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Was ist die „Gang of Eight“?

Eine kleine Gruppe von US-Abgeordneten hat Zugang zu den sensibelsten Geheimdienstinformationen, wie jüngst etwa zu den Erkenntnissen des iranischen Angriffs auf Israel. Was hat es mit dieser „Gang of Eight“ auf sich?

Von Florian Flade

Sie wussten, dass der Angriff kommen wird. Dass das Mullah-Regime im Iran einen Vergeltungsschlag gegen Israel plant. Als Rache für den israelischen Luftangriff, bei dem kürzlich in Damaskus mehrere hochrangige iranische Militärs, darunter zwei Generäle, getötet worden waren. Die US-amerikanischen Geheimdienste warnten in der vergangenen Woche explizit davor, dass Teheran eine Welle von Angriffen mit Raketen und Drohnen vorbereite.

In den frühen Morgenstunden am vergangenen Sonntag war es dann so weit. Hunderte Kamikaze-Drohnen, Marschflugkörper und ballistische Raketen wurden auf Israel abgefeuert, nahezu alle Geschosse konnten von der israelischen Flugabwehr und den Streitkräften der verbündeten Nationen abgefangen werden. Ein kleines Kind allerdings wurde schwer verletzt.

Einer der ersten, der öffentlich vor einer neuen Gewalteskalation in Nahost und einem konkreten iranischen Angriffsplan warnte, war der US-amerikanische Senator Marco Rubio (Republikaner) aus Florida. Am vergangenen Donnerstag schrieb er auf der Plattform X, dass Iran einen großangelegten Angriff auf Israel von seinem Staatsgebiet aus durchführen wolle.

Rubio verfügte offensichtlich über detaillierte Informationen zu dem bevorstehenden Luftangriff des Teheraner Regimes. Und das hat mit seiner besonderen Rolle zu tun: Der Republikaner gehört zur sogenannten „Gang of Eight“, einer Gruppe von acht US-Politikern, die von der US-Regierung über die Erkenntnisse der Geheimdienste unterrichtet werden.

Innerhalb der US-amerikanischen Geheimdienstkontrolle übernimmt diese Gruppe, die Zugang zu hoch eingestuften Informationen erhält, eine besondere Funktion. Sowohl der US-Senat auch als auch das Repräsentantenhaus verfügen mit dem United States Senate Select Committee on Intelligence und dem United States House Permanent Select Committee on Intelligence über Gremien, in denen die Arbeit der Geheimdienste parlamentarisch kontrolliert werden soll.

Dies geschieht einerseits durch Anhörungen der Director of National Intelligence (DNI) und Vertretern der Dienste, andererseits durch nicht-öffentliche Briefings, die Angehörige dieser Ausschüsse bekommen.

Daneben existiert die besagte „Gang of Eight“. Sie setzt sich zusammen aus jeweils zwei Mitgliedern der eben genannten Kontrollinstanzen in Senat und Repräsentantenhaus. Hinzu kommen vier weitere Vertreter aus dem Repräsentantenhaus und dem Senat: Und zwar jeweils die Führer der Mehrheit und Minderheit von Demokraten und Republikanern, die ranghöchsten Abgeordneten beider Parteien.

Die „Gang of Eight“ wird durch die US-Regierung über relevante nachrichtendienstliche Erkenntnisse, aber auch über heikle Operationen der US-Geheimdienste informiert. Sie bekommt oftmals auch zeitnah Zugang zu Informationen, die für die Analyse einer aktuellen Entwicklung von großer Bedeutung sind – wie etwa jüngst beim bevorstehenden Angriff des Iran auf Israel.

In Kenntnis gesetzt wurde die „Gang of Eight“ zuletzt auch über Russlands Pläne zur Stationierung von nuklearen Waffen im Weltraum, ebenso über das chinesische Spionageballon-Programm und über die geheimen Papiere, die im privaten Anwesen des früheren Präsidenten Donald Trump gefunden worden waren.

Eingeführt wurde die kleine exklusive Runde in den 1970er Jahren. Damals stand im Vordergrund die Frage, ob und wie die US-Regierung eine parlamentarische Kontrolle der Geheimdienstarbeit gewährleisten kann, wenn es sich um besonders sensible Operationen handelt. Dabei ging es vornehmlich um verdeckte Maßnahmen, die sogenannte „covert action“.

Dazu zählte etwa der CIA-Einsatz in Laos während des Vietnamkrieges, die verdeckte Einflussnahme der USA in Chile, die zum Militärputsch gegen den sozialistischen Präsidenten Salvador Allende führte, der Aufbau der „Contras“ in Nicaragua oder die CIA-Hilfe für die Mudschaheddin in Afghanistan in den 1980er Jahren.

Nachdem klar wurde, dass der Kongress oftmals über solche Aktivitäten der US-Dienste im Unklaren gelassen, oder viel zu spät erst informiert worden war, forderten die Abgeordneten eine neue Regelung zur frühzeitigen Information über selbst die geheimsten Operationen.

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Operation „Skirp“

In Großbritannien stehen mehrere Bulgaren vor Gericht. Sie sollen in Europa für Russland spioniert haben. Hat der gesuchte Wirecard-Manager Jan Marsalek die Agentenzelle gesteuert?

Von Florian Flade

Es gebe „sehr gute Nachrichten“, schrieb der Mann, der sich im Chat „.CN“ nannte, am 06. Juni 2022, um 18:53 Uhr Londoner Zeit. Das „Seal Team“ sei erfolgreich in „das Grozev Apartment eingedrungen“. Man habe einen Tresor geöffnet und darin einen IBM Laptop gefunden. Und weiter: „Das Team hat Wien vor zwei Stunden verlassen.“ Der Chatpartner „Rupert Ticz“ reagierte freudig auf die Nachricht.

Es ist die Beschreibung eines Einbruchs in Wien. In die Wohnung des Investigativjournalisten Christo Grozev, der damals mit seiner Frau in der österreichischen Hauptstadt lebte. Grozev, der früher bei Bellingcat und heute für The Insider und Der Spiegel arbeitet, ist bekannt für seine Enthüllungen zu den Machenschaften russischer Geheimdienste, und steht deshalb im Visier des Kreml. Er gilt als gefährdet und lebt inzwischen nicht mehr in Europa.

Die beiden Männer, die sich vor zwei Jahren freudig über den Wohnungseinbruch bei Grozev austauschten, waren nicht die Einbrecher. Aber sie haben Aktion offenbar organisiert. Der eine, „.CN“, hielt sich zu diesem Zeitpunkt wohl in Großbritannien auf. Es soll sich dabei um den Bulgaren Orlin Roussev handeln. Sein Chatpartner befand sich damals wohl in Moskau: Hinter dem Nutzernamen „Rupert Ticz“ soll Jan Marsalek stecken, der flüchtige Wirecard-Manager, verwickelt in einen Finanzskandal mit einer Milliardendimension.

Der 46-jährige Bulgare Orlin Roussev steht mittlerweile in London vor Gericht. Er soll der Kopf einer Agentenzelle sein, die für Russland spioniert haben soll. Neben Roussev gehören dazu weitere bulgarische Staatsangehörige – Biser Dzhambazov, Katrin Ivanova, Ivan Stoyanov und Vanya Gaberova – die ebenfalls im September 2023 angeklagt wurden. Mittlerweile wurde auch eine sechste Person festgenommen, die zu diesem Netzwerk gehören soll.

Die britischen Ermittler sind überzeugt davon, dass diese Zelle für Moskaus spioniert hat. Sie soll Zielpersonen und Örtlichkeiten ausgespäht haben, darunter russische Dissidenten, Regime-Kritiker und Journalisten. Und zwar nicht nur in Großbritannien, sondern auch anderenorts in Europa. Ihre Aufträge sollen Roussev und die anderen von Jan Marsalek bekommen haben. Der mit Haftbefehl gesuchte Österreicher soll die Agenten über Handychat aus Russland gesteuert haben.

Aufgedeckt wurde die bulgarische Zelle um Roussev durch den britischen Inlandsnachrichtendienst MI5 und die Counter-Terrorism-Abteilung der Metropolitan Police. Das Ermittlungsverfahren in Großbritannien heißt „Operation Skirp“ – und hat mittlerweile erstaunliche Erkenntnisse über ein multinationales Netzwerk zutage gefördert, das offensichtlich für Informations- und Technologiebeschaffung und für die Ausspähung von Menschen genutzt wurde. Unter anderem zehntausende Chatnachrichten, die Marsalek zugeschrieben werden.

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Was ist „Duty to Warn“?

Vor dem jüngsten Terroranschlag in Russland hatten die USA den Kreml vor einer solchen Bedrohung gewarnt. Gleiches geschah zuvor im Iran. Dafür sorgt eine kaum bekannte Dienstvorschrift der amerikanischen Geheimdienste – die „Duty to Warn“.

Von Florian Flade

Nein, eine engere Sicherheitspartnerschaft zwischen den USA und Russland werde es sicherlich nicht geben, sagte John Kirby, Sprecher für Nationale Sicherheit der US-Regierung bei einer Pressekonferenz am Montag. Aber in der Tat habe man russische Behörden schon vor Wochen vor einem islamistischen Terroranschlag gewarnt. Vor einem Attentat, wie es schließlich am vergangenen Freitag in der Konzerthalle Crocus City Hall nahe Moskau verübt wurde. Mehr als 130 Menschen wurden dabei getötet. 

„Wir hatten die Pflicht, sie aufgrund von Informationen zu warnen, über die wir verfügten, über die sie ganz offensichtlich nicht verfügten. Das haben wir getan“, so Kirby.

Diese Pflicht zu warnen – „Duty to Warn“ – ist nicht bloß eine Floskel, sondern tatsächlich eine formale Verpflichtung der US-Geheimdienste. Woher stammt sie und was bedeutet das in der Praxis?

Im Juli 2015 erließ James Clapper, der damalige Director of National Intelligence, eine entsprechende Weisung an die Nachrichtendienstcommunity – die Intelligence Community Directive 191 „Duty to Warn“. Darin heißt es:

„Ein Mitglied der IC (intelligence community), das glaubwürdige und spezifische Informationen sammelt oder beschafft, die auf eine drohende Gefahr vorsätzlicher Tötung, schwerer Körperverletzung oder Entführung gegen eine Person oder Personengruppe hinweisen, hat die Pflicht, das beabsichtigte Opfer oder die für den Schutz Verantwortlichen zu warnen, soweit angemessen (…) Der Begriff „beabsichtigtes Opfer“ umfasst sowohl US-Personen (…), als auch Nicht-US-Personen.“

– Intelligence Community Directive 191

Es handelt sich demnach um eine Anweisung der Fachaufsicht an die US-Nachrichtendienste, entsprechende nachrichtendienstliche Erkenntnisse mit ausländischen Stellen zu teilen, um Menschenleben zu schützen. Das ungewöhnliche daran: Dies umfasst eben nicht nur US-Staatsbürger, sondern auch Ausländer, die in Gefahr sind.

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