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Operation „Vertrauen gewinnen“

Österreich hat seinen Inlandsgeheimdienst neu aufgestellt. Die Vorgängerbehörde war durch zahlreiche Skandale in Verruf geraten. Wie steht es um das Vertrauen der europäischen Partner heute?

Von Florian Flade

Diese Woche treffen sie sich wieder einmal, die Chefs der europäischen Inlandsnachrichtendienste. Berner Club, so heißt das Format. Eine geheime, verschwiegene Runde, in der über aktuelle Themen und Bedrohungen gesprochen wird – und über die Zusammenarbeit zwischen den Diensten. Diesmal soll es auch um den Ukraine-Krieg gehen und Spionage durch Russland. Und erneut um das Sorgenkind unter Europas Geheimdiensten: Österreich.

In den vergangenen Jahren hatten zahlreiche Skandale den österreichischen Inlandsgeheimdienst, das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT), in Verruf gebracht. Es ging um offensichtlich korrupte Beamte, verratene Dienstgeheimnisse, eine fragwürdige Hausdurchsuchung in der Behörde, beschlagnahmte Dokumente und Festplatten, um dubiose Beziehungen und Seilschaften von Geheimdienstlern zu Politikern und Geschäftsleuten wie dem flüchtigen Wirecard-Vorstandsmitglied Jan Marsalek, um lasche Sicherheitsvorkehrungen in der Behörde und Fehler bei der Terrorismusabwehr im Vorfeld des Anschlags von Wien im November 2020.

Das Vertrauen der europäischen Partner in die österreichischen Spione war tief erschüttert worden. So sehr, dass das BVT schließlich aus dem Berner Club ausgeschlossen wurde, in dem es seit 1993 Mitglied war. Österreichs Inlandsdienst war fortan nicht mehr in die Kommunikationsnetzwerke des Geheimdienst-Verbunds eingebunden, die Zusammenarbeit wurde in den meisten Bereichen auf ein Minimum beschränkt.

Ein Neuanfang soll es nun regeln. Seit Dezember gibt es das BVT nicht mehr. Österreich hat jetzt einen neuen Inlandsgeheimdienst, die Direktion für Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN).

„Morgen ist ein historischer Tag im sicherheitspolitischem Sinne“, sagte der österreichische Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) zur Reform des Inlandsdienstes, der seinem Ministerium unterstellt ist. Es sei die „große Herausforderung, den Verfassungsschutz völlig neu aufzubauen“ gelungen. Die Vorgängerorganisation BVT „war die Schutzmauer der Republik, aber sie ist brüchig geworden“, so Nehammer.

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Das Terrornetzwerk „Löwen des Balkan“

Der Attentäter von Wien soll zu einem europäischen Islamisten-Netzwerk gehört haben, das schon länger im Blick der Behörden steht. Nun wurde bei zwei Kontaktpersonen in Deutschland durchsucht, sie gelten als mögliche Mitwisser des Terroristen.

Von Florian Flade

Kujtim F., der spätere Attentäter von Wien im Juli 2020

Die Fotos zeigen junge Männer, die durch die Straßen von Wien schlendern. Sie lachen, scherzen. Österreichische Verfassungsschützer haben die Aufnahmen im Sommer 2020 heimlich gemacht. Sie ahnten damals wohl noch nicht, dass einer der Männer, die sie fotografierten, wenige Monate später einen Terroranschlag begehen, vier Menschen ermorden und rund zwanzig weitere teils schwer verletzten wird.

Mitte Juli 2020 meldete sich das deutsche Bundeskriminalamt (BKA) beim österreichischen Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT). Zwei Islamisten aus Deutschland würden wohl bald nach Österreich reisen, so der Hinweis. Ihr Flug mit WizzAir würde am 16. Juli 2020, um 18.20 Uhr in Dortmund starten, laut Fluggastdaten würden sie wohl gegen 20 Uhr in Wien landen. Die deutschen Ermittler baten ihre österreichischen Kollegen darum, die Männer zu observieren. 

Beim BKA ging man zunächst davon aus, dass die beiden Islamisten aus Osnabrück und Kassel wohl einen alten Bekannten in Wien besuchen würden. Einen Extremisten, der aus Norddeutschland stammt aber seit einiger Zeit in der österreichischen Hauptstadt lebte. Teilweise standen sie mit ihm über eine WhatsApp-Gruppe in Kontakt, in der Propagandavideos der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) verbreitet wurden.

Die österreichischen Verfassungsschützer warteten am Wiener Flughafen Schwechat als die Reisenden aus Deutschland eintrafen. Dabei stellten sie fest, dass die Islamisten offenbar abgeholt wurden. Jedoch nicht wie erwartet von dem norddeutschen Bekannten (der im Oktober 2020 schließlich nach Deutschland abgeschoben wurde), sondern von zwei anderen Islamisten mit einem blauen Ford Focus Kombi. Einer davon war Kujtim F., der spätere Attentäter von Wien. 

Was sich in den folgenden Tagen vor den Augen der österreichischen Observanten in Wien abspielte, war eine ungewöhnliche Zusammenkunft europäischer Islamisten. Nicht nur aus Deutschland waren zwei behördenbekannte Extremisten angereist, auch zwei Männer aus der Schweiz waren dabei. Sie trafen sich in Wien mit Personen aus der dortigen islamistischen Szene, übernachteten bei ihren Glaubensbrüdern, gingen gemeinsam in die Moschee, machten Sport im Park.

Beim BKA in Deutschland nahm man das Dschihadisten-Treffen in Wien im Sommer 2020 mit großem Interesse zur Kenntnis. Für die Ermittler war es ein weiteres Indiz dafür, dass sich da etwas zusammenbraute. Schon seit einiger Zeit vermuteten sie, dass in Europa möglicherweise eine neue terroristische Struktur entstehen könnte, ein Netzwerk von potentiellen Terrorzellen. Nach Erkenntnissen der Ermittler hatte man es offensichtlich mit einer neuen Generation von Dschihadisten zu tun. Mit jungen Männern, viele davon mit familiären Wurzeln auf dem Balkan und im Kaukasus, die augenscheinlich dabei waren, sich zu vernetzen. 

Dazu gehörten einige bereits behördenbekannte Islamisten. Sie hatten sich teilweise schon als Jugendliche an der umstrittenen Koran-Verteilaktion „Lies!“ beteiligt, manche sollen geplant haben nach Syrien und in den Irak auszureisen. Einige sollen es geschafft haben, viele kannten zumindest Dschihadisten, die sich tatsächlich der Terrororganisation IS angeschlossen hatten und nach Europa zurückgekehrt waren. In Verbindung gestanden haben sollen diese Personen vor allem virtuell, über Chatgruppen und andere Kommunikationskanäle. 

Das Netzwerk, das in den Fokus der Ermittler geriet, wird „Löwen des Balkan“ genannt. Im BKA wurde schon vor mehr als einem Jahr ein Gefahrenabwehrvorgang namens „Metapher“ ins Leben gerufen, um diese islamistischen Strukturen weiter aufzuklären. Auch der spätere Wien-Attentäter Kujtim F. soll zu diesem Netzwerk gehört haben, ebenso mehrere Terrorverdächtige, die im vergangenen Jahr in Nord-Mazedonien festgenommen wurden, und der Tadschike Komron Z., der im August 2020 in Albanien festgenommen worden war und zu einer tadschikischen IS-Zelle gehören soll, die laut Anklage des Generalbundesanwalts Anschläge in Deutschland geplant haben soll.

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„Wir sehen uns im Paradies“

von Florian Flade

Der Dschihad ist keine Männer-Domäne mehr. Junge Frauen und Mädchen aus Europa zieht es in den syrischen Bürgerkrieg. Getrieben vom Wunsch, einen Dschihadisten zu heiraten, zur Gotteskriegerin zu werden oder schlichtweg um zu sterben.

pic190414Samra K. (Quelle: Interpol)

Ein Kinderzimmer irgendwo in Wien. Im Hintergrund ist ein Schreibtisch zu sehen, darauf ein Computerbildschirm, ein Becher voller Stifte, eine rosa Schachtel in Herzform. Das typische Zimmer einer 16-jährigen Schülerin.

Doch etwas stört das Foto. Über dem Schreibtisch hängt kein Poster von einem Rockstar oder Ausschnitte aus Mode-Zeitschriften, sondern eine schwarze Flagge mit dem islamische Glaubensbekenntnis in arabischer Schrift und mit einem Schwert.

In die Kamera blickt eine junge Frau. Sie ist komplett erhüllt. Nur durch einen Sehschlitz sind die grünen Augen von Samra K. zu sehen. Das Bild stammt vom Facebook-Profil der österreichischen Teenagerin.

Samra lebt nicht mehr in Wien, der Stadt in die ihre Eltern in den 1990er Jahren aus dem Bürgerkrieg in Bosnien geflohen sind. Die 16-jährige stieg am 10.April gemeinsam mit ihrer 15-jährigen Freundin Sabina S. in ein Flugzeug, das die Schülerinnen in die Türkei brachte.

Ihren Eltern hinterließen die Mädchen Abschiedsbriefe. Deren Inhalt lässt erahnen, weshalb Samra und Sabina klammheimlich von zuhause verschwanden. “Wir sind auf dem richtigen Weg”, schreiben sie, “Wir gehen nach Syrien, kämpfen für den Islam. Wir sehen uns im Paradies.”

Zwei minderjährige Schülerinnen auf dem Weg in den syrischen Bürgerkrieg. Zurück bleiben verzweifelte Eltern, die sich voller Sorge an die österreichischen Behörden wandten. Inzwischen führt Interpol die Wienerinnen auf der Liste der vermissten Personen.

Österreichische Sicherheitsbehörden gehen davon aus, dass Samra und Sabina in der türkischen Stadt Adana reisten, bevor sie rund um den 13.April die Grenze nach Syrien überquert haben. Nun sollen sie gemeinsam mit anderen Dschihadisten aus Europa irgendwo in Nord-Syrien leben.

Die letzten Lebenszeichen fanden sich auf den inzwischen gelöschten Facebook-Profilen der Schülerinnen. Sie seien nun verheiratet, verkündeten sie dort. Posten Fotos von Waffen und Katzen.

“Ich habe in Wien gelebt, bis Allah mich rief und ich den Ruf erhörte und ich mich auf dem Weg zum Boden der Ehre machte”, heißt es in einem Posting. “Wir leben in Häusern, die eure Vorstellungen übertreffen, wir haben hier alles, wir leben voller Stolz.”

Der Fall der Wiener Dschihadistinnen ist nur der letzte Hinweis auf einen Trend, den Sicherheitsbehörden in Europa seit einigen Monaten verstärkt registrieren.

Im Februar schrieb ich das erste Mal über junge Frauen und Mädchen, die in den syrischen Bürgerkrieg gezogen sind, beseelt vom Wunsch eine “Mudschahida”, eine Gotteskriegerin zu werden, oder einen Dschihadisten zu heiraten.

In der klassischen Rollenverteilung agierten Frauen innerhalb der islamistischen Szene bislang eher als Unterstützerinnen, als Mütter, Hausfrauen, teils auch als Propagandistinnen. Der deutsche Verfassungsschutz hat jedoch eine steigende Zahl von Frauen und Mädchen registriert, die aus “eigener islamistischer Motivation” in Dschihad-Gebiete reisen. Rund zwanzig Islamistinnen soll es mittlerweile nach Syrien gezogen haben.

Als das afghanisch-pakistanische Grenzgebiet Waziristan noch als attraktivstes Reiseziel von militanten Islamisten galt, reisten Frauen meist nur an der Seite ihrer Ehemänner oder Brüder. Nach dem Tod oder der Verhaftung der Ehemänner, heirateten viele Islamistinnen einen anderen Dschihadisten oder mussten häufig alleine nach Deutschland zurückkehren.

In Syrien ist die Situation eine andere. Aufgrund der Nähe zu Europa und der recht einfachen Anreise per Flugzeug oder auf dem Landweg in die Türkei und anschließend über die Grenze, ist die Region ein populäres Ziel auch alleinreisender Frauen. Ein Umstand, der Sicherheitsbehörden beunruhigt.

Es galt bislang in der islamistischen Szene die Prämisse, dass eine Frau sich nicht einfach so auf Reisen begeben darf. “Nach konservativer muslimischer Vorstellung darf eine Frau eigentlich nicht ohne einen männlichen Verwandten oder Ehemann reisen“, erklärt ein Mitarbeiter des Verfassungsschutzes. „Aber es gibt inzwischen muslimische Gelehrte, die in Rechtsgutachten behaupten: Wenn es um den Dschihad geht, dürfen Frauen auch alleine reisen.“

Dschihadistische Rebellengruppe, allen voran der “Islamische Staat im Irak und Großsyrien” (ISIG), fordern gezielt Frauen aus dem Westen auf, nach Syrien zu reisen und sich dem Dschihad anzuschließen. Eine Taktik, die primär wohl weniger auf die Frauen als zukünftige Kämpferinnen abzielt. Vielmehr dürfte es darum gehen, den daheimgebliebenen Männern ein Gefühl der Schwäche zu vermitteln. Nach dem Motto: Seht her, selbst die Frauen sind mutiger als ihr.

Über soziale Netzwerke wie Facebook, Twitter oder Instagram wird der Dschihad in Syrien zum Mitmacherlebnis, auch für junge Frauen und Mädchen in Europa. Sie vernetzen sich mit gleichgesinnten, bestärken sich in ihren radikalen Ansichten und knüpfen Kontakte zu Landsleuten vor Ort.

Regelrechte Online-Heiratsbörsen sind so entstanden. Heiratswillige Musliminnen in Deutschland werden dabei an Dschihadisten in Syrien vermittelt. “Wir sehen, dass sogar über Facebook Ehen geschlossen werden“, sagte mir ein Analyst des Verfassungsschutzes.

Einige Dschihad-Bräute machen sich dann selbstverständig auf den Weg in das Kriegsgebiet. So etwa auch Sarah O. aus Konstanz. Die damals 15 Jahre alte Gymnasiastin machte sich in den Herbstferien 2013 auf nach Syrien. Mit einer gefälschten Vollmacht der Eltern stieg die Tochter eines Algeriers und einer Deutschen am Flughafen Stuttgart in ein Flugzeug und flog in die Türkei.

Im Januar meldete sich Sarah aus Syrien und gab bekannt, dass sie nun verheiratet sei. Mit einem Islamisten aus Köln, den deutsche Sicherheitsbehörden seit längerem als gefährlichen Extremisten einstufen. Die Schülerin hat ihren Traum von der Dschihad-Ehe wahr gemacht.

Ähnliches dürfte auch für Hilal B. gelten. Die 16-jährige Deutsch-Türkin aus Ratingen kehrte im Oktober 2012 nach einem angeblichen Arztbesuch nicht mehr nach Hause zurück. Die besorgten Eltern alarmierten die Polizei. Hatten jedoch bereits einen Verdacht. Ihre Tochter war in den Monaten vor ihrem Verschwinden in salafistische Kreise abgerutscht, hatte einen jungen Mann kennengelernt, der in Solingen mit radikalen Islamisten in Kontakt stand.

Der Düsseldorfer Staatsschutz, der mit dem Fall beauftragt ist, geht davon aus, dass Hilal B. an der Seite des 18 Jahre alte Islamisten erst in die Türkei und dann nach Syrien reiste. Das Paar soll inzwischen verheiratet sein.

Noch scheint die Propaganda von der syrischen Dschihad-Romantik zu fruchten. Geblendet vom Traum eine heldenhafte Gotteskriegerin zu werden, schwärmen zahlreiche Mädchen und Frauen im Internet von ihrer Auswanderung, der “hijrah”, nach Syrien.

Während sich die Eltern von Samra und Sabine um das Leben ihrer Töchter sorgen, brüsten sich die Schülerinnen mit ihrem angeblichen Wunsch vom Märtyrertod. „Wir fürchten nicht den Tod, der Tod ist unser Ziel.”