von Florian Flade
In Stuttgart steht ein russisches Agentenpärchen vor Gericht. Zwei Jahrzehnte lang soll es spioniert haben. Kommuniziert wurde mit Moskau über Youtube-Kommentare – vor allem zu Fußballthemen.
Wo würden Sie geheime Nachrichten verstecken? Vielleicht in einem Schließfach oder in verschlüsselten E-Mails? Wohl dort, wo sie keiner vermuten würde. Oder dort, wo sie angesichts tausender anderer Nachrichten nicht auffallen. Wo die Botschaften in der unendlichen Masse der Nachrichten untergehen.
Heidrun und Andreas Anschlag wählten beide Wege. Seit dem 15.Januar muss sich das Paar vor dem Stuttgarter Oberlandesgericht verantworten. Der Vorwurf der Bundesanwaltschaft wiegt schwer: Spionage für Russland.
Die Anschlags, deren wahre Identitäten bis heute nicht bekannt sind, leben seit mehr als 20 Jahren in der Bundesrepublik. Er arbeitete als Ingenieur, sie war Hausfrau. Das Paar lebte zuletzt in Marburg und hat eine gemeinsame Tochter.
Für die Ermittler der Abteilung Spionageabwehr im Bundesamt für Verfassungsschutz steht fest, dass die Anschlags nach außen hin jahrzehntelang eine Lüge lebten. In Wahrheit sollen sie Agenten des russischen Auslandsnachrichtendienstes SWR sein. Ihre Aufgabe war das Gewinnen von Informanten und das Beschaffen von brisanten Dokumenten, etwa über die Pläne der Nato.
Nach Erkenntnissen der deutschen Sicherheitsbehörden kommunizierten die Anschlags regelmäßig mit ihren Auftraggebern in Russland. Während Andreas Anschlag seinem zivilen Beruf nachging, soll Heidrun Anschlag für die Kontaktaufnahme mit dem russischen Nachrichtendienst SWR zuständig gewesen sein.
Wie ein Satellit tief über dem Feindesland übermittelte sie an die „Bodenstation“ in Moskau Berichte und empfing wohl auch genaue Anweisungen. Die Kommunikation erfolgte meist per Kurzwellenempfänger, der an den heimischen Computer der Anschlags angeschlossen war. Er decodierte die Nachrichten aus Moskau.
„Das ist alte Schule“, sagt ein Ermittler der deutschen Spionageabwehr der „Welt“, „so hat schon der KGB seinen Agenten Anweisungen übermittelt.“
Was der KGB für seine operative Arbeit noch nicht kannte, war das Internet. Doch genau auf diesem Weg tauschten die Anschlags kurz vor ihrer Verhaftung im Oktober 2011 geheime Botschaften mit dem russischen Auslandsnachrichtendienst SWR aus. Sie nannten diesen Kommunikationsweg „Linie D1“.
Das russische Agentenpärchen nutzte dazu die beliebte Videoplattform Youtube. Am 8. Mai 2011 soll Heidrun Anschlag dort unter dem Namen „Alpenkuh1“ ein Nutzerkonto eröffnet haben. Sie verbreitete keine neuen Videoclips sondern kommentierte lediglich die Filme anderer. Mal auf Englisch. Mal auf Deutsch. Bis zu ihrer Festnahme hinterließ „Alpenkuh1“ bei fünf verschiedenen Videos Kommentare.
Dabei hatte die russische Agentin wohl ein Faible für eine bestimmte Art von Videos. Solche über den portugiesischen Fußballstar Cristiano Ronaldo. Videoclips die Millionenfach angeklickt und zehntausendfach kommentiert wurden. Ihre Hinterlassenschaften fielen hier nicht weiter auf.
Die Kommentare von „Alpenkuh1“ allerdings, so sagen die Ermittler, waren geheime Botschaften an den russischen Auslandsnachrichtendienst SWR. Moskau las, was „Alpenkuh1“ auf YouTube hinterließ.
Und nicht nur das. Der SWR antwortete wohl auch, indem der Nachrichtendienste selbst Kommentare unter den Videos schrieb – unter dem Pseudonym „Cristianofootballer“. Genau einen Monat vor „Alpenkuh1“ hatte sich dieser Nutzer bei Youtube registriert und exakt immer die gleichen Videos kommentiert.
„Es ist ein sehr nettes Video und das Lied ist auch sehr gut“, schrieb „Alpenkuh1“ beispielsweise unter ein Youtube-Video über Fußballstar Cristiano Ronaldo. „Ein großartiger Dribbelkünstler und Fußballer in der Welt“, kommentierte „Cristianofootballer“.
An einem anderen Tag schrieb „Alpenkuh1“: „Er rennt und spielt wie der Teufel“. „Cristianofootballer“ kommentierte „Na klar ist es nicht echt, aber sehr gute Werbung.“
Völlig banale Sätze und als Dialog gesehen, absolut harmlos. Nicht jedoch nach Erkenntnis der deutschen Spionageabwehr. Für die Ermittler steht fest: Hier schickten Spione und deren Auftraggeber Informationen hin und her. Öffentlich und trotzdem unauffällig.
Ein Ermittler berichtete in der vergangenen Woche vor dem Stuttgarter Oberlandesgericht, die sinnfrei erscheinenden YouTube-Kommentare der russischen Agenten beruhten offenbar auf einer komplexen Codesprache. Die Abfolge der Satzzeichen, so der Ermittlungsführer des BKA, lasse sich in eine Zahlenfolge übertragen. Hinter jeder Zahl stecke eine abgesprochene Botschaft.
Die Anschlags und ihre russischen Vorgesetzten gaben sich bei ihrem Austausch über Youtube nicht einmal besondere Mühe ihre Wohnsitze zu verschleiern. „Alpenkuh1“ gab, an aus Deutschland zu stammen. „Cristianofootballer“ registrierte sich als Nutzer aus Russland.
Durch die Berichterstattung über den spektakulären Fall der Anschlags sind inzwischen zahlreiche YouTube-Nutzer auf die mutmaßlichen Konten der Spione und des russischen SWR aufmerksam geworden. Hämisch und humoristisch hinterlassen sie Kommentare auf den Videokanälen.
„Hahaha genial! Hallo an den Geheimdienst!“, schreibt jemand an „Alpenkuh1“. „Alpha 3 an Alpha 5, bitte kommen“, spottet anderer YouTube-Nutzer. Während es an anderer Stelle eine gewisse Anerkennung mitschwingt: „Eins muss man den Russen lassen. Die Idee ist gar nicht mal so übel.“
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Der Artikel erschien ursprünglich am 18.Januar 2013 auf Welt.de
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