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Indien und die Spionage

Kanada beschuldigt Agenten des indischen Staates in die Ermordung eines Sikh-Separatisten verwickelt zu sein. Seitdem herrscht Eiszeit zwischen den beiden Ländern. Der Fall wirft ein Schlaglicht auf Indiens Auslandsgeheimdienst R&AW.

Von Florian Flade

Am Abend des 18. Juni 2023 verließ ein Mann in einem blau-gestreiften Hemd und mit langem Bart den Sikh-Tempel Guru Nanak Gurdwara im kanadischen Surrey, einem Vorort von Vancouver. Es war Hardeep Singh Nijjar, 45 Jahre alt, von Beruf Klempner und Vorsitzender der Religionsgemeinde. Auf dem Parkplatz vor dem Tempel stieg Nijjar in seinen grauen Pick-Up-Truck der Marke Dodge Ram und fuhr gerade los, als zwei maskierte Männer an das Auto herantraten. Sie zogen Pistolen und feuerten mehr als ein Dutzend Mal durch die Scheiben in die Fahrerkabine. Nijjar war sofort tot. Die maskierten Mörder flohen zunächst zu Fuß, dann mit einem silbernen Fluchtwagen, der in der Nähe parkte. Sie entkamen unerkannt.

Hardeep Singh Nijjar, geboren im nordindischen Jalandhar, kam vor 25 Jahren als Asylbewerber nach Kanada, dem Land mit der größten Sikh-Community außerhalb Indiens. Der zweifache Familienvater war kanadischer Staatsbürgerschaft und ein glühender Anhänger der Sikh-Unabhängigkeitsbewegung, die seit den 1970er Jahren einen eigenen Staat namens Khalistan im indischen Bundesstaat Punjab fordert. Nur wenige Stunden vor seinem Tod hatte Nijjar noch vor seiner Gemeinde gepredigt und seinen Zuhörern eingeschärft, wie wichtig es sei, sich für die Rechte der Sikhs in Indien einzusetzen.

In Indien galt Nijjar als Terrorist. Ihm wurde vorgeworfen als Mitglied der militanten „Khalistan Tiger Force“ einen Bombenanschlag organisiert und Attentäter in Kanada ausgebildet zu haben. Nijjar bestritt das. Die indische National Investigative Agency (NIA) hatte ihn dennoch 2020 öffentlich zur Fahndung ausgeschrieben, beschuldigte ihn konkret an einem Angriff auf einen Hindu-Priester beteiligt gewesen zu sein und setzte eine Belohnung von 16.000 US-Dollar für seine Ergreifung aus. Auch Auslieferungsersuchen an Kanada hatten die indischen Behörden gestellt.

„Gefährliche Zeiten kommen auf uns zu“, hatte Nijjar noch kurz vor seinem Tod bei einer Predigt in seiner kanadischen Heimat gesagt. Wenige Monate später nun wird der Mord an dem Sikh-Separatisten zu einem brisanten Politikum.

Am vergangenen Montag erklärte Kanadas Premierminister Justin Trudeau im Parlament in Ottawa, dass die indische Regierung in den Mord an Hardeep Singh Nijjar verwickelt sein könnte.

„In den vergangenen Wochen haben Kanadas Sicherheitsbehörden aktiv glaubwürdige Vorwürfe über eine mögliche Verbindung zwischen Agenten der indischen Regierung und der Ermordung des kanadischen Staatsbürgers Hardeep Singh Nijjar verfolgt“, sagte Trudeau. Er forderte Indiens Regierung zur Rechenschaft und Kooperation bei den Ermittlungen auf. Kanada sei ein Rechtstaat, seine Souveränität dürfte nicht verletzt werden. Eine solche Tat auf kanadischem Boden sei inakzeptabel.

In Neu Delhi reagierte die Regierung von Premierminister Narendra Modi empört auf die Vorwürfe und bezeichnete die Anschuldigungen aus Kanada als „absurd“. Das indische Außenministerium forderte stattdessen die kanadische Regierung auf, „unverzüglich (…) gegen alle anti-indischen Aktivitäten vorzugehen, die von kanadischem Boden ausgehen“. Schon seit Jahren sind insbesondere die Aktivitäten der Sikh-Separatisten ein Dorn im Auge der indischen Regierung, sie wirft Kanada vor, Terroristen Unterschlupf zu gewähren.

Bereits beim G20-Gipfel, der vor Kurzem in Indien stattfand, war die unterkühlte Stimmung zwischen den Regierungschefs beider Länder spürbar. Kanadas Premier Trudeau erklärte in dieser Woche, er habe die Hinweise auf einen staatlichen Hintergrund des Mordes an dem Sikh-Aktivisten in Surrey schon beim Treffen mit Modi am Rande des Gipfels angesprochen und mitgeteilt, dass eine Beteiligung der indischen Regierung an dem Verbrechen nicht akzeptabel sei.

Mittlerweile herrscht diplomatische Eiszeit zwischen Ottawa und Neu Delhi angesichts der schwerwiegenden Vorwürfe des kanadischen Premiers. Die Länder haben gegenseitig Diplomaten ausgewiesen. Die Außenministerien warnen ihre Staatsangehörigen sogar vor Reisen in das jeweilige Land. Und Indiens Regierung hat verkündet ab sofort keine Visa mehr für kanadische Staatsbürger auszustellen.

Was aber hat es mit den Vorwürfen auf sich? In Kanada gehen die Sicherheitsbehörden offenbar davon aus, dass Hardeep Singh Nijjar das Opfer eines politischen Mordes wurde, möglicherweise sogar von Staatsterrorismus. Welche Beweise den kanadischen Ermittlern dafür bislang vorliegen, ist unklar. Dennoch entschied sich die kanadische Regierung in dieser Woche, die Vorwürfe öffentlich zu machen und eine erste Konsequenz zu ziehen.

„Sollte sich dies als wahr erweisen, wäre dies ein großer Verstoß gegen unsere Souveränität und die grundlegendste Regel, wie Länder miteinander umgehen“, sagte Kanadas Außenministerin Mélanie Joly. „Infolgedessen haben wir einen führenden indischen Diplomaten ausgewiesen.“ Bei der Person habe es sich um dem Vertreter des indischen Geheimdienstes in Kanada gehandelt.

Die aktuelle Krise zwischen Indien und Kanada wirft auch ein Schlaglicht auf die indischen Geheimdienste – und deren mögliche Verwicklung in das Attentat auf den Sikh-Separatisten.

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