Monatsarchiv: September 2014

Der Durchschnitts-Dschihadist

von Florian Flade

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„Underdog“, Schulabbrecher, Problemfamilie, Drogenvergangenheit – all dies hört und liest man immer wieder, wenn es um radikale Islamisten geht, die Deutschland verlassen und sich in ein Dschihad-Gebiet begeben haben. Aus gesellschaftlichen Verlierern werden gefährliche Extremisten, so die Annahme.

Aber stimmt das? Wie sieht es tatsächlich aus bei den Dschihad-Reisenden? Wer sind sie?

Eine Studie der Bund-Länder-Gruppe im Auftrag des Bundesinnenministeriums sollte genau diese Frage klären. Insgesamt wurden 378 Islamisten analysiert, die nach Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden von Juni 2012 bis Ende Juni 2014 mutmaßlich nach Syrien ausgereist sind, um sich dort am bewaffneten Kampf zu beteiligen. Entstanden ist die bislang umfangreichste Erfassung von Alter, Herkunft und Bildungsgrad von Dschihadisten aus Deutschland. Gespeist durch Informationen der Verfassungsschutzämter, der Polizeien und

Das Ergebnis der Studie: „Es gibt kein typisches Profil“.

Im Durchschnitt ist ein Dschihadist aus Deutschland jedoch wohl männlich, zwischen 21 und 25 Jahre alt, wurde in Deutschland in einer muslimischen Familie geboren, besitzt die deutsche Staatsbürgerschaft, hat keinen Schulabschluss, hat vor der Ausreise Straftaten begangen, verkehrte in der salafistischen Szene und reist gemeinsam mit Freunden aus.

Ein Blick auf die Zahlen lohnt in jedem Fall.

Von den nach Syrien ausgereisten Islamisten sind…

89 % sind Männer
88 % lebten vor ihrer Ausreise in einer Stadt, der Rest in ländlichen Gegenden

125 von 378 Personen waren bei ihrer Ausreise zwischen 21 und 25 Jahren alt.

Die jüngste Person war 15 Jahre, die älteste 63 Jahre alt.

Insgesamt stammen die Ausgereisten aus 31 Nationen.

61 % wurden in Deutschland geboren
8 % in Syrien
6 % in der Türkei
3 % im Libanon
3 % in der Russischen Förderation

37 % besitzen ausschließlich die deutsche Staatsbürgerschaft
24 % besitzen eine doppelte Staatsbürgerschaft (mehrheitlich marokkanisch, türkisch, syrisch und afghanisch)

14 % sind türkische Staatsbürger
5 % sind syrische Staatsbürger
4 % sind russische Staatsbürger

64 % wuchsen in Familien auf, mit mindestens einem muslimischen Elternteil
14 % sind Konvertiten
77 % der Konvertiten sind Männer, 23 % sind Frauen

Es sind etwa gleich viele ledige wie verheiratete Personen darunter. Mehr als 100 der 378 Personen haben eigene Kinder.

26 % besuchten zum Zeitpunkt der Ausreise eine Schule, davon mehr als ein Viertel ein Gymnasium

33 % haben einen Schulabschluss, davon etwa ein Drittel das Abitur
6 % haben eine Ausbildung abgeschlossen
2 % haben ein Studium abgeschlossen

21 % waren arbeitslos
12 % waren berufstätig
65 % haben Straftaten begangen, hauptsächlich Drogendelikte und Diebstahl

84 % werden der salafistischen Szene zugerechnet
4 Personen gelten „explizit nicht als Salafisten“
30 % waren vor der Ausreise in Moscheegemeinden aktiv
6 % radikalisierten sich in weniger als einem Jahr
12 % radikalisierten sich in ein bis weniger als zwei Jahren

52 % sollen „dschihadistisch“ motiviert sein
19 % sollen aus „humanitären Gründen“ ausgereist sein

37 % reisten gemeinsam mit Freunden
18 % reisten mit Familienmitgliedern
14 % reisten alleine

120 Personen kehrten zurück, davon befinden sich 6 Personen in Haft

Zwei Sachsen auf dem Weg in den Dschihad?

von Florian Flade

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Beim Verfassungsschutz führt man seit rund zwei Jahren eine Liste. Darauf stehen die Namen von mehr als 400 Männern und Frauen, die in Richtung Syrien ausgereist sind. Um sich dort am Dschihad zu beteiligen, wie der Verfassungsschutz mutmaßt.

Der jüngste Syrien-Reisende ist gerade einmal 13 Jahre, der älteste 64 Jahre alt. Viele haben muslimische Eltern, jeder achte ist ein Konvertit. Die Mehrzahl besitzt einen deutschen Pass. Manche reisten per Flugzeug, andere mit dem Bus oder in Fahrgemeinschaften.

Sarah O., eine Gymnasiastin aus Kontanz, steht auf der Liste. Tarek S., ein ehemaliger Kindergärtner aus Bielefeld. Auch Majdi J., ein Friseur aus Siegen. Einige, wie David G. aus Kempten oder Samir M. aus Berlin, sind bereits tot. Andere, wie Silvio K. aus Essen oder Fared S. aus Bonn, kämpfen weiter vor Ort und hetzen im Internet gegen Ungläubige.

Am vergangenen Wochenende kamen zwei neue Namen auf die Verfassungsschutzliste: Max P. und Samuel W. aus dem sächsischen Dippoldiswalde.

Die Eltern des 19-jährigen Max P. sollen sich am Abend des 9. September bei der Polizei gemeldet haben. Ihr Sohn werde vermisst. Wenige Tage zuvor war Max aus dem Urlaub zurückgekommen. Anschließend habe er seine Arbeit gekündigt. Mit seinem Moped soll er dann nach Dresden gefahren sein. Und verschwand.

Tags darauf erhielt die Familie offenbar eine E-Mail des Sohnes. Das Landeskriminalamt (LKA) Sachsen wertet sie als Abschiedsbotschaft.

Vor zwei Jahren soll Max P. begonnen haben, sich für den Islam zu interessieren. Mit einem Freund machte er zwei Mal Urlaub in Tunesien. Und war offenbar fasziniert von der arabischen Kultur. Schließlich konvertierte der junge Sachse und verkehrte häufiger in einer salafistischen Moschee in Dresden.

Auf dem Facebook-Profil von Max P. fanden sich zahllose Fotos und Cartoons, in denen die USA, Israel und allgemein der Westen diffamiert werden. Das Titelbild zeigte die Al-Aqsa-Moschee von Jerusalem. Darüber der Satz: „Israel we are coming“.

Etwa zur gleichen Zeit wie Max P. verschwand auch dessen Freund Samuel W., ein 21-jähriger Sportwissenschaftsstudent der Universität Jena. Auch seine Eltern erhielten eine Abschieds-Mail. Samuel soll vor rund einem Jahr zum Islam konvertiert sein. „Islam – Der Schlüssel zum Paradies“, „Die Wahre Religion“, „Pierre Vogel“ – all dies fügte der Sachse bei Facebook zu seinen Favoriten hinzu.

Sicherheitsbehörden gehen davon aus, dass Max P. und Samuel W. gemeinsam reisen und sich derzeit auf dem Weg nach Syrien befinden. „Wir nehmen den Fall sehr ernst“, erklärte eine Sprecherin des sächsischen Landeskriminalamtes. Die Staatsanwaltschaft in Dresden soll bereits ein Ermittlungsverfahren gegen die beiden Islam-Konvertiten führen.

Indes hoffen die Eltern, so heißt es aus Ermittlerkreisen, ihre Söhne noch zur Umkehr bewegen zu können. Samuels Vater rief über Facebook die Freunde seines Sohnes auf, sie sollten ihn überreden, sein Vorhaben aufzugeben.

 

Dschihad-Rückkehrer Teil 2 – Auf Shoppingtour

von Florian Flade

Ismail I. steht demnächst in Stuttgart vor Gericht. Der Libanese soll in Syrien zum Dschihadisten ausgebildet worden sein. Und kehrte anschließend nach Deutschland zurück – mit einem Auftrag seines „Emirs“.

pic160914Kämpfer der „Jaish al-Muhajirin wa al-Ansar“

Der Autobahnrasthof Gruibingen. An der A8 gelegen, rund 50 Kilometer südlich von Stuttgart. Am 13. November 2013, gegen 22.45 Uhr griff die Polizei hier zu. Ihre Zielpersonen: der 24-jährige Libanese Ismail I. aus Stuttgart und der 37-jährige Deutsch-Afghane Mohammad Sobhan A. aus Mönchengladbach.

Als die Ermittler das Auto der beiden Männer durchsuchten, staunten sie nicht schlecht. Tarnkleidung, Medikamente, Skalpelle, Thermometer, ein Blutdruckmessgerät, zwei Nachtsichtgeräte und 6.232 Euro in Bar fanden sie. Einkäufe für den „Heiligen Krieg“.

Ismail I. und sein Glaubensbruder Mohammad Sobhan A. waren auf dem Weg nach Syrien, als die deutschen Ermittler sie stoppten. Sie wollten zurück an die Front, in die Reihen einer islamistischen Terrorgruppe. Das zumindest behauptet die Bundesanwaltschaft, die I. und A. im Mai angeklagt hat. Bald schon werden die beiden mutmaßlichen Islamisten in Stuttgart vor Gericht stehen, zusammen mit Ismails Bruder Ezzedine I..

Die Stuttgarter Polizei und das Bundeskriminalamt (BKA) haben monatelang gegen die mutmaßlichen Terrorhelfer ermittelt. Der Abschlussbericht umfasst rund 80 Seiten. Die Ermittler konnten rekonstruieren, dass der gebürtige Libanese Ismail I. im vergangenen Jahr nach Syrien gereist war und dort wohl eine Ausbildung zum Dschihadisten absolviert hatte, bevor er wieder nach Deutschland zurückkam. Der Prozess dürfte dennoch spannend werden – insbesondere die Frage: Welcher Gruppierung hatte sich Ismail I. überhaupt angeschlossen?

Am 22. August 2013 flog der schwäbische Islamist, ein Berufsschulabbrecher und Gelegenheitsjobber in einem Fast-Food-Restaurant, von Düsseldorf in die türkische Stadt Gaziantep. Per Bus ging es anschließend weiter an die syrischen Grenze und letztendlich in das Bürgerkriegsland.

Nach eigenen Angaben nahmen ihn zunächst die Kämpfer der „Freien Syrischen Armee“ in Empfang, die den Neukömmling aus Deutschland allerdings schnell weitervermittelt haben sollen. An die Gruppe „Jaish al-Muhajirin wa al-Ansar“, eine islamistische Miliz, angeführt von dem gebürtigen Georgier Tarkhan Batirashvilli alias „Abu Omar al-Shishani“, der bereits im Kaukasus gegen die russische Armee gekämpft hatte. In der Organisation kämpfen nach Erkenntnissen westlicher Geheimdienste zu einem großen Teil Islamisten aus dem Kaukasus, Bosnien, Albanien und dem Kosovo.

In einem Ausbildungslager nahe Aleppo, getarnt als Flüchtlingscamp und offenbar genutzt von mehreren Rebellengruppen, soll Ismail I. rund drei Wochen lang ein Training zum Dschihad-Kämpfer absolviert werden. Danach sei er einer knapp zehnköpfigen Kampfeinheit zugeteilt worden, berichtete I. den Ermittlern im Verhör, angeführt von einem deutschen Konvertiten mit dem Spitznamen „Konny“.

Laut Bundesanwaltschaft soll sich Ismail I. nach seiner paramilitärischen Ausbildung an einem Kampfeinsatz nahe Aleppo beteiligt haben. Wo genau, das konnten die Ermittler bislang nicht herausfinden. In abgefangenen Chats mit seinem Bruder in Deutschland prahlte Ismail I. jedoch damit, in Gefechten die „dreckigen Ungläubigen zu demolieren“.

Irgendwann im Oktober 2013 soll der Islamist aus Baden-Württemberg von seinem „Emir“, dem Scharia-Beauftragten der „Jaish al-Muhajirin wa al-Ansar“, Abu Abdullah al-Shishani, den Befehl erhalten haben, nach Deutschland zurück zu kehren.

Am 21. Oktober reiste Ismail I. tatsächlich nach Stuttgart. Offenbar mit dem Auftrag, Spendengelder, Medikamente und anderes Material zu beschaffen, wie es in der Anklageschrift heißt. Zwei Tage nach seiner Rückkehr ließ I. per Überweisung einem Mittelsmann in Istanbul rund 600 US-Dollar zukommen, die letztendlich an den „Emir“ Abu Abdullah al-Shishani geflossen sein sollen. Der Dschihad-Kommandeur bedankte sich nach Erkenntnissen der Ermittler per Whatsapp-Nachricht für das Geld.

Ismail I. kontaktierte nach seiner Rückkehrer zudem den Deutsch-Afghanen Mohammad Sobhan A. aus Mönchengladbach, den er während einer gemeinsamen Pilgerreise kennengelernt hatte. A. erklärte sich nach Darstellung der Staatsanwaltschaft bereit, Ismail I. bei der Umsetzung seines Auftrages zu helfen. Und mit ihm nach Syrien zu kommen.

Bei einem Jagdausstatter und einem Army-Shop in Stuttgart kaufte I. Flecktarn-Kleidung und zwei Nachtsichtgeräte. Über eine Online-Apotheke soll er sich zudem mehr als 100 Skalpelle, ein Blutdruckmessgerät, Wund- und Heilsalbe sowie das blutungsstillende Medikament Celox beschafft haben.

Für 850 Euro kaufte Ismail I. anschließend einen gebrauchten Kombi, den sein Freund Mohammad Sobhan A. am 12.November 2013 bei der Zulassungsstelle in Mönchengladbach anmeldete und auf seinen Namen versichern ließ. Mit dem Auto fuhr er am nächsten Tag nach Stuttgart und holte Ismail I. und dessen Einkäufe ab. Gemeinsam setzten sie ihre Fahrt vor bis die Polizei sie auf der Raststätte bei Gruibingen stoppte.

„Am 13.November 2013 traten die Angeschuldigten Ismail I. und Mohammad Sobhan A. die Transportfahrt nach Syrien an“, so heißt es von der Bundesanwaltschaft.

Die Staatsanwälte glauben, dass Ismail I. ein Mitglied des „Islamischen Staates“ (IS) war. Eine Behauptung, die juristisch nicht ganz unheikel sein dürfte. Denn immerhin hatte sich die Gruppe „Jaish al-Muhajirin wa al-Ansar“ erst Ende November 2013 offiziell dem „Islamischen Staat“ angegliedert. Anführer Abu Omar al-Shishani schwor damals den Treueeid auf IS-Emir Abu Bakr al-Baghdadi und löste seine eigene Kampfeinheit auf. Rein zeitlich gesehen, war Ismail I. also offenbar kein IS-Mitglied als er im Oktober nach Deutschland zurückkehrte.

Die Bundesanwaltschaft sieht dies offenbar anders. Sie hält die Zugehörigkeit von I. zum IS insbesondere durch seine Selbstbezichtigungen für plausibel. Am 10.Oktober und am 1.November 2013 erklärte Ismail I. einem Bekannten in Deutschland auf Nachfrage per Whatsapp-Nachricht, er sei weiterhin in der „dawlat“. Das arabische Wort steht für „Staat“ und bezeichnet in dschihadistischen Kreisen die Organisation „Islamischer Staat“.

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Lesen Sie hier: Dschihad-Rückkehrer Teil 1 – „Du Blödmann!“ – Der Fall Kreshnik B.