Im Krieg um die Ukraine droht Russlands Präsident mit Atomwaffen – und plötzlich stellt sich die Frage: Wie weit geht Putin? Und wie ließe sich im Ernstfall eine solche Katastrophe noch verhindern? Oft wird dabei auf das „rote Telefon“ verwiesen, den „heißen Draht“ zwischen Washington und Moskau. Über ein Relikt des Kalten Krieges.
Von Florian Flade

Die meisten Europäer haben vermutlich noch geschlafen, als Russlands Präsident Wladimir Putin am frühen Morgen des 24. Februar im russischen Staatsfernsehen erschien – und den Beginn eines Krieges in Europa verkündete. Er habe entschieden, so Putin, eine „militärische Spezialoperation“ in der Ukraine durchzuführen, deren Ziel es sei, eine Entmilitarisierung und Entnazifizierung des Landes herbeizuführen. Und dann, zum Ende seiner Ansprache, folgte eine unverhohlene Drohung.
„Jetzt ein paar wichtige, sehr wichtige Worte für diejenigen, bei denen die Versuchung aufkommen könnte, sich von der Seite in das Geschehen einzumischen. Wer auch immer versucht, uns zu behindern, geschweige denn eine Bedrohung für unser Land und unser Volk zu schaffen, muss wissen, dass die Antwort Russlands sofort erfolgen und zu Konsequenzen führen wird, die Sie in Ihrer Geschichte noch nie erlebt haben. Wir sind auf jede Entwicklung der Ereignisse vorbereitet. Alle notwendigen Entscheidungen wurden in dieser Hinsicht getroffen. Ich hoffe, dass ich gehört werde.“
– Rede von Wladimir Putin, 24. Februar 2022
Putin wurde gehört, und seine Worte wurden entsprechend gedeutet: Russlands Machthaber droht unverhohlen mit einem Atomkrieg. Eine neue Eskalationsstufe, die der ultimativen Erpressung gleich kommt: Wenn die NATO der Ukraine zur Hilfe kommen sollte, dann werde Russland zum äußersten gehen. Kurz darauf befahl Putin seinem Verteidigungsminister und seinem Generalstabschef, die Atomstreitkräfte in erhöhte Alarmbereitschaft zu versetzen. Der russische Außenminister Sergej Lawrow legte außerdem verbal nach: „Alle wissen, dass ein Dritter Weltkrieg nur ein nuklearer sein kann“.
Ein apokalyptisches Szenario steht nun seit einer Woche plötzlich wieder im Raum, ein Schrecken aus längst vergessenen Zeiten. Russland soll heute rund 6200 Nuklearsprengköpfe besitzen. Das sind zwar weniger als zu Zeiten des Kalten Krieges, allerdings ist die Sprengkraft der modernen Nuklearwaffen mittlerweile weitaus verheerender. Russlands Militär ist zudem in der Lage nahezu jeden Ort auf dem Planeten damit anzugreifen, sei es mit Langstreckenbombern oder mit Interkontinentalraketen.
Noch sind es Drohungen, verbale Machtdemonstrationen und womöglich Teil einer psychologischen Kriegsführung – was aber, wenn Putin sich entscheidet den Konflikt um die Ukraine tatsächlich eskalieren zu lassen? Oder wenn es durch ein unabsichtliches Manöver, einen verirrten Kampfjet oder einen durchgedrehten Kommandeur zu einem Zwischenfall kommt, der dafür sorgt, dass die NATO in den Krieg hineingezogen wird?
Es gibt zahlreiche Kommunikationskanäle zwischen Staaten, Regierungschefs, Militärs, Bündnissen und Allianzen. Diese „Back Channels“ gelten als unabdingbar, um bedrohlichen Lagen begegnen zu können – und Missverständnisse auszuschließen.
Der wohl berühmteste Kommunikationskanal ist das sogenannte „rote Telefon“. Jener „heißen Draht“ zwischen Washington und Moskau, dem Weißen Haus und dem Kreml, über die der amerikanische Präsident und der russische Präsident miteinander sprechen und Klartext reden können. Um gefährlichen Situationen zu entschärfen und im schlimmsten Fall sogar einen Atomkrieg zu verhindern.
Was hat es mit dem „roten Telefon“ auf sich? Was ist Mythos, und was Realität?
In zahlreichen Filmen, etwa „Dr. Seltsam oder: Wie ich lernte, die Bombe zu lieben“ (1964), spielt die mysteriöse Telefonverbindung zwischen den Staatschefs der beiden atomaren Supermächten eine Rolle. Der damalige US-Präsident Barack Obama scherzte 2010 bei einer Pressekonferenz mit seinem russischen Kollegen Dimitri Medwedew gar, man könne im Zeitalter von Twitter vielleicht sogar „diese roten Telefone wegwerfen, die da schon so lange rumliegen“.
Weggeworfen hat man sie bis heute nicht. Und das hat seine Gründe. Vorweg: Nein, das „rote Telefon“ ist nicht rot, und es ist streng genommen auch kein Telefon. Es handelt sich um einen kryptierten Kommunikationskanal zwischen der amerikanischen und der russischen Regierung, eine Art Standleitung, die permanent, Tag und Nacht, aufrechterhalten wird.
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