Der Hamburger Unternehmer Erwin Reichenberger verkaufte massenhaft Überwachungstechnik in alle Welt. Zum Ärger von Polizei und Justiz. Dann verschwand der „Wanzenkönig“ plötzlich im Nahen Osten.
Von Florian Flade
Wer das Handy einer Zielperson heimlich überwachen möchte, kann heute auf Spionagesoftware mit markigen Namen wie „Pegasus“ oder „Predator„ zurückgreifen. Es sind mächtige, umstrittene Überwachungswerkzeuge, mit denen unbemerkt Telefonate, E-Mails, SMS, sogar verschlüsselte Chats ausgespäht werden können, einige der effektivsten Programme stammen von israelischen Firmen. Der Markt für solche Trojaner wächst, der weltweite Bedarf bei Polizeibehörden und Geheimdiensten ist groß.
In den 1970er Jahren allerdings, als es noch keine Handys gab, führte der Weg der Überwacher noch nicht nach Israel, sondern eher in eine weiße, zweistöckige Stadtvilla mit Säuleneingang im Hamburger Nobelviertel Pöseldorf. An der Adresse Badestraße 36, mit Blick auf die Außenalster, residierte damals eine Firma, die Überwachungsträume erfüllen konnte – die Micro Electronic & Co. KG.
Der kleine Betrieb hatte zwar nur rund ein Dutzend Mitarbeiter, dafür aber wohl Tausende Kunden in aller Welt. Und das lag an seinen heiß begehrten Produkten: Kugelschreiber, Aschenbecher oder Feuerzeuge mit versteckten Mikrofonen, oder kleinste elektronische Abhörgeräte, die mühelos hinter Tapeten oder Bilderrahmen versteckt werden konnten. Richtmikrofone gab es ebenfalls im Angebot, um Gespräche aus größerer Distanz zu belauschen, ebenso Peilsender, Nachtsichtgeräte oder Verschlüsselungstechnik.
Wer sich für solche Gerätschaften interessierte, wurde sehr wahrscheinlich bei der Micro Electronic & Co. KG in Hamburg fündig. Und kam dann mit Firmenchef Erwin Reichenberger ins Geschäft, dem „Wanzenkönig“, wie er genannt wurde. Aus seinem Erfolg mit dem Verkauf der Abhörtechnik machte der exzentrische Kaufmann keinen Hehl. Oft fuhr der Millionär, damals Junggeselle, Anfang Dreißig, mit seinem Mercedes 600 durch Pöseldorf, ließ sich von der Boulevardpresse fotografieren und prahlte mit seiner geheimnisvollen Kundschaft.
„Ich baue nur rein professionelle Sachen und verkaufe nicht an Müller, Meyer oder Schulze“, soll Erwin Reichenberger einmal gesagt haben. Zu seinen Kunden zählten angeblich vor allem staatliche Stellen im Ausland, darunter Polizeibehörden und Geheimdienste. „Meine Geräte gehen nach Griechenland, Südamerika und in die arabischen Länder“, wurde der Firmenchef zitiert. „Auch die deutsche Kriminalpolizei interessiert sich sehr dafür, besonders die politischen Abteilungen, aber offiziell dürfen sie nicht bei mir kaufen. Was sie über Mittelsmänner beschaffen, weiß ich nicht.“
Die Wanzen-Schmiede von Erwin Reichenberger geriet damals schnell in den Fokus der deutschen Justiz. Denn der Verkauf von Abhörtechnik – insbesondere an Privatleute – erregte den Argwohn der Behörden. Reichenbergers Wanzen, so die Befürchtung, würden wohl dazu beitragen, dass die unkontrollierten Lauschangriffe von Wirtschafts- und Industriespionen oder anderen Kriminellen noch weiter zunehmen. Die Schnüffeleien von Privatdetektiven, das heimliche Abhören von Telefonen oder ganzer Büroräume, erreichte damals in der Bundesrepublik bereits ein erschreckendes Ausmaß.
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