Das Terrornetzwerk „Löwen des Balkan“

Der Attentäter von Wien soll zu einem europäischen Islamisten-Netzwerk gehört haben, das schon länger im Blick der Behörden steht. Nun wurde bei zwei Kontaktpersonen in Deutschland durchsucht, sie gelten als mögliche Mitwisser des Terroristen.

Von Florian Flade

Kujtim F., der spätere Attentäter von Wien im Juli 2020

Die Fotos zeigen junge Männer, die durch die Straßen von Wien schlendern. Sie lachen, scherzen. Österreichische Verfassungsschützer haben die Aufnahmen im Sommer 2020 heimlich gemacht. Sie ahnten damals wohl noch nicht, dass einer der Männer, die sie fotografierten, wenige Monate später einen Terroranschlag begehen, vier Menschen ermorden und rund zwanzig weitere teils schwer verletzten wird.

Mitte Juli 2020 meldete sich das deutsche Bundeskriminalamt (BKA) beim österreichischen Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT). Zwei Islamisten aus Deutschland würden wohl bald nach Österreich reisen, so der Hinweis. Ihr Flug mit WizzAir würde am 16. Juli 2020, um 18.20 Uhr in Dortmund starten, laut Fluggastdaten würden sie wohl gegen 20 Uhr in Wien landen. Die deutschen Ermittler baten ihre österreichischen Kollegen darum, die Männer zu observieren. 

Beim BKA ging man zunächst davon aus, dass die beiden Islamisten aus Osnabrück und Kassel wohl einen alten Bekannten in Wien besuchen würden. Einen Extremisten, der aus Norddeutschland stammt aber seit einiger Zeit in der österreichischen Hauptstadt lebte. Teilweise standen sie mit ihm über eine WhatsApp-Gruppe in Kontakt, in der Propagandavideos der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) verbreitet wurden.

Die österreichischen Verfassungsschützer warteten am Wiener Flughafen Schwechat als die Reisenden aus Deutschland eintrafen. Dabei stellten sie fest, dass die Islamisten offenbar abgeholt wurden. Jedoch nicht wie erwartet von dem norddeutschen Bekannten (der im Oktober 2020 schließlich nach Deutschland abgeschoben wurde), sondern von zwei anderen Islamisten mit einem blauen Ford Focus Kombi. Einer davon war Kujtim F., der spätere Attentäter von Wien. 

Was sich in den folgenden Tagen vor den Augen der österreichischen Observanten in Wien abspielte, war eine ungewöhnliche Zusammenkunft europäischer Islamisten. Nicht nur aus Deutschland waren zwei behördenbekannte Extremisten angereist, auch zwei Männer aus der Schweiz waren dabei. Sie trafen sich in Wien mit Personen aus der dortigen islamistischen Szene, übernachteten bei ihren Glaubensbrüdern, gingen gemeinsam in die Moschee, machten Sport im Park.

Beim BKA in Deutschland nahm man das Dschihadisten-Treffen in Wien im Sommer 2020 mit großem Interesse zur Kenntnis. Für die Ermittler war es ein weiteres Indiz dafür, dass sich da etwas zusammenbraute. Schon seit einiger Zeit vermuteten sie, dass in Europa möglicherweise eine neue terroristische Struktur entstehen könnte, ein Netzwerk von potentiellen Terrorzellen. Nach Erkenntnissen der Ermittler hatte man es offensichtlich mit einer neuen Generation von Dschihadisten zu tun. Mit jungen Männern, viele davon mit familiären Wurzeln auf dem Balkan und im Kaukasus, die augenscheinlich dabei waren, sich zu vernetzen. 

Dazu gehörten einige bereits behördenbekannte Islamisten. Sie hatten sich teilweise schon als Jugendliche an der umstrittenen Koran-Verteilaktion „Lies!“ beteiligt, manche sollen geplant haben nach Syrien und in den Irak auszureisen. Einige sollen es geschafft haben, viele kannten zumindest Dschihadisten, die sich tatsächlich der Terrororganisation IS angeschlossen hatten und nach Europa zurückgekehrt waren. In Verbindung gestanden haben sollen diese Personen vor allem virtuell, über Chatgruppen und andere Kommunikationskanäle. 

Das Netzwerk, das in den Fokus der Ermittler geriet, wird „Löwen des Balkan“ genannt. Im BKA wurde schon vor mehr als einem Jahr ein Gefahrenabwehrvorgang namens „Metapher“ ins Leben gerufen, um diese islamistischen Strukturen weiter aufzuklären. Auch der spätere Wien-Attentäter Kujtim F. soll zu diesem Netzwerk gehört haben, ebenso mehrere Terrorverdächtige, die im vergangenen Jahr in Nord-Mazedonien festgenommen wurden, und der Tadschike Komron Z., der im August 2020 in Albanien festgenommen worden war und zu einer tadschikischen IS-Zelle gehören soll, die laut Anklage des Generalbundesanwalts Anschläge in Deutschland geplant haben soll.

Bis heute ist nicht ganz klar, welchem Zweck die Vernetzung letztendlich diente, ob es eine zentrale Steuerung gab, welche Rolle radikalislamische Prediger oder gar Syrien-Rückkehrer vom West-Balkan spielen. Klar scheint nur: Es gibt ein länderübergreifendes Netzwerk, persönliche Kennverhältnisse und Verbindungen von IS-Anhängern mit Bezug zum Balkan, die offenbar Anschläge planten – oder sogar schon ausgeführt haben. 

Am heutigen Mittwoch ließ der Generalbundesanwalt in Osnabrück und Kassel die Wohnungen der beiden Islamisten von der GSG9 und dem BKA durchsuchen, die im Sommer 2020 den Wiener Attentäter Kujtim F. besucht hatten. Es war bereits die zweite Durchsuchung, schon kurz nach dem Anschlag im vergangenen November hatte die Polizei die Extremisten besucht, Mobiltelefone und Computer beschlagnahmt.

Mittlerweile hat das BKA die Datenträger ausgewertet und hat dabei festgestellt, dass die Islamisten offenbar schon kurz vor Beginn des Anschlags im Wiener Ausgehviertel „Bermudadreieck“ am Abend des 02. November 2020 damit begonnen haben sollen, ihre Kommunikation mit dem Attentäter von ihren Handys und aus den Social-Media-Accounts zu löschen. Sie sollen gezielt versucht haben ihre Verbindungen zu Kujtim F. zu verschleiern, teilte der Generalbundesanwalt mit.

Die beiden Islamisten, die ebenfalls zu besagtem innereuropäischen Netzwerk gehören, sollen möglicherweise in das Anschlagsvorhaben von Kujtim F. eingeweiht gewesen sein. Der Generalbundesanwalt ermittelt daher wegen der Nichtanzeige von Straftaten gegen die beiden Männer. Zahlreiche Maßnahmen wurden eingeleitet, in den vergangenen Monaten waren die Islamisten immer wieder von BKA und dem Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) überwacht worden.

„Aufgrund der engen persönlichen Beziehung zum Attentäter und ihrer gemeinsamen radikal-islamischen Gesinnung hielten es die beiden Beschuldigten spätestens seit diesem Besuch zumindest für möglich, dass Kujtim F. seine bereits zuvor gegenüber Dritten offen geäußerten Anschlagsabsichten in die Tat umsetzen würde. Dies nahmen die Beschuldigten billigend in Kauf, ohne diese Anschlagspläne wie es das Gesetz bei solchen Taten verlangt bei den zuständigen Behörden anzuzeigen“

Pressemitteilung des Generalbundesanwalts, 07. Juli 2021

Auf den späteren Tatwaffen des Wien-Attentäters seien DNA-Spuren von Islamisten gefunden worden, die im Juli 2020 bei den Treffen in der österreichischen Hauptstadt dabei gewesen waren. Die Ermittler gehen daher davon aus, dass Kujtim F. seine Waffen den anderen Personen zumindest gezeigt hatte und diese daher von dem Waffenbesitz wussten. Auch auf einem IS-Siegelring, den F. bei seiner Tat trug, wurde DNA der besagten Personen gefunden. 

Im September 2020, einige Wochen vor dem Anschlag in Wien, wurde in Nord-Mazedonien eine Terrorzelle ausgehoben, die ebenfalls zu dem „Löwen des Balkan“-Netzwerkes gehören soll und offenbar kurz davor stand Attentate zu verüben. Drei Islamisten, die wie der Wien-Attentäter nach einem Gefängnisaufenthalt an einem Deradikalisierungsprogramm teilgenommen hatten, wurden festgenommen. Zudem wurden mehrere Sturmgewehre, Panzerfäuste, Sprengstoffwesten und eine IS-Flagge sichergestellt. Das Material soll teilweise im Wald vergraben gewesen sein.

Im Dezember 2020 gab es dann erneut Anti-Terror-Razzien in Nord-Mazedonien bei denen acht weitere Terrorverdächtige in Skopje und Kumanovo festgenommen und mehrere Waffen beschlagnahmt wurden. Auch sie sollen IS-Anhänger sein und Anschläge geplant haben.

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