Monatsarchiv: Oktober 2014

1,4 Millionen Korane

von Florian Flade

pic211014Ahmet C. in der Wuppertaler Innenstadt – Später wurde er im Irak zum Selbstmordattentäter

Ahmet C. kann es kaum fassen. Gerade hat ihm eine ältere Dame 40 Euro geschenkt. Eine Nichtmuslima spendet für den geschenkten Koran! „Zwei 20er-Scheine. Subhanallah.“ Im Frühjahr 2014 steht Ahmet C. in der Fußgängerzone von Wuppertal. In seinen Händen hält er Korane mit goldener Verzierung, die er an Passanten verteilt. Der 21-jährige Deutschtürke trägt ein weißes T-Shirt. Darauf steht: „Lies! Im Namen deines Herrn, der dich erschaffen hat.“

„Lies!“, so heißt die umstrittene Koranverteilaktion. Fundamentalistische Muslime, sogenannte Salafisten, verschenken seit einigen Jahren deutschlandweit Korane in deutscher Sprache. In Fußgängerzonen, auf Marktplätzen, an U- und S-Bahnhöfen, vor Einkaufszentren, auch auf Schulhöfen und an Gefängnissen. Zuletzt am vergangenen Wochenende auf der Frankfurter Buchmesse.
Die Salafisten wie Ahmet C. nutzen die Heilige Schrift als Werbemittel für ihre radikale Islaminterpretation. Und gewinnen immer mehr Anhänger. Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) geht davon aus, dass bislang rund 1,4 Millionen Koranexemplare durch die salafistischen Missionare verteilt wurden. Hinzu kommt noch eine unbekannte Zahl von Internetbestellungen.
Die Flut von Gratiskoranen bleibt nicht folgenlos.

Die Zahl der Islamisten ist in den vergangenen Jahren bundesweit in die Höhe geschnellt. Aktuell rechnet der Verfassungsschutz rund 6300 Personen der salafistischen Szene zu. Im Jahr 2011 waren es noch 3800 Extremisten. Der starke Anstieg hänge auch mit Werbeaktionen wie der Korankampagne zusammen, heißt es.

„Die Lies!-Aktionen sind ein wichtiger Bestandteil salafistischer Propaganda“, sagt Jan Buschbom, Islamismusexperte vom Violence Prevention Network, das bundesweit Eltern berät, deren Kinder Salafisten geworden sind. „Die Verteilaktionen sind ein wichtiges Mittel, um Neumitglieder zu werben. Auf diese Weise haben sich viele der jungen Menschen radikalisiert.“

Eine Studie des Verfassungsschutzes und des Bundeskriminalamtes (BKA) hat die Biografien von 378 Islamisten analysiert, die nach Syrien ausgereist sind um sich dort am Dschihad zu beteiligen. Untersucht wurden auch die Radikalisierungsverläufe.
Jeder fünfte Ausgereiste habe sich durch das „Lies!“-Projekt radikalisiert, heißt es in dem Papier. Laut Verfassungsschutz ist die Korankampagne damit nach dem Freundeskreis, radikalen Moscheegemeinden und der Internetpropaganda der wichtigste Radikalisierungsfaktor.

„Wir haben festgestellt, dass von den Salafisten, die hinter den Koranverteilungsständen standen, einige in Richtung Syrien gereist sind“, sagte Torsten Voß, Leiter des Hamburger Verfassungsschutzes. Von den acht deutschen Selbstmordattentätern, die sich jüngst im Irak und in Syrien in die Luft gesprengt haben, sollen mindestens drei in Deutschland Korane verteilt haben, heißt es aus Sicherheitskreisen.

Einer von ihnen war Ahmet C., der noch im Frühjahr in der Wuppertaler Innenstadt für den Islam geworben hatte. Der ehemalige Gymnasiast aus Ennepetal im Ruhrgebiet ist inzwischen tot. Im Sommer reiste er zunächst nach Syrien, dann in den Irak. Korane zu verteilen und die Ungläubigen zu bekehren reichte dem 21-Jährigen offenbar nicht mehr aus. Ahmet C. wollte kämpfen. Und sterben.

Er schloss sich der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) an. Aus dem Koranverteiler Ahmet C. wurde der Gotteskrieger „Abu Qaqa der Deutsche“. Am 19. Juli sprengte sich der Dschihadist aus dem Ruhrgebiet in der irakischen Hauptstadt Bagdad mit einer Autobombe in die Luft. Und riss 54 Menschen mit in den Tod.

„Wir warten auf euch!“

von Florian Flade

bams_191014 Kopie

Vor Monaten tauchte bei Facebook ein Nutzerprofil auf, das offenbar einem deutschen Islamisten gehörte, der sich in Syrien aufhielt. Der Mann nannte sich „Hans Sachs“. Sein Profilbild zeigte ein schwarz-vermummtes Gesicht, nur die blau-grünen Augen stachen hervor. Um den Kopf trug er ein Stirnband mit dem Logo der Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS).

Der Dschihadist wollte augenscheinlich nicht erkannt werden. Er lud Videos hoch, in denen er Glaubensbrüder aufrief, in den Dschihad zu ziehen. Und dabei verriet sich „Hans Sachs“ durch seine markante Stimme.

Hinter dem Facebook-Profil verbarg sich wohl Michael N., ein 37-jähriger Islam-Konvertit aus dem nordrhein-westfälischen Gladbeck. Der radikale Salafist nennt sich „Abu Dawud“ und ist ein polizeibekannter Gefährder. Jahrelang predigte Michael N. in islamistischen Moschee-Gemeinden in Nordrhein-Westfalen und versuchte in ein Al-Qaida-Ausbildungslager nach Pakistan zu reisen.

Es gibt ein Foto von Michael N., das in vielen deutschen Zeitungen abgedruckt wurde. Es zeigt den Salafisten mit dunkelblondem Bart und kahlrasiertem Schädel, auf dem Boden liegend, an den Händen gefesselt. Ein Polizist mit Schutzhelm und kugelsicherer Weste drückt ihn zu Boden. Aufgenommen wurde das Bild im Mai 2012 in Solingen.

Damals demonstrierten radikale Salafisten gegen einen Auftritt der islamfeindlichen „Pro-NRW“-Bewegung. Als die Rechtspopulisten die umstrittenen Mohammed-Karikaturen aus Dänemark zeigten, eskalierte die Situation. Dutzende Salafisten prügelten mit Holzlatten und Eisenstangen auf die Polizeibeamten ein. Unter ihnen auch Michael N..

Der zuletzt in Gladbeck wohnhafte Konvertit soll nach Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden eine führende Funktion innerhalb der Salafisten-Gruppe „Millatu Ibrahim“ gehabt haben. Regelmäßig hielt er Predigten in der Moschee-Gemeinde der Organisation in einem Solinger Hinterhof. Bis „Millatu Ibrahim“ im Juni 2012 durch das Bundesinnenministerium verboten wurde.

Wie zahlreiche deutsche Salafisten nahm Michael N. das Vereinsverbot wohl zum Anlass um Deutschland den Rücken zu kehren. Gemeinsam mit seiner Ehefrau Natalja I. wanderte der Islamist nach Ägypten aus. Natalja I. alias „Umm Dawud“ kam wenige Monate später bei einem schweren Autounfall ums Leben. Die islamistische Szene in Deutschland feierte sie daraufhin als „Märtyrin von Millatu Ibrahim“.

Michael N. setzte sich wohl irgendwann im vergangenen Jahr nach Syrien ab. Inzwischen hat er sich dem „Islamischen Staat“ angeschlossen. Der ehemalige Computer-Fachmann gehört nun offiziell zur Propaganda-Maschine der Terroristen.

In der vergangenen Woche tauchte ein Video des IS auf, in dem Dschihadisten aus Großbritannien, Frankreich und Deutschland ihren Regierungen mit Terror drohen. Einer der Protagonisten ist Michael N. alias „Abu Dawud al-Almani“.

„Wir warten auf euch! Seit 1400 Jahren warten wir auf euch!“, sagt der Gladbecker in dem rund zehnminütigen Propagandavideo, an die USA gerichtet. „Das Gleiche gilt für euch, ihr Deutschen! Du schmutzige Merkel! Nachdem du deine Geschenke abgegeben hast an Israel. Versammelt ihr euch alle! Hollande, Cameron, Putin! Versammelt euch gegen die Muslime. Ihr werdet nur verlieren!“
Weiter ruft Michael N. seine „Geschwister in Deutschland, Österreich, in der Schweiz“ auf, sich dem IS anzuschließen: „Sitzt nicht mit den Schmutzigen! (…) Kämpft auf dem Weg Allahs!“

Michael N. ist derweil nicht der einzige „Millatu Ibrahim“-Anhänger, der sich in den syrischen Bürgerkrieg begeben hat. Zahlreiche ehemalige Mitglieder des verbotenen Netzwerkes kämpfen heute wohl in den Reihen des „Islamischen Staates“. Etwa Denis Cuspert aus Berlin, der Konvertit Silvio K. aus Essen oder Ismail S. aus Husum.

Von Waziristan nach Syrien

von Florian Flade

Mounir C Abu Adam FBPBonner Islamist Mounir Chouka – Auf dem Weg nach Syrien?

Syrien ist derzeit ein äußerst beliebtes Reiseziel. Nicht für erholungsuchende Pauschaltouristen. Sondern für kampfeswillige junge Männer. Tausende radikale Islamisten aus ganz Europa haben sich inzwischen der Terrormiliz Islamischer Staat angeschlossen. Sie ziehen mordend durch Syrien und den benachbarten Irak, töten Sicherheitskräfte, Soldaten, Journalisten und Andersgläubige, vergewaltigen und versklaven Frauen und Mädchen.

Wer das Terrorhandwerk erlernen möchte, der reist in Gebiete, die der IS kontrolliert. Mehr als 450 Islamisten aus Deutschland sollen diesen Weg bislang gegangen sein. Per Billigflug in die Türkei, mit dem Bus oder Mietwagen. Syrien ist der absolute Hotspot für angehende Gotteskrieger.

Noch vor Jahren zog es die religiösen Fanatiker aus Hamburg, Berlin, Frankfurt oder Bonn an den weit entfernten Hindukusch. Bis zu 100 Islamisten reisten teilweise mit Frau und Kind in das afghanisch-pakistanische Grenzgebiet Waziristan. Regelrechte „Dschihad-Kolonien“ entstanden rund um die Terrorcamps von al-Qaida und anderen Gruppierungen in den Bergdörfern im Nordwesten Pakistans.

Jetzt aber hat sich der Fokus verlagert. Waziristan ist out, Syrien liegt im Trend. Al-Qaida hat massiv an Attraktivität eingebüßt. Der Islamische Staat, mit seiner äußersten Brutalität und seiner ausgereiften Propagandakampagne, gewinnt immer mehr Anhänger. Die Weltöffentlichkeit blickt täglich nach Syrien und in den Irak. Afghanistan und Pakistan scheinen nahezu vergessen. Aus sicherheitspolitischer Sicht wohl ein Fehler. Denn noch immer halten sich dort Dutzende Terroristen aus Europa auf, darunter rund zwanzig Personen aus Deutschland.

Wie ergeht es den deutschen Islamisten im fernen Waziristan? „Der Bürgerkrieg in Syrien und die Terrorgruppe Islamischer Staat üben aktuell die größte Anziehungskraft für kampfeswillige Islamisten aus“, sagte mir ein Vertreter der Sicherheitsbehörden. „Auch die noch in Pakistan ansässigen Dschihadisten aus Deutschland wollen sich offenbar in Syrien betätigen.“

Die Extremisten in Pakistan warben noch vor Jahren mit der Utopie eines paradiesischen Lebens nach Koran und Scharia. Es gebe „Schulen, Kindergärten und Krankenhäuser“, hieß es in den Propagandavideos aus den Bergen Waziristans. Es klang nach Lagerfeuer-Idylle und Dschihad-Romantik. Die Realität aber war eine andere. Den Islamisten mangelte es an fast allem. In Geldnot kontaktierten sie Angehörige und Glaubensbrüder in der Heimat und bettelten um Spenden.

Nun scheinen sich die „Dschihad-Kolonien“ vollends aufzulösen. Nach meinen Informationen gehen Sicherheitsbehörden davon aus, dass sich viele deutsche Dschihad-Kämpfer mittlerweile von Waziristan nach Syrien und in den Irak abgesetzt haben. Darunter auch die Deutschmarokkaner Yassin und Mounir Chouka, deren Ehefrauen Nele Ch. und Luisa S., die Hamburgerin Seynabou S. sowie mehrere Kinder, die teilweise in den Terrorcamps geboren wurden.

Die Brüder Chouka aus dem Bonner Stadtteil Kessenich waren vor sechs Jahren nach Waziristan gereist. In Deutschland hatten sie eine katholische Grundschule und später das Gymnasium besucht. Sie spielten in Fußballvereinen, waren beliebte Schüler und galten als gut integriert. Nach einer Pilgerreise radikalisierte sich das Bruderpaar offenbar schrittweise. In Pakistan schließlich schlossen sie sich der Terrorgruppe Islamische Bewegung Usbekistans (IBU) an, die auch für Anschläge gegen die Bundeswehr in Afghanistan verantwortlich gemacht wird.

Als „Abu Ibrahim“ und „Abu Adam“ tauchten Yassin und Mounir Chouka in den Folgejahren in zahlreichen Propagandavideos der IBU auf. Sie verherrlichten getötete Mitstreiter als „Märtyrer“ und riefen Glaubensbrüder in Deutschland zu Terroranschlägen auf. Kampflieder der Bonner Brüder inspirierten wohl auch den Attentäter vom Frankfurter Flughafen Arid U. und eine Gruppe von radikalen Salafisten, die sich derzeit in Düsseldorf für einen geplanten Mordanschlag auf einen Politiker der islamfeindlichen „Pro NRW“-Gruppierung verantworten muss. Die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe ermittelt seit Jahren gegen die Choukas. Mehr als 20 Aktenordner umfasst das Verfahren inzwischen.

Zuletzt war es ruhig geworden um die Bonner Brüder. Im Januar tauchte das letzte Video mit Bezug zu den Choukas auf. Darin verkündeten sie den Tod eines deutschen Konvertiten bei einem amerikanischen Drohnenangriff. Seitdem herrschte Funkstille. In der islamistischen Szene gab es Gerüchte, Yassin und Mounir Chouka könnten bei einem amerikanischen Drohnenangriff getötet worden sein. Auch ein Streit unter den Dschihadisten oder ein Ausschluss aus der Terrorgruppe hielten deutsche Ermittler für möglich.

Beides scheint nicht der Fall zu sein. Nach Erkenntnissen des Bundeskriminalamtes (BKA) sollen Yassin und Mounir Chouka zwischenzeitlich sogar in die Führungsebene der Terrorgruppe IBU aufgestiegen sein. Außerdem sollen die Brüder in den vergangenen Monaten intensiv versucht haben, mit der Terrorgruppe Islamischer Staat in Kontakt zu kommen. Letztendlich wohl auch erfolgreich.

Inzwischen sollen sich die Choukas samt Ehefrauen und Kinder in Richtung Syrien aufgemacht haben. Ob sie bereits dort angekommen sind und nun vielleicht sogar an Gräueltaten des Islamischen Staates beteiligt sind, ist unklar. Ihre Vorgängerorganisation IBU jedenfalls hatte erst vor wenigen Tagen ihre Loyalität gegenüber den IS-Extremisten verkündet.

___________________________

Dieser Text erschien am 04. Oktober 2014 in Die WELT

http://www.welt.de/politik/deutschland/article132910243/Fuer-deutsche-Gotteskrieger-ist-Syrien-Reiseziel-Nr-1.html