Monatsarchiv: April 2014

„Wir sehen uns im Paradies“

von Florian Flade

Der Dschihad ist keine Männer-Domäne mehr. Junge Frauen und Mädchen aus Europa zieht es in den syrischen Bürgerkrieg. Getrieben vom Wunsch, einen Dschihadisten zu heiraten, zur Gotteskriegerin zu werden oder schlichtweg um zu sterben.

pic190414Samra K. (Quelle: Interpol)

Ein Kinderzimmer irgendwo in Wien. Im Hintergrund ist ein Schreibtisch zu sehen, darauf ein Computerbildschirm, ein Becher voller Stifte, eine rosa Schachtel in Herzform. Das typische Zimmer einer 16-jährigen Schülerin.

Doch etwas stört das Foto. Über dem Schreibtisch hängt kein Poster von einem Rockstar oder Ausschnitte aus Mode-Zeitschriften, sondern eine schwarze Flagge mit dem islamische Glaubensbekenntnis in arabischer Schrift und mit einem Schwert.

In die Kamera blickt eine junge Frau. Sie ist komplett erhüllt. Nur durch einen Sehschlitz sind die grünen Augen von Samra K. zu sehen. Das Bild stammt vom Facebook-Profil der österreichischen Teenagerin.

Samra lebt nicht mehr in Wien, der Stadt in die ihre Eltern in den 1990er Jahren aus dem Bürgerkrieg in Bosnien geflohen sind. Die 16-jährige stieg am 10.April gemeinsam mit ihrer 15-jährigen Freundin Sabina S. in ein Flugzeug, das die Schülerinnen in die Türkei brachte.

Ihren Eltern hinterließen die Mädchen Abschiedsbriefe. Deren Inhalt lässt erahnen, weshalb Samra und Sabina klammheimlich von zuhause verschwanden. “Wir sind auf dem richtigen Weg”, schreiben sie, “Wir gehen nach Syrien, kämpfen für den Islam. Wir sehen uns im Paradies.”

Zwei minderjährige Schülerinnen auf dem Weg in den syrischen Bürgerkrieg. Zurück bleiben verzweifelte Eltern, die sich voller Sorge an die österreichischen Behörden wandten. Inzwischen führt Interpol die Wienerinnen auf der Liste der vermissten Personen.

Österreichische Sicherheitsbehörden gehen davon aus, dass Samra und Sabina in der türkischen Stadt Adana reisten, bevor sie rund um den 13.April die Grenze nach Syrien überquert haben. Nun sollen sie gemeinsam mit anderen Dschihadisten aus Europa irgendwo in Nord-Syrien leben.

Die letzten Lebenszeichen fanden sich auf den inzwischen gelöschten Facebook-Profilen der Schülerinnen. Sie seien nun verheiratet, verkündeten sie dort. Posten Fotos von Waffen und Katzen.

“Ich habe in Wien gelebt, bis Allah mich rief und ich den Ruf erhörte und ich mich auf dem Weg zum Boden der Ehre machte”, heißt es in einem Posting. “Wir leben in Häusern, die eure Vorstellungen übertreffen, wir haben hier alles, wir leben voller Stolz.”

Der Fall der Wiener Dschihadistinnen ist nur der letzte Hinweis auf einen Trend, den Sicherheitsbehörden in Europa seit einigen Monaten verstärkt registrieren.

Im Februar schrieb ich das erste Mal über junge Frauen und Mädchen, die in den syrischen Bürgerkrieg gezogen sind, beseelt vom Wunsch eine “Mudschahida”, eine Gotteskriegerin zu werden, oder einen Dschihadisten zu heiraten.

In der klassischen Rollenverteilung agierten Frauen innerhalb der islamistischen Szene bislang eher als Unterstützerinnen, als Mütter, Hausfrauen, teils auch als Propagandistinnen. Der deutsche Verfassungsschutz hat jedoch eine steigende Zahl von Frauen und Mädchen registriert, die aus “eigener islamistischer Motivation” in Dschihad-Gebiete reisen. Rund zwanzig Islamistinnen soll es mittlerweile nach Syrien gezogen haben.

Als das afghanisch-pakistanische Grenzgebiet Waziristan noch als attraktivstes Reiseziel von militanten Islamisten galt, reisten Frauen meist nur an der Seite ihrer Ehemänner oder Brüder. Nach dem Tod oder der Verhaftung der Ehemänner, heirateten viele Islamistinnen einen anderen Dschihadisten oder mussten häufig alleine nach Deutschland zurückkehren.

In Syrien ist die Situation eine andere. Aufgrund der Nähe zu Europa und der recht einfachen Anreise per Flugzeug oder auf dem Landweg in die Türkei und anschließend über die Grenze, ist die Region ein populäres Ziel auch alleinreisender Frauen. Ein Umstand, der Sicherheitsbehörden beunruhigt.

Es galt bislang in der islamistischen Szene die Prämisse, dass eine Frau sich nicht einfach so auf Reisen begeben darf. “Nach konservativer muslimischer Vorstellung darf eine Frau eigentlich nicht ohne einen männlichen Verwandten oder Ehemann reisen“, erklärt ein Mitarbeiter des Verfassungsschutzes. „Aber es gibt inzwischen muslimische Gelehrte, die in Rechtsgutachten behaupten: Wenn es um den Dschihad geht, dürfen Frauen auch alleine reisen.“

Dschihadistische Rebellengruppe, allen voran der “Islamische Staat im Irak und Großsyrien” (ISIG), fordern gezielt Frauen aus dem Westen auf, nach Syrien zu reisen und sich dem Dschihad anzuschließen. Eine Taktik, die primär wohl weniger auf die Frauen als zukünftige Kämpferinnen abzielt. Vielmehr dürfte es darum gehen, den daheimgebliebenen Männern ein Gefühl der Schwäche zu vermitteln. Nach dem Motto: Seht her, selbst die Frauen sind mutiger als ihr.

Über soziale Netzwerke wie Facebook, Twitter oder Instagram wird der Dschihad in Syrien zum Mitmacherlebnis, auch für junge Frauen und Mädchen in Europa. Sie vernetzen sich mit gleichgesinnten, bestärken sich in ihren radikalen Ansichten und knüpfen Kontakte zu Landsleuten vor Ort.

Regelrechte Online-Heiratsbörsen sind so entstanden. Heiratswillige Musliminnen in Deutschland werden dabei an Dschihadisten in Syrien vermittelt. “Wir sehen, dass sogar über Facebook Ehen geschlossen werden“, sagte mir ein Analyst des Verfassungsschutzes.

Einige Dschihad-Bräute machen sich dann selbstverständig auf den Weg in das Kriegsgebiet. So etwa auch Sarah O. aus Konstanz. Die damals 15 Jahre alte Gymnasiastin machte sich in den Herbstferien 2013 auf nach Syrien. Mit einer gefälschten Vollmacht der Eltern stieg die Tochter eines Algeriers und einer Deutschen am Flughafen Stuttgart in ein Flugzeug und flog in die Türkei.

Im Januar meldete sich Sarah aus Syrien und gab bekannt, dass sie nun verheiratet sei. Mit einem Islamisten aus Köln, den deutsche Sicherheitsbehörden seit längerem als gefährlichen Extremisten einstufen. Die Schülerin hat ihren Traum von der Dschihad-Ehe wahr gemacht.

Ähnliches dürfte auch für Hilal B. gelten. Die 16-jährige Deutsch-Türkin aus Ratingen kehrte im Oktober 2012 nach einem angeblichen Arztbesuch nicht mehr nach Hause zurück. Die besorgten Eltern alarmierten die Polizei. Hatten jedoch bereits einen Verdacht. Ihre Tochter war in den Monaten vor ihrem Verschwinden in salafistische Kreise abgerutscht, hatte einen jungen Mann kennengelernt, der in Solingen mit radikalen Islamisten in Kontakt stand.

Der Düsseldorfer Staatsschutz, der mit dem Fall beauftragt ist, geht davon aus, dass Hilal B. an der Seite des 18 Jahre alte Islamisten erst in die Türkei und dann nach Syrien reiste. Das Paar soll inzwischen verheiratet sein.

Noch scheint die Propaganda von der syrischen Dschihad-Romantik zu fruchten. Geblendet vom Traum eine heldenhafte Gotteskriegerin zu werden, schwärmen zahlreiche Mädchen und Frauen im Internet von ihrer Auswanderung, der “hijrah”, nach Syrien.

Während sich die Eltern von Samra und Sabine um das Leben ihrer Töchter sorgen, brüsten sich die Schülerinnen mit ihrem angeblichen Wunsch vom Märtyrertod. „Wir fürchten nicht den Tod, der Tod ist unser Ziel.”

 

Die Phantombehörden des BND

von Florian Flade

Keine Geheimniskrämerei mehr. Der Bundesnachrichtendienst (BND) will seine geheimen Außenstellen offiziell enttarnen. Doch es gibt Bedenken, dass die neue Transparenz dem Geheimdienst schaden könnte.

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Die deutsche Bürokratie trägt häufig sehr kuriose Früchte. Da gibt es beispielsweise Behörden, Ämter und Institute, von denen niemand so recht weiß, was sie eigentlich tun. Das „Amt für Schadensabwicklung“ ist eine solche Einrichtung. Untergebracht in einem unscheinbaren Eckhaus mit grauen Fassaden an der Taubenstraße 1, in Berlin-Mitte. Was geschieht hier? Wer arbeitet in dem Gebäude? Wozu gibt es das mysteriöse Amt?

Die Antwort findet sich nicht etwa auf irgendeiner Webseite, sondern schlichtweg im Telefonbuch. Dort gibt es einen Eintrag zum „Amt für Schadensabwicklung“. Die Adresse ist hier jedoch eine andere: Gardeschützenweg 71, 12203 Berlin, Lichterfelde. Hier residiert, ganz offiziell, der Bundesnachrichtendienst (BND).

Das „Amt für Schadensabwicklung“ ist eine Phantombehörde, sie existiert nicht. Es handelt sich um eine getarnte Außenstelle des deutschen Auslandsgeheimdienstes. Wer hier täglich zur Arbeit geht, ist kein Verwaltungsbeamter, sondern Agent.

Mehr als zwanzig derartige, sogenannte abgetarnte Außenstellen betreibt der BND in der Bundesrepublik, verteilt über das ganze Land. Sie tragen fantasievolle Namen. Da gibt es etwa das Amt für Militärkunde in Bonn, die Bundesstelle für Sondervermögen in München, das „Ionosphäreninstitut“ in Rheinhausen, die „Bundesstelle für Fernmeldestatistik“ in Söcking.

Im Mai soll Schluss sein mit dem Versteckspiel der Schlapphüte. Der BND plant, seine größten Außenstellen öffentlich bekannt zu machen, sprich absichtlich zu enttarnen. An den Gebäuden sollen die Tarnbezeichnungen verschwinden, und Schilder angebracht werden, die sie ganz offiziell als BND-Residenturen ausweisen.

Ein ungewöhnlicher Schritt für einen Geheimdienst, dessen Arbeit zu einem großen Teil aus Tarnung und Täuschung besteht. Aus Sicht von BND-Präsident Gerhard Schindler dennoch ein notwendiger. Der Agenten-Chef hat eine klare Vorstellung vom Selbstverständnis seiner Behörde als Dienstleister für die Politik und somit für die Bevölkerung. Er wünsche sich einen „BND zum Anfassen“, sagte der 62-Jährige bei der Eröffnung der neuen BND-Zentrale in Berlin-Mitte am Montag.

Ein protziges, gigantisches Hauptquartier für 4000 Mitarbeiter, größer als jedes Ministerium, mitten in Berlin. Inklusive einem Besucherzentrum, für jedermann zugänglich. Dazu Außenstandorte, die nun offiziell als BND-Dienststellen erkennbar sind. Kann ein Geheimdienst noch vernünftig arbeiten, wenn er immer weniger geheim ist?

„Wir brauchen mehr Transparenz – nicht als Selbstzweck, sondern als Voraussetzung für eine breitere Vertrauensbasis in der Gesellschaft“, forderte Schindler bereits bei einer Rede im Dezember 2013. Mehr Transparenz sei für einen Geheimdienst eine große Herausforderung. „Aber ich bin mir sicher, sie ist möglich.“

Innerhalb des BND stößt die neue Offenheit allerdings bei Weitem nicht nur auf Zuspruch. Im persönlichen Gespräch mit der „Welt“ äußerten einige Agenten Bedenken gegenüber der schrittweisen Enttarnung des Dienstes.

„Manche Kollegen haben sich über Jahre geheime Identität aufgebaut. Oft wissen nicht einmal die eigenen Kinder oder die Ehefrau von der eigentlichen Arbeit“, gibt ein langjähriger BND-Mitarbeiter zu bedenken. „Da ist es nicht besonders hilfreich, wenn jetzt offiziell bekannt wird, dass das Amt bei dem der Vater arbeitet, eigentlich der Geheimdienst ist.“

Insbesondere die Tatsache, dass offenbar erwogen wird, die Tarnnamen abzuschaffen, löst Unmut aus. Jeder BND-Mitarbeiter verfügt normalerweise über eine Tarnidentität mit falschem Namen und falscher Biografie. Damit soll nach dem Willen der BND-Leitung bald Schluss sein. Wer nicht operativ, also als Agent tätig ist, brauche auch keine Tarnidentität.

Der BND-Präsident kündigte den Paradigmenwechsel schon vor Monaten an. „Es ergibt für mich keinen Sinn, die Außenstellen des BND in Deutschland unter einer Legendenstruktur zu führen, wenn ich gleichzeitig im Internet nachlesen kann, dass das Amt für x oder das Amt für y eine Organisation des BND ist“, so Schindler Ende 2013. Die Geheimnistuerei erzeuge Misstrauen statt Vertrauen. „Transparenz ist also das Gebot der Stunde.“

Tatsächlich sind zahlreiche Standorte des BND schon vor Jahren durch Journalisten, die Bundesregierung selbst oder Privatleute enttarnt und im Internet publik gemacht worden. Deren Existenz oder Zugehörigkeit weiterhin zu leugnen wirkt wie ein halbherziger Versuch, das alte Image eines nicht greifbaren Geheimdienstes aufrechterhalten zu wollen.

Jetzt soll mit mehr Offenheit der Ruf des Dienstes verbessert werden. Die Botschaft von BND-Präsident Schindler ist dabei eindeutig: Seine Mitarbeiter müssten sich nicht für seine Arbeit schämen. Die Öffentlichkeit dürfe durchaus wissen, wie und auch wo der Dienst arbeite.

„Die Bekanntmachung der Außenstellen ist längst überfällig“, sagte der Geheimdienst-Experte Erich Schmidt-Eenboom der „Welt“. Vor Ort wisse die Bevölkerung längst, wer in den mysteriösen Ämtern oder Instituten in Wahrheit tätig sei.

Ein großer Teil des BND-Personals, etwa in der Verwaltung, könne zudem auf Tarnnamen verzichten, erklärte Schmidt-Eenboom. „Ein moderner Nachrichtendienst kann sich durchaus Transparenz leisten. Die setzt Schindler nun konsequent um.“

In der Politik trifft die neue Transparenz-Kampagne auf breite Zustimmung. „Unsere Nachrichtendienste sind moderne Informationsdienstleister im Auftrag des Staates“, sagte SPD-Innenexperte Michael Hartmann der „Welt“. In einer Demokratie könne sich der BND durchaus mehr Transparenz leisten. „Die Bürgerinnen und Bürger dürfen sie auch einfordern.“

Auch der Grünen-Politiker Hans-Christian Ströbele begrüßte es, dass die BND-Außenstellen bekannt gemacht werden sollen. „Ich halte das für richtig. Die permanente Geheimniskrämerei der Geheimdienste ist ein Relikt des Kalten Krieges“, sagte Ströbele der „Welt“. Nicht alles, was Geheimdienste täten, müsse geheimgehalten werden. „Jeder Schritt zu mehr Offenheit ist zu unterstützen“, betonte Ströbele. „Auch wenn ich kritisiere, dass nicht alle BND-Außenstellen mit einbezogen werden.“

 

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Der Artikel erschien in DIE WELT am 02.04.2014

http://www.welt.de/politik/deutschland/article126455027/Phantombehoerden-des-BND-werden-aufgeloest.html

Schlag gegen Dschihadisten-Netzwerk

von Florian Flade

Den Sicherheitsbehörden ist ein Schlag gegen ein Dschihadisten-Netzwerk in Berlin, Hessen und Nordrhein-Westfalen gelungen. Die Extremisten sollen eine Terrorgruppe in Syrien unterstützt haben.

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In Berlin-Treptow, auf dem Gelände einer ehemaligen Preußischen Kaserne, befindet sich das Herz der deutschen Terrorbekämpfung. Das “Gemeinsame Terrorabwehrzentrum” (GTAZ). In täglichen Lagebesprechungen kommen hier Experten von Verfassungsschutz, Bundesnachrichtendienst (BND), Bundeskriminalamt (BKA) und Vertreter der Bundesanwaltschaft (GBA) zusammen, um die Gefahr einzuschätzen, die von radikalen Islamisten ausgeht. Dazu tauschen die Terrorermittler Erkenntnisse aus, werten abgehörte Telefonate, abgefangene E-Mails und Berichte von Informanten aus, analysieren Propagandavideos.

Seit Monaten dominiert ein Thema die Runden im GTAZ: Syrien. Mindestens 300 Islamisten aus der Bundesrepublik sollen in das Bürgerkriegsland gereist sein, um sich am Kampf gegen das Assad-Regime zu beteiligen. Der Sicherheitsapparat arbeitet fieberhaft daran, den Extremisten auf die Schliche zu kommen. Wer will nach Syrien reisen? Wer ist bereits ausgereist? Wer zurückgekehrt? Was treiben die deutschen Islamisten vor Ort? Wer hat eine Terror-Ausbildung erhalten? Was haben die Syrien-Rückkehrer vor? All diese Fragen versuchen die verschiedenen Sicherheitsbehörden in Kooperation zu klären. Eine Sisyphos-Aufgabe.

Das Ziel ist dabei klar: Wer in Syrien als Kämpfer oder Helfer von Kämpfern aktiv war, und wieder in die Bundesrepublik einreist, den soll die volle Härte des Rechtsstaats treffen. Wie jetzt im Fall von Fatih K., Fatih I. und Karolina R.

Am Montagmorgen rückten mehr 100 Beamte der GSG-9, des BKA und verschiedener Landeskriminalämter aus und durchsuchten insgesamt zehn Wohnungen mutmaßlicher Islamisten in Berlin, Bonn und Frankfurt am Main. Insgesamt ermittelt die Bundesanwaltschaft gegen ein Netzwerk von acht Personen, die der Terrorunterstützung verdächtigt werden.

Im Fokus stehen der 35-jährige Deutsch-Türke Fatih K. aus Berlin, der 26-jährige Türke Fatih I. aus Frankfurt am Main und die 27-jährige polnisch-deutsche Staatsbürgerin Karolina R. aus Bonn. Sie wurden am Montag wegen des Verdachts der “Unterstützung einer ausländischen terroristischen Vereinigung” verhaftet. Die beiden Männer sollen sich in Syrien der Terrorgruppe “Islamischer Staat im Irak und Großsyrien” (ISIG) angeschlossen haben. Der Bonnerin Karolina R. wird vorgeworfen, Geld an ISIS gespendet zu haben.

“Die heutigen Maßnahmen zeigen, dass gewaltsame Konflikte wie der in Syrien sich unmittelbar auf uns in Deutschland auswirken”, warnte Bundesanwalt Harald Range am Montag in Karlsruhe. “Wir müssen dieser Entwicklung auch mit den Mitteln des Strafrechts entschieden entgegentreten auch mit Blick auf mögliche Gefahren, die von radikalisierten Rückkehrern aus Syrien für die Bevölkerung in Deutschland ausgehen können.“

Dem Polizeieinsatz voraus ging eine monatelange Ermittlungen von Staatsanwaltschaft und Sicherheitsbehörden. Schon seit dem vergangenen Jahr standen die nun Beschuldigen Fatih K. und Fatih I. auf einer Liste von mutmaßlichen Syrien-Reisenden aus der deutschen Islamisten-Szene. Im Sommer 2013 hatten sich die Männer über die Türkei nach Syrien abgesetzt. Nach Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden schloss sich Fatih K. wohl zunächst der islamistischen Rebellengruppe “Junud ash-Sham” an, wechselte später zum “Islamischen Staat im Irak und Großsyrien” (ISIG). Der Berliner soll sich sowohl an Kämpfen als auch an der Propagandaarbeit beteiligt haben.

Es wirkt wie ein dschihadistisches Dejavu, denn Fatih K. wurde bereits vor drei Jahren wegen Terror-Unterstützung verurteilt. Mehr als 2.000 Euro hatte der sechsfache Vater im November und Dezember 2009 an die “Deutschen Taliban Mujahideen” (DTM), eine nicht mehr existente Terrortruppe im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet, überwiesen. Zudem soll K. als eine Art Schleuser für kampfeswillige Islamisten fungiert haben.

Im April 2011 verurteilte das Berliner Kammergericht den Deutsch-Türken zu einer Haftstrafe von einem Jahr und zehn Monaten. Der Haftbefehl wurde jedoch ausgesetzt. Es bestehe keine Fluchtgefahr, befand der damalige Vorsitzende Richter. Das Geständnis von Fatih K. habe gezeigt, dass der Terrorhelfer seine Taten bereue.

Wohl eine fatale Fehleinschätzung, wie die erneute Festnahme von Fatih K. am Montag zeigt. Wieder wird dem Berliner Unterstützung einer Dschihad-Gruppierung vorgeworfen. Dieses Mal geht es um Syrien.

Der zweite Beschuldigte, Fatih I. aus Frankfurt am Main, war den Sicherheitsbehörden vor seiner Ausreise in den syrischen Bürgerkrieg als aktives Mitglied der hessischen Salafisten-Szene bekannt. Er beteiligte sich an der Koran-Verteilkampagne “Lies!”, meldete eine solche Aktion in Offenbach selbst an. I. soll sich im Spätsommer 2013 in Syrien der Terrorgruppe ISG angeschlossen haben.

Die Ermittler in Deutschland stießen nach meinen Informationen im Internet auf Fotos des Frankfurter Islamisten aus dem türkisch-syrischen Grenzgebiet. Die Aufnahmen sind datiert und zeigen Fatih I., wie er mit einem schwarzen Banner der ISIG posiert. Für die Bundesanwaltschaft ein wichtiger Hinweis auf die Unterstützung der Terrororganisation.

Am 23.September 2013 reiste Fatih I. gemeinsam mit Fatih K. wieder nach Deutschland ein. Per Flugzeug von Istanbul nach Berlin. Ab diesem Moment galten die beiden Syrien-Veteranen als islamistische Gefährder und standen unter ständiger Beobachtung der Behörden. Dennoch gelang es Fatih I., sich Ende vergangenen Jahres erneut nach Syrien abzusetzen. Auf “hochkonspirative Art”, wie es aus Sicherheitskreisen heißt.

Im Januar kehrte der 26-jährige Türke aus Syrien zurück. Offenbar radikalisiert und motiviert, weiter im Dienste der Terroristen der ISIG zu arbeiten. Nach Darstellung der Bundesanwaltschaft befasste sich Fatih I. damit, “Geld- und Sachmittel für die terroristische Vereinigung zu beschaffen”. Zuletzt soll I. sogar geplant haben, ein drittes Mal nach Syrien zu reisen.

Geld für ISIG beschaffte auch eine Islamistin aus Bonn. Karolina R. soll, so fanden die Ermittler heraus, in vier Geldzahlungen insgesamt rund 4.800 Euro an die syrische Terrorgruppe gespendet haben.

Fünf weitere mutmaßliche Terrorhelfer, die wohl mit Fatih K., Fatih I. und Karolina R. in Verbindung standen, sind ebenfalls Teil des Ermittlungskomplexes, wurden jedoch am Montag nicht verhaftet.

Der Fall zeigt, dass die dschihadistischen Ausreisen auf das syrische Schlachtfeld inzwischen eine Rückwirkung nach Deutschland haben. Sicherheitsbehörden warnen seit Monaten vor der Gefahr, die von den kampferprobten Rückkehrern aus dem Bürgerkrieg ausgeht. Wer in Syrien Kampferfahrung gesammelt habe, radikalisiere sich oftmals weiter, so die Einschätzung des Verfassungsschutzes. Nicht wenige Islamisten agieren offensichtlich weiter im Auftrag einer Terrorgruppe, werben neue Kämpfer an oder sammeln Spendengelder.

Etwa ein Dutzend Verfahren mit Syrien-Bezug sollen aktuell bei der Bundesanwaltschaft in Kalrsruhe anhängig sein. Hinzu kommen noch zahlreiche weitere Verfahren bei den jeweiligen Staatsanwaltschaften der Länder.

Der Dschihad-Tourismus nach Syrien wird die deutsche Justiz und auch die Sicherheitsbehörden wohl noch eine ganze Weile beschäftigen.