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Dschihad-Rückkehrer Teil 7 – Die Herforder Clique

von Florian Flade

Junge Männer aus Herford reisen in den Dschihad. Mindestens einer kommt ums Leben. Der Rückkehrer Sebastian B. hat seine Zeit in Syrien überlebt und steht derzeit in Düsseldorf vor Gericht.

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Sebastian B. (Screenshot: SPIEGEL TV Magazin)

Ismail I. zeigte sich kooperativ. Vier Tage lang gab der gebürtige Libanese den Staatsschützern bereitwillig Auskunft. In den stundenlangen Verhören sprach er über seine Zeit in Syrien. Von der Ausbildung zum Dschihadisten, den Führungsstrukturen der Terroristen, von Kämpfern aus dem Kaukasus, vom Balkan und aus Deutschland.

Der Stuttgarter Islamist war im August 2013 nach Syrien gereist, hatte sich dort der Terrorgruppe „Jaish al-Muhajirin wa al-Ansar“ (JAMWA) angeschlossen und besuchte ein Terrorausbildungslager nahe Aleppo. Nur zwei Monate später kehrte er nach Deutschland zurück, um Ausrüstungsgegenstände und Medikamente für die Dschihadisten vor Ort zu kaufen. Als er sich erneut auf den Weg ins Kriegsgebiet machte, griffen die Fahnder zu.

In seinen Gesprächen mit der Polizei sprach Ismail I. über seine Erlebnisse vor Ort. Zu einer etwa 100-köpfigen Kampfeinheit namens „Muhajirun halab“ habe er gehört, einer Untergruppe der JAMWA, die sich inzwischen der Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS) angeschlossen hat. Die Dschihadisten seien in  der Ortschaft Hraytan, nördlich von Aleppo, stationiert gewesen. Dort habe es auch eine Gruppe von Kämpfern aus Deutschland gegeben. Sie stand unter dem Kommando des Mönchengladbacher Konvertiten Konrad „Konny“ S., der sich vor Ort „Abdulwahid al-Almani“ nennt.

Aber auch andere Islamisten aus Deutschland hatte Ismail I. kennengelernt. Da war beispielsweise Marko K. alias „Issa al-Almani“, ein 23-jährige Konvertit aus dem rheinische Bergheim. Der ehemalige Messdiener starb im November 2013 bei Kämpfen. Oder der Deutsch-Ghanaer Dela Yannis T. aus Biefeld. Auch er kam in Syrien ums Leben.

Und da waren noch zwei weitere Dschihadisten aus Deutschland, die Ismail I. den Beamten des Staatsschutzes beschrieb. Einen „Mustafa aus Mönchengladbach“, der auch in der Propaganda-Arbeit tätig gewesen sein, und einen „Umar“, der aus Ostdeutschland stamme, früher mit Drogen gedealt und eine auffällige Tätowierung besessen habe.

Die Beschreibung passte auf zwei Islamisten aus Nordrhein-Westfalen: Mustafa C. alias „Abu Qatada“ aus Mönchengladbach und Sebastian B. alias „Abu Umar al-Almani“ aus Herford. Letzterer stammte ursprünglich aus Ostdeutschland, wurde im Oktober 1987 in Frankfurt Oder geboren. Mehrfach wurde er wegen Drogendelikten verurteilt. Und er besitzt am Oberarm eine Tribal-Tätowierung.

Sebastian B. reiste nach Erkenntnissen der Ermittler im August 2013 über die Türkei nach Syrien. In einem Lager der JAMWA-Untergruppe „Muhajirun halab“ soll er eine paramilitärische Ausbildung erhalten haben. Anschließend leistete B. nach Darstellung der Staatsanwaltschaft Wachdienste und andere logistische Aufgaben für die Terroristen. Auch in ein Gefecht soll er verwickelt gewesen sein und sich sogar in eine Liste für willige Selbstmordattentäter eingetragen haben.

Mitte November 2013 kehrte Sebastian B. nach Deutschland zurück. Und verhielt sich alles andere als unauffällig. So beteiligte sich der Konvertit  an gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Salafisten und kurdischen Jesiden in Herford.

Am 22. Januar stürmte schließlich das SEK die Wohnung von Sebastian B. im vierten Stock eines Mehrfamilienhauses, wo er mit seiner Frau und seinem Sohn wohnte, nahm den 27-jährigen Islamisten fest. Zeitgleich wurde Mustafa C. in Mönchengladbach verhaftet. Er soll im März 2013 nach Syrien gereist und zwischenzeitlich wieder nach Deutschland zurückgekehrt sein. Im September 2013 zog es ihn erneut in den Bürgerkrieg.

Inzwischen hat vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf der Prozess gegen die beiden Syrien-Rückkehrer Sebastian B. und Mustafa C. begonnen. Das Verfahren gibt ungewöhnliche Einblick in die Radikalisierung einer Herforder Salafisten-Clique.

Nach dem Umzug der Familie von Brandenburg nach Nordrhein-Westfalen wuchs Sebastian B. in Herford auf, ging dort zur Schule. Eine schöne Jugend aber soll er nicht gehabt haben. Von Pflegefamilien und Drogenmissbrauch ist die Rede. Irgendwann im Jahr 2010 soll bei ihm das Interesse für den Islam entstanden sein. B. kam in dieser Zeit in Kontakt mit Muslimen aus seiner Nachbarschaft, er besuchte eine Kampfschule in der viele Kaukasier trainierten und verkehrte wohl auch in der salafistischen Assalam-Moschee an der Ahmser Straße, die vom Verfassungsschutz beobachtet wird.

Eine wichtige Person in der islamistischen Szene in Herford ist nach Angaben von Sicherheitsbehörden ein drahtiger Mann mit langem grau-schwarzem Bart. Der Tschetschene Said O., der in den 90er Jahren im Kaukasus auf Seiten der islamistischen Rebellen gegen die russische Armee gekämpft haben soll. Seit 2001 lebt er als anerkannter Asylbewerber in Deutschland. Der Staatsschutz führt den Tschetschenen als islamistischen „Gefährder“. Said O. soll gemeinsam mit seinem Sohn eine wichtige Rolle als Netzwerker und Rekrutierer für die Dschihad-Szene übernehmen.

Im Juni 2013 kam Said O. in Rumänien in eine Fahrzeugkontrolle. Er wolle mit seiner Familie Urlaub in der Türkei besuchen, gab er an. Seine Familie aber erzählte, O. habe in der Türkei nach Arbeit suchen wollen. Bis heute rätseln die Ermittler, ob Said O. nach Syrien gereist war.

Fest steht: Mehrere junge Männer aus seinem Umfeld traten die Reise in den Dschihad an. Darunter der inzwischen getötete Dela T. Ein weiterer Islamist aus der Salafisten-Clique, Murad D., soll aktuell noch in Syrien kämpfen.

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Dschihad-Rückkehrer Teil 6 – Der Jäger

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von Florian Flade

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Die „Lohberger Brigade“ des IS

Samstag, 10. Januar 2015, im Gewerbegebiet von Dinslaken. Es ist etwa 19.40 Uhr als ein silberfarbener VW-Polo vom McDonald´s in der Krengelstraße zur nahegelegnenen Shell-Tankstelle fährt. Am Steuer sitzt ein stämmiger junger Mann. Nils D., 24 Jahre alt. Er ahnte wohl nicht, dass er beobachtet wurde.

Ein mehrköpfiges Observationsteam der Polizei, ein sogenanntes Mobiles Einsatzkommando (MEK), folgte Nils D. bereits seit Tagen. Die Beamten hielten den jungen Mann „unter Wind“, wie es im Fachjargon heißt. An jenem Abend sollte der Zugriff erfolgen.

Kaum war Nils D. aus dem Auto gestiegen, griffen die Polizisten zu. Die Zivilfahnder rasten in ihren Autos heran, hielten mit quietschenden Reifen und stürzten sich auf D.. Sie drückten ihn zu Boden und legtem ihm Handschellen an. Tags darauf wurde der 24-jährige einem Haftrichter bei der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe vorgeführt.

Die Festnahme erfolgte in turbulenten Zeiten. Wenige Tage zuvor hatten drei islamistische Terroristen in Paris siebzehn Menschen ermordet, darunter Redakteure und Zeichner des Satiremagazins „Charlie Hebdo“. In deutschen Sicherheitskreisen war man nervös. Und wollte kein unnötiges Risiko eingehen.

Nils D. stellte aus Sicht der Ermittler zumindest ein potenzielles Risiko dar. Der Islam-Konvertit ist einer von mehreren Dutzend Islamisten, die nach Syrien und in den Irak in den Dschihad gezogen waren und nun wieder in Deutschland leben. Wochenlang observierten ihn Verfassungsschutz und Polizei. Sie sammelten Belege für seine Mitgliedschaft in der Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS).

Begonnen hat die terroristische Karriere des Dinslakener Konvertiten im Oktober 2013. Da verschwand Nils D. irgendwann aus dem heimischen Stadtteil Lohberg. Er reiste mit Hilfe von Mittelsmännern über die Türkei nach Syrien. Und gelangte schließlich in ein Ausbildungslager des IS, wo er im Umgang mit Waffen geschult wurde.

Schon Monate zuvor hatte ein Verwandter des Islamisten dieselbe Reise angetreten – sein Cousin Philip B., ein ebenfalls zum Islam konvertierter Dinslakener. Der ehemalige Pizza-Lieferant trat im Dezember 2013 als „Abu Usamah al-Almani“ in einem IS-Video auf. Er schwor darin dem IS-Anführer den Treueeid und rief Muslime in Deutschland dazu auf, nach Syrien zu kommen.

Nils D. soll schon früh unter dem Einfluss seines älteren Cousins gestanden haben. Philip sei eine Art Vorbild für ihn gewesen, berichten Bekannte. Und derjenige, der ihn offenbar mit dem radikalen Islam vertraut machte. In der Schule sei Nils D. oft gehänselt worden, habe dann aggressiv reagiert, heißt es. Mit 15 Jahren sei er bereits Vater geworden, habe früh Drogenprobleme gehabt, später keinen Job gefunden. Der Salafismus hat dem jungen Mann wohl zunächst Halt gegeben.

Und einen neuen Freundeskreis. Rund 25 Männer und Jugendliche aus dem Dinslakener Stadtteil Lohberg sollen sich in den vergangenen Jahren zu gewaltbereiten Islamisten radikalisiert haben, so die Erkenntnis der Sicherheitsbehörden. Mindestens 13 von ihnen sollen nach Syrien ausgereist sein und sich dem IS angeschlossen haben.

Die „Lohberger Gruppe“ nennen nordrhein-westfälische Staatsschützer diese Clique. „Lohberger Brigade“ nennen sich die Dschihadisten selbst und posten Fotos bei Facebook, die sie in martialischen Posen, mit Gewehren und Messern bewaffnet zeigen. Einer aus der Gruppe, Mustafa K., veröffentlichte ein Bild, auf dem er mit dem abgeschlagenen Kopf eines mutmaßlich syrischen Regierungssoldaten posiert. Mehr als 40 „Gefällt Mir“-Klicks erhielt der Extremist dafür.

Inzwischen sollen mindestens sechs Dinslakener Dschihadisten getötet worden sein. Mustafa K., Hassan  D., Yunus E. und der Konvertit Marcel L. sollen im Dezember 2014 bei einem Luftangriff nahe der syrischen Stadt Kobane ums Leben gekommen sein. Philip B., der Cousin von Nils D., wurde nach Erkenntnissen der deutschen Sicherheitsbehörden bei einem Gefecht schwer verletzt. Er habe nicht mehr richtig gehen können, erzählen Ermittler. Sein Unterkiefer sei zerfetzt worden, er konnte wohl kaum noch sprechen. Dies sei wohl der Grund gewesen, weshalb sich der ehemalige Berufsschüler Philip B. schließlich freiwillig für ein Selbstmordattentat meldete.

Im August 2014 soll sich der 27-jährige mit einer Autobombe an einem Stützpunkt der kurdischen Peshmerga-Miliz nahe der irakischen Stadt Mossul in die Luft gejagt haben. Bis zu 20 Menschen sollen bei dem Anschlag ums Leben gekommen sein.

Vier Islamisten aus Dinslaken haben die Reise in den Krieg überlebt und sind wieder in Deutschland. Nils D. ist einer von ihnen. In Syrien diente Konvertit nach Erkenntnissen der Staatsanwaltschaft in einer Spezialeinheit des IS, die damit beauftragt war, Deserteure zu jagen. In mindestens drei Fällen soll Nils D. bei solchen Festnahmen mitgewirkt haben.

Vom IS erhielt der deutsche Dschihadist dafür ein eigenes Auto. Sowie ein AK-47 Sturmgewehr, ein amerikanisches M-16 Sturmgewehr und eine goldene Pistole Marke „Browning“, Kaliber 9mm. Mit einem speziellen Ausweis, der ihn als Mitglied der Fahndungseinheit kenntlich machte, soll Nils D. so auf die Jagd nach geflohenen IS-Kämpfern gegangen sein. Aber auch bei Krankentransporten von der Front soll er geholfen haben.

Anfang November 2014 war plötzlich Schluss mit seiner Zeit beim IS. Nils D. reiste zurück in die Türkei und bestieg dort einen Bus, der ihn wieder nach Deutschland, genauer nach Dortmund, bringen sollte. Auf der Durchreise in Bulgarien kontrollierten Grenzbeamte die Personalien der Insassen des Reisebusses. Die Polizisten bemerkten, dass Nils D. im Schengener Informationssystem SIS zur verdeckten Fahndung ausgeschrieben war. Sie benachrichtigten umgehend die deutschen Kollegen, ließen den Islamisten jedoch weiterreisen.

Wieder in Deutschland quartierte sich Nils D. bei seiner Mutter in einer Wohnung in einem Reihenhaus in Dinslaken ein. Der Verfassungsschutz nahm ihn daraufhin verstärkt ins Visier. Kehrt ein radikaler Islamist aus Syrien zurück, dann greift bei den Islamismus-Experten des Inlandsgeheimdienstes eine Art Checkliste. Sie versuchen den Rückkehrer auf seine Gefährlichkeit einzuschätzen. Was hat der Islamist in Syrien gemacht? Hat er gekämpft und womöglich getötet? Sucht er in Deutschland wieder Kontakt zur Szene? Verhält sich die Person besonders vorsichtig und konspirativ?

Bei Nils D. kamen die Ermittler schnell zu dem Schluss, dass es sich vermutlich nicht um einen Syrien-Rückkehrer handelt, der einen Anschlag in Deutschland begehen will. Der Tod des Cousins Philip B., so mutmaßten die Ermittler, war womöglich der Auslöser für seine Rückreise.

Dennoch wollten die Behörden sichergehen. Sie präparierten daher das Auto von Nils D. unbemerkt mit Abhörtechnik. So konnten sie mithören wie der Islamist über seine Zeit beim „Dawla“ sprach, beim „Islamischen Staat“, über die Spezialeinheit und die Jagd auf Deserteure.

Bei seiner Festnahme beschlagte die Polizei auch das Mobiltelefon von Nils D.. Darauf fanden sie mehrere Kontaktdaten, die sie Personen aus der islamistischen Szene zuordnen konnten. Zahlreiche Fotos hatte der Islamist zwar gelöscht, die Aufnahmen waren jedoch – ein Glücksfall für die Ermittler – noch als Miniaturbilder auf der Festplatte des Mobiltelefons gespeichert und konnten so rekonstruiert werden. Zu sehen ist darauf Nils D. mit Waffen im Kriegsgebiet posierend.

Noch in diesem Monat will die Bundesanwaltschaft Anklage gegen den Dinslakener Dschihadisten erheben.

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von Florian Flade

Ismail I. steht demnächst in Stuttgart vor Gericht. Der Libanese soll in Syrien zum Dschihadisten ausgebildet worden sein. Und kehrte anschließend nach Deutschland zurück – mit einem Auftrag seines „Emirs“.

pic160914Kämpfer der „Jaish al-Muhajirin wa al-Ansar“

Der Autobahnrasthof Gruibingen. An der A8 gelegen, rund 50 Kilometer südlich von Stuttgart. Am 13. November 2013, gegen 22.45 Uhr griff die Polizei hier zu. Ihre Zielpersonen: der 24-jährige Libanese Ismail I. aus Stuttgart und der 37-jährige Deutsch-Afghane Mohammad Sobhan A. aus Mönchengladbach.

Als die Ermittler das Auto der beiden Männer durchsuchten, staunten sie nicht schlecht. Tarnkleidung, Medikamente, Skalpelle, Thermometer, ein Blutdruckmessgerät, zwei Nachtsichtgeräte und 6.232 Euro in Bar fanden sie. Einkäufe für den „Heiligen Krieg“.

Ismail I. und sein Glaubensbruder Mohammad Sobhan A. waren auf dem Weg nach Syrien, als die deutschen Ermittler sie stoppten. Sie wollten zurück an die Front, in die Reihen einer islamistischen Terrorgruppe. Das zumindest behauptet die Bundesanwaltschaft, die I. und A. im Mai angeklagt hat. Bald schon werden die beiden mutmaßlichen Islamisten in Stuttgart vor Gericht stehen, zusammen mit Ismails Bruder Ezzedine I..

Die Stuttgarter Polizei und das Bundeskriminalamt (BKA) haben monatelang gegen die mutmaßlichen Terrorhelfer ermittelt. Der Abschlussbericht umfasst rund 80 Seiten. Die Ermittler konnten rekonstruieren, dass der gebürtige Libanese Ismail I. im vergangenen Jahr nach Syrien gereist war und dort wohl eine Ausbildung zum Dschihadisten absolviert hatte, bevor er wieder nach Deutschland zurückkam. Der Prozess dürfte dennoch spannend werden – insbesondere die Frage: Welcher Gruppierung hatte sich Ismail I. überhaupt angeschlossen?

Am 22. August 2013 flog der schwäbische Islamist, ein Berufsschulabbrecher und Gelegenheitsjobber in einem Fast-Food-Restaurant, von Düsseldorf in die türkische Stadt Gaziantep. Per Bus ging es anschließend weiter an die syrischen Grenze und letztendlich in das Bürgerkriegsland.

Nach eigenen Angaben nahmen ihn zunächst die Kämpfer der „Freien Syrischen Armee“ in Empfang, die den Neukömmling aus Deutschland allerdings schnell weitervermittelt haben sollen. An die Gruppe „Jaish al-Muhajirin wa al-Ansar“, eine islamistische Miliz, angeführt von dem gebürtigen Georgier Tarkhan Batirashvilli alias „Abu Omar al-Shishani“, der bereits im Kaukasus gegen die russische Armee gekämpft hatte. In der Organisation kämpfen nach Erkenntnissen westlicher Geheimdienste zu einem großen Teil Islamisten aus dem Kaukasus, Bosnien, Albanien und dem Kosovo.

In einem Ausbildungslager nahe Aleppo, getarnt als Flüchtlingscamp und offenbar genutzt von mehreren Rebellengruppen, soll Ismail I. rund drei Wochen lang ein Training zum Dschihad-Kämpfer absolviert werden. Danach sei er einer knapp zehnköpfigen Kampfeinheit zugeteilt worden, berichtete I. den Ermittlern im Verhör, angeführt von einem deutschen Konvertiten mit dem Spitznamen „Konny“.

Laut Bundesanwaltschaft soll sich Ismail I. nach seiner paramilitärischen Ausbildung an einem Kampfeinsatz nahe Aleppo beteiligt haben. Wo genau, das konnten die Ermittler bislang nicht herausfinden. In abgefangenen Chats mit seinem Bruder in Deutschland prahlte Ismail I. jedoch damit, in Gefechten die „dreckigen Ungläubigen zu demolieren“.

Irgendwann im Oktober 2013 soll der Islamist aus Baden-Württemberg von seinem „Emir“, dem Scharia-Beauftragten der „Jaish al-Muhajirin wa al-Ansar“, Abu Abdullah al-Shishani, den Befehl erhalten haben, nach Deutschland zurück zu kehren.

Am 21. Oktober reiste Ismail I. tatsächlich nach Stuttgart. Offenbar mit dem Auftrag, Spendengelder, Medikamente und anderes Material zu beschaffen, wie es in der Anklageschrift heißt. Zwei Tage nach seiner Rückkehr ließ I. per Überweisung einem Mittelsmann in Istanbul rund 600 US-Dollar zukommen, die letztendlich an den „Emir“ Abu Abdullah al-Shishani geflossen sein sollen. Der Dschihad-Kommandeur bedankte sich nach Erkenntnissen der Ermittler per Whatsapp-Nachricht für das Geld.

Ismail I. kontaktierte nach seiner Rückkehrer zudem den Deutsch-Afghanen Mohammad Sobhan A. aus Mönchengladbach, den er während einer gemeinsamen Pilgerreise kennengelernt hatte. A. erklärte sich nach Darstellung der Staatsanwaltschaft bereit, Ismail I. bei der Umsetzung seines Auftrages zu helfen. Und mit ihm nach Syrien zu kommen.

Bei einem Jagdausstatter und einem Army-Shop in Stuttgart kaufte I. Flecktarn-Kleidung und zwei Nachtsichtgeräte. Über eine Online-Apotheke soll er sich zudem mehr als 100 Skalpelle, ein Blutdruckmessgerät, Wund- und Heilsalbe sowie das blutungsstillende Medikament Celox beschafft haben.

Für 850 Euro kaufte Ismail I. anschließend einen gebrauchten Kombi, den sein Freund Mohammad Sobhan A. am 12.November 2013 bei der Zulassungsstelle in Mönchengladbach anmeldete und auf seinen Namen versichern ließ. Mit dem Auto fuhr er am nächsten Tag nach Stuttgart und holte Ismail I. und dessen Einkäufe ab. Gemeinsam setzten sie ihre Fahrt vor bis die Polizei sie auf der Raststätte bei Gruibingen stoppte.

„Am 13.November 2013 traten die Angeschuldigten Ismail I. und Mohammad Sobhan A. die Transportfahrt nach Syrien an“, so heißt es von der Bundesanwaltschaft.

Die Staatsanwälte glauben, dass Ismail I. ein Mitglied des „Islamischen Staates“ (IS) war. Eine Behauptung, die juristisch nicht ganz unheikel sein dürfte. Denn immerhin hatte sich die Gruppe „Jaish al-Muhajirin wa al-Ansar“ erst Ende November 2013 offiziell dem „Islamischen Staat“ angegliedert. Anführer Abu Omar al-Shishani schwor damals den Treueeid auf IS-Emir Abu Bakr al-Baghdadi und löste seine eigene Kampfeinheit auf. Rein zeitlich gesehen, war Ismail I. also offenbar kein IS-Mitglied als er im Oktober nach Deutschland zurückkehrte.

Die Bundesanwaltschaft sieht dies offenbar anders. Sie hält die Zugehörigkeit von I. zum IS insbesondere durch seine Selbstbezichtigungen für plausibel. Am 10.Oktober und am 1.November 2013 erklärte Ismail I. einem Bekannten in Deutschland auf Nachfrage per Whatsapp-Nachricht, er sei weiterhin in der „dawlat“. Das arabische Wort steht für „Staat“ und bezeichnet in dschihadistischen Kreisen die Organisation „Islamischer Staat“.

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Lesen Sie hier: Dschihad-Rückkehrer Teil 1 – „Du Blödmann!“ – Der Fall Kreshnik B.