Der „Baltic Jammer“ 

Seit Monaten wird die GPS-Navigation von Flugzeugen und Schiffen im Ostseeraum massiv gestört. Russland soll dafür verantwortlich sein. Im Fokus steht eine Militäranlage in Kaliningrad.

Von Florian Flade

Im März traf es sogar den britischen Verteidigungsminister Grant Shapps. Er war gerade auf dem Rückflug von Polen nach Großbritannien, als die Maschine der Royal Air Force über der Ostsee plötzlich nicht mehr mittels GPS navigieren konnte. Auch die Handys an Bord konnten sich rund eine halbe Stunde nicht mit dem Internet verbinden, so berichteten es mitreisende Journalisten. 

Ein Sprecher der britischen Regierung bestätigte den Vorfall, und sprach von „GPS-Jamming“. Eine Gefahr für das Flugzeug und den Minister habe jedoch zu keinem Zeitpunkt bestanden.

Vor wenigen Tagen dann musste ein Flugzeug der Finnair am Flughafen Tartu in Estland eine Landung abbrechen. Und zwar, weil es dem Piloten nicht mehr möglich war, die Maschine per GPS-Navigation zu steuern. Das Flugzeug kehrte nach Helsinki zurück.

Seit dem vergangenen Jahr kommt es im Ostseeraum zu massiven Störungen des Satellitennavigationssystem Global Positioning System (GPS). Die Folge: Flugzeuge und auch Schiffe in der Region können ihre genaue Position oft nicht mehr bestimmen, sind dadurch stark beeinträchtigt und müssen teilweise auf andere Navigationsarten umstellen. Betroffen sind das Baltikum, Polen, südliche Regionen von Schweden und auch der Nordosten von Deutschland.

Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) und auch das Bundesverkehrsministerium haben die starken Störungen der Satellitensysteme zur Positionsbestimmung bereits vor einigen Wochen bestätigt. Laut Ministerium gibt es seit einiger Zeit dazu engen Austausch zwischen beteiligten Stellen, wie Luftfahrtbehörden oder auch der Bundeswehr.

Wer aber ist für das sogenannte „GPS-Jamming“ verantwortlich? Und was soll damit bezweckt werden?

„Die anhaltenden Störungen des globalen Navigationssatellitensystems (GNSS) sind mit hoher Wahrscheinlichkeit russischen Ursprungs und basieren auf Störungen im elektromagnetischen Spektrum, unter anderem mit Ursprung im Oblast Kaliningrad“, teilte ein Sprecher des Bundesverteidigungsministeriums auf Anfrage mit.

Die Bundeswehr und der Bundesnachrichtendienst (BND) sollen zudem davon ausgehen, dass die Störung der GPS-Navigation durch russische Systeme der Elektronischen Kampfführung (EloKa) verursacht werden, die in der Exklave Kaliningrad stationiert sind. Das Jamming der GPS-Signale gilt als vergleichsweise simples Unterfangen, da die Satellitensignale auf der Erde meist nur noch sehr schwach sind.

Russlands Militär verfügt über mehrere Systeme, die in der Lage sind, Satelliten gestützte Navigations- und Kommunikationswege zu stören. Dazu zählt beispielsweise ein System namens „Tobol“, das ursprünglich vor mehr als zehn Jahren entwickelt worden sein soll, um russische Satelliten vor gegnerischen elektronischen Angriffen zu schützen. Russland soll über etwa ein Dutzend „Tobol“-Systeme verfügen. Neben Kaliningrad an der Ostsee soll sich ein weiteres „Tobol“-System bei Moskau, und wiederum ein weiteres auf der von Russland besetzten Krim befinden.

Nach Erkenntnissen US-amerikanischer Nachrichtendienste soll das russische Militär im Jahr 2022, kurz nach Beginn des Angriffskrieges gegen die Ukraine, umfangreich getestet haben, ob „Tobol“ dafür eingesetzt werden kann, das Starlink-System von Elon Musk zu stören, mit dem ukrainische Streitkräfte damals mit Internet versorgt wurden.

Unter westlichen Militärs ist allerdings umstritten, ob „Tobol“ tatsächlich dafür eingesetzt werden kann, Satelliten offensiv zu stören und damit etwa großflächig GPS-Navigation zu beeinträchtigen, wie aktuell im Ostsee-Raum.

Zum Arsenal der russischen Streitkräfte gehören auch mobile Systeme zur elektronische Kriegsführung, mit denen ebenfalls Satellitenverbindungen wohl unterbrochen oder zumindest beeinträchtigt werden können. Dazu zählt das kaum bekannte „Tirada-2“, ein Fahrzeug ausgestattet mit allerlei Technik, um Satellitenkommunikation lahmzulegen.

Im Januar meldeten ukrainische Militärquellen, dass eines der seltenen „Tirada-2“-System durch Spezialkräfte in der ostukrainischen Region Donetsk zerstört werden konnte. Ein Video von einem Raketenangriff auf das mutmaßliche Gefährt wurden im Internet verbreitet. Bis heute ist über die genaue Funktionsweise von „Tirada-2“ kaum etwas öffentlich bekannt, es wird davon ausgegangen, dass das System in der Lage ist den Empfang von Satellitensignalen im Umkreis von mehreren hundert Kilometern zu stören.

Warum aber setzt Russland offensichtlich auf das GPS-Jamming in der Ostsee? 

Zum einen gilt es als wahrscheinlich, dass Russland in Kaliningrad den Schutz vor potenziellen Raketen- oder Drohnenangriffen erhöhen möchte. Ähnlich wie in Moskau, wo es bereits mehrfach zu GPS-Jamming kam. Die Sorge vor solchen Angriffen ist groß, mehrfach bereits wurden militärische und industrielle Anlagen außerhalb der Ukraine und der russischen Grenzregionen, auch in St. Petersburg, angegriffen. Für die Navigation der Waffensysteme wird dabei in aller Regel das GPS-System genutzt. Und auch Kaliningrad wurde geriet schon ins Visier der Ukraine.

Dass das GPS in Kriegsgebieten gestört wird, ist kein neues Phänomen. Es findet zudem auch außerhalb des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine statt. So kam es im Nahen Osten in den vergangenen Monaten wiederholt zu GPS-Jamming und Spoofing, mutmaßlich durch israelische Stellen. Zum Beispiel im Vorfeld des iranischen Raketen- und Drohnenangriffs Mitte des Monats.

Doch die GPS-Störung im Ostseeraum dient womöglich nicht nur dazu, ukrainische Angriffe zu erschweren. Das russische Militär teste durch die Störaktion vermutlich auch inwieweit die eigenen Systeme unabhängig von GPS funktionsfähig bleiben und navigieren können, so die Vermutung innerhalb der NATO. Damit einher geht auch eine mehr oder weniger direkte Botschaft an die NATO: Deren Abhängigkeit von GPS wird aufgezeigt.

Westliche Militärbeobachter sehen diesbezüglich seit geraumer Zeit eine bedenkliche Entwicklung: Russland arbeite, so heißt es, verstärkt daran von Satelliten-Navigation unabhängig militärisch agieren zu können. Dies sei Teil einer weitergefassten Strategie, deren Auswirkungen erheblich sein können.

Obwohl Moskau zu den Pionieren der Raumfahrt zählt, sind in diesem Bereich in den vergangenen Jahren kaum noch relevante Entwicklungen erfolgt. Russland gebe, so die Einschätzung von militärischen Analysten, schrittweise den Weltraum als strategisch bedeutende Dimension auf. Viele russische Neuentwicklungen seien eher dazu ausgelegt gegnerische Satellitensysteme zu stören oder zu zerstören. Dazu gehörten beispielsweise neuartige Anti-Satelliten-Waffen oder Störsender.

Die Sorge besteht daher, dass Russland weiterhin vor allem offensive und destruktive Systeme ins All bringen könnte. So unterrichteten US-Geheimdienste im Februar die Abgeordneten des US-Senats in vertraulichen Sitzungen über Erkenntnissen, wonach Russland plane, mit Nuklearwaffen bestückte Satelliten im Orbit zu stationieren. Der Kreml dementierte dies umgehend.

Im Gegensatz zu den russischen Streitkräften, die mit GLONASS über ein eigenes Satelliten-Navigationssystem verfügen, ist die NATO zunehmend auf GPS-gesteuerte Systeme angewiesen. Auch autonome Waffensysteme wie Drohnen navigieren auf diese Art. Hinzu kommt die zunehmend kommerzielle Nutzung des Weltraums, beispielsweise durch das Unternehmen SpaceX und durch den Internetdienst Starlink. Die Zahl der Satelliten wächst und damit auch die potenzielle Ziele im All, die Russland im Kriegsfall zerstören könnte – mit bislang ungeahnten Folgen.

Während westliche Staaten weiterhin auf Satellitensysteme setzen, gewinnt für Russland ein andere Sphäre an Bedeutung: Der Unterwasser-Raum. Das genaue Kartographieren des Meeresbodens etwa ermöglicht eine Navigation unter Wasser, sowohl von bemannten als auch unbemannten Waffensystemen. Und zwar völlig unabhängig von Satellitensystemen.

Hinterlasse einen Kommentar

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..