Monatsarchiv: Juni 2012

„Wie krass die Abtrünnigen stinken“

von Florian Flade

Fatih T. aus Berlin-Steglitz in den Bergen Waziristans

Ein Gehöft irgendwo in den Bergen zwischen Afghanistan und Pakistan. Ziegelmauern, eine Lehmhütte, verstreut auf der Erde liegen angeblich die Wrackteile eines abgeschossenen Hubschraubers. Vier pakistanische Soldaten sollen durch den Absturz der Maschine angeblich ums Leben gekommen sein. Ein bärtiger Mann läuft durch das Trümmerfeld. Sein Gesicht ist verpixelt, an einem Tragegurt um die Schulter hängt eine RPG-Panzerfaust. Der Mann spricht Deutsch. „Wie krass diese Abtrünnigen stinken“, sagt er in die Kamera, „sie liegen erst ein paar Tage herum und fangen schon an zu stinken. Sie sind kuffar (Ungläubige).“ Der Mann, so verrät es der eingeblendete Text des Videos, heiße „Abdul Fettah al-Muhajir“. Sein richtiger Name: Fatih T. Er ist kein Afghane, er ist Berliner.

Vor drei Jahren zog Fatih T. in den „Heiligen Krieg“ an den Hindukusch. Zuvor lebte er ein recht unauffälliges Leben in Berlin-Steglitz. Der Deutsch-Türke galt als gut integriert, sein Leben unterschied sich kaum von dem anderer Berliner Jugendlicher. Er besaß einen Motorroller, ein iPhone, verbrachte die Wochenenden in Diskotheken und auf Privatparties. Fatih sei einer von ihnen gewesen, berichten ehemalige Schulkameraden heute, ein Partygänger, der Alkohol getrunken habe, HipHop-Musik und Kampfsport liebte. Im Juni 2003 fuhr er mit Freunden nach Hamburg, besuchte dort ein Konzert der Rap-Ikone „Eminem“. Das Interesse fürs Feiern und die Musik war derart stark, dass Fatih T. die Schule immer mehr schleifen ließ. Seine Leistungen ließen nach, noch 2003 wechselte er das Gymnasium. Im Folgejahr bestand Fatih T. das Abitur und jobbte anschließend in einem Fastfood-Restaurant.

Freunden erzählte er damals, er wolle sich eventuell bei der Bundeswehr verpflichten lassen und Berufssoldat werden. Stattdessen aber schrieb er sich an der Technischen Universität in Berlin zum Studium ein. Religion oder Politik hätten ihn zu Schulzeiten nie übermäßig interessiert, erinnern sich Freunde. Kenntnis über den Islam habe er allerdings schon als Jugendlicher gehabt. „Er wusste schon um seine eigenen kulturellen Wurzeln Bescheid“, sagt ein ehemals guter Freund. Irgendwann bemerkte die Clique dass Fatih wohl auf „der Suche nach etwas“ war. Es setzte eine spirituelle Wandlung ein, die nun auch äußerlich sichtbar wurde.

Fatih T. interessierte sich bereits kurz nach Studienbeginn verstärkt für den Islam. Die Frage nach dem Sinn des Lebens, nach dem „Was kommt nach dem Tod?“ haben ihn wohl zunehmend beschäftigt. Am Campus soll er schließlich mit strenggläubigen Muslimen in Kontakt gekommen sein. Die hätten ihn womöglich in die Salafisten-Szene der Hauptstadt eingeführt, mitgenommen in eine Moschee im Stadtteil Wedding, vermutet die alte Clique. Einen „Kaftan, Bart und Schlappen“ habe der einstige Partygänger fortan getragen, erzählen Freunde. Ein Blick auf Fatihs Profilseite eines sozialen Netzwerks bestätigte die religiöse Wandlung des Berliners. Dort zierte nun ein Foto von Mekka das Profilbild von Fatih T.. Als Mitglied in Islam-orientierten Internetgruppen verschickte er Links zu Youtube-Videos von Pierre Vogel an die nicht-muslimischen Freunde.

Die Freunde rätseln heute, wie aus dem kampfsportbegeisterten Hobby-Rapper in so kurzer Zeit ein Glaubenskrieger wurde. Die Antwort, so vermuten sie, liegt in den Hinterhof-Moscheen im Berliner Stadtteil Wedding und am dortigen, radikalen Umfeld. Bei einer Zufallsbegegnung 2009 fragen die Freunde Fatih, von wo er denn gerade komme. Seine Antwort: „Aus´m Wedding, von der Moschee.“ Sein Leben laufe momentan gut. Eines aber bereite ihm Sorgen, so der Student. Es sei schade, dass er seiner älteren Schwester, die damals mit ihm in einer Wohnung wohnte, nicht sagen könne, wie sie sich zu verhalten haben und was sie machen dürfe, und was nicht. Die Freunde wurden stutzig. War das Macho-Gehabe, oder Ausdruck eines immer radikaleren Islam-Verständnisses?

Fatih T., so vermuten Sicherheitsbehörden, baute im Umfeld einer Berliner Moschee einen Freundeskreis auf, der zur salafistischen Szene gehörte. Einer der neuen Freunde war Yusuf O.. O. studierte ebenfalls in Berlin, galt als bestens integriert, driftete dann ab in den Islamismus. Genau wie Fatih hegte auch Yusuf einen sehnlichen Wunsch: Kämpfen für Allah. Damit waren die beiden Deutsch-Türken nicht alleine in der Berliner Szene. Ein gutes Dutzend Islamisten wollte in den „Heiligen Krieg“ im weitentfernten Afghanistan zu ziehen. Fatih und Yusuf wollten die Ersten sein.

Wer aber in den Dschihad ziehen will, der braucht zunächst einmal Geld für die beschwerliche Reise. Das wusste auch Fatih. Über Ebay verkaufte er unterschiedlichste Dinge wie Handys, Goldbarren, Computer. Nichts davon besaß der Student, die Käufer erhielten keine Ware. Fatih aber kassierte 7000 Euro. Als die Betrogenen Anzeige gegen ihn erstatteten, hatte Fatih Deutschland längst verlassen. Mit Yusuf O. und dem Berliner Fatih K. reiste er im April 2009 über die Türkei in den Iran. Von dort führte die Tour ins afghanisch-pakistanische Grenzgebiet Waziristan. In dieser Region, in der nicht der pakistanische Staat sondern Taliban und Al-Qaida herrschen, schlossen sich Fatih und Yusuf einer Terrorgruppe an und absolvieren eine paramilitärische Ausbildung. Aus Fatih T. wurde „Abdel Fettah al-Muhajir“, aus Yusuf O. wurde „Abu Ayyub al-Almani“

Als die Angehörigen nach dem Verschwinden Fatihs Wohnung in Berlin-Steglitz durchsuchten, fanden sie islamistische Literatur. Darunter eine Schrift mit dem Titel „39 Wege den Dschihad zu unterstützen“. Fatihs Eltern leben inzwischen wieder in der Türkei. Genau wie seine Glaubensbrüder in Berlin, bekamen sie ab und an E-Mails aus Pakistan. Telefonieren könne er nicht, schrieb Fatih, die Geheimdienste würden alle Gespräche mithören. In den E-Mails verriet er nur wenige Details über sein Leben als Dschihad-Kämpfer. Meist bettelte er um dringend benötigtes Geld. Man solle ihm sein BaFög schicken, dass der Staat ihm weiterhin überwies. Er war immer noch eingeschriebener Student, da trainierter er bereits an Kalaschnikow und Panzerfaust. Nur an das Geld kam er von Pakistan aus nicht heran.

Mal hieß es in einer E-Mail, Fatih sei „bei Adrenalin“. Die Glaubensbrüder in Deutschland lasen daraus: Fatih war wohl in Kämpfe verwickelt. In einem Internetchef versuchte Fatih einen Gesinnungsgenossen aus Berlin-Kreuzberg zu einem Selbstmordattentat in der deutschen Hauptstadt zu überreden. Der Freund lehnte ab. Einmal schickte ein Kampfgefährte eine E-Mail an Fatihs Vater. Darin stand, Fatih leide an einem Nierentumor und werde wohl bald im Jemen behandelt. Die Transplantation würde 50.000 Euro kosten. Ob die Familie das Geld nicht schicken könne, fragte der E-Mail-Verfasser. Fatih war nie im Jemen. Das Geld brauchte er für Waffen, Munition und Lebensmittel.

Im Herbst 2009 und Frühjahr 2010 verschwanden in mehreren Reisewellen Islamisten aus Berlin. Unter ihnen waren Konvertiten, Araber, Türken, teilweise mit Ehefrauen. Sie stammten größtenteils aus dem Freundeskreis von Fatih T. und folgten ihm nach Pakistan. Dazu hatte Fatih T. in einer Videobotschaft aus Waziristan aufgerufen. „Wir sollten nicht vergessen, dass wir uns weiterhin im Kampf gegen die Ungläubigen befinden“, sagte er in einer Videobotschaft, „Ich rufe die Muslime auf, für die Religion Allahs zu kämpfen. Ich rufe euch auf, in die besetzten Länder zu kommen und gegen die Ungläubigen zu kämpfen, so wie sie gegen uns kämpfen!“ Die Propaganda zeigte wirkung und so wuchs die deutsche Dschihad-Kolonie in den pakistanischen Bergen durch den Zulauf aus Berlin. Es entstanden die „Deutsche Taliban Mujahideen“ (DTM).

Deren Mitgliederzahl sank jedoch genauso schnell, wie sie gestiegen war. Im April 2010 erschossen pakistanische Soldaten drei deutsche Islamisten der DTM an einem Checkpoint. Einer der getöteten Islamisten, ein Berliner Konvertit, hinterließ eine deutsche Ehefrau. Fatih T. heiratete die Märtyrer-Witwe, die kurz darauf ein Kind ihres verstorbenen ersten Ehemannes zur Welt brachte. Ein weiteres Berliner Islamisten-Pärchen verließ im Sommer 2010 voller Frust das Terrorcamp in Waziristan und wurde bei der Rückreise nach Deutschland in der Türkei verhaftet. Fatihs bester Freund Yusuf kehrte den DTM noch im Frühjahr 2010 den Rücken und schloss sich der Al-Qaida an. Als er kurz darauf im Auftrag des Terrornetzwerkes nach Europa zurückreiste, verhafteten ihn die Sicherheitsbehörden in Wien.

Im Dezember 2010 tauchte ein Schreiben der „Deutschen Taliban“ im Internet auf, in dem verkündet wurde, dass Fatih T. alias „Abdel Fettah al-Muhajir“ fortan der „Emir“ der Gruppe sei. Was heroisch klang, war mehr Scherz und Verzweiflung als alles andere, denn Fatih und seine Berliner Ehefrau hielten zu diesem Zeitpunkt bereits Monaten als letzte Mitglieder der DTM einsam und allein die Stellung in Waziristan. Die Drohnenangriffe der USA und die katastrophalen Lebensbedingungen in den Berghütten setzten den Dschihadisten aus dem Westen hart zu. So sehr, dass Fatihs Frau Amirah samt Kind die Heimreise antrat. Über den Iran reiste die schwangere Berlinerin im Juni 2011 zurück nach Deutschland. Eine beschwerliche Flucht, die Mutter und Kind unbeschadet überstanden.

Zurück blieb Fatih. Er meldete sich noch sporadisch bei der Familie und bei Freunden in Berlin, erzählte, er habe keine Lust mehr auf Dschihad. Dann verschwand er und tauchte kurze Zeit später im Iran auf. Wohl auf Rat seines Anwaltes kontaktierte Fatih T. vom Iran aus Medienvertreter, berichtete die iranischen Behörden würden ihn, den gesuchten Terroristen, nicht ausreisen lassen sondern als Faustpfand gegen Deutschland missbrauchen.

Irgendwie gelang es dem Berliner Ex-Gotteskrieger dann wohl doch Iran auf eigene Faust zu verlassen. Fatih setzte sich in die Türkei ab. Dort verhaftete ihn die Polizei Anfang Juni wegen der illegalen Einreise. Sollte Fatih nach Deutschland ausgeliefert werden, droht ihm wohl ein Prozess wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung – und wegen Internet-Betrugs. Das Verfahren wegen der Ebay-Verkäufe sei „noch nicht abgeschlossen“, heißt es von der Berliner Justiz.

 

New Abu Yahya al-Libi Videos – Dead or What?

by Florian Flade

Abu Yahya al-Libi in new video message released June 22

Three weeks have passed since a US drone strike in North Waziristan allegedly killed Al-Qaida´s Top commander Abu Yahya al-Libi. Since then Al-Qaida has neither officially confirmed nor denied the death of al-Libi. Question still remains: Is the White House´s claim true or not?

Instead of celebrating the martyrdom of yet another of its leaders Al-Qaida is releasing videos of al-Libi. Last week the terrorist network´s media wing „As-Sahab“ released a 17-minute video statement titled „The American Military and Ethics of Wars“ in which al-Libi talks about civilian deaths in Afghanistan.

The more interesting details regarding the second new Abu Yahya al-Libi tape within two weeks is: Al-Qaida does not seem to regard him as dead. The organization labels him „Al-Sheikh Al-Mujahid Abu Yahya al-Libi (may Allah protect him)“ – the latter phrase indicating the person is still alive. Otherwise the phrase „may Allah have mercy upon him“ would be used.

Like the other video message released recently – titled „Tragedies of Ash-Sham: Between the Crimes of the Nusayris and the Plots of the West“ – the newest al-Libi tape was allegedly recorded in the Islamic year of 1433. So no indicating the videos were produced after the June 4th drone strike? No.

Al-Qaida could be playing the old game of not confirming or denying a leader´s death and meanwhile releasing all the old footage of the person recorded in recent months. In other cases – for example the death of Atiyyatullah al-Libi – it took months for Al-Qaida to publish a statement.

The Western intelligence community is pretty sure Abu Yahya al-Libi is history…but still lacks the proof.

 

Berliner Dschihadist Fatih T. in der Türkei gefasst

von Florian Flade

Fatih T. – Von Berlin-Steglitz in den Dschihad

Es waren keine guten Wochen für deutsche Dschihadisten. Drei Islamisten aus der Bundesrepublik wurden seit Monatsbeginn in Ostafrika, Pakistan und der Türkei festgenommen. Der erste war Emrah E., der am Flughafen der tansanischen Haupststadt Dar-es-Salam am 10.Juni festgenommen wurde. Mit der Verhaftung fand die beispiellose Terrorkarriere eines Wuppertaler Islamisten ein jähes Ende.

Vor wenigen Tagen folgte die Nachricht, dass Naamen Meziche, ein Hamburger mit französischem Pass, in Pakistan gefasst wurde. Meziche gilt als Bekannter der Todespiloten von 9/11 und hatte sich im März 2009 der Al-Qaida in Pakistan angeschlossen. In der Metropole Quetta verhafteten pakistanische Sicherheitskräfte Meziche und weitere Al-Qaida Mitglieder bei einer Razzia.

Am Wochenenden nun die Meldung: der Berliner Islamist Fatih T. wurde in der Türkei gefasst. Der 27-jährige Deutsch-Türke aus Berlin-Steglitz war im Frühjahr 2009 gemeinsam mit seinem Freund Yusuf O. nach Pakistan ausgereist. Im Grenzgebiet Waziristan wurden die beiden Berliner zunächst Teil einer usbekischen Terrorgruppe, spalteten sich schließlich ab und gründeten gemeinsam mit anderen Islamisten aus Deutschland die „Deutschen Taliban Mujahideen“ (DTM). Fatih T. alias „Abdul Fettah al-Mujahir“ war zuletzt Anführer der Splittergruppe.

Im Oktober 2010 meldeten dschihadistische Websites der DTM-Emir sei bei einem US-Drohnenangriff ums Leben gekommen. Der Bericht erwies sich als falsch.

Nachdem die DTM durch Gefechte und die Flucht von frustrierten Kämpfern stark an Mitgliedern einbüßte, setzte sich Fatih T. offenbar Ende 2011 in den Iran ab. Von dort aus verhandelte er mit Anwälten in Deutschland über die Möglichkeiten einer Rückkehr nach Deutschland. Er gab der „New York Times“ ein Telefon-Interview und erklärte er und weitere europäische Islamisten hätten genug vom Dschihad in Pakistan. Der Iran nutze sie nun als Faustpfand gegen den Westen und lasse die Gotteskrieger nicht ausreisen.

Anfang Juni gelang es Fatih T. dann offenbar doch sich vom Iran aus in die Türkei abzusetzen. Dort klickten die Handschellen. T. sitzt seitdem in Untersuchungshaft und hofft offenbar auf eine Auslieferung nach Deutschland.

Lesen Sie hier mein Portrait über den Gotteskrieger aus Berlin-Steglitz.

http://www.welt.de/politik/deutschland/article12508451/Fatih-T-der-islamistische-Fanatiker-aus-Berlin.html