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Vier Jahre nach dem Terroranschlag am Breitscheidplatz: Was hat sich getan?

Am vergangenen Samstag jährte sich der Terroranschlag am Weihnachtsmarkt auf dem Berliner Breitscheidplatz zum vierten Mal. Zwölf Menschen wurden am 19. Dezember 2016 ermordet als ein polizeibekannter Islamist mit einem gekaperten Lastwagen über den Platz raste. Es war der bislang schwerste islamistische Anschlag in Deutschland. „Wir wollen nicht damit leben, dass uns die Angst vor dem Bösen lähmt“, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel tags darauf. Und versprach Aufklärung der Tat. „Sie wird aufgeklärt werden – in jedem Detail, und sie wird bestraft werden, so hart es unsere Gesetze verlangen.“

Vier Jahre später sieht die Bilanz jedoch anders aus. Niemand wurde für den Terrorakt vom Breitscheidplatz bestraft. Der Attentäter selbst war durch mehrere europäische Länder geflohen und einige Tage nach der Tat in Italien von Polizisten erschossen worden. Bislang haben die Sicherheitsbehörden keine Helfer oder Mitwisser in Deutschland ermittelt – lediglich der IS-Terrorist Meher D. alias „moumou1“, der Anis Amri per Handychat bei seinem Attentat angeleitet haben soll, konnte wohl identifiziert werden. Der Generalbundesanwalt hat einen Haftbefehl gegen den Tunesier erlassen. Es ist weder bekannt, ob diese Person, die als „Mentor“ bezeichnet wird, noch lebt – oder wo sie sich aufhält.

Nicht ermittelt werden konnte jedoch, woher Amri die Pistole hatte, mit der er den polnischen Lkw-Fahrer erschoss, bevor er dessen Sattelschlepper kaperte. Unklar ist außerdem, warum Amri noch einmal in die Fussilet-Moschee ging, bevor er zum späteren Tatort fuhr – und was er in der Moschee gemacht hat. Ein blinder Fleck bleibt auch die erste Strecke der Flucht des Terroristen nach seiner Tat. Es konnte nicht ermittelt werden, wie Amri aus Berlin nach Nordrhein-Westfalen kam und ob er dabei eventuell Hilfe bekam.

Hinzu kommen viele weitere Fragen, die bis heute bestehen: Hatte Amri tatsächlich keinen seiner Freunde oder Bekannte in seine Pläne eingeweiht? Warum wurde das Portemonnaie des Islamisten erst so spät in der Fahrerkabine des Lastwagens entdeckt? Seit wann hatte ein ausländischer Geheimdienst die Handyvideos, in denen Amri wohl schon Wochen vor seiner Tat einen Terroranschlag ankündigte und mit der Pistole hantierte? Hatte Amri möglicherweise Hilfe bei seiner Flucht aus dem kleinkriminellen Milieu? Warum wurden diverse V-Leute, die Verfassungsschutz- und Polizeibehörden im weiteren Umfeld des Terroristen führten, nicht direkt auf den späteren Attentäter angesetzt?

Drei Untersuchungsausschüsse – im Bundestag, im Abgeordnetenhaus in Berlin und im Landtag von Nordrhein-Westfalen – bemühen sich seit mehreren Jahren um die Aufklärung des Anschlags am Breitscheidplatz. Zahlreiche Zeugen aus der Politik, aus den Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern wurden gehört, ebenso Sachverständige, sogar ehemalige Weggefährten des Attentäters und ein langjähriger V-Mann, der schon früh vor Amri gewarnt hatte.

Ziel der Arbeit der parlamentarischen Untersuchungen ist es, etwaige Versäumnisse, Fehler und Missstände aufzudecken, die möglicherweise die Tat erst möglich machten – und deren Aufklärung erschweren. Immer wieder betonen dabei einige Ausschussmitglieder, ihnen gehe es nicht um bloße Schuldzuweisung an Behördenvertreter oder Politiker, sondern auch darum, dass sich etwas die Sicherheitsarchitektur der Bundesrepublik verbessere. So, dass ein solcher Anschlag zukünftig verhindert werden kann.

Was aber hat sich in den Behörden seit dem Attentat am Breitscheidplatz verändert?  Weiterlesen

Die Tschetschenen kommen – oder nicht?

von Florian Flade

Am Samstag drohte nicht nur der Regen, den Fußballfans die Laune zu verderben. Eine Terrorwarnung geisterte durch die Medien. Islamisten planten womöglich einen Anschlag auf die Berliner Fanmeile. Was ist dran, an der Meldung?

pic27052013Emblem des russischen Inlandsnachrichtendienstes FSB

Sechs Wochen ist es her, da rissen zwei Bomben während des Bostoner Marathons drei Menschen in den Tod und verletzten über 250 weitere teilweise schwer. Die Bombenleger: Tamerlan und Dhzokhar Zarnajew, Brüder mit tschetschenischen Wurzeln. Vermutlich islamistisch motiviert.

Der Terroranschlag von Boston kam für die US-Behörden wie aus dem Nichts. Dabei hatte es bereits zwei Jahre zuvor konkrete Hinweise auf einen der Bombenleger gegeben. Der russische Inlands-Nachrichtendienst FSB wandte sich im März 2011 an einen Verbindungsbeamten des FBI in der amerikanischen Botschaft in Moskau. Ein in den USA lebender mutmaßlicher Islamist habe sich vermutlich „starb verändert“, sprich radikalisiert, und plane eine Reise in den Kaukasus, um sich dort einer Terrorgruppe anzuschließen. Gemeint war Tamerlan Zarnajew.

Das FBI besuchte die Familie Zarnajew und befragte Tamerlan. Ohne Ergebnis. Es gab keine Hinweise, so heißt es von Seiten des FBI, dass der Kaukasier ein Terrorist sei. Kurze Zeit später erfolgte eine zweite Anfrage der russischen Behörden zu Tamerlan Zarnajew, diesmal bei der CIA. Wieder ergaben sich keine Beweise für terroristische Aktivitäten. Die US-Behörden nahmen Zarnajew dennoch auf eine Warnliste auf.

Hannover am vergangenen Donnerstag, 23.Mai 2013. Die Innenminister-Konferenz (IMK) tagt. Mit dabei auch der Präsident des Bundeskriminalamtes, Jörg Ziercke. Er bittet die Innenminister des Bundes und der Länder an jenem Tag in einer kleinen, vertraulichen Runde zusammen zu kommen. Der BKA-Chef möchte über die Terrorgefahr in Deutschland sprechen. Aus konkretem Anlass.

Die Kollegen des russischen FSB hätten das BKA vor kurzem kontaktiert, so berichtet Ziercke der Runde. Es gebe Hinweise über möglicherweise geplante Terroranschläge in Deutschland. Die Russen hätten einige Telefonate zwischen radikalen Islamisten abgehört und dabei beunruhigende Informationen aufgegriffen.

Konkret soll es um drei Islamisten aus der Kaukasus-Republik gehen. Alle drei besäßen Mobiltelefone mit deutschen SIM-Karten. Möglicherweise seien die Personen auf dem Weg nach Deutschland. Ein Islamist halte sich vermutlich bereits in der Bundesrepublik auf.

Ein deutsches Nachrichtenportal vermeldete am Samstagvormittag, das BKA warne vor einem möglichen Terroranschlag auf der Fanmeile in Berlin während des Champions-League Finales. Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) ruderte umgehend zurück. Es gäbe keine konkreten Hinweise auf Anschlagspläne und demnach auch keinerlei Grund zur Panik.

Und tatsächlich waren die Informationen des FSB eher vage und keineswegs konkret, was den Ort und den Zeitpunkt eines etwaigen Terroranschlags betrifft. Es gab keine Hinweise, dass explizit Fußball-Fans im Visier der Islamisten stehen. Nicht einmal, wie weit die Terrorpläne fortgeschritten sind, war aus dem russischen Hinweis ersichtlich.

Trotzdem nahm das BKA die Warnung aus Moskau durchaus ernst. Gemeinsam mit den Kollegen des Verfassungsschutzes wurde umgehend nach den kaukasischen Extremisten gesucht. Wer könnte der potentielle Terrorist sein? Hält er sich in Deutschland auf? Falls ja, wo?

Mittlerweile, so ist aus Sicherheitskreisen zu vernehmen, ist zumindest eine der Personen, ein gebürtiger Tschetschene, identifiziert worden.

Die Ereignisse von Boston haben weltweit Konsequenzen innerhalb der Sicherheitsbehörden. Für die deutschen Vertreter des Verfassungsschutzes und des Bundeskriminalamtes bedeutet dies: es kam vor kurzem zu Gesprächen mit den russischen Kollegen über die Gefahr, die von kaukasischen Islamisten ausgeht.

Niemand soll sagen können, man sei nicht gewarnt worden. So lässt sich vermutlich auch Zierckes Unterrichtigung der IMK-Runde verstehen. Das FBI ging Hinweisen aus Russland wohl nicht energisch genug nach. Sonst hätte man Tamerlan Zarnajew wohl wesentlich früher im Visier gehabt.

Der Fall der jüngsten Terrorwarnung zeigt, wie ernst deutsche Sicherheitsbehörden die Hinweise ausländischer Partnerdienste nehmen. Auch jene aus Russland, deren Nachrichtendienste nicht unbedingt in allen Bereichen – insbesondere der Spionage – als Partner verstanden werden.

Dass aber die Kooperation zwischen deutschen und russischen Terroristenjägern seit Jahren gut und solide funktioniert, ist in der Sicherheits-Community kein Geheimnis. Der Kampf gegen den islamistischen Terrorismus wird sowohl in Berlin als auch in Moskau als eine absolute Priorität betrachtet.

Wenn es darum geht, die Reisebewegungen von Dschihadisten zu verfolgen, Terrorzellen zu idenitifzieren oder Unterstützernetzwerke aufzudecken, so hört man aus den Behörden, dann arbeitet die russische Seite geradezu vorbildlich mit den deutschen Kollegen von BKA, BfV und BND zusammen. Wie ein Beispiel aus dem Oktober 2010 zeigt.

Abschließend bleibt zur Terrorwarnung zum Champions-League-Finale zu sagen: Informationen über potentielle Terroristen und deren Anschlagspläne gibt es regelmäßig. Nicht immer sind sie belastbar. Manchmal entsteht unnötig Hysterie. Insbesondere wenn Informationen nach draußen sickern.

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Dieser Artikel erschien am 27.Mai 2013 auf „Heise Telepolis“

http://www.heise.de/tp/artikel/39/39207/1.html

Der Bombenleger von Bonn

von Florian Flade

„Wir glauben, dass wir ihn haben. Wir können es ihm nur noch nicht nachweisen“, sagte mir ein BKA-Mann vor knapp einem Monat. Gemeint war der Bombenleger vom Bonner Hauptbahnhof. Seit nunmehr fast sechs Monaten jagt die „BAO Tasche“ des Bundeskriminalamtes nach jenem mysteriösen Unbekannten, der am 10.Dezember 2012 am Gleis 1 des Hauptbahnhofs in Bonn eine blaue Sporttasche deponierte, in der sich ein Sprengsatz befand. Die Bombe, bestehend aus einem mit Ammonium-Nitrat gefüllten Metallrohr, mehreren Gaskartuschen, Batterien, einem Plastikwecker und unzähligen Nägeln explodierte glücklicherweise nicht.

Drei Überwachungskameras hatten den Bombenleger gefilmt. Eine in einer McDonald´s-Filiale, zwei im Inneren des Bahnhofs. Zu sehen war ein bärtiger Mann mit Strickmütze und Handschuhen, beigefarbener Jacke, schwarzer Joggingshose und der blauen Sporttasche. Videoanalysen förderten keinen entscheidenden Treffer zu Tage.

War der Bombenleger ein radikaler Islamist? Ein Neonazis? Ein militanter Anarchist?

Zwei verdächtige Deutsch-Somalier, die von Augenzeugen gegenüber der Polizei erkannt worden sein sollen und als islamistische Sympathisanten galten, erwiesen sich schnell als unschuldig. Allgemein konnte die Person auf den Videos der Überwachungskameras keinem bekannten Extremisten irgendeiner Szene zugerechnet werden. Das BKA bat daher die Bevölkerung um Mithilfe bei der Jagd nach dem Bombenleger. Ohne Erfolg. Es gingen Hinweise ein. Keiner jedoch war für die Ermittlungsarbeit entscheidend.

Wichtiger waren die Experten des BKA. Sie nahmen den Sprengsatz in seine Einzelteile auseinander und begannen eine akribische Kleinarbeit. Fingerabdrücke, DNA-Spuren, jeder noch so kleine Hinweis könnte den Durchbruch bringen. Das BKA ging dabei früh der simplen Frage nach: Woher stammen die Bomben-Bestandteile?

Der Wecker, der offenbar als Zeitzünder fungieren sollte, war ein Massenprodukt. Die verwendeten Batterien, so konnte das BKA ermitteln, wurden in maximal 18 Filialen von „Aldi-Süd“, auch in Bonn, verkauft. Dort jedoch zehntausendfach. Die blaue Sporttasche wiederum war als eine Kombo zusammen mit einer Laptop-Tasche über den „Weltbild“-Verlag erhältlich. Wurde allerdings auch tausendfach bundesweit verkauft.

In der Tasche mit dem Sprengsatz stieß das BKA noch im Dezember 2012 auf ein Haar. Das erwies sich allerdings als wenig brauchbar. Nur dass der Bombenleger männlich war, aus Europa oder Nordamerika stammte und seine Haare gefärbt hatte, war klar. Die Videoaufzeichnungen aus dem Bahnhof waren ebenfalls nicht wirklich nützlich. BKA-Experten konnten anhand der Aufnahmen einzig feststelle, dass die verdächtige Person maximal circa 1,72 m groß.

Während die „BAO Tasche“ ihre Ermittlungen vorantrieb, setzte am 13.März in der Nähe von Leverkusen ein Sondereinsatzkommando der Polizei zwei radikale Salafisten fest. Die beiden Männer, der Konvertit Marco René G. und der Albaner Enea B., planten einen Mordanschlag auf Markus Beisicht, den Vorsitzenden der als rechtspopulistisch geltenden Splitterpartei „Pro NRW“.

Zeitgleich verhaftete die Polizei in G.´s Wohnung in Bonn-Tannenbusch den Deutsch-Türken Koray Nicholas D. und in Essen einen weiteren Salafisten, den 23-jährigen Tayfun S.. Die vier Männer, so die Erkenntnis der Ermittler, bildeten eine islamistische Terrorzelle. Schon seit Monaten hatten der Verfassungsschutz und das nordrhein-westfälische LKA das Salafisten-Quartett im Visier.

Der aus Oldenburg stammende Marco René G. lebt seit Juli 2011 in Bonn. Er wurde von den Ermittlern als möglicher Kopf der Gruppe identifiziert. Sie verwanzten sein Auto und beobachteten ihn und seine Glaubensbrüder bei Fahrten zu einschlägigen Moscheen in Bonn und Essen. Ursprünglich vermuteten die Ermittler, G. und die anderen planten womöglich Raubüberfälle. Schnell wurde klar: das eigentliche Ziel der Salafisten war die Ermordung von islamfeindlichen Politikern.

Marco René G. wohnte im Bonner Stadtteil Tannenbusch mit seiner Frau, einer Deutsch-Türkin, und dem gemeinsamen dreijährigen Sohn. Als die Polizei am 13.März die Wohnung am Memelweg stürmte, traf sich dort nur auf Koray D., der eine scharfe Waffe, Fabrikat „Ceska“, bei sich trug. Der 24-jährige Arabistik-Student aus Wülfrath setzte sich nicht zur Wehr und konnte festgenommen werden.

Bei der anschließenden Durchsuchung der Wohnung fanden die Ermittler neben Gaspistolen, einer kugelsicheren Weste und einer Art „Todesliste“ mit neun Namen von Pro-NRW-Aktivisten, auch rund 600 Gramm Ammonium-Nitrat. Jener Sprengstoff, der auch vom Bonner Bombenleger im Dezember 2012 verwendet wurde. War es also durch einen Zufall gelungen, den Attentäter von Bonn festzunehmen?

Laboruntersuchungen ergaben, dass es sich um eine „ähnliche“ aber nicht dieselbe Substanz handelte, wie in der blauen Sporttasche am Bonner Hauptbahnhof. Könnte der Konvertit Marco G. dennoch etwas mit dem missglückten Anschlag vom Dezember 2012 zu tun haben?

Die Hinweise mehrten sich. Ermittler fanden beispielsweise eine Laptop-Tasche, die über den Versandhandel „Weltbild“ zusammen mit der blauen Sporttasche als Kombination verkauft wurde. Auch die Körpergröße von G. passt zu jenem Mann, den Überwachungskameras am Bonner Bahnhof gefilmt hatten. Für die Tatzeit soll der Salafist zudem kein Alibi haben.

Beweise sind all dies jedoch nicht. Die sollen vor kurzem die Laboranten der Kriminaltechnischen Untersuchung des BKA geliefert haben. Wie das Nachrichtenmagazin „Stern“ berichtet fanden die Spezialisten auf dem Metallrohr, das im Sprengsatz von Bonn verwendet wurde, DNA einer männlichen Person. Sie stimmt zwar nicht mit Marco René G. überein, gehört aber zu einer Person, die eng mit dem Salafisten verwandt sein soll – seinem dreijährigen Sohn. Auf dem Plastikwecker aus der Bombe fand sich außerdem eine weibliche DNA-Spur, die zu G.´s Ehefrau führt.

Noch lauten die Vorwürfe der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe gegen Marco René G. und vier Komplizen „Bildung einer terroristischen Vereinigung“, „Verabredung zum gemeinschaftlichen Mord“, „Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Tat“ und „Verstoß gegen das Waffengesetz“.

Bald nun dürfte der misslungene Terroranschlag vom Dezember 2012 hinzu kommen.