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Die Tschetschenen kommen – oder nicht?

von Florian Flade

Am Samstag drohte nicht nur der Regen, den Fußballfans die Laune zu verderben. Eine Terrorwarnung geisterte durch die Medien. Islamisten planten womöglich einen Anschlag auf die Berliner Fanmeile. Was ist dran, an der Meldung?

pic27052013Emblem des russischen Inlandsnachrichtendienstes FSB

Sechs Wochen ist es her, da rissen zwei Bomben während des Bostoner Marathons drei Menschen in den Tod und verletzten über 250 weitere teilweise schwer. Die Bombenleger: Tamerlan und Dhzokhar Zarnajew, Brüder mit tschetschenischen Wurzeln. Vermutlich islamistisch motiviert.

Der Terroranschlag von Boston kam für die US-Behörden wie aus dem Nichts. Dabei hatte es bereits zwei Jahre zuvor konkrete Hinweise auf einen der Bombenleger gegeben. Der russische Inlands-Nachrichtendienst FSB wandte sich im März 2011 an einen Verbindungsbeamten des FBI in der amerikanischen Botschaft in Moskau. Ein in den USA lebender mutmaßlicher Islamist habe sich vermutlich „starb verändert“, sprich radikalisiert, und plane eine Reise in den Kaukasus, um sich dort einer Terrorgruppe anzuschließen. Gemeint war Tamerlan Zarnajew.

Das FBI besuchte die Familie Zarnajew und befragte Tamerlan. Ohne Ergebnis. Es gab keine Hinweise, so heißt es von Seiten des FBI, dass der Kaukasier ein Terrorist sei. Kurze Zeit später erfolgte eine zweite Anfrage der russischen Behörden zu Tamerlan Zarnajew, diesmal bei der CIA. Wieder ergaben sich keine Beweise für terroristische Aktivitäten. Die US-Behörden nahmen Zarnajew dennoch auf eine Warnliste auf.

Hannover am vergangenen Donnerstag, 23.Mai 2013. Die Innenminister-Konferenz (IMK) tagt. Mit dabei auch der Präsident des Bundeskriminalamtes, Jörg Ziercke. Er bittet die Innenminister des Bundes und der Länder an jenem Tag in einer kleinen, vertraulichen Runde zusammen zu kommen. Der BKA-Chef möchte über die Terrorgefahr in Deutschland sprechen. Aus konkretem Anlass.

Die Kollegen des russischen FSB hätten das BKA vor kurzem kontaktiert, so berichtet Ziercke der Runde. Es gebe Hinweise über möglicherweise geplante Terroranschläge in Deutschland. Die Russen hätten einige Telefonate zwischen radikalen Islamisten abgehört und dabei beunruhigende Informationen aufgegriffen.

Konkret soll es um drei Islamisten aus der Kaukasus-Republik gehen. Alle drei besäßen Mobiltelefone mit deutschen SIM-Karten. Möglicherweise seien die Personen auf dem Weg nach Deutschland. Ein Islamist halte sich vermutlich bereits in der Bundesrepublik auf.

Ein deutsches Nachrichtenportal vermeldete am Samstagvormittag, das BKA warne vor einem möglichen Terroranschlag auf der Fanmeile in Berlin während des Champions-League Finales. Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) ruderte umgehend zurück. Es gäbe keine konkreten Hinweise auf Anschlagspläne und demnach auch keinerlei Grund zur Panik.

Und tatsächlich waren die Informationen des FSB eher vage und keineswegs konkret, was den Ort und den Zeitpunkt eines etwaigen Terroranschlags betrifft. Es gab keine Hinweise, dass explizit Fußball-Fans im Visier der Islamisten stehen. Nicht einmal, wie weit die Terrorpläne fortgeschritten sind, war aus dem russischen Hinweis ersichtlich.

Trotzdem nahm das BKA die Warnung aus Moskau durchaus ernst. Gemeinsam mit den Kollegen des Verfassungsschutzes wurde umgehend nach den kaukasischen Extremisten gesucht. Wer könnte der potentielle Terrorist sein? Hält er sich in Deutschland auf? Falls ja, wo?

Mittlerweile, so ist aus Sicherheitskreisen zu vernehmen, ist zumindest eine der Personen, ein gebürtiger Tschetschene, identifiziert worden.

Die Ereignisse von Boston haben weltweit Konsequenzen innerhalb der Sicherheitsbehörden. Für die deutschen Vertreter des Verfassungsschutzes und des Bundeskriminalamtes bedeutet dies: es kam vor kurzem zu Gesprächen mit den russischen Kollegen über die Gefahr, die von kaukasischen Islamisten ausgeht.

Niemand soll sagen können, man sei nicht gewarnt worden. So lässt sich vermutlich auch Zierckes Unterrichtigung der IMK-Runde verstehen. Das FBI ging Hinweisen aus Russland wohl nicht energisch genug nach. Sonst hätte man Tamerlan Zarnajew wohl wesentlich früher im Visier gehabt.

Der Fall der jüngsten Terrorwarnung zeigt, wie ernst deutsche Sicherheitsbehörden die Hinweise ausländischer Partnerdienste nehmen. Auch jene aus Russland, deren Nachrichtendienste nicht unbedingt in allen Bereichen – insbesondere der Spionage – als Partner verstanden werden.

Dass aber die Kooperation zwischen deutschen und russischen Terroristenjägern seit Jahren gut und solide funktioniert, ist in der Sicherheits-Community kein Geheimnis. Der Kampf gegen den islamistischen Terrorismus wird sowohl in Berlin als auch in Moskau als eine absolute Priorität betrachtet.

Wenn es darum geht, die Reisebewegungen von Dschihadisten zu verfolgen, Terrorzellen zu idenitifzieren oder Unterstützernetzwerke aufzudecken, so hört man aus den Behörden, dann arbeitet die russische Seite geradezu vorbildlich mit den deutschen Kollegen von BKA, BfV und BND zusammen. Wie ein Beispiel aus dem Oktober 2010 zeigt.

Abschließend bleibt zur Terrorwarnung zum Champions-League-Finale zu sagen: Informationen über potentielle Terroristen und deren Anschlagspläne gibt es regelmäßig. Nicht immer sind sie belastbar. Manchmal entsteht unnötig Hysterie. Insbesondere wenn Informationen nach draußen sickern.

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Dieser Artikel erschien am 27.Mai 2013 auf „Heise Telepolis“

http://www.heise.de/tp/artikel/39/39207/1.html

Kaukasische Extremisten verstärkt im Visier

von Florian Flade

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Jeden Dienstag gegen 10 Uhr findet im siebten Stock des Bundeskanzleramtes in Berlin eine geheime Sitzung statt – die „Nachrichtendienstliche Lage“. Die Präsidenten von Bundesnachrichtendienst (BND), Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) und Militärischem Abschirmdienst (MAD) kommen gemeinsam mit den Leitern des Bundeskriminalamtes (BKA) und Vertretern des Bundesinnen-, Außen- und Bundesjustizministeriums zusammen, um über die aktuelle Sicherheitslage zu sprechen. Geleitet werden die Sitzungen vom Chef des Bundeskanzleramtes und dem Geheimdienstkoordinator der Bundesregierung.

Am vergangenen Dienstag dominierte ein Thema die Runde: Boston und die Folgen aus dem Terroranschlag der Brüder Tamerlan und Dzhokhar Zarnajew. Eine Frage soll dabei besonders intensiv diskutiert worden sein: Welche Gefahr geht von in Deutschland lebenden radikalen Islamisten aus dem Kaukasus aus? Gibt es hierzulande eventuell Terrorzellen von Netzwerken und Organisationen aus Tschetschenien oder Dagestan? Sind erfahrene Dschihad-Kämpfer aus dieser Region jüngst in die Bundesrepublik eingereist?

Der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Dr.Hans-Georg Maaßen, bestätigte uns im Interview, dass Islamisten mit Verbindungen in den Kaukasus derzeit verstärkt unter Beobachtung stehen (Lesen Sie morgen das ganze Interview in DIE WELT).

„Wir beobachten unter anderem die in Deutschland lebenden etwa 200 Anhänger des ,Kaukasischen Emirats‘. Die Aufklärung ihrer Aktivitäten hat für uns eine hohe Priorität“, sagte uns Maaßen, „Wir schauen dabei vor allem auf die mögliche Terrorismusfinanzierung und die Gefahren, die dadurch entstehen, dass erfahrene Kämpfer aus dem Kaukasus nach Deutschland geschleust werden.“

Aktuell seien keine konkreten Anschlagsplanungen von Islamisten bekannt, so Maaßen weiter. „Die Gefahr von Terroranschlägen ist unverändert hoch“, sagte Deutschlands ranghöchster Verfassungsschützer, „Deutschland steht weiterhin im Fadenkreuz des islamistischen Terrorismus.“

Knapp 6000 Tschetschenen leben in der Bundesrepublik. Einige hundert davon werden von den Sicherheitsbehörden der islamistischen Szene zugerechnet, darunter auch Sympathisanten und Unterstützer der Terrorgruppe „Kaukasisches Emirat“ des Islamisten-Führers Doku Umarov. Sie nutzen Deutschland bislang primär als Rückzugsraum um Spendengelder für den Kampf im Nord-Kaukasus zu sammeln.

„Einzelne Anhänger des „Kaukasischen Emirats“ in Deutschland verfügen über direkte Kontakte zu Führungspersonen im Kaukasus oder sind mit islamistischen und zum Teil auch kriminell orga­nisierten Strukturen in Europa vernetzt, insbesondere in Belgien, Österreich und Tschechien“, heißt es von Seiten des Verfassungsschutzes.

Ali A. aus dem thüringischen Nordhausen ist wohl einer der Exil-Tschetschenen für die sich die Sicherheitsbehörden interessieren. Der Mann, der seit Jahren in einem Asylbewerberheim in Nordhausen lebt, fiel vor einigen Jahren in einer Moschee-Gemeinde durch seine extremistischen Ansichten auf. Er soll Selbstmordanschläge kaukasischer Terroristen in Russland verherrlicht haben. In einem Bericht des thüringischen Landeskriminalamtes (LKA) aus dem Jahr 2011 heißt es, Ali A. habe offenbar Muslime der Moschee-Gemeinde eingeschärft für den bewaffneten Kampf bereit zu sein.

Über das Internet soll Ali A. zudem Kontakte zu Islamisten in Österreich und dem Kaukasus unterhalten haben. In Sicherheitsbehörden heißt es, der mutmaßliche Islamist werde verdächtigt, für die Terrorgruppe „Kaukasisches Emirat“ Spendengelder gesammelt zu haben.

Ein weiterer Deutsch-Tschetschene, den Sicherheitsbehörden der islamistischen Szene zurechnen, starb im Januar bei Gefechten in Syrien. Der 32-jährige Aslanbek F. aus Kiel-Wellsee war im Dezember 2012 zunächst von Hamburg aus in die Türkei geflogen und hatte sich dann nach Syrien abgesetzt. Seine Witwe bestätigte den Tod des russischen Staatsbürgers Aslanbek F..

Aus Sicherheitskreisen ist zu erfahren, dass in den vergangenen Monaten einige Exil-Tschetschenen versuchten nach Syrien zu reisen, um sich dort islamistischen Rebellengruppen anzuschließen. Darunter sind meinen Informationen zufolge mehrere mutmaßliche Islamisten aus Berlin.