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Von Göttingen in den Tod

von Florian Flade

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Das Foto könnte eine Toyota-Werbung sein. Vier Geländewagen stehen in einer Reihe. Der Lack glänzt, die Autos sehen frisch poliert aus. Daneben stehen Männer – der jüngste ist wohl gerade siebzehn Jahre alt, der älteste wohl jenseits der Vierzig.

Die Männer sind Selbstmordattentäter des „Islamischen Staates“ (IS). Ihre Wagen sind Autobomben. In der vergangenen Woche haben sie damit den Stützpunkt einer schiitischen Miliz in Al-Hajjaj, südlich irakischen Stadt Baiji, attackiert. Es gab mindestens elf Tote.

Die Attentäter stammten laut IS aus unterschiedlichen Ländern: Großbritannien, Kuwait, den Palästinensergebieten – und aus Deutschland.

Auf einem Propagandafoto feiert der IS den deutschen Selbstmordbomber als „Märtyrer Abu Ibrahim al-Almani“. In Deutschland trug der Dschihadist noch einen anderen Namen: Jacek S.. Der gebürtige Pole lebte zuletzt im niedersächsischen Göttingen. Anfang 2014 soll er zum Islam konvertiert sein. Zuvor fiel der 26-jährige der Polizei durch Drogen- und Fahrzeugdelikte auf.

Im Oktober 2014 schließlich wurde der Verfassungsschutz auf Jacek S. aufmerksam. Aufgrund seines Facebook-Profils und den dortigen, radikalen Äußerungen. Wenige Monate später gab es erste Hinweise auf eine mögliche, bevorstehende Ausreise nach Syrien.

Irgendwann im April verschwand Jacek S. schließlich und reiste offenbar über Antalya zunächst nach Syrien, anschliessend in den Irak, wo er sich schließlich in die Luft sprengte.

pic160615_2Jacek S. aus Göttingen

Deutsche Sicherheitsbehörden identifizierten den Islam-Konvertiten am Montag anhand der Fotos, die der IS über Twitter am Wochenende verbreitet hatte. Wie zu erfahren ist, führt auch die Staatsanwaltschaft in Hannover ein Ermittlungsverfahren gegen S. und hat die Polizei beauftragt, den Fall aufzuklären.

Aus Niedersachsen waren bislang keine Islamisten als prominenten Akteure des IS in Erscheinung getreten. Die Zahl der nach Syrien und in den Irak ausgereisten Extremisten ist mit rund 30 Personen, die der Verfassungsschutz registriert hat, im bundesweiten Vergleich eher gering. Insgesamt gehen deutsche Sicherheitsbehörden von mindestens 780 Islamisten aus Deutschland aus, die sich zumindest zeitweise in der Bürgerkriegsregion aufgehalten halten, um sich am Dschihad zu beteiligen.

Der Göttinger Jacek S. ist nur der letzte Attentäter aus Deutschland, der bislang in den Reihen des IS einen Selbstmordanschlag verübte. Mindestens 15 Islamisten zählen Verfassungsschutz und Bundeskriminalamt (BKA) inzwischen in dieser Kategorie.

Erst im Mai gab der IS den Tod von Yannick P. bekannt, einem weiteren 23-jährigen Konvertiten aus Freiburg im Breisgau. Der Islamist war polizeibekannt, fiel wegen Körperverletzung und Drogendelikten auf, lebte zeitweise als Obdachloser auf der Straße. Dann geriet P. in salafistische Kreise und radikalisierte sich.

pic160615_3Yannick P. aus Freiburg

Im Oktober 2014 reiste P. über die Türkei schließlich nach Syrien. Vor wenigen Wochen vermeldete die Terrorgruppe IS, der Freiburger mit Kampfnamen „Abu Muhammed al-Almani“ habe – genau wie nun der Göttinger Jacek S. – in der irakischen Stadt Baiji einen Autobombenanschlag verübt.

 

Der Selbstmordattentäter Robert Baum

von Florian Flade

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Wo bleibt das Video? – diese Frage stellten sich viele Vertreter der deutschen Sicherheitsbehörden, als im Frühjahr erste Hinweise auftauchten, wonach der Solinger Konvertit Robert Baum mutmaßlich ein Selbstmordattentat in Syrien verübt hatte. Der 27-jährige Extremist sei geradezu prädestiniert, um für die Propaganda des „Islamischen Staates“ missbraucht zu werden. Aber auf ein Video der Tat oder eine Art Abschiedsbotschaft wartete man vergeblich. Bis am Dienstagabend schließlich ein deutschsprachiges Video des IS im Netz auftauchte.

„Unser Staat ist siegreich“, so lautet der Titel der fünfminütigen Propagandaaufnahme. Darin zu sehen ist für einen kurzen Augenblick auch Robert Baum. Mit Brille und Strickmütze sitzt er am Steuer eines Fahrzeugs, das zur Autobombe umgebaut wurde. Neben der Handbremse sind Kabel und Drähte zu sehen. Und wohl der Knopf, mit dem die Bombe gezündet wird. „Wir wünschen uns den Tod, mit einem Knopf geht alles hoch“, singt eine Stimme aus dem Off. In der nächsten Szene ist eine Explosion zu sehen. Die Autobombe verwandelt sich in einen Feuerball.

Ende Januar soll Robert Baum alias „Uthman al-Almani“ einen Selbstmordanschlag im syrischen Dorf Al-Kafaat verübt haben. Auf Twitter feierten IS-Sympathisanten die Tat des deutschen Dschihadisten, der zahlreiche Menschen mit in den Tod gerissen haben soll. In einem IS-Propaganda-Magazin fand der Anschlag wenig später ebenfalls Erwähnung.

Das Suizidattentat ist der traurige Höhepunkt in der Radikalisierung des Solingers Robert Baum. Im Jahr 2009 war er zum Islam konvertiert und hatte sich fortan stark radikalisiert. Zusammen mit einem Glaubensbruder reiste Robert Baum im Sommer 2011 nach Großbritannien und wurde bei der Einreise verhaftet. Im Gepäck fand die Polizei unter anderem einen Laptop mit Bombenbau-Anleitungen der Al-Qaida. Deren Besitz ist im Vereinigten Königreich – anders als in Deutschland – strafbar. Baum und sein Mitstreiter Christian E. wurden zu Haftstrafen verurteilt.

Nach acht Monaten Haft kehrte Baum schließlich nach Deutschland zurück. Er kehrte in die salafistische Szene zurück und wurde ein Anhänger der Gruppierung Millatu Ibrahim. In Fußgängerzonen beteiligte sich der Konvertit an Koran-Verteilaktionen. Sein neues Zuhause wurde eine Solinger Hinterhof-Moschee, die als Zentrum von Millatu Ibrahim gilt. Der Verein wurde schließlich im Juni 2012 vom Bundesinnenministerium verboten. Zahlreiche Anhänger der islamistischen Gruppierung, darunter auch Robert Baum, setzten sich daraufhin nach Ägypten ab. Sein Weg führte den Solinger anschließend offenbar weiter nach Syrien.

„Jetzt kann die Reise starten“

von Florian Flade

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Das Foto zeigt einen jungen Mann mit dickem, lockigen Haar. Er trägt ein T-Shirt und eine helle Hose. Auf seiner Schulter lastet eine RPG-Panzerfaust. Den Zeigefinger der linken Hand streckt er nach oben. Die Geste, die den Glauben an den einen, einzig wahren Gott, verdeutlichen soll. „Sooo jetzt kann die Reise starten“, schrieb der Islamist noch in der vergangenen Woche auf Facebook. Vor wenigen Tagen verschwand dort sein Profil.

Die Reise führte den Mann, der sich „Abu Taymiyyah al-Almani“ nannte, offenbar in den Tod. Er sprengte sich wohl als Selbstmordattentäter im Irak in die Luft. Kämpfer der Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS) verkündeten am Samstag im Internet die Bluttat des Gotteskriegers aus Deutschland.

„Der Bruder Abu Taymiyyah al-Almani hat mit einer Autobombe (Geländewagen) mit mehr als einer Tonne Sprengstoff einen Panzer angegriffen“, erklärte ein offenbar dem IS angehöriger Islamist im Internet. Bis zu 15 irakische Sicherheitskräfte sollen bei dem Anschlag in der nordirakischen Stadt Baiji getötet worden sein.

Bei dem Attentäter handelt es sich nach meinen Informationen um einen irakisch-stämmigen Islamisten aus Nordrhein-Westfalen, der wohl schon im vergangenen Jahr in Richtung Syrien ausgereist war und sich dem „Islamischen Staat“ angeschlossen hatte. Der Islamist soll sich zuletzt in der vom IS kontrollierten Stadt Mossul im Nord-Irak aufgehalten haben.

Die südlich von Mossul gelegene Stadt Baiji ist seit mehreren Tagen heftig umkämpft. Irakische Regierungstruppen starteten mit der Unterstützung durch die US-Luftwaffe eine Offensive gegen die Terroristen des IS. Nach Angaben des irakischen Militärs zogen sich die IS-Terroristen am Samstag aus dem Stadtzentrum zurück.

Baiji ist damit die erste irakische Großstadt die durch Regierungstruppen zurückerobert werden konnte. Die Dschihadisten des IS hatten Baiji im Juni weitestgehend eingenommen und kontrollierten auch die wichtigen Öl-Raffinerien der Stadt.

Nach Angaben deutscher Sicherheitsbehörden sollen sich mehr als 450 Islamisten aus Deutschland inzwischen dem „Islamischen Staat“ angeschlossen haben. Mehr als 30 Extremisten sollen bislang getötet worden sein. Zudem gehen Verfassungsschutz und Bundeskriminalamt davon aus, dass bereits rund zehn deutsche Dschihadisten im Irak und Syrien Selbstmordattentate verübt haben.

Unter den Suizidattentätern waren der Berufsschüler Philipp B. aus Dinslaken, der Solinger Konvertit Robert B. und der Student Rachid B. aus Frankfurt am Main.

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Dieser Artikel erschien zuerst am 15. November 2014 auf WELT Online.

http://www.welt.de/politik/ausland/article134379541/Islamist-aus-NRW-veruebt-Selbstmordanschlag.html