „Longest War“ kürzer geworden ist. Es bedeutet nicht, dass es keinen dschihadistischen Terrorismus mehr geben wird. Wir sehen diese Bedrohung auch in Deutschland regelmäßig. Letzten Herbst gab es die Terrorwarnungen für Europa und wir werden auch weiter Deutsche sehen, die in die pakistanischen Stammesgebiete reisen, um dort eine Terrorausbildung zu erhalten. Das gleiche gilt für Großbritannien und die USA. Sind diese Leute ein großes Risiko für die nationale Sicherheit der Länder? Nicht wirklich. Wenn sie Glück haben töten sie zwei oder drei Dutzend Menschen. Aber wir wissen dass das weitergehen wird. Und wir wissen vom Beispiel der Baader-Meinhof Gruppe, dass eine kleine Gruppe mit praktisch keiner öffentlichen Unterstützung, dem deutschen Staat gewaltig geschadet hat in den 1970er Jahren. Ich denke aber der „Krieg gegen den Terror“ ist vorbei. Wenn er nicht mit dem Arabischen Frühling vorbei ist und mit dem Tod Bin Ladens, was will dann? Es ist unrealistisch, dass jede Person auf der Welt, die al-Qa´ida angehört oder von ihr inspiriert ist, einfach verschwindet. Das wird nicht passieren. Es gibt immer noch Marxisten auf dem Campus von Universitäten, aber sie sind praktisch irrelevant. Ich denke al-Qa´ida und ihre Idee werden eines Tages auch irrelevant sein. Der Arabische Frühling und der Tod von Bin Laden haben diesen Prozess nur beschleunigt.

Was geschieht jetzt innerhalb der al-Qa´ida? Gibt es Machtkämpfe?

Es wird Diskussionen und Streit darüber geben, wer der Anführer werden soll. Ob es z.B. ein Ägypter wie Ayman Zawahiri sein soll.

Al-Qa´ida hatte fast 10 Jahre Zeit seit dem 11.September für eine Zeit nach Osama Bin Laden zu planen. Trotzdem scheinen sie keinen Notfall-Plan zu haben. Es wurde immer noch kein Nachfolger ernannt.

Wenn man den Nazis beitrat, dann hat man keinen Eid auf die Partei geschworen, sondern einen persönlichen Eid auf Adolf Hitler. Als Hitler starb, ist das Nazitum faktisch mit ihm gestorben. Es ist hier nicht gleich aber doch ähnlich. Bin Laden hat al-Qa´ida 1988 gegründet und es gab seither keinen anderen Anführer. Und es wird keinen neuen Führer wie ihn geben.

Bin Laden ist aus Ihrer Sicht also unersetzbar?

Ja, das denke ich. Wenn man al-Qa´ida beitrat, dann hat man direkt einen Treueschwur auf Bin Laden geleistet und die al-Qa´ida Ableger mussten ihm direkt die Treue schwören, z.B. al-Qa´ida im Maghreb und al-Qa´ida im Irak. Deshalb wird es schwierig sein, Bin Laden zu ersetzen. Was passiert, wenn ein Ableger des Terrornetzwerks keinen Treueid auf Zawahiri leisten will? Wenn sie sagen: Wir sehen in ihm keinen kompetenten, charismatischen, inspirierenden Anführer. Ich glaube deshalb haben sie jetzt einen Übergangs-Führer ernannt. Letztendlich aber wird wohl Zawahiri der Nachfolger Bin Ladens werden.

Aus Ihrer Sicht wäre diese Wahl allerdings schlecht. Sie halten Zawahiri für wenig charismatisch, er ziehe keine neuen Rekruten an.

Richtig, und selbst in seiner eigenen Gruppe – Jihad al-Islami – hat man in ihm keinen geeigneten Anführer gesehen. Er hat die Gruppe gegen die Wand gefahren. Der Grund warum Zawahiri al-Qa´ida beitrat, war Verzweiflun. Er war der Anführer einer Gruppe mit wenigen Mitgliedern, die kaum noch operieren konnte. Zawahiri als Gehirn al-Qa´idas zu bezeichnen halte ich auch für falsch. Vielleicht war das in den 1980er Jahren der Fall, aber seit Ende der 1990er Jahre war Bin Laden der internationale Celebrity, Bin Laden führte al-Qa´ida und es war Bin Laden der Zawahiri unter seine Fittiche nahm und ihn überzeugte dass der wahre Feind die USA sind und nicht das ägyptische Regime.

Einige Experten befürchten eine jüngere, noch radikalere Generation von Dschihadisten könnte nun die Führung al-Qa´idas übernehmen. Was denken Sie?

Es fällt schwer, sich jemanden vorzustellen der noch gewalttätiger ist als Ayman al-Zawahiri und Osama Bin Laden, aber es ist durchaus möglich. Die junge Generation von al-Qa´ida hat die letzten Jahre auf der Flucht und in der Defensive verbracht, was sie natürlich militanter und radikaler macht. Aber al-Qa´ida ist bereits äußert brutal. Außerdem gibt es einen Unterscheid einfach nur gewalttätig sein zu wollen, und in der Lage zu sein, Gewalt wirklich auszuüben. Al-Qa´idas Möglichkeiten dazu sind sehr begrenzt.

Die nächste Generation von al-Qa´ida Führern ist in die Strukturen, die Bin Laden aufgebaut hat, hineingewachsen. Sie ist vertraut mit dem Internet, die Terroristen stammen teilweise aus dem Westen – sind sie auch gefährlicher?

Der tödlichste Terroranschlag in der Geschichte wurde von Osama Bin Laden und Zawahiri von einem Land aus geplant, in dem es kein Telefonnetz gab, schon gar kein Internet. Während das vielleicht zutrifft, was Sie sagen, ist das Internet aber vor allem in unseren Augen nützlich. Letztendlich aber kann man darüber keine Terroristen ausbilden. Man muss sie in Ausbildungslagern trainieren.

Was ist al-Qa´ida heute – wie groß ist das Netzwerk, wie viele Mitglieder gibt es tatsächlich?

Die Kern al-Qa´ida in Afghanistan und Pakistan besteht aus vielleicht 300 oder 400 Terroristen. Al-Qa´ida im Jemen hat ca. 200 bis 300 Mitglieder, die al-Qa´ida nahen Gruppen wie die „Islamische Bewegung Usbekistans“ und die „Islamische Dschihad Union“ haben einige hundert Kämpfer. Die pakistanische Lashkar e-Toiba hat einige tausend, vielleicht sogar zehntausende Anhänger, die pakistanischen Taliban sicherlich zehntausende. Es macht also keinen Sinn al-Qa´ida auf Zahlen zu reduzieren. Al-Qa´ida war schon immer eine kleine Gruppe. Worauf es ankommt, sind die Leute um al-Qa´ida und diejenigen die sich der Ideologie zugehörig fühlen.

Ist al-Qa´ida zu einem Rache-Anschlag für die Tötung Bin Ladens im Stande?

Jeder Anschlag der in den nächsten Jahren stattfinden wird, wird von al-Qa´ida als Rache für Bin Laden bezeichnet werden. Aber ohne seinen Tod hätte der Anschlag vielleicht wegen Guantánamo oder wegen der Bundeswehr in Afghanistan stattgefunden. Sie werden immer einen Grund finden. Al-Qa´idas Möglichkeiten einen Großanschlag als Racheakt auszuüben sind äußert begrenzt. Das war schon so als Bin Laden noch lebte, das ist auch jetzt so wo er tot ist.

Im März tötete ein junger Deutsch-Kosovare in Frankfurt zwei US-Soldaten, er war kein Mitglied einer Terrorgruppe, aber wohl von der Ideologie beeinflusst. Was ist gefährlicher – al-Qa´ida die Organisation oder al-Qa´ida die Ideologie?

Wie viele Menschen hat er in Frankfurt getötet?

Zwei Amerikaner, ein dritter ist weiterhin in einem kritischen Zustand.

Wie viele Menschen werden jedes Jahr in Deutschland getötet? Ich weiß es nicht, aber ich will damit sagen, dass diese „Einsamen Wölfe“ nicht so relevant sind. Der „führerlose Dschihad“ ist ein Phänomen das nunmal auftritt. Ein „einsamer Wolf“ wie Arid Uka oder der Mann der Theo van Gogh ermordete, kann vielleicht ein oder zwei Leute töten aber es bedarf einer Organisation für größere Terroranschläge. Uns sollten nicht jene Sorgen bereiten die ein paar Menschen töten wollen, sondern die Dutzende oder hunderte ermorden wollen. Und in diesen Fällen ist meist eine Organisation involviert, und der Anführer der Terrorzelle wurde in einem al-Qa´ida Lager ausgebildet. Die echte Gefahr droht weiter von den Organisationen. Al-Qa´ida auf der Arabischen Halbinsel ist eine Organisation der es fast gelungen ist eine Passagiermaschine über Detroit in die Luft zu jagen. Der Attentäter war kein einsamer Wolf, er war Teil einer Organisation. Glücklicherweise sind diese Organisationen geschwächt. Die Ideologie ist jedoch immer Grund zur Sorge.

Al-Qa´idas Terrorausbildung findet in erster Linie im pakistanischen Nord-Waziristan statt. Wenn die USA jetzt al-Qa´ida den Todesstoß versetzen wollen, müsste man nicht dieses Gebiet als Terrorsumpf austrocknen?

Da stimme ich zu. Am Ende des Tages ist das Problem der sichere Hafen für Terroristen in Nord-Waziristan. Die amerikanischen Drohnenangriffe tun einiges, um die Terroraktivitäten dort einzudämmen. Al-Qa´ida ist unter Druck, aber dieser Druck muss erhöht werden.

Wird al-Qa´ida in ihrer nächsten Veröffentlichung den neuen Anführer verkünden?

Ja, und ich denke es wird Ayman al-Zawahiri sein. Er ist kein guter Manager für die Organisation sein und im Laufe der Zeit wird al-Qa´ida deshalb immer mehr an Bedeutung verlieren.