Der Fall Bünyamin E.

Wo keine Leiche ist, da fragt auch keiner nach einem Täter. Am liebsten würde es die Bundesregierung dabei belassen. Jedenfalls behauptet sie, keine gesicherten Erkenntnisse darüber zu haben, was mit dem deutschen Staatsbürger Bünyamin E. am 4. Oktober in Waziristan geschehen ist. Von den politischen Parteien wollen sich nur die Grünen und die Linke nicht mit dieser Auskunft abspeisen lassen. Sie wollen klären, was sich an diesem Tag in Nordpakistan abgespielt hat.
Normalerweise ist die Bundesregierung offen und auskunftsfreudig, wenn es um die Belange ihrer Bürger im Ausland geht. In diesem Fall aber mauert sie nach Kräften. Denn die Angelegenheit ist überaus heikel. Sie berührt strafrechtliche und völkerrechtliche Fragen. Und sie betrifft den engsten Verbündeten der Deutschen, die USA. Im schlimmsten Fall könnte es nämlich zu einem Strafprozess wegen Tötung von Bünyamin E. kommen. Völkerrechtlich geht es um die Frage: Dürfen die USA einen deutschen Staatsbürger töten?
„Das Völkerrecht verbietet bestimmte Methoden der Kriegsführung und schützt die Opfer von Konflikten. So ist das gezielte Töten von Zivilisten immer verboten, in internationalen so wie in nicht-internationalen bewaffneten Konflikten“, schreiben die Grünen in einer Kleinen anfrage zu dem Fall an die Bundesregierung. Sie verwiesen zudem auf das Genfer Abkommen zum Schutz von Zivilisten.

Nach Informationen von „Welt Online“ kam der 20 Jahre alte Bünyamin E. am Montag, dem 4. Oktober 2010, durch einen amerikanischen Drohnenangriff ums Leben. Wenige Tage später rief sein drei Jahre älterer Bruder Emra die Eltern in Deutschland an und informierte sie über den Tod ihres Sohnes. Mit Bünyamin E. starb der Iraner Shahab Dashti aus Hamburg, der in Propagandavideos oft martialisch auftrat. Angeblich traf sie die Rakete beim Beten. Ein Foto, das „Welt Online“ vorliegt, soll den Leichnam von Bünyamin E. zeigen, eine weitere Aufnahme die Beerdigung in Waziristan.
Bünyamin E. war Deutscher mit türkischen Wurzeln. Er wuchs in dem kleinen Ort Velbert bei Wuppertal auf. Auf der Hauptschule Vohwinkel war er einer der Besten. Deshalb wechselte er zur Realschule und machte dort seinen Abschluss. Mitschüler und Lehrer schildern ihn als freundlichen, beliebten Jungen.In den Ferien besserte Bünyamin E. sein Taschengeld auf dem Hof von Friedrich Bleckmann und Ergin Celikel auf. Er half beim Schlachten von Lämmern, bis er im Frühsommer dieses Jahres zusammen mit seinem Bruder Emra (23) nach Pakistan reiste. Ihr Ziel war ein verwandter Prediger, bei dem die beiden die Gesetze des Korans lernen sollten. Angeblich war es nicht ihre Idee, vielmehr seien sie auf Drängen ihres Vaters Hassan nach Pakistan aufgebrochen. „Aus eigenem Antrieb hätte Bünyamin diese Reise nicht gemacht“, sagte Ergin Celikel wenige Tage, nachdem die Todesnachricht in Velbert eingetroffen war, der „Bild“-Zeitung. Und Friedrich Bleckmann lobte den Charakter des jungen Mannes: „Er war immer zurückhaltend, aber hilfsbereit. Ein aufmerksamer Junge, man würde sagen: wohlerzogen.“
Celikel und Bleckmann schalteten in der örtlichen Tageszeitung eine Traueranzeige. „Auf der Suche nach Leben im Glauben wurde Benjamin Anfang Oktober durch eine Drohne in Pakistan aus dem Leben gebomt“ heißt es darin. „In unserer Erinnerung bleibt er ein junger Deutscher, der höflich, fleißig und hilfsbereit war.“

Im Bundestag tauchte der Vorfall erstmals am 8. Oktober auf. Auf eine Frage des Grünen-Abgeordneten Christian Ströbele antwortete Staatsminister Werner Hoyer: „Diese Informationen haben wir noch nicht. Wir bemühen uns aber mit Hochdruck darum, weil wir ein sehr großes Interesse daran haben, Klarheit zu schaffen, was dort passiert ist.“ Auf die Nachfrage, welche Anstrengungen die Regierung dazu unternehme, sagte Hoyer: „Wir haben diese Sache sowohl gegenüber Pakistan als auch gegenüber den Vereinigten Staaten auf bilateraler Ebene aufgegriffen. Wir haben die Befassung der Nato gar nicht erst anregen müssen, weil sie automatisch stattgefunden hat.“

Über einen Monat später, am 19. November, schreibt das Auswärtige Amt in der Antwort der Bundesregierung auf die inzwischen schriftlich gestellten Fragen der Grünen zum Tod von Bünyamin E.: „Eine detaillierte Beantwortung der Mehrzahl der nachfolgend gestellten Fragen ist zurzeit nicht möglich, da sie offiziell bestätigte Informationen sowie eine präzise Faktenlage voraussetzen würde. Eine solche Grundlage ist bislang nicht gegeben.“
Es lägen keine „offiziell bestätigten Informationen zur Identität der angeblich getöteten Personen“ vor. Auch besitze die Regierung keine Informationen, ob auf pakistanischen Gebiet „Personen getötet“ worden seien. Zu Frage, inwieweit die Regierung möglicherweise vorab über einen Angriff informiert gewesen sei, antwortet diese: „Die Bundesregierung ist von keiner Seite über einen Angriff im Sinne der Fragestellung vorab informiert worden.“

Die Bundesregierung weiß also von nichts und verweist in fast jeder Antwort auf die Geheimschutzstelle des Deutschen Bundestages, wo vertrauliche Hintergrundinformationen hinterlegt worden seien.
„Das ist albern, und wir werden uns damit nicht zufrieden geben“, sagt der Grünen-Abgeordnete Christian Ströbele auf „Welt Online“. „Wenn es um Nordkorea ginge, dann könnte ich verstehen, wenn aus den Nachforschungen der Regierung nichts herauskommt. Aber Pakistan und die USA sind befreundete Staaten.“

Interessant ist, dass der Generalbundesanwalt in Karlsruhe in der Angelegenheit Bünyamin E. inzwischen einen „Beobachtungsvorgang“ angelegt hat. Letztlich könnte es dabei um Tötung, Totschlag oder gar Mord gehen. Auf schriftliche Nachfrage von „Welt Online“ reagierte die Generalbundesanwaltschaft bislang nicht. Die Linke spricht offen von einem Kriegsverbrechen und einer extralegalen Hinrichtung“. „Hier fand ganz offensichtlich außerhalb jeder Gefechtssituation in einem sich nicht im Krieg befindlichen Land eine extralegale Hinrichtung von mutmaßlichen Angehörigen einer islamischen Gruppe durch einen US-Geheimdienst statt. Schon dies muss als Kriegsverbrechen gesehen werden“, sagt die Linken-Abgeordnete Ulla Jelpke auf „Welt Online“.

Ganz offensichtlich habe die Bundesregierung kein Interesse an einer Aufklärung. „Solange die US-Regierung der Bundesregierung die Fakten über ihre Drohneneinsätze nicht auf dem Silbertablett liefert, verhält sich die Bundesregierung wie die berühmten drei Affen. Sie will nichts wissen, um sich nicht dazu positionieren zu müssen“, sagt Jelpke. Stattdessen nehme sie „extralegale Hinrichtungen ihrer eigenen Staatsbürger durch eine befreundete Macht billigend in Kauf“. Jelpke legt den Angehörigen des Getöteten rechtliche Schritte nahe. Die Linke werde sie dabei unterstützen.

Mit ihren Drohnenangriffen in Pakistan manövrieren sich die Amerikaner in eine völkerrechtlich schwierige Situation. Weder hat der US-Kongress diesen Einsatz legitimiert, noch gibt es ein offiziell bekanntes Hilfe-Ersuchen Pakistans an die US-Regierung. Weder in den USA noch auf internationale Ebene wurden also die rechtlichen Voraussetzungen für die Bombenangriffe geschaffen.

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